Tunnelblick im Fall Peggy: Ein möglicher Justizirrtum

Das Verschwinden der kleinen Peggy aus Lichtenberg schockierte vor 13 Jahren ganz Deutschland. Trotz aufwändiger Ermittlung bleibt sie bis heute verschwunden. Nach einem Geständnis von Ulvi K. galt der Fall 2002 als gelöst. Doch dieses Jahr wird der Fall wieder aufgerollt.

Am 7. Mai 2001 kommt Peggy nach der Schule nicht nach Hause. Die zahlreichen Hinweise aus der Bevölkerung verlaufen im Sand. Dann fällt der Verdacht auf den damals 24 Jahre alten Ulvi aus Lichtenberg. Ulvi ist aufgrund einer Erkrankung im Kindesalter in seiner Entwicklung zurückgeblieben. Im Dorf ist bekannt, dass er sich mehrmals vor Kindern entblößt und diese aufgefordert hat, ihn anzufassen. Der ideale Verdächtige also. Ulvi wird trotz lückenlosem Alibi zum Hauptverdächtigen. Im Juli 2002 gesteht er, nachdem die Vernehmungsbeamten behaupten, man habe Peggys Blut an seiner Kleidung gefunden. Im April 2003 wird er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die Einweisung in eine psychiatrische Klinik angeordnet. Der Fall scheint gelöst.

Doch Ulvi widerruft sein Geständnis und beteuert seine Unschuld. Sämtliche von ihm gemachten Angaben zum Tathergang können nicht bestätigt werden. So wird zum Beispiel Peggys Leiche nicht am beschriebenen Ort vorgefunden. Außerdem ändert Ulvi seine Aussage mit jeder weiteren Vernehmung. So war es einmal der Vater, einmal der beste Freund, der ihm angeblich beim Wegschaffen der Leiche half.

Wieso machte es Ermittler und Gericht nicht stutzig, dass es dem Geständigen an konkretem Tatwissen mangelt? Von Tunnelblick sprechen wir in der Psychologie, wenn alle Hinweise so interpretiert werden, dass sie mit einer zuvor aufgestellten Hypothese übereinstimmen. Hierzu passt auch, dass die Polizei den Tathergang bereits Monate vor Ulvis erster Vernehmung exakt so rekonstruiert hat, wie Ulvi ihn später in seinem Geständnis zu Protokoll gab. Reiner Zufall? Es wäre nicht das erste Mal, dass Ermittlungen maßgeblich durch Wunschdenken und nicht Fakten, gesteuert wurden. Ähnliche Fälle von Tunnelvision kennen wir auch in Deutschland (s. auch diesen Artikel zu falschen Geständnissen), den Niederlanden, Belgien und Großbritannien. Im Dezember 2013 jedenfalls wurde das Verfahren beim Landgericht Bayreuth wieder aufgenommen, die Hauptverhandlung beginnt im April 2014. Hoffentlich haben die Richter dann einen ungetrübten Blick.

Update 14.05.2014: Freispruch für Ulvi K.

Quellen:

Jung, I., & Lemmer, C. (2013). Der Fall Peggy. Die Geschichte eines Skandals. München: Droemer.

http://www.ulvi-kulac.de/