Wer muss in den sauren Apfel beißen? Die heimlichen Determinanten moralischer Entscheidungen.

halbeisen_blog1Bild von HalbeisenViele Entscheidungen wiegen die Rechte Einzelner gegen den Nutzen der Allgemeinheit auf. Wie kommt es dazu, dass in einigen Situationen die Rechte Einzelner überwiegen, in anderen dagegen der Nutzen der Allgemeinheit?

Sie haben einen Apfel und ich biete fünf. Behalten Sie Ihren, verschwinden meine Äpfel im Müllschlucker. Tauschen Sie und Ihr einer Apfel muss dran glauben, soz. als Kollateralschaden. Schwierige Entscheidung? Ändern wir das Szenario: Sie müssen den Müllschlucker abschalten, bevor er die fünf verschlingt, aber der Schalter befindet sich in einem unzugänglichen Schacht unter Ihnen! Sie könnten Ihren Apfel auf den Schalter fallen lassen, damit der Müllschlucker ausgeht. Benutzen Sie Ihren Apfel als Mittel zum Zweck, die anderen zu retten? Übertreiben wir noch weiter: Was, wenn es keinen Schalter gibt und Sie den Müllschlucker aufhalten müssen, indem Sie Ihren Apfel in das Getriebe drücken, ihn halten und unter großer Anstrengung zusehen, wie der Apfel langsam zermahlen wird! Entscheiden Sie sich auch hier für die fünf?

Zögerten Sie beim letzten Beispiel, dann ersetzen Sie die Äpfel durch Personen und die Szenarien durch solche, in denen es z.B. um den Abschuss durch Terroristen gekaperter Flugzeuge oder den Einsatz von Folter im Verhör von mutmaßlichen Kindesentführern geht—und Sie haben etwas über die heimlichen Determinanten moralischer Dilemmata erfahren, in denen der Gesamtnutzen gegen die Rechte und Unversehrtheit Einzelner aufgewogen werden muss. Natürlich spielen hier offensichtlich Faktoren eine Rolle: Kollateralschäden werden eher für vertretbar gehalten als das instrumentelle Opfern Einzelner. Weniger offensichtliche Faktoren hat die Gruppe um Joshua D. Greene enthüllt: Der Zweck heiligt die Mittel besonders dann nicht, wenn Personen sich bildhaft die nötigen Handlungen vorstellen. Sind die Handlungen auch noch körperlich anstrengend, dann wird das Opfern Einzelner für besonders verwerflich gehalten. Sind Personen also vielmehr faul als dass ihren Urteilen bestimmte Wertvorstellungen zugrunde liegen? Natürlich nicht, aber es gibt diese heimlichen Determinanten moralischer Entscheidungen, die wir kennen und berücksichtigen sollten, wenn die nächste Debatte den Gesamtnutzen gegenüber der Rechte Einzelner diskutiert—und es nicht um Äpfel geht.

 

Quellen:

Amit E., & Greene, J. D. (2012). You see, the ends don't justify the means: Visual imagery and moral judgment.Psychological Science, 23, 861-868.
Greene, J.D., Chushman, F.A., Stewart. L.E., Lowenberg, K., Nystrom, L.E. & Cohen J.D. (2009). Pushing moral buttons: The interaction between personal force an intention in moral judgment. Cognition, 111, 364-371.