Geschlecht als individuelles Merkmal oder als soziale Kategorie?

Abertausende differentiell-psychologische Untersuchungen haben bis heute das Ausmaß der Geschlechtsunterschiede in allen möglichen Variablen ausgelotet und dabei nur wenig statistisch bedeutsame Unterschiede gefunden (Ellis et al., 2008). Dies steht im Widerspruch zu den in vielen sozialen Kontexten beobachteten Geschlechterdifferenzen. Auflösen lässt sich dieser Widerspruch, indem das Geschlecht nicht als ein individuelles Merkmal der Person, sondern als eine soziale Kategorie betrachtet wird. Anhand exemplarischer Untersuchungsbeispiele werden sechs Forschungsansätze vorgestellt, die unter der Perspektive des Geschlechts als einer sozialen Kategorie untersuchen, in welcher Art und unter welchen Bedingungen es einen Unterschied macht, männlich oder weiblich zu sein.

Tanzstunden in den 1950er. Foto: Private Aufnahme. Eigentum des Autors.Tanzstunden in den 1950er. Foto: Private Aufnahme. Eigentum des Autors.

Das Geschlecht ist – neben dem Alter – das Hauptmerkmal, das zur Beschreibung einer Person verwendet wird. Es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem das Geschlecht der beteiligten Personen keine Rolle spielt. Die in der Tradition der Persönlichkeitspsychologie stehende Forschung zu Geschlechtsunterschieden beschäftigt sich meist mit der Ausprägung individueller Fähigkeiten, Persönlichkeitseigenschaften, sozialer Verhaltensweisen, Interessen etc. und stellt fest, welcher Anteil der individuellen Unterschiede mit dem Geschlecht zusammenhängt (Ellis et al., 2008). Fazit dieser Forschung ist: nur in wenigen Variablen lassen sich statistisch signifikante Geschlechtsunterschiede finden (Hyde, 2005).

Die auf diese Forschungsergebnisse gestützte Auffassung einer geringen Bedeutung des Geschlechts für die Beschreibung und Erklärung des Erlebens und Verhaltens von Personen steht in einem auffälligen Widerspruch zu vielen populärwissenschaftlichen Büchern, in denen das Denken, Fühlen und Handeln von Männern und Frauen als so unterschiedlich dargestellt wird, dass man von zwei verschiedenen Welten sprechen kann (Evatt, 2005). Sie stimmt auch nicht überein mit unserer Alltagserfahrung einer durch eine ausgeprägte Geschlechterdifferenzierung gekennzeichneten sozialen Realität. Auffällig sind zum Beispiel die Geschlechtsunterschiede hinsichtlich Kleidung, Spielzeug, Freizeitaktivitäten, Berufswahlen und Familienrollen.

Auflösen lässt sich der Widerspruch zwischen den Ergebnissen der Forschung zu Geschlechtsunterschieden und der Geschlechterdifferenzierung in der sozialen Realität, indem das Geschlecht nicht (vorrangig) als individuelles Merkmal sondern als eine soziale Kategorie betrachtet wird (Deaux, 1984). Menschen haben das angeborene Bedürfnis, überall nach Regelmäßigkeiten und Unterscheidungsmerkmalen zu suchen und alle Menschen und Dinge in Kategorien einzuordnen. Die Geschlechterkategorien eignen sich hierfür besonders gut: Die meisten Menschen lassen sich einer von zwei Geschlechtskategorien zuordnen (männlich und weiblich) und das Geschlecht ist von großer sozialer Bedeutung.

Das Geschlecht wird damit zu einer bedeutsamen (salienten) sozialen Kategorie, mit der, ähnlich wie mit dem Alter oder der ethnischen Herkunft einer Person, bestimmte Rollenerwartungen und Reaktionen der sozialen Umwelt verknüpft sind. Entscheidend ist dabei, dass die in der sozialen Umwelt vorgefundenen Geschlechterrollen weitgehend unabhängig davon existieren, wie typisch männlich oder weiblich ein Individuum ist.

Wird das Geschlecht als eine soziale Kategorie betrachtet, interessieren nicht so sehr die mittleren Geschlechtsunterschiede in Fähigkeiten, Eigenschaften oder beobachtbarem Verhalten, sondern wie Individuen männliche und weibliche Merkmale in ihrer sozialen Umwelt sowie ihre eigene Männlichkeit bzw. Weiblichkeit wahrnehmen und verarbeiten. Man bleibt daher nicht, wie in der persönlichkeitspsychologischen Geschlechterforschung üblich, bei der Frage stehen, worin sich die beiden Geschlechter unterscheiden, sondern fragt: In welcher Art, unter welchen Bedingungen, in welchem konkreten sozialen Kontext macht es einen Unterschied, männlich oder weiblich zu sein (Eckes & Trautner, 2000)?

Grundannahmen einer Betrachtung des Geschlechts als soziale Kategorie

 Mit der Betrachtung des Geschlechts als soziale Kategorie sind folgende Grundannahmen verbunden:

1. Die Bedeutung der Geschlechterdifferenzierung wird durch geschlechtsspezifische Rollenerwartungen und Verhaltensfolgen sowie die Gelegenheit zur Beobachtung männlicher und weiblicher Verhaltensmodelle sozial hergestellt und vermittelt.

2. Art und Grad der individuellen Geschlechtstypisierung variieren mit dem sozialen Kontext: dem Geschlechtsbezug der jeweiligen Aufgabe oder Situation, sowie den Anteilen männlicher und weiblicher Personen in einer Untersuchungssituation.

Sechs Forschungsansätze

Durch die Betrachtung des Geschlechts als einer bedeutsamen Kategorie ergeben sich Fragestellungen und Forschungsansätze, die zu differenzierteren Aussagen führen als die traditionelle Forschung zu Geschlechtsunterschieden. Anhand exemplarischer Untersuchungsbeispiele werden hierzu sechs Forschungsansätze vorgestellt. Verwandte Ansätze finden sich auch in der sozialpsychologischen Forschung zu Geschlechterrollen, Geschlechterstereotypen und zur sozialen Identität (z. B. Athenstaedt & Alfermann, 2011; Eckes & Trautner, 2000).

 

 (1) Etikettierung von Personen, Aufgaben oder Situationen

Personen, Aufgaben oder Situationen werden experimentell als männlich oder weiblich bzw. maskulin oder feminin etikettiert. Anschließend werden die Effekte dieser Etikettierung geprüft.

Klassisches Beispiel hierfür sind die sogenannten Baby X-Studien, in denen Erwachsene im direkten Kontakt oder per Video mit einem geschlechtsneutral gekleideten männlichen oder weiblichen, unter einem Jahr alten Kleinkind konfrontiert werden. Der einen Hälfte der Stichprobe wird das richtige Geschlecht des Kindes genannt, der anderen Hälfte das falsche Geschlecht. Im direkten Kontakt lässt man die Erwachsenen mit dem Kleinkind auch interagieren und ihm Spielzeug anbieten. Tendenziell führte dies zu unterschiedlichen Beschreibungen des – jeweils identischen – Verhaltens. So wurde das „Mädchen“ häufig eher als hilfsbedürftig und ängstlich wahrgenommen, der „Junge“ eher als stark und aktiv. In der Interaktion und der Spielzeugauswahl richteten sich die Erwachsenen bevorzugt nach dem vom Versuchsleiter angegebenen Geschlecht des Kindes (Stern & Karraker, 1989).

Ein Beispiel aus dem schulischen Bereich: Durch die geschlechtsbezogene Formulierung von Textaufgaben zur Mathematik wurden die Erfolgserwartungen von Schülerinnen und Schülern bei der Lösung dieser Aufgaben systematisch beeinflusst (Bettge, 1992). Bei Aufgaben, in denen auf den Alltag von Jungen Bezug genommen wurde, trauten sich die Mädchen auffällig weniger zu als die Jungen. Jungen wurden von der Einbettung der Aufgaben in einen Mädchenkontext hingegen in ihrem Selbstvertrauen nicht beeinflusst. War der Aufgabenkontext geschlechtsneutral oder auf den Alltag von Mädchen bezogen, gab es keinen Unterschied der Erfolgserwartungen von Mädchen und Jungen.

 

 (2) Unterschiedliche Beantwortung und Einschätzung von Verhalten je nach dem Geschlecht des Akteurs

In diesem zweiten Forschungsansatz wird untersucht, inwieweit ein bestimmtes, im natürlichen Umfeld auftretendes Verhalten, je nach Geschlecht der Person, eine unterschiedliche soziale Reaktion erfährt. Eine Reihe von Untersuchungen dieses Typs beschäftigte sich mit dem Spielverhalten und dem Sozialverhalten von Kindern im Vorschulalter und den Reaktionen von Eltern, ErzieherInnen oder Gleichaltrigen auf dieses Verhalten (Lytton & Romney, 1991). Es zeigte sich, dass z. B. bei Jungen motorische Aktivitäten, bei Mädchen soziales Spiel unterstützt wurden, insbesondere von Vätern (Fagot & Hagan, 1991).

Solche unterschiedlichen Reaktionen basieren meist auf geschlechtsstereotypen Erwartungen. So hielten z. B. Eltern ihre Töchter hinsichtlich der zu erwartenden Mathematikleistungen für weniger kompetent als ihre Söhne, obwohl die Noten der Mädchen besser waren als die der Jungen. Außerdem nahmen sie an, dass sich erstere für gute Leistungen mehr anstrengen müssen als letztere. Die Selbsteinschätzung der Mädchen hinsichtlich ihrer Mathematik- Kompetenz und der Schwierigkeit von Mathematikaufgaben korrelierte ebenfalls stärker mit den elterlichen Überzeugungen als mit ihren tatsächlichen Noten (Eccles et al., 2000).

 

 (3) Männliche und weibliche Verhaltensmodelle

Geschlechterstereotypen. Bild: Tagungsbeitrag des Autors, Universität Osnabrück, 2010.Geschlechterstereotypen. Bild: Tagungsbeitrag des Autors, Universität Osnabrück, 2010.

Ein weiterer Forschungsansatz untersucht den Einfluss von männlichen und weiblichen Verhaltensmodellen in der Familie, der Gruppe der Gleichaltrigen oder in den Medien. Durch die Beobachtung von anderen Jungen und Mädchen (Männern und Frauen) werden allgemeine Regeln über das für das jeweilige Geschlecht situationsangemessene Verhalten und die damit verbundenen Verhaltenskonsequenzen gelernt (Bandura, 1986). So erkennt z. B. ein heranwachsendes Mädchen im Verhalten seiner Mutter, seiner Lehrerin, seiner großen Schwester und weiterer weiblicher Verhaltensmodelle eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die es aufgrund der gleichen Geschlechtszugehörigkeit der Modelle als weibliches Verhalten anzusehen lernt und, da es sich selbst als weiblich einordnet, als eigenes Verhalten übernimmt. Einen ähnlichen Einfluss haben die männlichen und weiblichen ProtagonistInnen in Kinder- und Jugendbüchern.

In einem Längsschnittprojekt von Trautner (1992) wurden die Mütter und Väter der untersuchten Grundschulkinder außer nach den Erziehungszielen für ihre Söhne und Töchter unter anderem auch nach der häuslichen Arbeitsteilung und nach den gemeinsamen Aktivitäten mit ihren Kindern gefragt. Während die Erziehungsziele nicht ausgeprägt geschlechtsspezifisch verschieden waren, war die berichtete Rollenverteilung der Eltern, die die Kinder tagtäglich mitbekamen, durchgehend stark mit dem Elterngeschlecht verknüpft.

Die Konzepte und Einstellungen der Kinder sowie ihr Spielverhalten spiegelten entsprechend die täglich von den Kindern wahrgenommenen Rollenmodelle der Eltern direkt wider.

 

 (4) Geschlechterzusammensetzung interagierender Dyaden oder Gruppen

In einem weiteren Forschungsansatz werden Interaktionen von zwei Personen oder von Personengruppen untersucht und die Variation des Verhaltens der VersuchsteilnehmerInnen in Abhängigkeit von der Geschlechterzusammensetzung der Paare oder Gruppen analysiert. Die Salienz des Geschlechts ist in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe größer als in einer geschlechtshomogenen Gruppe.

In einer Untersuchung von Trautner (1995) wurde das Spielverhalten von jeweils zwei Vorschulkindern in Abhängigkeit von der Geschlechtszusammensetzung der Paare untersucht. Vier bis sechs Jahre alte Paare von Jungen, Paare von Mädchen und gemischte Paare von Jungen und Mädchen wurden beim Spiel mit Playmobil beobachtet. Erwartungskonform war das Spiel der Jungen generell geschlechtsstereotyper als das Spiel der Mädchen. Bei beiden Geschlechtern nahm die Stereotypizität des Spiels jedoch in gemischtgeschlechtlichen Paaren signifikant zu. Wurde das Spielmaterial so gestaltet, dass die verwendeten männlichen und weiblichen Spielfiguren und Gegenstände mehrfach vorhanden waren, näherte sich das Spiel der Jungen und Mädchen einander an. Außerdem wurden die Mädchen in ihrem Spiel durch die Anwesenheit eines Spielpartners generell weniger beeinflusst als die Jungen.

Athenstaedt, Haas und Schwab (2004) fanden bei erwachsenen Männern und Frauen Zusammenhänge zwischen dem Geschlechtsrollen- Selbstkonzept und der Geschlechterzusammensetzung von Dyaden. Männer und Frauen schrieben sich in einer gemischtgeschlechtlichen Dyade mehr positive maskuline Eigenschaften zu als in einer gleichgeschlechtlichen Dyade. Beide Geschlechter schrieben sich außerdem mehr negative maskuline Eigenschaften zu, wenn sie mit Männern interagierten, als wenn sie mit Frauen interagierten.

 

 (5) Geschlechtertrennung

Ab dem Kindergartenalter bis zur Adoleszenz entwickelt sich eine wachsende gegenseitige Abgrenzung und Trennung der beiden Geschlechter (Maccoby, 2000). Sie zeigt sichTrennung der Geschlechter. Foto: Private Aufnahme der Autoren. Isfahan, 2017.Trennung der Geschlechter. Foto: Private Aufnahme der Autoren. Isfahan, 2017. z. B. in den Spielgruppen im Kindergarten (die Bauecke für Jungen, die Puppenecke für Mädchen). Vierjährige spielen dreimal so häufig mit gleichgeschlechtlichen wie mit gegengeschlechtlichen Kindern, Sechsjährige bereits elfmal so häufig (Rohrmann, 2008). Das Phänomen der Geschlechtertrennung ist ein weiterer Beleg für die Konzeption des Geschlechts als soziale Kategorie, weil die Präferenz für die eigene Geschlechtsgruppe und die Abgrenzung von der anderen Geschlechtsgruppe sich weitgehend unabhängig von der individuellen Ausprägung der Geschlechtstypisierung entwickeln.

Reine Jungen- und Mädchengruppen unterscheiden sich in ihrer Größe und den Orten, an denen sie sich treffen, in ihren bevorzugten Aktivitäten und ihren charakteristischen Interaktionsstilen (Maccoby, 2000). Die in reinen Jungen- und Mädchengruppen sich entwickelnden Interaktionsstile tragen wesentlich zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Geschlechterdifferenzierung bei (Rohrmann, 2008). Das Ausmaß der Bevorzugung von PartnerInnen der eigenen oder der anderen Geschlechtsgruppe kann jedoch je nach der Art der Aktivität variieren. Geht es z. B. darum, gemeinsam Hausaufgaben zu erledigen oder Plätzchen zu backen, werden bevorzugt Mädchen gewählt. Ist eine Hütte zu bauen oder will man sich gemeinsam einen Gruselfilm ansehen, sind die Jungen bevorzugte Partner (Trautner, 1992).

Von besonderer Bedeutung ist die Geschlechtertrennung auch im schulischen Kontext. So werden z. B. sowohl das Selbstkonzept als auch die schulischen Interessen von Mädchen dadurch beeinflusst, ob sie in reinen Mädchenklassen oder koedukativ unterrichtet werden (Hannover, 2008).

 

 (6) Geschlechterverteilung

Besonders aufschlussreich für die Untersuchung von Geschlechtsunterschieden unter der Perspektive des Geschlechts als einer sozialen Kategorie ist auch die Betrachtung der prozentualen Anteile von männlichen und weiblichen Personen in verschiedenen sozialen Rollen und Kontexten, z. B. die auffällig unterschiedliche Verteilung der Geschlechter in naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Fächern, in technischen Berufen und Sozialberufen oder in Führungspositionen in Universitäten und in der Industrie.
Schon in den schulischen Kurswahlen zeigt sich diese Asymmetrie. Wenn beispielsweise ausschließlich Begabungs- und Leistungsunterschiede schulischen Kurswahlen zugrunde liegen würden, müssten sich Schülerinnen und Schüler etwa zu gleichen Anteilen in Mathematik- und Physik-Leistungskursen wiederfinden. Tatsächlich ist das Verhältnis in den Leistungskursen Mathematik und Physik an deutschen Gymnasien 1:3 bzw. 1:6 (Hannover, 2008, S. 346).

Ähnlich müsste bei der gegebenen Gleichverteilung weiblicher und männlicher HochschulabsolventInnen die Hälfte aller Professuren an deutschen Universitäten mit Frauen besetzt sein. Der Frauenanteil betrug im Jahr 2015 jedoch nur 23 % (Statistisches Bundesamt vom 14.07.2016). Die Unterrepräsentanz von Frauen in den genannten Bereichen steht zwar auch im Zusammenhang mit rollenkonformen Interessen und Motivationen von Mädchen und Frauen, dürfte aber, was die Berufsrollen betrifft, ganz wesentlich mit der nur schwer zu realisierenden Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusammenhängen (Hollstein, 2004).
Einen Erklärungsansatz für die beobachteten Geschlechtsunterschiede in Berufen oder im Zusammenhang mit Tätigkeiten im Alltag liefert die Soziale-Rollen-Theorie von Alice Eagly (Eagly & Wood, 2011). Anstatt Frauen und Männern überdauernde Persönlichkeitseigenschaften zuzuschreiben, die sie dazu prädestinieren, unterschiedliche Rollen auszuführen, kehrt sie das Verhältnis von Persönlichkeitseigenschaften und Rollenmerkmalen um. Die Geschlechtsunterschiede in den genannten Bereichen werden nicht mit unterschiedlichen geschlechtstypischen Dispositionen von Frauen und Männern erklärt, sondern mit der im Laufe der Geschichte entstandenen unterschiedlichen Verteilung von Frauen und Männern auf soziale Rollen entlang der Dimensionen Status und Macht. Je höher das Prestige und das Einkommen des betreffenden Berufs sind, desto stärker ist der Beruf mit männlich stereotypisierten Eigenschaften und Fähigkeiten verknüpft und desto höher ist der Männeranteil in dem betreffenden Beruf. Erst durch die unterschiedliche Verteilung von Männern und Frauen auf soziale Rollen, wie z. B. auf bestimmte Berufe, passen sich die Geschlechter nach Eagly in ihren psychischen Eigenschaften an ihre „vorgegebenen“ Rollen an. Verbunden ist damit die Annahme, dass die psychischen Geschlechtsunterschiede, z. B. männliche Instrumentalität und weibliche Expressivität, bei einer Gleichverteilung von Männern und Frauen auf soziale Rollen mit hohem und niedrigem Status allmählich verschwinden müssten.

Ausblick

Es wurde gezeigt, dass Forschungsansätze, die das Geschlecht als eine soziale Kategorie betrachten, gegenüber Ansätzen, die von individuellen Dispositionen ausgehen, besser geeignet sind, die durch eine Status und Geschlecht. Foto: 089photoshootings via Pixabay (https://pixabay.com/photos/men-employees-suit-work-greeting-1979261/, CC: https://pixabay.com/service/terms/#license)Status und Geschlecht. Foto: 089photoshootings via Pixabay (https://pixabay.com/photos/men-employees-suit-work-greeting-1979261/, CC: https://pixabay.com/service/terms/#license)ausgeprägte Geschlechterdifferenzierung gekennzeichnete soziale Realität zu beschreiben und zu erklären. Dass meist Frauen den Haushalt führen und für die Kinderbetreuung zuständig sind, ist z. B. nicht primär ein Resultat individueller psychischer Voraussetzungen von Frauen, sondern eher ein Ergebnis der gesellschaftlich vorgegebenen Geschlechterrollen und der strukturellen Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Welche Frauen sich unter den gegebenen Bedingungen für den Hausfrauenstatus und welche sich für eine Verbindung von Beruf und Familie entscheiden, mag dann wiederum von individuellen psychischen Voraussetzungen abhängen, die aber nicht auf Frauen insgesamt verallgemeinert werden dürfen.

Nur unter der Perspektive des Geschlechts als sozialer Kategorie und der Berücksichtigung der Status- und Machtunterschiede zugunsten der männlichen Rolle werden auch die gesellschaftliche Debatte und die Lösungsvorschläge zur Aufhebung der Benachteiligung von Frauen verständlich. Dabei bestätigen Initiativen wie „Girls Days“ zur Förderung von Mädchen in den sog. MINT-Fächern oder Frauenquoten für Führungspositionen in Unternehmen eher die Höherwertigkeit der männlichen Rolle als dass sie Ausdruck der Gleichwertigkeit der

weiblichen Rolle sind. Entsprechend sind es eher die Mädchen und Frauen, die sich der männlichen Rolle annähern (sollen), während das Rollenspektrum der Jungen und Männer vergleichsweise begrenzt bleibt. Auch das EU-weite Konzept des Gender Mainstreaming geht vom Geschlecht als einer sozialen Kategorie aus, indem es postuliert, dass „bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen“ sind, „da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; zitiert aus Athenstaedt & Alfermann, 2011, S. 9).

Eine tatsächliche Gleichstellung und Gleichwertigkeit von Männern und Frauen wäre erst dann erreicht, wenn nicht nur die Ähnlichkeiten der Geschlechter gegenüber ihren Unterschieden stärker betont würden, sondern letztlich auch das Geschlecht als soziale Kategorie gegenüber den jeweils gegebenen individuellen Voraussetzungen seine Bedeutung für die Übernahme sozialer Rollen verlöre.

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