Daniel Tammet – Die Poesie der Primzahlen
Deutsche Ausgabe: Carl Hanser Verlag, München, 2014
Daniel Tammet schildert auf faszinierende Weise die Besonderheit der Mathematik aus der Sicht eines Menschen, der kein Mathematiker ist. Was aber macht dieses Buch besonders? Es ist nicht nur der Autor, der mit seiner eigenen Biographie dafür sorgt, dass dieses Buch etwas Besonderes ist. Zunächst aber möchte ich dennoch ein paar Worte über den Autor und die Entstehung dieses Buches verlieren. Daniel Tammet gilt als sogenannter Savant, also ein Mensch, der auf gewisse Weise ein Autist ist, aber eben auch Inseln der Begabung vorweisen kann, die vermeintlich normalen Menschen vorenthalten bleiben. So hat er zum Beispiel die Gabe, sich innerhalb kürzester Zeit Fremdsprachen anzueignen. Zum ersten Mal habe ich von Daniel Tammet in einer Dokumentation gehört, die seinerzeit, so meine ich als Inselerinnernder, im Fernsehsender 3sat lief. Dort wies Tammet nach einer Woche des Lernens nach, dass er anschließend in der äußerst schwierig zu erlernenden Sprache Isländisch vor laufenden TV-Kameras ein Interview geben konnte. Ui. Viele Besonderheiten von Daniel Tammet scheinen zudem auf der Grundlage von Synästhesie zu beruhen, also auf der Verknüpfung mehrerer Sinneseindrücke miteinander oder der Verbindung eines Sinneseindruckes mit einem anderen Detail des Denkens.
Ein anderes Feld neben dem Erlernen von Sprachen, das Tammet sehr gut beherrscht, ist das der Mathematik. Er erkennt Muster in Zahlen und in Werten, er weiß solche zu zerlegen und ist auf seine eigene Weise von Zahlen fasziniert. Diese Faszination beschreibt Daniel Tammet sehr beschwingt und locker in seinem neuesten Buch „Die Poesie der Primzahlen“, welches im Jahre 2012 auf Englisch zuerst unter folgendem Titel erschien: „Thinking in numbers: How maths illuminates our lives“.
Inhaltlich lässt Tammet seine Leserinnen und Leser teilhaben an mathematischen Phänomenen, die ihn selber faszinieren, die aber durchaus auch für Menschen ohne besondere Begabung außergewöhnlich großen Unterhaltungswert haben. Auch Personen, die mit Mathematik eher wenig „am Hut“ haben, lassen sich mitziehen von der Beschreibung der ein oder anderen Episode, die Daniel Tammet hier erwähnt; ich habe dies mit Personen meines unmittelbaren Umfelds ausprobiert. Wenn es zum Beispiel um die Guugu Yimidhirr geht, einen Stamm der Aborigines in Australien, so empfinden direkt auch westlich sozialisierte Personen deren Zugang zu positiven und negativen Zahlen einleuchtend; und dies liegt nicht zuletzt an der Darstellung von Tammet: Wenn Kinder dieses Stammes eine Einheit addieren sollen, so denken sie „einen Schritt nach Osten“ – Wenn sie allerdings eine Einheit subtrahieren sollen, denken sie „einen Schritt nach Westen“. Würde das Konzept des Zahlenstrahls auf diese Art und Weise auch in mitteleuropäischen Grundschulen erklärt, bräuchte vermutlich auch hierzulande kein Schulkind mehr Angst vor der mathematischen Einführung in das Themenfeld der negativen Zahlen zu haben.
Ich möchte nicht verschweigen, dass ich in manchen Kapiteln durchaus das Gefühl hatte, dass die Beschreibungen mathematischer Phänomene nun ein wenig zu abgehoben werden. Das erste Mal war dies ganz besonders im Kapitel „Einsteins Gleichungen“ (Seiten 179-192) der Fall. Die Zerlegung einzelner Zahlen übte auf mich offenbar wesentlich weniger Anziehungskraft aus als auf den Autor. Das letzte Puzzle dieses Kapitels fand ich nicht zuletzt aufgrund seiner Beschreibung allerdings äußerst charmant, möchte allerdings der geneigten Leserin und dem geneigten Leser durch meine vagen Äußerungen noch die Möglichkeit geben, diese Episode selber zu explorieren.
Abschließende Bemerkungen:
Was ich zur Übersetzung und zum deutschen Lektorat zu sagen habe, lässt sich schnell zusammenfassen: Obwohl ich das englische Original nicht kenne, bezeichne ich die deutsche Übersetzung als hervorragend. Auch wenn eine solche Aussage paradox erscheint, erlaube ich sie mir, da ich mittlerweile zu ahnen meine, wie der Übersetzungsmarkt läuft und zudem glaube ich einschätzen zu können, dass sich inhaltlich auch nach intensiver Prüfung hinsichtlich der Übersetzung kaum Fehler finden werden. Für die Übersetzung verantwortlich zeichnet sich Dagmar Mallett, um sie auch einmal zu würdigen. Hinsichtlich des Lektorats: Irgendwo in der ersten Hälfte des Buches fand ich einen Fehler, habe ihn aber leider nicht angestrichen und weiß so nicht mehr, wo er denn war, sodass er in der realen Welt (fast) nicht existiert.