Die Entstehung einer Welt. Auf der Suche nach den neuronalen Korrelaten des Bewusstseins

Nichts ist uns vertrauter als unsere eigenen bewussten Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen; und doch bereitet „Bewusstsein“ WissenschaftlerInnen Kopfzerbrechen. In unserem gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Weltbild ist die Welt eine physikalische Welt. Bewusstsein, mit seinem subjektiven Charakter, scheint nicht in dieses Weltbild zu passen. Die große Frage lautet: Wie können physikalische Vorgänge in unserem Gehirn unsere innere Erfahrungswelt entstehen lassen? Momentan müssen WissenschaftlerInnen kleinere Brötchen backen, als diese Frage direkt beantworten zu können. Sie erforschen, wie unsere bewusste Wahrnehmung mit Gehirnaktivität in Zusammenhang steht. Ziel ist es, die neuronalen Korrelate des Bewusstseins zu finden.

Rätsel Bewusstsein

Wenn wir am Morgen aus tiefem Schlaf erwachen, entsteht ein reiches und buntes Innenleben. Ob wir es wollen oder nicht: In jeder einzelnen Sekunde unseres Wachseins sind wir uns einer bestimmten Sache bewusst; sei es eines Gefühls, eines Gedankens oder eines Objekts in unserer Umgebung. Jeder unserer Bewusstseinszustände geht mit einer ganz eigenen Erfahrung einher. Diese innere Erfahrungswelt, die uns nur im traumlosen Schlaf, im Koma und im Tod verlässt, ist es, was viele WissenschaftlerInnen (z. B. Dehaene, 2014; Tononi, 2012) und PhilosophInnen (Chalmers, 1996; Metzinger, 2009) unter Bewusstsein verstehen.

Wie passt diese subjektive Innenperspektive in unser Weltbild? Wie können physikalische Vorgänge in unserem Gehirn unsere innere Erfahrungswelt entstehen lassen? Sind unsere Gefühle und Gedanken „nichts anderes als ein Verband feuernder Neuronen“ (Crick, 1994, S. 3) in unserem Gehirn? Dies sind Fragen, die sich die Menschheit lange gestellt hat. Eine abschließende Antwort auf diese Fragen scheint auch heute noch außer Reichweite. Das hindert WissenschaftlerInnen jedoch nicht daran, diesen Fragen nachzugehen, um zumindest Hinweise und Teilantworten zu finden. Unter dem Banner „Neuronale Korrelate des Bewusstseins“ (engl. neural correlates of consciousness) forschen WissenschaftlerInnen weltweit, um herauszufinden, wie Bewusstseinszustände mit Gehirnaktivität in verschiedenen Gehirnregionen zusammenhängen. Es geht darum zu verstehen, was die genaue Beziehung zwischen phänomenalen, mentalen Zuständen auf der einen Seite und Gehirnzuständen auf der anderen Seite ist (Chalmers, 2000; Mormann & Koch, 2007).

Ziel dieses Artikels ist es, neugierigen LeserInnen sowohl die Ziele und Herangehensweise als auch erste Einsichten dieses spannenden Forschungsprogramms näherzubringen. Der Schwerpunkt liegt vor allem auf erprobten Methoden aus der Kognitionspsychologie, deren Experimente heute zusammen mit modernen Methoden der Bildgebung kombiniert werden, um Aufschlüsse über die Beziehung zwischen Gehirnaktivität und Bewusstsein zu geben. Zusätzlich wird die Theorie Integrierter Informationen vorgestellt, die anstrebt, die im Experiment gewonnen Einsichten einzuordnen und zu verstehen. Die Beispiele in diesem Artikel beziehen sich vor allem auf die visuelle bewusste Wahrnehmung; die vorgestellten Prinzipien gelten jedoch in der Regel auch für andere Modalitäten (z. B. auditive oder somatosensorische Wahrnehmung).

Welt und Erfahrungswelt

Abbildung 1. Rubins Vasenillusion. Ein und dieselbe Konfiguration von „schwarzen“ und „weißen“ Pixeln kann zu zwei verschiedenen Wahrnehmungen führen: entweder einer Vase (in weiß) oder zweier Gesichter (in schwarz). Bild: Vase <-> face. Painted by Emil 2005 via Wikipedia (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Facevase.png), CC (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)

Die Einfachheit und Direktheit, mit der wir die Welt wahrnehmen, wenn wir unsere Augen öffnen, täuscht über die komplexen Prozesse hinweg, die unserer bewussten Wahrnehmung zugrunde liegen. Viele Erkenntnisse der Philosophie des Geistes und der Kognitionspsychologie deuten darauf hin, dass wir die Welt nicht einfach passiv in uns aufnehmen. Stattdessen gestalten wir unsere Wahrnehmung in einem aufwendigen Prozess (dessen wir uns nicht bewusst sind) aktiv mit. Diese zentrale Einsicht lässt sich anhand eines einfachen Beispiels veranschaulichen. Viele LeserInnen werden mit Rubins Vasenillusion (Abbildung 1) vertraut sein. Wenn man sich die Abbildung lange genug anschaut, dann wechseln sich zwei unterschiedliche, bewusste Wahrnehmungen ab: Zum einen sieht man eine Vase (in weiß), zum anderen zwei Gesichter im Profil, die sich gegenseitig anschauen (in schwarz). Dies ist interessant, denn an der physikalischen Zusammensetzung des Bildes ändert sich während des Anschauens nichts. Alle Pixel im Bild behalten ihre Leuchtdichte bei. Das heißt, die „weißen“ Pixel bleiben weiß und die „schwarzen“ Pixel bleiben schwarz. Und dennoch wechselt unsere bewusste Wahrnehmung zwischen Vase und Gesichtern hin und her. Die Illusion der Rubinvase verdeutlicht, dass die Inhalte unserer Erfahrungswelt nicht einfach den rohen Sinnesdaten, wie sie auf das Auge treffen, entsprechen. Stattdessen scheinen diese Sinnesdaten von unserem Gehirn interpretiert zu werden, was im Beispiel mal zur Wahrnehmung einer Vase, mal zu der von Gesichtern führt.

Die neuronalen Korrelate des Bewusstseins – Experimentelle Einsichten

Wie verändert sich die Aktivität in unserem Gehirn, wenn wir die Welt um uns herum bewusst wahrnehmen? Was passiert beispielsweise, wenn wir in Rubins Vasenillusion mal die Vase sehen, mal die Gesichter?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, untersuchte eine Gruppe von WissenschaftlerInnen in Tübingen in einer Reihe von Studien (zusammengefasst in Logothetis, 1998) die Gehirnaktivität von Affen, während diesen verschiedene visuelle Stimuli gezeigt wurden. Das Prinzip war dabei immer wie folgt: Mithilfe von speziellen Spiegeln, vor denen die Affen positioniert wurden, projizierten die WissenschaftlerInnen zwei unterschiedliche visuelle Stimuli auf beide Augen der Affen, zum Beispiel ein Sonnenscheinmuster auf das linke Auge und einen Gesichtsstimulus auf das rechte Auge oder umgekehrt (Abbildung 2). Wenn das visuelle System auf diese besondere Art stimuliert wird (WissenschaftlerInnen sprechen von „Binokularer Rivalität“), nimmt man nicht etwa zwei Gegenstände gleichzeitig bewusst wahr, auch keine Mischung der beiden. Stattdessen nimmt man zeitlich variierend immer nur einen der beiden Stimuli bewusst wahr. Zunächst zum Beispiel das Sonnenscheinmuster, dann nach einigen Sekunden das Gesicht, dann nach wieder einigen Sekunden das Sonnenscheinmuster usw. Affen können so trainiert werden, dass sie angeben können, in welchem von zwei Bewusstseinszuständen sie sich gerade befinden. Durch Elektrodenmessungen im Gehirn der Affen konnten die WissenschaftlerInnen die Aktivität von Neuronengruppen oder sogar von einzelnen Neuronen unter zwei sich jeweils abwechselnden Wahrnehmungsbedingungen bestimmen. Das Elegante an dieser Art von Versuchsanordnung ist, dass sich der Bewusstseinsinhalt mit der Zeit verändert, wohingegen der sensorische Input in beide Augen unverändert bleibt.

Abbildung 2. Vorgehensweise in den Logothetis (1998) Studien. (A) Versuchsaufbau von oben. Die Affen wurden vor einem Spezialspiegel positioniert, der es den WissenschaftlerInnen ermöglichte, unterschiedliche visuelle Stimuli von zwei verschiedenen Bildschirmen auf das rechte und linke Auge des Affen zu projizieren. Hier im Beispiel wurde auf dem linken Auge ein Sonnenscheinmuster präsentiert und auf dem rechten Auge ein Gesichtsstimulus. (B) Diese unterschiedliche Stimulation der beiden Augen führt zu zwei unterschiedlichen Wahrnehmungszuständen, die sich mit der Zeit abwechseln: Mal wird ein Sonnenscheinmuster, mal ein Gesicht wahrgenommen (Graphik von Marian Schneider).

Um die Ergebnisse des Forscherteams besser verstehen zu können, ist ein wenig Hintergrundwissen über das visuelle System hilfreich. Visuelle Informationen werden beim Affen wie beim Menschen von der Netzhaut (Retina) im Auge weitergeleitet über den Thalamus im Zwischenhirn zur äußersten Schicht des Großhirns, welche auch Großhirnrinde oder Cortex genannt wird. Der erste Eingangspunkt visueller Informationen in der Großhirnrinde ist die primäre Sehrinde (auch „V1“ genannt), welche sich im Okzipitallappen (Hinterkopf) befindet. Von dort aus werden die Informationen zunächst an die sekundäre Sehrinde weitergegeben; danach teilt sich die visuelle Verarbeitung in zwei Pfade: einen dorsalen Pfad, der in den Parietallappen führt, und einen ventralen Pfad, der durch den Temporallappen verläuft (Abbildung 3). Beiden Pfaden werden unterschiedliche Funktionen zugeschrieben: Areale des ventralen Pfads sind auf bewusste Wahrnehmung und Objekterkennung spezialisiert, wohingegen die Verarbeitung entlang des dorsalen Pfads motorischen Bewegungen zugrunde liegt (Goodale & Milner, 1992).Abbildung 3. Visuelles System im Menschen. Gezeigt ist ein Gehirn von der Seite; links befinden sich die Augen, rechts der Hinterkopf. Ab der primären und sekundären Sehrinde (hier blau schattiert) teilt sich die visuelle Verarbeitung in zwei Pfade: einen dorsalen Pfad (Pfeil nach oben), der in den Parietallappen führt (grüne Schattierung), und einen ventralen Pfad (Pfeil nach unten), der durch den Temporallappen (violette Schattierung) verläuft. Bild von via Wikipedia ( https://en.wikipedia.org/wiki/Two-streams_hypothesis#/media/File:Ventral-dorsal_streams.svg), CC (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Zudem wird angenommen, dass die Verarbeitung visueller Stimuli in der Großhirnrinde hierarchisch organisiert ist, das heißt, dass die Komplexität neuronaler Repräsentationen im visuellen System von Gehirnregion zu Gehirnregion zunimmt (Riesenhuber & Poggio, 1999). Neuronen in der primären Sehrinde beispielsweise reagieren bevorzugt auf die Präsentation einfacher Linien mit einer bestimmten Orientierung wie zum Beispiel Gitterstimuli, wohingegen Neuronen in Arealen des ventralen Pfads bevorzugt auf komplette Objekte wie zum Beispiel Gesichter, Häuser oder Autos reagieren.

Das Forscherteam um Logothethis (1998) fand heraus, dass nur sehr wenige Neuronen weiter unten in der Hierarchie der Großhirnrinde (z. B. in der primären Sehrinde) ihre Aktivität in Abhängigkeit von der angegebenen bewussten Wahrnehmung des Affen veränderten. Diese Neuronen schienen also mehrheitlich die visuellen Stimuli so zu repräsentieren, wie sie auf den Netzhäuten der beiden Augen erschienen, unabhängig davon, welchen der beiden Stimuli die Affen gerade bewusst wahrnahmen. Neuronen weiter oben in der visuellen Hierarchie dagegen veränderten ihre Aktivität je nach bewusster Wahrnehmung mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit. Die ForscherInnen fanden zum Beispiel eine besonders starke Verknüpfung zwischen angegebenem Bewusstseinsinhalt und neuronaler Aktivität in einem bestimmten Gehirnareal des ventralen Pfads, dem Gyrus fusiformis. Neuronen in diesem Areal sind auf Gesichtswahrnehmung spezialisiert, reagieren also besonders stark auf die Präsentation von Gesichtern. Wenn die Affen angaben, den Gesichtsstimulus bewusst wahrzunehmen (im Gegensatz zum Sonnenscheinmuster, das auf das andere Auge projiziert wurde), erhöhten fast alle gemessenen Neuronen im inferioren Temporallappen ihre Aktivität.

Mit Menschen wurden inzwischen sehr ähnliche Studien durchgeführt. Dadurch konnten die ursprünglichen Ergebnisse aus den Affenexperimenten repliziert werden. Tong, Nakayama, Vaughan und Kanwisher (1998) maßen die Gehirnaktivität von menschlichen ProbandInnen mithilfe funktioneller Magnetresonanztomografie ( fMRT). Während eines fMRT-Experiments werden ProbandInnen in einem „Scanner“ positioniert, der eine hohe Magnetfeldstärke aufweist. Wenn sich die Neuronenaktivität in einer bestimmten Gehirnregion erhöht, dann geht dies im Regelfall mit einer Erhöhung des Blutsauerstoffgehalts in dieser Gehirnregion einher. Wenn sich der Blutsauerstoffgehalt verändert, dann verändern sich auch die magnetischen Eigenschaften dieses Blutes, was wiederum eine Signalveränderung in der MRT bewirkt. So lassen sich durch das Messen von Signalcharakteristika im Scanner indirekt Rückschlüsse auf regional spezifische Neuronenaktivitäten ziehen.

Tong und KollegInnen projizierten einen Gesichtsstimulus auf das eine Auge der ProbandInnen und einen Hausstimulus auf das andere. Das visuelle System des Menschen weist spezialisierte Gehirnregionen für die Verarbeitung dieser Stimuli auf: die „Fusiform Face Area“ (FFA) des Gyrus fusiformis für die Verarbeitung von Gesichtsstimuli und die „Parahippocampal Place Area“ (PPA) des Gyrus parahippocampalis für Hausstimuli. Versuchspersonen wurden gebeten während des Versuchs per Knopfdruck anzugeben, welchen der beiden Stimuli sie gerade bewusst wahrnehmen. Die ForscherInnen konnten so herausfinden, dass ein Wechsel des bewussten Wahrnehmungszustands von „Haus“ nach „Gesicht“ mit einer Verringerung der Aktivität in der FFA und einer Erhöhung der Aktivität in der PPA einherging. Ein Wechsel der Wahrnehmung von „Haus“ nach „Gesicht“ dagegen fiel mit einem gegensätzlichen Muster zusammen – mehr Aktivität in der FFA, weniger in der PPA. Dies war der Fall, obgleich die Stimulation der Netzhäute sich im Experiment nicht veränderte.

Zusammengenommen legen die beiden vorgestellten Studien zwei Schlüsse nahe: Erstens gibt es Gehirnareale, deren Aktivität sich mit dem angegebenen Bewusstseinsinhalt verändert. Die Aktivität scheint also bestimmte Bewusstseinsinhalte zu reflektieren. Zweitens ist es vor allem die Aktivität in höheren visuellen Arealen des ventralen Pfads, die mit Bewusstseinsinhalten einherzugehen scheint. Aktivität von Neuronen in hierarchisch niedrigeren Arealen scheinen eher die Netzhautstimulation widerzuspiegeln. Diese Einsicht, dass sich ein Bezug herstellen lässt zwischen bestimmten bewussten Wahrnehmungsinhalten und Aktivität in höheren visuellen Arealen wie beispielsweise in der FFA oder PPA, wurde auch durch neurologische Studien untermauert: Schäden von bestimmten, spezialisierten Gehirnarealen können ganz bestimmte Teile unserer bewussten Wahrnehmung eliminieren: zum Beispiel die von Gesichtern (Damasio,Damasio & Van Hoesen, 1982) oder Bewegung (Ziel, Cramon & Mai, 1983). WissenschaftlerInnen schließen aus diesen Studien, dass Aktivität beispielsweise in der FFA Teil des „neuronalen Korrelats“ für die bewusste Wahrnehmung von Gesichtern ausmacht, da die Aktivität von Neuronen in diesen Gehirnarealen mit diesem bestimmten Bewusstseinsinhalt korreliert.

Integrierte Informationen – Eine theoretische Rahmenstruktur

Die oben beschriebenen Studien liefern uns ein besseres Verständnis davon, welche Gehirnregionen als Teil der neuronalen Korrelate des Bewusstseins in Frage kommen und welche nicht. Allerdings geben uns diese Studien nur wenig Auskunft darüber, warum dies so ist (Tononi & Koch, 2008). Warum steht die Aktivität von Arealen des ventralen Pfads beispielsweise mit unseren Bewusstseinsinhalten in Zusammenhang, wohingegen Aktivität in anderen Arealen wie der primären Sehrinde nichts mit unseren Bewusstseinsinhalten zu tun haben scheint?

Eine gegenwärtig unter WissenschaftlerInnen Zuspruch findende Theorie, die eine Erklärung der experimentellen Beobachtungen anstrebt, ist die Theorie Integrierter Informationen (TII), entwickelt durch den Arzt und Neurowissenschaftler Giulio Tononi (2012). Die Theorie basiert auf zwei Axiomen. Zum einen postuliert sie, dass Bewusstseinszustände sehr stark differenziert sind, das heißt, dass wir jederzeit in einer Milliarde möglicher Bewusstseinszustände sein könnten: Wir könnten einen Vogel wahrnehmen – einen roten Vogel, einen gelben, einen blauen, einen, der zwitschert, einen, der fliegt; wir könnten aber auch einen Menschen wahrnehmen – einen freudigen, einen traurigen, einen, der schläft; einen Regenschirm, einen Sonnenschirm usw. Tatsächlich befinden wir uns jedoch zu jedem Zeitpunkt in nur einem einzigen Bewusstseinszustand. Dadurch schließen wir eine Milliarde alternativer Bewusstseinszustände aus, was jeden einzelnen unserer tatsächlichen Zustände informationell sehr reichhaltig macht.

Zum anderen ist bewusste Wahrnehmung immer stark integriert. Nie nehmen wir beispielsweise nur die untere Hälfte unseres Sichtfelds wahr, ohne auch die obere wahrzunehmen. Ebenso kommt es gewöhnlich nicht vor, dass sich nicht-integrierte Bewusstseinsfetzen überlappen. Laut der TII geht diese Einheit des Bewusstseins auf kausale Wechselwirkungen zwischen verschiedenen, für das Bewusstsein relevanten Arealen unseres Gehirns zurück.

Studien von Tononis Forscherteam (zusammengefasst in Massimini, Ferrarelli, Sarasso & Tononi, 2012) haben gezeigt, dass die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Arealen der Großhirnrinde in bewusstseinslosen Zuständen (wie im traumlosen Schlaf, unter Vollnarkose oder im Koma) abnimmt und kortikale Aktivierungen lokaler sind als im bewussten Wachzustand. Wenn wir einschlafen und unser Bewusstsein dahinschwindet, werden wir laut der TII also ZeugInnen einer Desintegration von Informationen in unserem Gehirn.

Ein bewusstes System wie der Mensch ist laut der TII also ein System, das über ein großes Repertoire möglicher Bewusstseinszustände verfügt und in der Lage ist, Informationen zu integrieren. Um solch ein System zu realisieren, ist eine bestimmte Architektur erforderlich. Eine Architektur, die sowohl einen hohen Grad der Spezialisierung als auch eine selektive Integration ermöglichen kann. Im Großen und Ganzen scheint der Verbund aus Thalamus und Cortex im menschlichen Gehirn diese architektonischen Voraussetzungen zu erfüllen. Wie beschrieben, sind Gehirnareale stark spezialisiert auf unterschiedliche Funktionen (z. B. Gesichtswahrnehmung), was ein großes Repertoire möglicher Bewusstseinszustände erlaubt. Gleichzeitig stellt der Verbund aus Thalamus und Cortex aber auch ein Netzwerk dichter neuronaler Verbindungen dar, was die Integration von Informationen aus spezialisierten Regionen ermöglicht.

Hinsichtlich des Ergebnisses, dass die primäre Sehrinde keine zentrale Rolle für unser Bewusstsein zu spielen scheint, spekuliert die TII, dass V1 eher als ein Zulieferer von Sinnesdaten fungiert (Tononi & Koch, 2008). V1 macht folglich keinen Teil des für Bewusstsein relevanten Komplexes aus. Hierarchisch höhere Regionen des ventralen Pfads dagegen sind Teil dieses Verbunds, was sich zum Beispiel darin zeigt, dass diese Regionen stärker mit einer Vielzahl anderer Regionen vernetzt sind. Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass diese Regionen miteinander interagieren und Informationen integrieren, wodurch Bewusstseinsinhalte entstehen können.

Eine kurze Bestandsaufnahme – Erste Einsichten und zukünftige Herausforderungen

Ein wichtiges vorläufiges Ergebnis ist, dass die Aktivität einiger Gehirnregionen unsere Bewusstseinsinhalte zu reflektieren scheint. Dies gilt jedoch nicht für die Aktivität der gesamten Großhirnrinde. Hierarchisch niedrige Areale scheinen eher die Stimulation unserer Sinnesorgane wiederzugeben als unsere Bewusstseinsinhalte. Dagegen findet man in den hierarchisch höheren kortikalen Arealen des ventralen Pfads häufiger eine Übereinstimmung zwischen Aktivitätsmustern und Bewusstseinsinhalten.

In Zukunft wird es für BewusstseinsforscherInnen darauf ankommen, ein grundlegendes Funktionsprinzip auszumachen, das die für das Bewusstsein relevanten und die irrelevanten neuronalen Prozesse im Gehirn voneinander trennt. Ein solches Prinzip könnte die von Tononi vorgeschlagene Integration von Informationen sein, zu der nicht alle Gehirnregionen in der Lage sind. Wissenschaftlich wird es eine Herausforderung werden, die TII zu testen, da deren Vorhersagen die gegenwärtigen rechnerischen und experimentellen Möglichkeiten überschreiten. Beispielsweise haben die bildgebenden Verfahren im Menschen derzeit keine hinreichende zeitliche oder räumliche Auflösung, um die Vorhersagen der TII hinsichtlich Bewusstseinsinhalte im Experiment zu testen. Ungeachtet dieser Herausforderungen sind die ersten gewonnen Einsichten in die neuronalen Korrelate des Bewusstseins faszinierend und wir dürfen viele weitere zukünftige Einsichten erwarten.

Literatur

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Chalmers, D. (2000). What is a neural correlate of consciousness? In T. Metzinger (Ed.), Neural correlates of consciousness: empirical and conceptual questions (pp. 17-39). Cambridge, MA: MIT Press.

Crick, F. (1994). The astonishing hypothesis: The scientific search for the soul. London, UK: Simon & Schuster.

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Dehaene, S. (2014). Consciousness and the brain. Deciphering how the brain codes our thoughts. New York, NY: Penguin.

Goodale, M. A. & Milner, A. D. (1992). Separate visual pathways for perception and action. Trends in Neurosciences, 15, 20-25.

Logothetis, N. K. (1998) Single units and conscious vision. Philosophical Transaction of the Royal Society, 353, 1801-1818.

Massimini, M., Ferrarelli, F., Sarasso, S. & Tononi, G. (2012). Cortical mechanisms of loss of consciousness: insight from TMS/EEG studies. Archives Italiennes de Biologie, 150, 44-55.

Metzinger, T. (2009). Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik. Berlin: Berlin Verlag Taschenbuch.

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Riesenhuber, M. & Poggio, T. (1999). Hierarchical models of object recognition in cortex. Nature, 2, 1019-1025.

Tong, F., Nakayama, K., Vaughan, J. & Kanwisher, N. (1998). Binocular rivalry and visual awareness in human extrastriate cortex. Neuron, 2, 753-759.

Tononi, G. (2012). Phi. A voyage from the brain to the soul. New York, NY: Pantheon.

Tononi, G. & Koch, C. (2008).The neural correlates of consciousness. An update. Annals of the New York Academy of Sciences, 1124, 239-261.

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