Reise in die Zukunft! Wie ein virtuelles Treffen mit unserem zukünftigen Ich uns animiert, für die Rente zu sparen

Ziemlich wichtig, aber viel zu weit weg – wer beschäftigt sich schon gern mit der Altersvorsorge? Dabei sind Rücklagen fürs Alter angesichts unserer steigenden Lebenserwartung, sinkender Renten und des demografischen Wandels heute wichtiger denn je. PsychologInnen erforschen, wie sich unser Bewusstsein für eine rechtzeitige Altersvorsorge schärfen lässt.

Eine Frau nimmt mehrere Geldscheine aus der GeldbörseBankenverband - Bundesverband deutscher Banken via flickr (https://flic.kr/p/qqudYY, CC: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)Was wäre Ihnen lieber: Heute 100 Euro zu bekommen oder in einem Jahr 125 Euro zu erhalten? Das Phänomen, dass Menschen eher den Spatz in der Hand wählen als die Taube auf dem Dach, sich also lieber für kurzfristige Belohnungen entscheiden, als auf größere zu warten, bezeichnen PsychologInnen als zeitliche Abwertung („temporal discounting“). Es erklärt, warum es verlockender ist, Geld etwa in ein neues Kleid zu stecken, als es für die Altersvorsorge zurückzulegen. Schließlich bedeutet die finanzielle Absicherung im Alter, auf Geld in der Gegenwart zu verzichten.

Außerdem liegt die Rente für jene, die gerade ins Berufsleben gestartet sind, noch in weiter Ferne. Dies bezieht sich auch auf die Beziehung zu uns selbst. ForscherInnen gehen davon aus, dass wir über unser um Jahrzehnte älteres Ich denken wie über eine fremde Person – und dass wir wegen dieser mangelnden Identifikation daran scheitern, heute schon sinnvolle Weichen für unseren Lebensabend zu stellen (Hershfield et al., 2011). Was aber, wenn wir mit unserem zukünftigen Ich in Kontakt treten könnten? Identifizieren wir uns dann mit dem Ich unserer Zukunft und könnte uns das motivieren, jetzt mehr Geld für später beiseite zu legen?

Diese Frage weckte die Neugier des amerikanischen Psychologen Hal Hershfield, der sich während seiner Promotion an der Standford Universität mit der Psychologie der langfristigen Entscheidungsfindung beschäftigte. Mithilfe von das Sichtfeld umspannenden Datenbrillen versetzten er und sein Team vom Virtual Human Interaction Lab 50 StudentInnen in eine virtuelle Realität (VR). Dort konnten diese entweder eine fotorealistische Darstellung von sich selbst in einem virtuellen Spiegel betrachten oder aber eine durch einen Algorithmus um Jahrzehnte gealterte Version ihrer selbst. Die Hypothese der ForscherInnen: Wer virtuell in die Rolle seines 70-jährigen Ichs schlüpft, identifiziert sich mehr mit ihm und ist somit eher bereit, Geld fürs Alter zurückzulegen. Anschließend wurden die Testpersonen gebeten sich vorzustellen, sie hätten überraschend 1000 $ gewonnen. Dieses Geld sollten sie in vier Optionen anlegen – zum Beispiel in eine Freizeitaktivität oder ihre Altersvorsorge. Dabei legten die StudentInnen, die sich selbst als gealterte Menschen im Spiegel gesehen hatten, im Durchschnitt einen doppelt so hohen Betrag für ihre Rente zurück als die Personen der Kontrollgruppe. Ein Ergebnis, das genau der Hypothese der ForscherInnen entsprach! Etwas jedoch machte sie stutzig: Hatten die ProbandInnen das Experiment vielleicht durchschaut und bewusst im Sinne der ForscherInnen gehandelt? Oder hatte alleine die Konfrontation mit dem Altern an sich ihr Verhalten beeinflusst – und gar nicht so sehr die Tatsache, in die Rolle des eigenen gealterten Ichs zu schlüpfen?

Um diesen Fragen nachzugehen, starteten die ForscherInnen ein zweites Experiment. Wieder versetzten sie 21 junge Testpersonen in einen virtuellen Körper, diesmal aber entweder in die Rolle des eigenen gealterten Ichs oder in die Rolle einer fremden 70-jährigen Person. Anschließend stellten sie ihren Testpersonen Fragen zu ihrem Erleben im virtuellen Raum, um den Zweck des Experiments zu verschleiern. Nachdem 45 Minuten vergangen waren, reagierte der Versuchsleiter mit einem Blick auf die Uhr vermeintlich überrascht: Das Experiment sei nun beendet, aber es wäre noch Zeit übrig – ob die ProbandInnen wohl noch Zeit und Lust hätten, Fragebögen einer anderen Studie auszufüllen, um so die vollen 10$ für eine Stunde Anwesenheit im Labor zu bekommen? Alle Testpersonen willigten ein und bearbeiteten jeweils eine von drei Aufgaben, in denen sie zum Beispiel zwischen sofortigen, kleineren oder verzögerten, aber größeren Geldbeträgen wählen konnten. Das Ergebnis: Über alle Aufgaben hinweg traf die Gruppe, die ihrem eigenen zukünftigen Ich begegnet war, zukunftsorientiertere Entscheidungen.

Unsere Zukunft im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen sind wir also eher dazu bereit, Geld fürs Alter zurückzulegen. Aber mal ehrlich: Wer wird schon vor jeder wichtigen Finanzentscheidung eine VR-Brille aufziehen? Glücklicherweise lässt sich der Effekt aus Hershfields Studien auch einfacher zunutze machen. So fand Hershfield in zwei weiteren Studien heraus, dass eine Darstellung des eigenen gealterten Gesichts am Computerbildschirm ebenso zukunftsorientierte Finanzentscheidungen fördert. So können zum Beispiel Computertools, die NutzerInnen zeigen, wie sich ihr Sparverhalten kurz- oder langfristig auf ihre Rente auswirkt, mit fotorealistischen Darstellungen ihres Selbst im Alter ergänzt werden. Alles, was dafür nötig ist, sind eine Kamera und die entsprechende Software.

Ungeklärt ist allerdings noch, welche psychologischen Mechanismen dem beobachteten Effekt zugrunde liegen. Außerdem ist es mit dem Bewusstsein alleine nicht getan – schließlich kann sich nicht jedeR, die oder der mehr für den eigenen Ruhestand vorsorgen will, diese Vorsorge auch tatsächlich leisten.

Quelle:

Hershfield, H. E., Goldstein, D. G., Sharpe, W. F., Fox, J., Yeykelis, L., Carstensen, L. L., & Bailenson, J. N. (2011). Increasing saving behavior through age-progressed renderings of the future self. Journal of Marketing Research, 48, 23-37.