Ist das wirklich schon wieder zehn Jahre her? Die Veränderung der Zeitwahrnehmung über die Lebensspanne

Je älter wir werden, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen. Ist das so, weil die „innere Uhr“ im Laufe unseres Lebens immer langsamer wird? Wird unser Gedächtnis für die Ereignisse immer schlechter, aus denen wir die vergangene Lebenszeit rekonstruieren? Oder wollen wir einfach nicht, dass die Zeit vergeht, weil unser Lebensende immer näher rückt? Vermutlich spielt all das eine Rolle, aber am wichtigsten ist wohl, dass wir immer mehr Routinen entwickeln, die unsere subjektive Lebenszeit beschleunigen. Wir diskutieren, warum das auch seine Vorteile haben kann.

Erstaunt – und oft ungläubig – fragen sich viele Menschen immer wieder, wo die bisherigen Lebensjahre hin sind: Sind wir tatsächlich schon 30 Jahre verheiratet? Ist mein Kind wirklich schon erwachsen? Ist es schon wieder 10 Jahre her, dass wir uns das letzte Mal getroffen haben? Hingegen scheinen die Sommer in unserer Kindheit oder auch die Periode unseres Erwachsenwerdens Ewigkeiten gedauert zu haben. Je älter wir werden, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen. Was wir von einem schönen Urlaub kennen, der zu Beginn noch lange zu dauern scheint, dann aber doch, rückblickend, sehr schnell vergangen ist, scheint auch mit dem Rest unseres Lebens zu passieren. Diese Feststellung wirkt oft erschreckend, insbesondere da die meisten Menschen viele Pläne haben, unerfüllte Wünsche, die sie hoffen, in der Zukunft umsetzen zu können. Je schneller die Zeit subjektiv vergeht, umso gefährdeter erscheint die Umsetzung dieser Wünsche. Die Wahrnehmung, wie viel Zeit uns im Leben verbleibt, hat entscheidenden Einfluss darauf, welche Ziele wir verfolgen, welche Entscheidungen wir treffen und sogar darauf, welche Freundschaften wir halten und welche wir nicht verfolgen (Lang & Carstensen, 2002). Haben wir den Eindruck, dass uns noch endlos viel Zeit im Leben verbleibt, dienen die Ziele, die wir verfolgen eher dazu, uns Wissen anzueignen; kommt uns die verbleibende Lebenszeit hingegen als sehr begrenzt vor, streben wir nach einem anderen Ziel – nach der Regulation unserer Emotionen (Carstensen, Isaacowitz & Charles, 1999). Dann werden wir mit geringerer Wahrscheinlichkeit unangenehme Lebensumstände tolerieren, die wir, wenn uns die Lebenszeit unbegrenzt lang vorkommt, zugunsten eines erhofften zukünftigen Nutzens eher hinnehmen. Ähnliches gilt auch für die Wahl der Personen, mit denen wir uns umgeben. Wir werden wählerischer und wollen unsere Zeit nicht verschwenden (Carstensen et al., 1999). Seit mehr als einem Jahrhundert wird das Phänomen der Zeitbeschleunigung im Laufe des Lebens von Philosophen, Schriftstellern und Wissenschaftlern beschrieben und untersucht. Die Frage, wie dieser Eindruck einer immer schneller vergehenden Zeit entsteht und vor allem, wie man diesen Eindruck bewerten sollte, ist jedoch nicht endgültig geklärt. Im vorliegenden Beitrag werden wir die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema prüfend betrachten, um die Frage nach der Ursache des Phänomens zu beantworten. Außerdem werden wir Möglichkeiten diskutieren, der subjektiven Zeitbeschleunigung entgegenzusteuern. Abschließend werden wir argumentieren, dass das Phänomen vielleicht gar nicht so negativ zu bewerten ist, wie wir oft annehmen.

Ein bekanntes Phänomen: Die subjektiv immer schneller vergehende Lebenszeit

Das Phänomen der immer schneller vergehenden Zeit ist den meisten Menschen vertraut; es gibt bisher jedoch nur wenig wissenschaftlich fundierte Evidenz dazu, wie beispielsweise die Untersuchungen von Wittmann und Lehnhoff (2005) sowie von Friedman und Janssen (2010). In diesen Querschnittsstudien wurden insgesamt über 2.000 Personen aus vier verschiedenen Ländern im Alter zwischen 14 und 94 Jahren danach befragt, wie schnell für sie verschiedene Lebensspannen vergingen. Wenn die Untersuchungsteilnehmer nach den letzten zehn Jahren gefragt wurden, ergaben sich bedeutsame Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Menschen. Die gefühlte Geschwindigkeit der vergangenen zehn Jahre war für Menschen ab 60 Jahren beträchtlich schneller als für Personen im Alter bis zu 30 Jahren. In beiden Untersuchungen ergaben sich Korrelationen von 0,21 bis 0,30 zwischen dem Lebensalter und der Einschätzung, wie schnell die letzten zehn Jahre vergangen sind. Diese Untersuchungen bestätigen die Existenz des häufig beschriebenen Phänomens der sich beschleunigenden Lebenszeit. Sucht man in der Literatur nach Erklärungen für dieses Phänomen, findet man unterschiedliche Antworten. Wir beschreiben im Folgenden die fünf wichtigsten.

Mögliche Erklärungen für die beschleunigte Zeitwahrnehmung im Lebensverlauf

1. Das Verhältnis der letzten zehn Jahre zur bisherigen Lebenszeit

Eine Erklärung für die beschleunigte Zeitwahrnehmung ist, dass die bisherige Lebenszeit als Referenzkriterium für eine zu beurteilende Zeitspanne (z.B. die letzten 10 Jahre) genutzt wird (Lemlich, 1975). Das heißt, wenn ich 15 Jahre alt bin, sind 10 Jahre im Vergleich dazu sehr lang. Wenn ich aber schon 80 Jahre alt bin, dann sind 10 Jahre, relativ gesehen, eher eine kurze Zeitspanne. Da das Verhältnis der letzten 10 Jahre zur gesamten bisherigen Lebenszeit immer größer wird, sollte einem die zu beurteilende Zeitspanne als immer kürzer vorkommen, je älter man wird, und somit als immer schneller vergehend. Unklar bleibt bei dieser logisch plausiblen Erklärung jedoch, ob unsere Zeitwahrnehmung tatsächlich generell so funktioniert. Würde man immer die bisherige Lebenszeit als Vergleichskriterium heranziehen, wäre nicht erklärbar, warum uns bestimmte Zeitspannen als kürzer und andere als länger vorkommen, je nachdem was wir gerade erleben, und ganz unabhängig davon, wie alt wir sind.

2. Die Angst vor dem Lebensende

Eine andere Erklärungsmöglichkeit betrifft unsere emotional getönte Einstellung in Bezug auf die Zeit. Möglicherweise wollen wir einfach nicht, dass die Lebenszeit vergeht, weil wir befürchten, noch nicht alles erlebt, unsere Zeit nicht gut genug genutzt zu haben oder weil wir Angst vor dem Tod haben – und zwar umso mehr, je älter wir werden. Jeder kennt das Phänomen der Zeit, die sich endlos hinzieht, wenn man auf jemanden wartet, oder rasend schnell zu vergehen scheint, wenn man gerade etwas Schönes erlebt, gerade so als würde sich die Zeit weigern, genau das zu tun, was wir wollen. Vielleicht ist die Kindheit einfach langweilig und soll in den Augen der Kinder möglichst schnell vergehen, um endlich erwachsen zu sein? Und vielleicht gibt es im Gegensatz dazu im Erwachsenenalter zu viel zu tun in einer zu begrenzten Zeit, so dass wir unter diesem Zeitdruck stehend nicht wollen, dass die Zeit vergeht? Aber warum sollte die Zeit sich immer genau entgegengesetzt verhalten zu dem, was wir wollen? Um diese Frage zu beantworten, wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Geschwindigkeit der Lebenszeit und der erlebten Angst vor dem Tod gibt, jedoch wurde keine bedeutsame Korrelation gefunden (Joubert, 1983).

3. Die Geschwindigkeit der „inneren Uhr“ und wie stark wir auf sie achten

Betrachtet man Modelle, die erklären, wie die menschliche Zeitwahrnehmung generell funktioniert, findet man häufig die Idee eines Taktgebers (einer „inneren Uhr“) als Basis für die Zeitschätzung. Das ‚Attentional Gate Model‘ (Abbildung 1) von Zakay und Block (1997) sieht neben diesem Taktgeber, der unterschiedlich viele Takte pro Zeiteinheit ausgibt, je nachdem wie schnell die innere Uhr geht, einen weiteren Faktor vor, der beeinflusst, wie lang wir eine bestimmte Zeitspanne schätzen: das „Aufmerksamkeitstor“. Dabei bestimmt unsere Aufmerksamkeit, die wir auf das Vergehen der Zeit richten, wie viele Takte der inneren Uhr wir wahrnehmen, d.h. wie viele Takte das Aufmerksamkeitstor passieren können. Achten wir stark auf die Zeit, beispielsweise weil wir auf jemanden warten, registrieren wir jeden einzelnen Takt der inneren Uhr, und die Zeit wird uns somit länger vorkommen, im Vergleich dazu wenn wir abgelenkt sind und uns deshalb Takte verloren gehen. Eine Erklärung für die immer schneller vergehende Lebenszeit könnte nun aus zwei Komponenten bestehen: Einerseits könnte unsere Zeitwahrnehmung durch eine im Verlauf des Lebens immer langsamer werdende innere Uhr gesteuert werden. Diese innere Uhr würde mit zunehmendem Alter in derselben objektiven Zeitspanne immer weniger Takte produzieren und deswegen den Eindruck einer immer kürzeren Dauer der tatsächlich gleichen Zeitspanne erzeugen. Andererseits könnte es theoretisch sein, dass wir uns mit fortschreitendem Alter zunehmend schlechter auf die Zeit konzentrieren (können) und uns dadurch immer mehr Takte im gleichen Zeitintervall verloren gehen. Das würde bedeuten, je schlechter die kognitiven Prozesse wie Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung im Alter werden, desto schneller scheint die Zeit subjektiv zu vergehen. Es gibt viele Untersuchungen dazu, wie sich die Zeitschätzungen jüngerer und älterer Menschen unterscheiden, meist im Sekunden- und Minutenbereich. Die Befunde sind jedoch uneinheitlich. Eine Metaanalyse von Block, Zakay und Hancock (1998) zeigte eine erhöhte Variabilität in den Zeitschätzungen älterer Menschen. Bisher konnte jedoch kein Nachweis erbracht werden, dass die innere Uhr mit zunehmendem Lebensalter immer langsamer tickt oder dass zeitrelevante Aufmerksamkeitsleistungen im Alter schlechter werden.

4. Die Anzahl der erinnerten Erlebnisse

Taktgebermodelle und die genannten Untersuchungen zur Zeitschätzung beziehen sich auf die sogenannte prospektive Zeitwahrnehmung. Das heißt, die Versuchsteilnehmer wissen schon vorher, dass sie später die Zeit schätzen sollen. Wenn wir jedoch im Verlauf unseres Lebens darüber nachdenken, wie schnell die letzten 10 Jahre vergangen sind, handelt es sich immer um retrospektive Zeitwahrnehmung, die wir aus der Erinnerung rekonstruieren müssen, also ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, dass wir irgendwann die Zeit schätzen sollen. Wie funktioniert diese retrospektive Zeitschätzung? Das ‚Contextual Change Model‘ von Block (1989) sagt dazu, dass die Rekonstruktion der Dauer einer Zeitspanne anhand der Anzahl unterschiedlicher erinnerter Ereignisse in diesem Zeitraum erfolgt. Je mehr in einer Zeitspanne passiert, und je mehr wir davon erinnern, desto länger wird uns rückblickend deren Dauer vorkommen. Wenn man nun davon ausgeht, dass unsere Gedächtnisleistung mit zunehmendem Alter schlechter wird, würde man erwarten, dass wir weniger Ereignisse erinnern und uns deshalb die Zeit immer kürzer vorkommen sollte. Es gibt zwar Evidenz dafür, dass sich die Struktur unseres Gedächtnisses über die Lebensspanne hinweg ändert (z.B. Johnson, Logie & Brockmole, 2010), der Zusammenhang zwischen diesen Veränderungen und der Zeitwahrnehmung ist jedoch derzeit noch unklar.

5. Zum-ersten-mal-Erlebnisse versus Routinen

Mit fortschreitendem Alter passiert aber auch noch etwas anderes, das Auswirkungen auf retrospektive Zeitschätzungen haben kann: die Entwicklung von Routinen. Schon bei unserer Geburt sind wir darauf vorbereitet, dass wir ein Leben lang lernen werden. Ob wir dies wollen und bemerken oder nicht, spielt dabei kaum eine Rolle. Eine wichtige Form des Lernens ist die Bildung kognitiver Schemata, wobei Einzelelemente von Erlebnissen zu einer Einheit zusammengefasst werden. Beispielsweise wird ein Kind, das zum ersten Mal einen Zahnarztbesuch erlebt, bereits nach wenigen Wiederholungen die Patientenanmeldung, das Sitzen im Wartezimmer, das Betreten des Arztzimmers usw. zur Gedächtniseinheit ‚Zahnarztbesuch‘ zusammenfassen. Aus vielen einzelnen Elementen werden im Laufe des Lebens aufgrund von Lernerfahrungen immer weniger. Diese Art des Lernens ermöglicht uns einerseits eine ökonomischere (gedächtniskapazitätssparende) Abspeicherung der erlebten Situationen und andererseits eine schnellere Verarbeitung und somit eine bessere Vorbereitung auf ähnliche Situationen, die uns in der Zukunft erwarten. Für das Zeitempfinden könnte dies bedeuten, dass die erlebte Zeitspanne auf Basis einer geringeren Anzahl an Gedächtnisinhalten rekonstruiert werden kann und somit als kürzer wahrgenommen wird. Entsprechende Ergebnisse erhielten Boltz, Kupperman und Dunne (1998), die Probanden eine Aufgabe durch wiederholtes Ausführen lernen ließen (das Aufbauen eines Modellautos oder die Benutzung eines Computerprogramms). Nach jedem Durchgang sollten die Probanden beurteilen, wie viel Zeit die Ausführung der jeweiligen Aufgaben in Anspruch genommen hatte. Während die Zeitdauer des ersten Durchgangs durchschnittlich überschätzt wurde, kam es später (nach dem fünften Durchgang), wenn bereits ein entsprechendes kognitives Schema gebildet wurde, eher zur Unterschätzung der Dauer. Es zeigt sich somit, dass, je besser erlernt bzw. je routinierter unsere Tätigkeiten sind, desto schneller scheint für uns die Zeit zu vergehen, die wir mit der Ausführung dieser Tätigkeiten verbringen. Häufig ist dies zwar auch objektiv so, das heißt, Routinen führen dazu, dass unser Handeln effektiver und schneller wird, aber selbst wenn wir uns gleich lang mit Routinetätigkeiten bzw. mit Aufgaben, die für uns neu sind, beschäftigen, neigen wir dazu, die Dauer der Routinetätigkeiten als kürzer einzuschätzen. Auch Avni-Babad und Ritov (2003) fanden anhand ganz unterschiedlicher Situationen (Aufgaben, die Probanden im Forschungslabor ausführten, aber auch im Rahmen von Feldstudien an einem Urlaubsort bzw. im Kibbuz) und unabhängig vom Lebensalter der Probanden, dass Zeit, die in Routinen verbracht wird, retrospektiv als kürzer wahrgenommen wird.

Während sich in jungen Jahren der Lebenskontext noch häufig ändert, wenn man beispielsweise in eine neue Stadt zieht oder an einer neuen Arbeitsstelle zu arbeiten beginnt, gewinnen die Lebensumstände mit zunehmendem Alter an Stabilität, d.h. Partner, Lebensort, Beruf und Freundeskreis werden sich weniger stark verändern. Im Verlauf des Lebens entstehen immer mehr Routinen, die unser Handeln immer effektiver werden lassen. Dieser zunehmende Automatismus beschleunigt unsere subjektive Lebenszeit. Die Wahrscheinlichkeit, etwas zum ersten Mal zu erleben, wird einerseits aufgrund vorausgehender Lernerfahrungen zwangsläufig immer geringer, andererseits sorgt die zunehmende Stabilität im Leben vieler Menschen dafür, dass mit geringerer Wahrscheinlichkeit völlig neue Lebensumstände auftreten.

Die Zeitwahrnehmung im hohen Lebensalter

Wir haben die fünf wichtigsten Erklärungsansätze für das Phänomen der subjektiv immer schneller vergehenden Lebenszeit betrachtet. Alle Erklärungen wirken auf den ersten Blick plausibel – und von einigen hat man schon häufiger hören oder lesen können. Nach genauer Betrachtung scheinen vor allem die beiden letzten Ansätze wirkliche Erklärungen für die beschleunigte Zeitwahrnehmung zu liefern. Die Veränderung des zeitbezogenen Gedächtnisses mit dem Lebensalter ist noch nicht abschließend erforscht, spielt aber vermutlich eine wichtige Rolle bei der Erklärung des Phänomens. Die wichtigste Erklärung dürften aber die im Lebensverlauf zunehmenden Routinen sein, durch die wiederholte Erlebnisse schlechter differenzierbar und erinnerbar werden. Routinen scheinen unsere Lebenszeit zu verkürzen. Bedeutet dies nun, dass man, um die Lebenszeit subjektiv zu verlängern, aus den Routinen ausbrechen und häufiger Neues erleben sollte? Vermutlich schon. Aber in welchem Maße ist dies möglich und sinnvoll? Aus den Routinen des Alltags auszubrechen, ist vielleicht erstrebenswert, dürfte jedoch unter anderem aufgrund der Menge der im Lebensverlauf angesammelten Lernerfahrungen nur in Grenzen möglich sein, und geht zu Lasten der Effektivität im Alltag.

Positiv bleibt zu bemerken, dass das immer schneller werdende Zeitempfinden auch als ein Zeichen psychischer Gesundheit betrachtet werden kann. Kommt einem die Zeit im hohen Lebensalter wieder lang vor, kann dies auf eher ungünstige psychische Prozesse (wie Depression, Sinn-Verlust, externales Kontrollerleben und körperliche Beschwerden) hindeuten. In einer Untersuchung an knapp 300 Senioren im Alter von 62 bis 94 Jahren, die entweder in Heimen untergebracht waren oder in Wohngruppen bzw. eigenen Wohnungen lebten, wurde gezeigt, dass die Wahrnehmung eines schnelleren Zeitvergehens assoziiert war mit mehr Lebenszufriedenheit, einer stärkeren eigenen Kontrollüberzeugung, einem stärkeren Sinn-Erleben und geringeren Depressivitätswerten (Baum, Boxley und Sokolowski, 1984). Dies war unabhängig davon, ob die Personen in Heimen oder privat untergebracht waren. Unterschiede wurden jedoch gefunden zwischen Gruppen älterer Menschen, die Seniorenklubs angehörten und dadurch eine stärkere Gruppeneinbindung sowie einen höheren Aktivitätsgrad erlebten und Personen, bei denen dies nicht der Fall war. Für Letztere schien die Zeit langsamer zu vergehen. Da es sich bei dieser Untersuchung um eine Korrelationsstudie handelt, ist nicht eindeutig erklärbar, was genau die Ursache der wieder verlangsamten Zeitwahrnehmung bei einem Teil der älteren Menschen war. Eindeutig war jedoch der Zusammenhang zwischen einem negativen psychischen Befinden und der verlangsamten Zeitwahrnehmung. Vermutlich verhindert die soziale Aktivierung älterer Menschen negatives psychisches Befinden, wie Depression oder das Gefühl von Einsamkeit, und bewirkt damit, dass die Zeit bei älteren Menschen in der normalen beschleunigten Art zu vergehen scheint.

Was sollte man also tun, wenn man älter wird und die Zeit immer schneller zu vergehen scheint? Am besten ist es vermutlich, jede Minute des Lebens so gut wie möglich zu nutzen, um glücklich zu sein, und zu versuchen, häufig etwas Neues zu erleben und die vertraute Welt mit anderen Augen zu sehen. Wenn das nicht möglich ist (und es wird oft nicht möglich sein), sollte man sich nicht über die zunehmende Geschwindigkeit der Zeit ärgern sondern sie als Zeichen dafür betrachten, dass es einem gut geht und als nützlichen Hinweis, die verbleibende Zeit gut zu nutzen.

Literaturverzeichnis

  • Avni-Babad, D., & Ritov, I. (2003). Routine and the perception of time. Journal of Experimental Psychology: General, 132(4), 543-550.
  • Baum, S. K., Boxley, R. L., & Sokolowski, M. (1984). Time perception and psychological well-being in the elderly. Psychiatric Quarterly, 56(1), 54-61.
  • Block, R. A. (1989). Experiencing and remembering time: Affordances, context, and cognition. In Levin, I., & Zakay, D. (Eds.), Time and human cognition: A life-span perspective. (pp. 333-363). Oxford England: North-Holland.
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  • Zakay, D., & Block, R. A. (1997). Temporal Cognition. Current Directions in Psychological Science, 6(1), 12-16.
 

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