Daniel Memmert und Benjamin Noël "Elfmeter: Die Psychologie des Strafstoßes"
Die Grundidee des Buches „Elfmeter: Die Psychologie des Strafstoßes“ von Daniel Memmert und Benjamin Noël halte ich für grandios gut. Die beiden Autoren greifen sich einen aus psychologischer Sicht extremen Moment aus dem beliebtesten Sport der Welt heraus, den Elfmeter. In diesem Moment tritt ein Schütze gegen einen Torwart an, beide stellvertretend für ihre jeweilige Mannschaft, die Fans beider Mannschaften befinden sich zwischen Bangen (dass der Ball im Tor landet) und Hoffen (dass der Ball nicht im Tor landet). Der Schütze ist prinzipiell in dem Vorteil, dass ein Elfmeter häufiger verwandelt wird, als dass der Torwart pariert oder aber der Ball neben oder über dem Tor landet, was ebenfalls als Erfolg des Torhüters gewertet wird. Andererseits lastet dadurch natürlich auch der psychologische Druck umso mehr auf den Schultern des Schützen.
Im dieser Besprechung zugrundeliegenden Buch tragen Daniel Memmert und Benjamin Noël einige Forschungsergebnisse zu dieser psychologischen Ausnahmesituation zusammen und beantworten mit ihnen nach einem Vorwort von Andreas Köpke und einer kurzen Einleitung 32 selbst gestellte Fragen in drei größeren Teilen. Diese drei größeren Abschnitte beleuchten detailliert (1) Ausgangsbedingungen, (2) die Sicht der Schützen und (3) die Perspektive der Torhüter. Beispiele für diese Fragen lauten „Soll der Gefoulte den Elfmeter besser nicht selbst schießen?“ (Frage 5), „Ist das Verhalten von Torhütern vorhersehbar?“ (Frage 11) oder „Sollte der Torhüter manchmal in der Mitte stehen bleiben?“ (Frage 28). Die Beantwortung jeder einzelnen Frage findet auf etwa zwei Seiten statt, wird von einem passenden Foto eingeleitet und mit einer erläuternden Abbildung in Form von Verlaufsdiagrammen oder Säulendiagrammen oder ähnlichen Grafiken oder auch Fotos untermalt. Ebenfalls gehört zu jeder Erklärung eine eigene Referenzsektion mit einer oder mehreren Quellen wissenschaftlicher Untersuchungen, die die Beantwortungen stützen (das Maximum von sechs Quellen meine ich, auf Seite 102 bei Frage 24 „Sollte der Torhüter direkt in der Mitte des Tors stehen?“ ausgemacht zu haben, ich kann mich aber vertun). Das wirkt insgesamt sehr gut belegt. Die Auswahl der Fragen gefällt mir, an der einen oder anderen Stelle könnte ich mir zusätzliche Erklärungen vorstellen. Diese Anmerkung betrifft aber weniger die Autoren dieses Buches, sondern vielleicht eher die Autorinnen und Autoren der Primärstudien, auf die sich Daniel Memmert und Benjamin Noël beziehen.
Zur Lesbarkeit: Das Buch hätte aus meiner Sicht von einem strikteren Lektorat profitiert. Kleinere Fehlerchen oder Unklarheiten finden sich an wenigen Stellen (zum Beispiel auf Seite 50 bei der Beantwortung von Frage 13 „Sollte der Schütze sein Schussziel im Vorfeld festgelegt haben“, wenn sich die Autoren auf zwei Saisons beziehen und schreiben: „Hiermit gelang ihm in der Saisons 2013/14 und 2014/15 ...“ Auf Seite 24 antworten die Autoren auf Frage 5 „Soll der Gefoulte den Elfmeter besser nicht selbst schießen“: „Dies ergab eine Analysis ...“). Mitunter fehlen vereinzelt Kommata vor der Einleitung von Nebensätzen. Die konkreten Quellen werden uneinheitlich zu einzelnen Punkten genannt, wenn es für die Beantwortung einer Frage mehrere Quellen gibt: In den Erläuterungen zu manchen Abbildungen werden konkrete Quellen zitiert, in denen zu anderen Abbildungen hingegen nicht. Bestimmte psychologische Fachbegriffe wie „Selbstregulierungsstrategien“ (Seite 23) werden nicht hinreichend erklärt. Dies hätte entweder in den einzelnen Unterkapiteln oder in einem Glossar geschehen können.
Was mich direkt zu Beginn meiner Lektüre geärgert hatte, war eine aus meiner Sicht potentiell sinnentstellende Ungenauigkeit in der folgenden Beschreibung auf Seite 14: „[...] in der im Viertelfinale England Italien mit 2:4 im Elfmeterschießen bezwang, [...]“ Dass die italienische Mannschaft das Spiel im Elfmeterschießen für sich entscheiden konnte, geht für mich aus der zitierten Formulierung eher nicht hervor.
Fazit
Insgesamt finde ich den dem Buch „Elfmeter: Die Psychologie des Strafstoßes“ von Daniel Memmert und Benjamin Noël zugrundeliegenden Ansatz hervorragend, eine psychologische Ausnahmesituation aus dem beliebtesten Sport aufzugreifen und sie in verschiedene psychologische Aspekte zu zerlegen und evidenzbasiert fundiert zu adressieren. Auch die Auswahl der einzelnen Fragen und den Aufbau des Buches finde ich sehr gut. Die einzelnen Kapitel lassen sich sehr schnell und einfach lesen, bauen zwar logisch aufeinander auf, können aber unabhängig vom übrigen Inhalt konsumiert werden. Gerade was bestimmte Formalitäten betrifft, wäre an der einen oder anderen Stelle ein rigoroseres Vorgehen gegebenenfalls wünschenswert. Aber auch diese Punkte können das über die anderen Aspekte gewonnene, insgesamt überaus positive Bild nicht so sehr trüben, dass eine positive Gesamteinschätzung nicht weiterhin angezeigt wäre. Auch wenn ich jetzt einen anderen Blick auf manche Elfmetersituationen haben sollte, nimmt mir das Buch die Spannung der Situation, einen Elfmeter im Stadion zu verfolgen, auf keinen Fall.
Disclaimer: Der Autor Daniel Memmert hat mir ein Rezensionsexemplar für eine Besprechung zur Verfügung gestellt.