Warum Regelbrecher als mächtig wahrgenommen werden
Während eines Meetings auf dem Handy tippen, sich laut im Kino unterhalten, sich in einer Schlange nach vorne drängeln – Menschen in Machtpositionen verhalten sich oft so, wie es ihnen beliebt, und zeigen dabei auch sozial unangemessene Verhaltensweisen. Eine Studie von Van Kleef und KollegInnen untersucht, ob dieses Prinzip auch andersherum funktioniert: Werden Personen, die gegen soziale Regeln verstoßen, als mächtiger wahrgenommen?
Laut dem holländischen ForscherInnenteam handeln mächtige Menschen unbeeinflusst von anderen und ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Menschen mit weniger Macht erleben hingegen mehr soziale Zwänge und befürchten eher, dass sozial unangemessenes Verhalten Bestrafungen nach sich ziehen könnte. Mächtige Personen sind demnach freier darin, gegen soziale Regeln zu verstoßen. Im Umkehrschluss nehmen Van Kleef und KollegInnen an, dass Menschen, die Regeln brechen, Macht zugeschrieben wird.
Um ihre These zu überprüfen, gaben die ForscherInnen 40 Versuchspersonen verschiedene Szenarien zu lesen. Die Versuchspersonen wurden gebeten, sich vorzustellen, in einem überfüllten Raum im Bürgeramt zu warten. Der einen Hälfte wurde ein Szenario beschrieben, in dem eine andere wartende Person aufsteht und sich einen Kaffee aus der Kanne der MitarbeiterInnen einschenkt. Der anderen Hälfte wurde ein Szenario geschildert, in dem eine anwesende Person aufsteht, zur Toilette geht und wieder zu ihrem Sitz zurückkehrt. Anschließend sollten die Versuchspersonen angeben, für wie angemessen sie das Verhalten der Person hielten und als wie machtvoll sie sie einschätzten. Die Ergebnisse bestätigen die Annahme der ForscherInnen: ProbandInnen, in deren Szenario sich der Akteur an der Kaffeekanne des Personals bediente, stuften dessen Verhalten als unangemessener ein und nahmen ihn als mächtiger wahr als ProbandInnen, die ein Szenario über den Toilettenbesuch des Agierenden lasen. Die ForscherInnengruppe wiederholte das Experiment - diesmal im organisatorischen Kontext. Während eine Gruppe etwas über einen Buchhalter las, der Unregelmäßigkeiten im Finanzbericht verschweigt, erhielt eine andere Gruppe Informationen über einen Buchhalter, der die Unregelmäßigkeiten unverzüglich meldet. Auch hier stuften die Versuchspersonen den Regelbrecher als mächtiger ein als den regelkonformen Buchhalter. Aber warum wird Menschen, die gegen Regeln verstoßen, mehr Macht zugeschrieben? Die Versuchspersonen, die über den Regelbrecher lasen, gaben an, dass er nach seinem eigenen Willen handele und demnach freier entscheiden könne, was er tue. Die Macht, die aus dem Brechen von Regeln entsteht, meint hier also vor allem die Durchsetzung des eigenen Willens.
Was passiert nun, wenn Menschen direkt mit Regelbrechenden interagieren? Um dies zu überprüfen, luden Van Kleef und KollegInnen Versuchspersonen ins Labor ein, wo sie mit einem Regelbrecher und einem Regelbefolger zusammen an einer Aufgabe arbeiten sollten. Während der Regelbefolger sich höflich und normal verhielt, verspätete sich der Regelbrecher, warf seine Tasche in die Ecke und legte seine Füße auf den Tisch. Auch hier gaben die Versuchspersonen an, dass sie den Regelbrecher als mächtiger wahrnahmen und eher als jemanden einschätzten, der seinen Willen durchsetzt.
RegelbrecherInnen scheinen also den Eindruck zu vermitteln, den Freiraum zu haben, sich so zu verhalten, wie es ihnen beliebt. Dies wiederum führt dazu, dass sie von anderen als mächtig wahrgenommen werden. Die ForscherInnengruppe warnt allerdings vor einem selbstverstärkenden Effekt: Wenn Menschen aufgrund von Regelverstößen Macht zugeschrieben werde, verstärke dies unerwünschtes Verhalten und könne im schlechtesten Fall weitere Regelverletzungen zur Folge haben. Dieser Kreis von Regelverstößen könne maßgeblich bei der Entstehung sozial unerwünschter Verhaltensweisen wie beispielsweise Betrug, Gewalt oder sexueller Belästigung beitragen.
Ebenfalls interessant wäre die Frage, wie lange Personen mit Regelverletzungen davonkommen. Wir erkennen relativ schnell, ob jemand Macht besitzt. Wir sind jedoch auch schnell darin, die Macht zu untergraben, wenn wir das
Gefühl haben, dass diese unzulässig ist (Keltner et al., 2008). Was lernen wir daraus? Regelbrechenden sollte nicht unbedingt Macht zugeschrieben werden, sondern in manchen Fällen schlichtweg schlechtes Benehmen. Andererseits: Wenn Sie vor anderen mächtiger erscheinen wollen, brechen Sie doch einfach mal eine kleine Regel – daraus sollte jedoch keine Gewohnheit werden!
Quellen:
Keltner, D., Van Kleef, G. A., Chen, S., & Kraus, M. W. (2008). A reciprocal influence model of social power: Emerging principles and lines of inquiry. Advances in Experimental Social Psychology, 40, 151-192.
Van Kleef, G. A., Homan, A. C., Finkenauer, C., Gündemir, S., & Stamkou, E. (2011). Breaking the rules to rise to power: How norm violators gain power in the eyes of others. Social Psychological and Personality Science, 2(5), 500-507.
Bildquelle:
mielbandito via Flickr (2013): https://www.flickr.com/photos/61896505@N04/10149622966/
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (216)
- Sportpsychologie (37)
- Umweltpsychologie (22)