Wie der Kriegsausbruch in der Ukraine unser Wohlbefinden eingeschränkt hat
Die humanitären, politischen und ökonomischen Folgen des Kriegsausbruchs in der Ukraine sind gut dokumentiert. Doch was ist mit den psychologischen Konsequenzen? In einer Studie über die Wochen des Kriegsausbruchs untersuchten wir, wie sich das Wohlbefinden der Menschen in Europa im Laufe der Zeit entwickelte – und wer besonders davon betroffen war.
Als Russland am 24. Februar 2022 einen Angriffskrieg auf die Ukraine startete, verbreiteten sich die Nachrichten wie ein Brandfeuer über die ganze Welt. Schnell wurde spekuliert, was wohl die Implikationen dieses historischen Ereignisses sein würden. Jetzt sind bereits 2 Jahre vergangen und wir können die Konsequenzen besser einschätzen. Laut den UN sind mindestens 1,6 Milliarden Menschen in 94 Ländern von mindestens einer von drei Dimensionen der Krise betroffen: Unterbrochene Nahrungsmittelversorgung, unsichere Energieversorgung und finanzielle Notlagen (United Nations, 2022) – drei wichtige Dimensionen der Krise, die auch unmittelbar sichtbar sind in unterbrochenen Versorgungsketten, Flüchtlingsströmen etc. Doch vielleicht gibt es noch eine andere Dimension der Krise, die wohl weniger offensichtlich ist, nicht aber weniger wichtig. Darauf deutet unsere neue Studie hin, die die psychologische Dimension des Russland-Ukraine-Kriegs aufzeigt (Scharbert et al., 2024).
Die Grundlage für die Studie bot das „Coping with Corona“ (CoCo) - Projekt, eine weltweite Kollaboration von über 50 Forschenden (Scharbert et al., 2023). Das CoCo-Projekt hatten wir ursprünglich gegründet, um das Wohlbefinden der Menschen weltweit im Zuge der Corona- Pandemie zu untersuchen. Teilnehmende wurden hierbei 28 Tage lang in ihrem Alltag begleitet und in diesem Zeitraum zu zufälligen Zeitpunkten mehrmals täglich nach ihrem Wohlbefinden gefragt. Da die Datenerhebung von Oktober 2021 bis Mitte 2022 lief, konnten wir somit verfolgen, wie sich das Wohlbefinden über Länder hinweg in den Wochen um den Kriegsausbruch im Februar 2022 entwickelte. Zusätzlich holten wir noch von allen Teilnehmenden Daten zu ihrer Persönlichkeit und verschiedenen soziodemographischen Eigenschaften ein (z.B. Alter, Geschlecht, politische Einstellungen). In unseren Analysen konzentrierten wir uns auf die Menschen in Europa und ein zweimonatiges Zeitfenster um den Kriegsausbruch, was uns eine Stichprobe von ca. 1.300 Personen lieferte, die insgesamt um die 45.000 Mal unsere Smartphone-Fragen beantworteten.
Unsere Daten zeigten, dass das Wohlbefinden in den Wochen vor dem Kriegsausbruch relativ stabil war - die Menschen hatten den Kriegsausbruch also scheinbar nicht antizipiert, oder zumindest hatte es sich nicht negativ auf ihr Wohlbefinden ausgewirkt. Am Tag des Kriegsausbruchs sahen wir dann aber einen plötzlichen Abfall im Wohlbefinden, der unabhängig von Alter, Geschlecht, politischer Orientierung oder sonstigen Faktoren war. Über die Wochen nach dem Kriegsausbruch erholten sich die meisten Menschen wieder in ihrem Wohlbefinden, wobei hierbei die Persönlichkeit der Menschen einen entscheidenden Einfluss hatte: Menschen mit einem vulnerableren Persönlichkeitsprofil, z.B. einer niedrigeren emotionalen Stabilität, hatten sich im Mittel auch einen Monat nach Kriegsausbruch noch nicht wieder davon erholt.
Zuletzt interessierten wir uns noch dafür, ob die Verläufe des Wohlbefindens auch mit der medialen Sichtbarkeit des Kriegs zusammenhängen würden. Als Indikator hierfür nutzten wir die Anzahl an Tweets pro Tag, die das Stichwort “Ukraine” beinhalteten (unabhängig von der Sprache der Tweets). Wir vermuteten, dass es den Menschen an den Tagen, an denen sie besonders mit dem Krieg konfrontiert werden, im Mittel schlechter gehen sollte. Und tatsächlich fanden wir entsprechende Zusammenhänge auch in unseren Daten.
Was können wir also aus diesen Erkenntnissen lernen? Per se ist es natürlich nichts neues, dass Krieg schlimm ist - die humanitären, ökonomischen und ökologischen Konsequenzen sind gut dokumentiert. Was aber im Diskurs häufig untergeht, sind die psychologischen Folgen – selbst bei Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind. Unsere Daten zeigen, dass es Leute gibt, die stärker von den Berichten betroffen sind und sich von solch einem Schock vielleicht nicht so schnell erholen (z.B. Menschen mit einer vulnerableren Persönlichkeit). Nach diesen Menschen sollten wir uns umsehen und versuchen, sie in ihrem Umgang mit ihren Sorgen zu unterstützen. Das kann durch Gesprächsangebote in unserem privaten Bekanntenkreis erfolgen, aber auch durch institutionalisierte Angebote wie Gruppen- oder Individualtherapie. Betroffene Menschen sollten wissen, dass sie nicht allein sind und es Hilfsangebote gibt – bei dieser Krise genauso wie bei zukünftigen Krisen.
Literaturverzeichnis
United Nations (2022, June 8). Global impact of the war in Ukraine. Billions of people face the greatest cost-of-living crisis in a generation. https://news.un.org/pages/wp-content/uploads/2022/06/GCRG_2nd-Brief_Jun8...
Scharbert, J., Humberg, S., Kroencke, L., Reiter, T., Sakel, S., Horst, J. ter, Utesch, K., Gosling, S. D., Harari, G., Matz, S. C., Schoedel, R., Stachl, C., Aguilar, N. M. A., Amante, D., Aquino, S. D., Bastias, F., Bornamanesh, A., Bracegirdle, C., Campos, L. A. M., . . . Back, M. D. (2024). Psychological well-being in Europe after the outbreak of war in Ukraine. Nature Communications, 15(1), 1202. https://doi.org/10.1038/s41467-024-44693-6
Scharbert, J., Reiter, T., Sakel, S., ter Horst, J., Geukes, K., Gosling, S. D., Harari, G., Kroencke, L., Matz, S., Schoedel, R., Shani, M., Stachl, C., Talaifar, S., Aguilar, N. M. A., Amante, D., Aquino, S. D., Bastias, F., Biesanz, J. C., Bornamanesh, A., ... Back, M. D. (2023). A global experience-sampling method study of well-being during times of crisis: The CoCo project. Social and Personality Psychology Compass, 17(10), e12813. https://doi.org/10.1111/spc3.12813
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