Mehr ist mehr? Der Einfluss von aufgeschlossen(er)em Verhalten auf das Wohlbefinden

Beim Abendessen mit FreundInnen, im Zug neben einer fremden Person, beim Sommerfest mit KollegInnen - sobald wir mit unserer sozialen Umwelt in Kontakt treten, tun wir das entweder eher introvertiert oder eher extravertiert: Wir sind eher nach innen oder eher nach außen gewandt. Beides sind gegensätzliche Pole einer recht stabilen Charaktereigenschaft. Doch inwiefern beeinflusst diese Eigenschaft unser Wohlbefinden? Und welche Rolle spielt es, wenn wir im täglichen Leben von dieser persönlichen Veranlagung abweichen?

casual meetingExtraversion ist eine der wichtigsten Eigenschaften, anhand derer sich Personen beschreiben lassen. Extravertierte Personen blühen besonders auf, wenn sie unter Menschen sind. Sie sind in der Regel aufgeschlossen, gesellig und enthusiastisch und gehen gerne auf Partys. Introvertierte Personen hingegen halten sich in Gruppen eher im Hintergrund. Sie werden häufig als zurückhaltend wahrgenommen und bevorzugen ruhige Aktivitäten alleine oder mit wenigen engen FreundInnen. Introversion ist jedoch keinesfalls mit Schüchternheit gleichzusetzen: Introvertierte Personen erachten lediglich das eigene Innenleben für wichtiger als die Kommunikation nach außen. Die beiden Begriffe werden im wissenschaftlichen Diskurs neutral verwendet. Für ihren Zusammenhang mit Wohlbefinden bestehen jedoch eindeutige Befunde: Eine metaanalytische Zusammenfassung von mehr als 450 Studien konnte zeigen, dass die stabile Persönlichkeitseigenschaft Extraversion mit einem höheren Wohlbefinden zusammenhängt (Anglim et al., 2020). Beispielsweise empfinden extravertierte Personen ihr Leben häufiger als aufregend und inspirierend und berichten insgesamt über eine höhere Lebenszufriedenheit. 

Doch lassen sich diese Erkenntnisse ohne Weiteres auf unser alltägliches Verhalten übertragen? Hierzu gibt es unterschiedliche Positionen. Auf der einen Seite könnte man von den Befunden zum positiven Zusammenhang von Extraversion und Wohlbefinden ableiten, dass extravertiertes Verhalten generell einem höheren Wohlbefinden zuträglich ist. Je geselliger und aufgeschlossener Personen sich verhalten, desto glücklicher wären sie demnach — ganz unabhängig von ihrer persönlichen Veranlagung und ganz nach dem Motto: Mehr ist mehr! Auf der anderen Seite erscheint es plausibel, dass es als anstrengend empfunden wird, sich nicht gemäß seiner natürlichen Veranlagung zu verhalten. Zwar könnte extravertiertes Verhalten für Personen mit eher extravertiertem Charakter in der Tat zu einem erhöhten Wohlbefinden führen; für Personen mit einem eher introvertierten Charakter könnte es hingegen mühsam sein, sich entgegen der eigenen Veranlagung sehr extravertiert zu verhalten, was zu vermindertem Wohlbefinden führen könnte. Gemäß dieser Argumentation müssten wir also unglücklicher sein, je mehr wir von unserer persönlichen Veranlagung abweichen. Man stelle sich z.B. eine introvertierte Person vor, die mehrere Tage mit einer größeren Freundesgruppe einen spontanen Trip unternimmt, oder eine extravertierte Person, die mehrere Tage allein mit einem Puzzle verbringt.

Um diese beiden Positionen empirisch zu prüfen, führten Kuijpers und KollegInnen (2021) zwei Studien durch. In der ersten Studie wurden 83 Versuchspersonen über insgesamt vier Wochen fünfmal pro Tag zu ihrem aktuellen Verhalten und Empfinden befragt. Um extravertiertes Verhalten zu messen, sollten die Teilnehmenden angeben, inwieweit unterschiedliche angegebene Adjektive sie in diesem spezifischen Moment beschreiben könnten. Die Adjektive waren hier beispielsweise „gesprächig” (engl. talkative) und „energiegeladen” (engl. energetic). Positive Gefühle wurden gemessen, indem die Teilnehmenden auf einer Skala von „gar nicht gut” bis „sehr gut” angaben, wie sie sich in diesem Moment fühlten.

Die ersten Ergebnisse zeigten Folgendes: Je stärker Personen während einer Woche von ihrer persönlichen Veranlagung abwichen, desto weniger positiv fühlten sie sich in dieser Woche. Diese ersten Ergebnisse deuteten also tatsächlich darauf hin, dass es zu weniger Wohlbefinden führt, wenn man sich entgegen der “eigenen Natur“ verhält. Doch bei genauerem Hinsehen zeigte sich, dass dies nicht immer gilt: Die AutorInnen schauten sich hierzu negative Abweichungen (d.h., eine Person verhält sich introvertierter als gewöhnlich) und positive Abweichungen (d.h., eine Person verhält sich extravertierter als gewöhnlich) noch einmal getrennt voneinander an. Erneut zeigte sich, dass negative Abweichungen zu weniger positiven Gefühlen führten. Für positive Abweichungen kehrte sich das Bild um: Verhielten sich Personen während einer Woche extravertierter als typischerweise, so berichteten sie von mehr positiven Gefühlen.

Sich in Relation zur persönlichen Veranlagung weniger extravertiert zu verhalten, scheint also negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden zu haben—man denke an die extravertierte Person beim Puzzeln. Im Gegensatz dazu hat es den Ergebnissen zufolge positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden, wenn man sich extravertierter verhält als typischerweise—man denke an die introvertierte Person beim Spontanurlaub mit einer größeren Freundesgruppe. In einer zweiten Studie mit weiteren 69 Versuchspersonen konnte das Forschungsteam die Befunde weitestgehend replizieren. Interessanterweise spielte es in all diesen Befunden keine Rolle, ob Personen sich insgesamt als eher introvertiert oder extravertiert beschrieben.

Insgesamt deuten die Befunde also wirklich darauf hin: Mehr ist mehr! Extraversion ist mit einem höheren Wohlbefinden verbunden—und dies gilt sowohl für die eher stabile Persönlichkeitseigenschaft der Extraversion (siehe Anglim et al., 2020), als auch für untypisch extravertierteres Verhalten (siehe Kuijpers et al., 2021). Wie genau sich diese Zusammenhänge erklären lassen, wurde bisher noch nicht untersucht—künftige Forschung wird sich dieser Frage widmen. Bis dahin freuen wir uns über diese spannenden Erkenntnisse und versuchen, im kommenden Frühling und Sommer unabhängig von unserer Veranlagung ein wenig aufgeschlossener und enthusiastischer zu sein.

 

Quellen:

Anglim, J., Horwood, S., Smillie, L. D., Marrero, R. J., & Wood, J. K. (2020). Predicting psychological and subjective well-being from personality: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 146(4), 279-323. https://doi.org/10.1037/bul0000226

Kuijpers, E., Pickett, J., Wille, B., & Hofmans, J. (2021). Do you feel better when you behave more extraverted than you are? The relationship between cumulative counterdispositional extraversion and positive feelings. Personality and Social Psychology Bulletin. https://doi.org/10.1177/01461672211015062

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