Von Umweltrassismus zu Klimagerechtigkeit- wann setzen sich Menschen gegen globale Ungleichheit ein?
Was hat unser Shoppingverhalten mit globaler Ungleichheit zu tun? Und wann bewerten Personen globale Ungleichheit als ungerecht? Am Beispiel von Fast Fashion zeigt der Beitrag auf, welche Rolle der Konsum für den Lebensstil des Globalen Nordens spielt, welche ökologischen und sozialen Probleme im Globalen Süden dadurch entstehen und welche psychologischen Prozesse zur Bereitschaft von Personen beitragen können, ihr Verhalten diesbezüglich zu verändern.
Der Begriff der Klimagerechtigkeit wird besonders seit Aufkommen der Fridays for Future – Bewegung viel diskutiert. Während Fridays for Future zu Beginn vor allem den intergenerationalen Aspekt der Klimakrise aufzeigte, ist auch die globale (Un)gerechtigkeit ein wichtiger Aspekt, der in Öffentlichkeit und Gesellschaft nach wie vor wenig Beachtung findet.
Mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 Ziele für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt. Obwohl dem Ziel 10 für nachhaltige Entwicklung zufolge die Ungleichheit in und zwischen Ländern verringert werden soll, produzieren und konsumieren die Länder des Globalen Nordens weiter auf Kosten des Globalen Südens. Und nach wie vor sind es Menschen im Globalen Süden, die schon heute am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, während sie ihn am wenigsten verschulden (vgl. z. B. UNICEF Office of Research, 2022). Diese globale Ungerechtigkeit im Hinblick auf die Klimakrise kann dem Begriff des Umweltrassismus zugeordnet werden.
Was versteht man unter Umweltrassismus?
Der Begriff des Umweltrassismus stammt ursprünglich aus den USA und bezeichnete dort zunächst die überdurchschnittlich häufige Ansiedlung umweltschädlicher und potenziell gesundheitsschädlicher Industrien in Gebieten, die mehrheitlich von ethnischen Minderheiten bewohnt werden (The Lancet Planetary Health, 2018). Die psychologische Forschung zu ortsbezogenen Stereotypen zeigt diesbezüglich auf, dass Gegenden in den USA, in denen die schwarze Bevölkerung eine Mehrheit darstellt, negativer wahrgenommen werden als mehrheitlich weiße Nachbarschaften. In der Folge distanzieren sich Personen von besagten Gegenden und zeigen sich eher damit einverstanden, dort etwa chemische Fabriken anzusiedeln (Bonam et al., 2016). Aktuelle Studien zeigen negative ortsbezogene Stereotype und ein geringeres Verbundenheitsgefühl auch in Deutschland für Stadtteile mit einem hohen Migrationsanteil (Essien & Rohmann, 2023).
Auch die Tatsache, dass die Gebiete des Globalen Südens in vielerlei Hinsicht für die Privilegien des Globalen Nordens umwelttechnisch bezahlen müssen, lässt sich unter dem Begriff des Umweltrassismus fassen. Auf Seiten der Wirtschaft lässt sich hier etwa die Auslagerung klimaschädlicher Industrien anführen. Ein Beispiel auf politischer Ebene wäre die Förderung von E-Mobilität in Deutschland, die mit klimaschädlichem Abbau von Lithium andernorts einhergeht. Und im Hinblick auf jede:n Einzelne:n kann etwa der übermäßige Kleiderkonsum im Globalen Norden genannt werden, der in den Produktionsländern für vielfältige Probleme sorgt.
Fast Fashion- ein Beispiel für globale Ungerechtigkeit
Das Thema Mode zeigt den Zusammenhang der privilegierten Lebensweise der Menschen im Globalen Norden mit sozialen und ökologischen Krisen im Globalen Süden sehr deutlich. Mit der Entwicklung der sogenannten Fast Fashion wurden im Globalen Norden aktuelle Trends für einen Großteil der Menschen verschiedener sozialer Schichten erschwinglich. Fast Fashion wurde deshalb auch als Demokratisierung der Mode bezeichnet (Bick et al., 2018). Um jedoch die entsprechend große Nachfrage nach günstiger Mode erfüllen zu können, wurde die Produktion mitsamt ihren ökologischen und sozialen Problemen in Länder des Globalen Südens ausgelagert, wo heute der Großteil aller Kleidung hergestellt wird (Bick et al., 2018).
Im Jahr 2012 sorgte der Einsturz einer Fabrik in Bangladesch, bei dem 1134 Arbeiter:innen ums Leben kamen, für Aufsehen. An den schlechten und teils gefährlichen Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie hat sich bisher dennoch nur wenig geändert. Zu den gesundheitlichen Risiken, denen die Betroffenen ausgesetzt sind, gehören beispielsweise Lungen- und Krebserkrankungen. Auch die Umwelt nimmt Schaden - etwa durch die hohen Mengen an Wasser und Pestiziden, die für den Baumwollanbau benötigt werden oder Giftstoffe, die durch das das Färben von Textilien in den Wasserkreislauf gelangen. Der durch die Wegwerfmentalität des Globalen Nordens entstehende Textilmüll wird zudem in Länder des Globalen Südens verschifft, wo deshalb riesige Müllberge in der Natur entstehen (vgl. Bick et al., 2018).
Der Lebensstil des Globalen Norden beruht also auf Ungleichheit und Exklusivität für nur einen Teil der Menschheit (Brand & Wissen, 2011). Dies wird auch anhand eines Berichts aus dem Jahr 2023 deutlich. Demnach würden 3,0 Erden benötigt, wenn die gesamte Menschheit so viel konsumieren würde wie die Menschen in Deutschland (Global Footprint Network,, 2023). Es wäre also schlicht nicht für alle Menschen auf der Welt möglich, unseren derzeitigen Lebensstil zu übernehmen.
Das Individuum im Kontext der Konsumgesellschaft
Die Klimakrise wird im Globalen Norden häufig als ein reines Umweltproblem, nicht aber als ein Problem der sozialen Ungleichheit gesehen (Brand & Wissen, 2011). Gerade am Beispiel von Fast Fashion wird jedoch deutlich, wie eng beides miteinander verwoben ist. Der massenhafte Konsum von Gütern ist zentral für das Funktionieren des auf Wachstum ausgerichteten, globalisierten Wirtschaftssystems des Globalen Nordens (vgl. Reese et al., 2019) und somit ist das Streben nach Konsum fest in unserer Kultur verankert. Dies ist unter anderem auf Marketingstrategien zurückzuführen, die bestimmte Bedürfnisse ansprechen und das Gefühl vermitteln, diese über Konsumgüter erfüllen zu können (Reese et al., 2019). In der Psychologie wird bezüglich der Rolle, die wir als Einzelne in dieser Konsumgesellschaft einnehmen, der Begriff des Konsumenten-Selbst verwendet (Reese et al., 2019). Dieser bezieht sich darauf, dass in einer auf Konsum ausgelegten Gesellschaft das Konsumverhalten verschiedene Funktionen und Bedürfnisse für Individuen erfüllt. Dazu gehören etwa sich selbst individuell auszudrücken, sich sozial zugehörig zu fühlen oder persönliche und existentielle Unsicherheiten weniger stark wahrzunehmen.
Als Individuum leben, handeln und konsumieren wir also nicht in Isolation. Vielmehr sind unsere Wahrnehmung sowie unser Denken und Handeln in komplexe gesellschaftliche Strukturen eingebunden, deren Akteur:innen – z. B. Individuen, Unternehmen, Staaten oder Institutionen - sich auf unterschiedlichen Ebenen gegenseitig beeinflussen (Reese et al., 2019). Folglich können wir als Einzelne auch auf die übergeordneten Strukturen Einfluss ausüben – zum Beispiel durch unser Konsumverhalten. Die gezielte Entscheidung für nachhaltige Produkte etwa signalisiert einen erhöhten Bedarf an Unternehmen und kann diese veranlassen, ihre Produktion dementsprechend umzugestalten.
Was bewegt Menschen, sich für globale Gerechtigkeit einzusetzen?
Ein wichtiger Faktor dafür, ob Personen bereit sind, ihr eigenes Verhalten zu verändern, ist die Wahrnehmung globaler Ungerechtigkeit. Diese steht zum Beispiel mit der Absicht zu umweltschonendem Verhalten im Zusammenhang (Reese & Jacob, 2015). Menschen bewerten globale Ungleichheit aber nicht immer als ungerecht. Eine wichtige Rolle spielt für die Gerechtigkeitsbewertung, ob Personen im Rahmen ihrer sozialen Identität die gesamte Menschheit als ihre Eigengruppe betrachten, also über eine globale Identität verfügen (Loy & Reese, 2023; McFarland et al., 2012). Um zu einer Bewertung hinsichtlich der (Un-)gerechtigkeit einer bestimmten Situation zu gelangen, spielt es außerdem eine Rolle, welche Ursachen Personen für diese Situation als ausschlaggebend betrachten. In der Psychologie spricht man hier von Kausalattributionen.
Attributionen können entlang der Dimensionen Ort, Kontrollierbarkeit und Stabilität eingeteilt werden. Der Ort bezieht sich darauf, ob die Ursachen in der Person (internal) oder in der Situation (external) gesehen werden. Die Kontrollierbarkeit besagt, ob Einfluss auf die jeweilige Ursache genommen werden kann oder ob sie außerhalb der Kontrolle der jeweiligen Person liegt. Die Stabilität schließlich sagt aus, ob die Ursache als zeitlich stabil oder veränderlich wahrgenommen wird. In Abhängigkeit davon, wo bestimmte Ursachenzuschreibungen entlang dieser Dimensionen liegen, gehen sie mit verschiedenen Emotionen und Verhaltensabsichten einher. Beispielsweise kann Ärger daraus resultieren, dass Personen der Meinung sind, jemand hätte in einer bestimmten Situation anders handeln können, es aber nicht getan hat (Weiner, 2014).
Aus der Armutsforschung ist bekannt, dass Attributionen in direktem Zusammenhang mit Einstellungen und Verhaltensweisen bezüglich sozialer Gerechtigkeit stehen. Hier wird zwischen strukturellen und individualistischen Attributionen unterschieden. Wer Armut überwiegend in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen begründet sieht, sieht die Ursachen also als external und eher wenig kontrollierbar an. Wer hingegen individualistisch attribuiert, sieht die Ursachen bei den von Armut betroffenen Menschen selbst – betrachtet die Ursachen also als internal und kontrollierbar. Personen, die Armut eher strukturell attribuieren, befürworten unter anderem wirtschaftliche Umverteilung und staatliche Bemühungen zur Verringerung von Armut (Delavega et al., 2017; Piff et al., 2020).
Attributionen globaler Ungleichheit
Auch die Ursachen, die Personen bei Befragungen für globale Ungleichheit nennen, lassen sich hinsichtlich der oben genannten Dimensionen einordnen. Sie unterscheiden in ihrer Ursachenzuschreibung hier neben strukturellen und individuellen Ursachen zudem zwischen der Verantwortung des Globalen Südens und der des Globalen Nordens (Peter et al., 2023).
Mit Bezug auf den Globalen Norden beziehen sich die Befragten auf struktureller Ebene auf das Wirtschaftssystem und die Ausbeutung des Globalen Südens – historisch im Rahmen der Kolonialisierung und aktuell etwa im Rahmen der Auslagerung von Produktionsstätten oder dem Abbau von Ressourcen. Auf der individuellen oder Bevölkerungsebene nennen die Befragten den westlichen Lebensstil, der das Individuum ins Zentrum rückt, sowie Werte und Verhaltensweisen, die damit im Zusammenhang stehen. Dazu gehören etwa Egozentrismus, mangelnde Empathie, übertriebener Konsum, Gier und Gleichgültigkeit.
Hinsichtlich des Globalen Südens nennen die Befragten auf der strukturellen Ebene zum einen politische Aspekte wie korrupte oder ineffiziente Regierungen und fehlende demokratische Strukturen. Zum anderen wird die Situation der Menschen im Globalen Süden hinsichtlich etwa fehlender Infrastruktur und medizinischer Versorgung, Armut und fehlender Bildung genannt. Auf individueller Ebene, also bezüglich der Bevölkerung des Globalen Südens, nennen die Befragten unter anderem religiöse und kulturelle Bräuche sowie mangelnde Motivation.
Eine weitere von den Befragten genannte Kategorie, die außerhalb der Kontrolle aller Beteiligten in den verschiedenen Teilen der Welt liegt, beschreibt natürliche Gegebenheiten. Dazu gehören beispielsweise das regionale Klima, die geographische Lage und die damit verbundene Fruchtbarkeit des Bodens.
Veränderbarkeit von Attributionen
Menschen sehen also verschiedene Gründe als ursächlich für globale Ungleichheit an. Dies wiederum wirkt sich auf ihre Gerechtigkeitswahrnehmung sowie ihre Bereitschaft aus, etwas gegen globale Ungleichheit zu unternehmen. Strukturelle Attributionen stehen im Zusammenhang mit einer höheren Ungerechtigkeitswahrnehmung und einer stärkeren Bereitschaft, etwas gegen globale Ungleichheit zu unternehmen (Peter et al., 2023). Attributionen sind aber nicht in Stein gemeißelt. Im Kontext der Armutsforschung hat sich im Gegenteil gezeigt, dass Attributionen veränderbar sind. Beispielsweise wurde bei Studierenden der Sozialen Arbeit in den Vereinigten Staaten im Laufe eines Sozialpolitik-Seminars eine Veränderung von eher individualistischen hin zu eher strukturellen Ursachenzuschreibungen belegt (Delavega et al., 2014). Auch Personen, die an einer computergestützten Simulation teilnahmen, im Rahmen derer sie als selbst von Armut Betroffene schwierige finanzielle Entscheidungen treffen müssen, berichteten im Anschluss mehr strukturelle Attributionen als Personen einer Kontrollgruppe (Piff et al., 2020). Relevantes Wissen über strukturelle Barrieren sowie die Möglichkeit zur Einfühlung in die Situation der Betroffenen scheinen also zumindest im Kontext von Armut ein Faktor zu sein, der für Attributionen eine große Rolle spielt.
Im Hinblick auf die globale Ungerechtigkeit der Klimakrise könnte argumentiert werden, dass die relevanten Fakten zu selten zum Thema gemacht werden, um tatsächlich gesamtgesellschaftlich präsent zu sein. Der heutige wirtschaftliche Wohlstand des Globalen Nordens fußt historisch auf der Ausbeutung des Globalen Südens durch den Kolonialismus (Karabulut, 2022). Doch die Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Nach wie vor unterliegt sie der kollektiven Verdrängung und fehlenden Thematisierung der Rolle Deutschlands im Kolonialismus (Karabulut, 2022). Psychologischer Forschung zufolge spielen aber gerade historische Kenntnisse zum Thema Rassismus eine Rolle dabei, strukturellen Rassismus wie auch individuelle rassistische Vorfälle als solche erkennen zu können (Nelson et al., 2013). Wenn auch heute noch die Privilegien und der Konsum des Globalen Nordens auf ökologische und soziale Kosten der Menschen im Globalen Süden gehen, so kann das als eine Form des strukturellen Rassismus bezeichnet werden, die in unserem täglichen Leben weitgehend unerkannt und unbenannt bleibt.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Klimagerechtigkeit auf globaler Ebene nur dann erreicht werden kann, wenn ein gesellschaftliches Bewusstsein für die strukturellen Zusammenhänge geschaffen wird und gegebenenfalls bestehende Ursachenzuschreibungen verändert werden. Hierbei könnten zum einen das Bildungssystem, aber auch die Medien eine zentrale Rolle spielen. Häufigere Medienberichte zum Thema Ungleichheit stehen mit Gerechtigkeitswahrnehmungen und verstärktem Interesse an den wirtschaftlichen Bedingungen in der Gesellschaft in direktem Zusammenhang (Diermeier et al., 2017).
Es steht außer Frage, dass eine Veränderung hin zu mehr globaler Gerechtigkeit auf struktureller Ebene stattfinden muss und die Verantwortung hierfür auf politischer Ebene liegt. Doch auch als Individuen haben wir die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und uns für globale Gerechtigkeit einzusetzen. Als Konsument:innen haben wir beispielsweise über unsere Nachfrage Einfluss auf das Angebot. Wer im Modebereich der Klimagerechtigkeit ein Stück näherkommen möchte, kann dem Fast-Fashion-Mantra von „so viel wie möglich für so wenig wie möglich“ das Konzept des „weniger ist mehr“ entgegnen (Bick et al., 2018) und auf Slow Fashion setzen. Der bewusste Kauf von weniger, aber qualitativ hochwertigen Kleidungsstücken oder Second-Hand-Kleidung und die Unterstützung von Modeherstellern mit transparenten Lieferketten sind nur einige der Möglichkeiten, persönlich Einfluss zu nehmen.
Literaturverzeichnis
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