Juliane Degner "Vorurteile haben immer nur die anderen"

Springer - 2022
https://doi.org/10.1007/978-3-662-60572-1 (ebook)
Softcover Version des Buches €22.99

Um vorab die Spannung ein wenig zu nehmen: Ich empfehle dieses Buch mit dem Titel „Vorurteile haben immer nur die anderen“ von Juliane Degner! Es ist streckenweise befreiend und öffnet einigen sicher zeitweise beim Lesen Augen, die eigentlich schon längst hätten offen sein können.

Für mich ist eine der Hauptaussagen (wenn nicht die Hauptaussage) dieses Buches, dass Vorurteile viel stärker verbreitet sind, als viele Menschen annehmen und auch sich eingestehen wollen. Diese Vorurteile können gleichsam das eigene Verhalten, mitunter ungewollt, lenken. Das ist einfach so. Aber es muss unter Umständen nicht so bleiben.

Diese Idee ist nicht neu, dass Vorurteile ungewollt vorhanden sein können. Aber die Art und Weise, wie sie in diesem Buch im Sinne guter Wissenschaftskommunikation leicht verständlich und dennoch wissenschaftlich fundiert erzählt wird, ist es – zumindest für mich.

Mit anderen Worten: Wer glaubt, keine Vorurteile zu haben, sollte noch einmal ganz genau überlegen, wann sie oder er eher die Straßenseite wechseln würde, je nachdem, wer da so entgegenkommt. Bestimmte Formen der Vorsicht sind durchaus adaptiv, aber sie gründen eben zumeist auf Vorurteilen.

Zu einer eigenen Reflexion hilft ein Sprung in Kapitel 10, welches den Titel trägt „Habe ich Vorurteile?“ Ebenso fehlt an dieser Stelle nicht der Hinweis darauf, „dass Einsicht
sogar paradoxe Effekte haben kann“ (S. 205), also zum Beispiel ängstlicheres Verhalten gegenüber Menschen aus Gruppen bedingen kann, gegenüber denen wir Vorurteile hegen. Auch in diesem Bereich sind nicht alle Interventionen, die gut gemeint sind, tatsächlich hilfreich (Kapitel 11), aber es gibt gleichzeitig Anlass dazu, zu hoffen, dass bestimmte Interventionen wirken können (Kapitel 12). Die Vorsicht, mit der die Autorin hier agiert und nicht Formate und Mechanismen verspricht, die auf jeden Fall zu Vorurteilsabbau führen, zeugt ebenso von der wissenschaftlichen Fundierung der Inhalte des Buches wie der ausführliche und nach meinem besten Wissen sehr auf den aktuellen Stand der Forschung gebrachte Literaturüberblick. Alleine, dass unter anderem Effektstärken sehr einfach erklärt werden, ist eine besondere Erwähnung wert.

Besonders gut gefiel mir die Darstellung des modularen Aufbaus zur Entstehung bzw. zu den Ursprüngen von Stereotypen und Vorurteilen (Kapitel 9). Hier werden (1) soziale Identitätsbildung, (2) basale Lernprozesse, (3) Verzerrungen in Lernprozessen und (4) Mediensozialisation genannt.

Meckerecke: Manche Beispiele fand ich nicht passend. So kam mir etwa bei den Beispielen zu den modernen Formen von Vorurteilen und stereotypen Überzeugungen die Formulierung missverständlich vor, dass sie leicht identifizierbare Leugnung von bestehender Diskriminierung beinhalten.

Bei anderen Beispielen wie zum Linda-Problem in Kapitel 5, also zur Conjunction Fallacy, hätte ich es schön gefunden, dies einmal gegebenenfalls mit anderen Details zu lesen.

Als Fazit kann ich natürlich nicht garantieren, dass Sie nach dem Lesen dieses Buches noch länger über dessen Inhalte nachdenken werden, aber ich wünsche es.

Disclaimer: Der Verlag hat mir eine pdf zur Verfügung gestellt, in der quer über jede Seite der Hinweis als Wasserzeichen gedruckt ist: „Besprechungsexemplar – Nur zum persönlichen Gebrauch“. Wer an einer Einrichtung studiert oder arbeitet, die einen entsprechenden Kooperationsvertrag mit dem Verlag geschlossen hat, hat eventuell Zugriff auf eine pdf dieses Buches ohne ein solches Wasserzeichen.

Autor*innen

Buchbewertung

overall
4 of 5
novelty
3 of 5
readability
4 of 5