Was Zeus schon wusste: Nicht jeder lässt sich von Schönheit blenden.

Binnen Millisekunden können wir entscheiden, ob ein Mensch attraktiv ist oder nicht. Bevor auch nur ein Wort gewechselt wird, nimmt die physische Attraktivität Einfluss auf unser Paarungsverhalten. Doch Schönheit ist nicht nur bei der Partnersuche von Nutzen. Schönheit verspricht jenen, die sie besitzen, Vorteile in vielen sozialen Situationen. Der Schöne braucht keine Argumente und doch überzeugt er jeden. Jeden? Nun, der ein oder andere scheint gegen die Verblendung gewappnet…

Zeus, der Göttervater, war erzürnt über das Verhalten des Titanen Prometheus. Letzterer hatte das Feuer, das allein der Götterwelt vorbehalten war, an die Menschen weitergegeben. Also schwor Zeus Rache an Prometheus und den ihm verbündeten Menschen zu nehmen. Einen Krug wollte er ihnen schicken, der, wenn er geöffnet würde, Leid und Elend über die Menschenwelt brächte. Doch wie würde Zeus es gelingen, dass der Überbringer des Kruges mit offenen Armen aufgenommen würde? Zeus entschied sich, die erste Menschenfrau zu schaffen: Pandora! Den Göttinnen nachempfunden würde die schöne Pandora das fatale Geschenk seiner Bestimmung zuführen.

Zeus, altemps von I, Sailko via wikimedia commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zeus,_altemps.JPG?uselang=de), cc (https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:GNU_Free_Documentation_License,_version_1.2?uselang=de)Die Sage der Pandora ist nur eines der zahlreichen Literaturbeispiele, die die Wirksamkeit der Schönheit illustrieren. 3000 Jahre später ist das Thema nicht minder aktuell. Das Geschäft mit der Schönheit boomt, ein Ende des Trends ist nicht in Sicht. Kein Wunder, wird Schönheit auch in der heutigen Gesellschaft nahezu ausschließlich mit positiven Dingen verknüpft, nicht selten sogar mit dem Guten gleichgesetzt. Schönen Menschen werden allgemein positive Eigenschaften zugeschrieben. Allein der Anblick eines attraktiven Gesichts lässt den Betrachter mitunter vermuten, die Person sei intelligent, gesund und vertrauenswürdig (vgl. Langlois et al., 2000). Auch wenn die Schönen unter uns kaum schlauer oder gesünder sind (vgl. Jackson, Hunter & Hodge, 1995; Kalick, Zebrowitz, Langlois & Johnson, 1998) – ihr Aussehen hat weitreichende Konsequenzen im alltäglichen sozialen Leben. Attraktive Menschen erfreuen sich größerer Beliebtheit, besserer Chancen bei der Partnerwahl und aufgrund höherer Trinkgelder (Lynn & Simons, 2000) und Gehälter (Frieze, Olson & Russell, 1991) vermutlich auch dickerer Geldbörsen. Kurz gesagt, Zeus tat sicherlich gut daran, die hübsche Pandora für sein perfides Vorhaben zu wählen.

Aber stehen dem Schönen tatsächlich alle Türen und Tore offen? Ganz so einfach ist es sicher nicht. Und anscheinend wusste auch Zeus, dass es auf die Eigenschaften des Torwächters ankommt, ob Schönheit den Eintritt erleichtert. Schließlich, so setzt sich die Sage der Pandora fort, sendete Zeus die schöne Pandora nicht zu Prometheus. Prometheus – übersetzt mit der „Zuvor Denkende“ – wäre der Schönheit wohl nicht erlegen und hätte Zeus´ Geschenk abgelehnt. Stattdessen wählte Zeus als Empfänger Prometheus´ Bruder Epimetheus. Und in der Tat, Epimetheus, der „Nachher Denkende“ nahm das Geschenk bereitwillig an.

Denken als Schutz vor der blendenden Wirkung von Schönheit? Das zumindest sagen prominente Modelle der Einstellungsänderung vorher. Konkret postulierten Richard Petty und John Cacioppo Ende der 1980er Jahre (Petty & Cacioppo, 1986), dass man Menschen auf verschiedenen Wegen für die eigenen Ziele gewinnen kann. Ist davon auszugehen, dass das Gegenüber intensiv über den Beeinflussungsversuch nachdenkt, so sollten nur relevante, sinnvolle Argumente wirksam sein. Fehlt es dem Gegenüber jedoch an der Fähigkeit oder der Motivation, über die Inhalte des Beeinflussungsversuchs nachzudenken, werden insbesondere oberflächliche, periphere Informationen ihre Wirkung entfalten.

Zahlreiche Experimente belegen heute die Vorhersagen dieser Autoren. Zum Beispiel wurde in einer Studie von Haugtvedt, Petty und Cacioppo (1992) die intrinsische Denkmotivation der Probanden mithilfe eines Tests ermittelt. Anschließend zeigte man allen Probanden Werbungen für einen Taschenrechner. Variiert wurde lediglich das Model, mit dem der Rechner beworben wurde. Die Hälfte der Probanden sahen eine Werbung mit einem attraktiven, die andere Hälfte der Probanden eine Werbung mit einem unattraktiven Model. In Einklang mit den Vorhersagen wurde der Taschenrechner positiver bewertet, wenn er zuvor mit einem attraktiven Model als wenn er mit einem unattraktiven Model gezeigt wurde. Dies galt aber nur für Probanden, die laut Testergebnissen nicht motiviert sein sollten, über die Werbebotschaft nachzudenken. Jene Probanden, die gemäß Test gerne nachdenken, machten ihr Urteil über den Taschenrechner nicht von dem gezeigten Model abhängig. Schönheit hatte auf die „Gerne-Denker“ also keinen Einfluss.

Schönheit per se verspricht also nicht immer Erfolg; ihre überzeugende Wirkung entfaltet sie nur, wenn die Adressaten des Beeinflussungsversuchs nicht allzu kritisch nachdenken. Psychologisch geschulte Marketing-Experten können von derartigem Wissen profitieren. Entgegen einer pauschalen „Beauty sells!“-Strategie sollte anhand der Denkmotivation der Zielgruppe entschieden werden, wie sich relevante Informationen und schöne Gesichter auf die zeitlich knappe Sendezeit oder räumlich begrenzte Werbeanzeige im Magazin aufteilen.

Zeus, der Göttervater, würde heute wohl einen guten Marketing-Strategen abgeben. Doch auch der psychologisch nicht-geschulte Laie hat offensichtlich ein

Verständnis davon, welches Gegenüber anfällig ist für Attraktivitätseffekte, und welches nicht. In eigenen Studien konnten Kollegen und ich zeigen (Vogel, Kutzner, Freytag & Fiedler, 2010), dass attraktive Probanden ihre Erfolgschancen in Verkaufssituationen höher einschätzen als unattraktive. Auch hier zeigte sich, dass der – in diesem Fall wahrgenommene - Vorteil verschwindet, wenn die Beschreibung der Zielgruppe nahelegt, dass die potenziellen Kunden eine hohe Denkmotivation aufweisen.

Dem Laien dient dieses Wissen als Basis für strategisches Verhalten, wie folgende Studie veranschaulicht (Vogel et al., 2010). In einem Teamverkaufsszenario galt es für die Probanden, Teammitglieder verschiedenen Kundentypen zuzuweisen. Die Kundentypen wurden auch hier teils als denkfaul, teils als denkmotiviert beschrieben. Die Probanden wendeten sich selbst an denkfaule Kunden, schickten unattraktive Teampartner zur motivierten Klientel. War der Teampartner aber attraktiv, stieg die Tendenz, den Partner zu den denkfaulen Kunden zu schicken und im Gegenzug selbst die denkmotivierten Kunden zu kontaktieren. Zugegeben, diese Befunde stützen zwar die Annahme, dass Laien ihr strategisches Verhalten auf einem intuitiven Verständnis begründen, welches wissenschaftlichen Theorien wie der von Petty und Cacioppo, sehr nahekommt. Die alltägliche Relevanz dieser Befunde ist durch die explizite Beschreibung der Zielgruppe jedoch nicht geklärt. Im Gegensatz zu Zeus erfährt der Laie nicht am Namen des Gegenübers wie es um dessen Denkmotivation steht – zumindest sind mir gegenwärtig keine Personen mit dem Namen Epimetheus bekannt. Und im Gegensatz zum Wissenschaftler stehen auch keine Testergebnisse zur Verfügung, die dem Laien verraten, ob das Gegenüber gerne denkt oder nicht.

Aus einer funktionalen Sichtweise ist allerdings zu vermuten, dass elaboriertes Laienwissen über die Bedeutung der Denkmotivation nicht verbreitet wäre, verfügten die Laien nicht über die Kompetenz, Denkmotivation anderer zu erkennen. Aufbauend auf früheren Forschungsergebnissen, die belegen, dass Menschen in der Lage sind diverse Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Gewissenhaftigkeit oder Extraversion) am äußeren Erscheinungsbild zu erkennen, entstand die Vermutung, dass dies auch auf Denkmotivation zutreffen könnte (vgl., Vogel, 2011).

Zur Überprüfung der Hypothese wurde zunächst die intrinsische Denkmotivation von 30 Männern und Frauen erfasst. Fotographien dieser Personen wurden nun einer anderen, unabhängigen Stichprobe vorgelegt. Die Probanden der neuen Stichprobe schätzten zum einen anhand der Fotos ein, wie denkmotiviert die gezeigten Personen sind, zum anderen gaben sie an, wie gut sie die abgebildeten Personen beeinflussen könnten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Probanden die Denkmotivation der gezeigten Personen überzufällig gut

einschätzen können. Zudem erwarteten attraktivere Probanden, dass sie die gezeigten Personen tendenziell besser beeinflussen können. Der Einfluss der eigenen Attraktivität auf den vermuteten Überzeugungserfolg war aber davon abhängig wie denkmotiviert die gezeigte Person ist. Der wahrgenommene Beeinflussungsvorteil der Attraktiven gegenüber den Unattraktiven war verringert, zeigten die Bilder Personen, die gemäß des Tests gerne intensiv nachdenken.

Wissenschaftler sind sich einig, gilt es die Wirksamkeit der Schönheit zu bewerten. Schönheit ist ein probates Mittel bei der Erreichung sozialer Ziele, wenngleich die Eigenschaften des Betrachters berücksichtigt werden sollten. Und auch der Laie erkennt, dass Schönheit nicht jeden Betrachter blendet. Vor diesem Hintergrund erlangen eingangs berichtete Befunde eine neue Bedeutung und laden zum Spekulieren ein. Der Erfolg attraktiver Menschen ist vermutlich nicht

allein den positiven Stereotypen der Betrachter geschuldet, welche dem Schönen aus der Hand fressen. Wissend, welche Situationen und Personeneigenschaften die Wirkung der Schönheit begünstigen, hat der schöne Mensch die Fäden in der Hand, kann aktiv zum Erfolg beitragen, indem er sein Äußeres gezielt einsetzt.
Schon lange vor Bestehen der Psychologie als Wissenschaft hatte Zeus die Schönheit bereits perfekt instrumentalisiert. Vermutlich hatte er auch gewusst, dass Schönheit nicht unbedingt Intelligenz und Vertrauenswürdigkeit verspricht. Schlussendlich war es die törichte Pandora selbst, die aus Neugier den unheilbringenden Krug öffnete.

Literaturverzeichnis

  • Feingold, A. (1992). Good-looking people are not what we think. Psychological Bulletin, 111(2), 304-341.
  • Frieze, I. H., Olson, J. E., & Russell, J. (1991). Attractiveness and income for men and women in management. Journal of Applied Social Psychology, 21(13), 1039-1057.
  • Haugtvedt, C. P., Petty, R. E., & Cacioppo, J. T. (1992). Need for cognition and advertising: Understanding the role of personality variables in consumer behavior. Journal of Consumer Psychology, 1(3), 239-260.
  • Jackson, L. A., Hunter, J. E., & Hodge, C. N. (1995). Physical attractiveness and intellectual competence: A meta-analytic review. Social Psychology Quarterly, 58(2), 108-122.
  • Kalick, S. M., Zebrowitz, L. A., Langlois, A. & Johnson, J. H., & Johnson, R. M. (1998). Does human facial attractiveness honestly advertise health? Longitudinal data on an evolutionary question. Psychological Science, 9(1), 8-13.
  • Langlois, J. H., Kalakanis, L., Rubenstein, A. J., Larson, A., Hallam, M., & Smoot, M. (2000). Maxims or myths of beauty? A meta-analytic and theoretical review. Psychological Bulletin, 126(3), 390-423.
  • Lynn, M. & Simons, T. (2000). Predictors of male and female servers’ average tip earnings. Journal of Applied Social Psychology, 30(2), 241-252.
    Petty, R.E., & Cacioppo, J.T. (1986). The Elaboration Likelihood Model of Persuasion.In L. Berkowitz (Ed.), Advances in Experimental Social Psychology, 22, (pp. 123-205). Orlando, FL: Academic Press.
  • Vogel, T. (2011). Naïve Marketers: Lay individuals´ persuasion strategies. Dissertation thesis. University of Heidelberg.
  • Vogel, T., Kutzner, F., Fiedler, K. & Freytag, P. (2010). Exploiting attractiveness in persuasion: Senders´ implicit theories about receivers´ processing motivation. Personality and Social Psychology Bulletin, 36(6), 830-842.
 

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