Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft
Bas Kast studierte Psychologie und Biologie, bevor er Journalist wurde. Man merkt ihm seine Begeisterung für psychologische Themen genauso an, wie sein sicheres journalistisches Fundament. In dem Buch „Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft. Die Kraft der Intuition“ beschäftigt er sich mit psychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Themen Intuition, Kreativität und gefühlsbasierte Prozesse/Entscheidungen, die häufig von unbewussten Mechanismen gesteuert werden. Dazu erläutert der Autor zeitgenössische Kernthesen, indem er bekannte Experimente aus diesem Feld beschreibt und deren Ergebnisse für den Leser aufbereitet. Immer wieder spickt er dies mit eigenen Ideen oder begrifflichen Umschreibungen (zum Beispiel „Mich erinnert die Art und Weise, wie uns Gefühle „einstimmen“ an den Equalizer meiner Stereoanlage“, S. 56; oder „Gefühle versetzen unser Gehirn in jeweils andere „Klangkonfigurationen““, S. 61), um neueste wissenschaftliche Erkenntnisse so anschaulich wie möglich für die Leserin / den Leser zu machen. Dies gelingt ihm vorzüglich.
Grundsätzlich werden in dem Buch Fragen wie Steuern unsere Gefühle Wahrnehmung und Denken mit? Warum ist es gerade in Situationen, in denen wenig Zeit zum Nachdenken ist, gut, auf seine Intuition zu hören? Was sind die Mechanismen, die kreative Ideen ermöglichen und welche Rolle spielen Gefühle dabei? behandelt. Bas Kast beschreibt das Nachgehen dieser Fragen als Suche oder als Reise und das Buch als „Reiseführer“ (S. 21), was ich sehr passend finde, da sich der Leser so sofort an diesen Fragen beteiligen kann und sich mitgenommen fühlt auf die Reise. Außerdem impliziert dies, dass die Wissenschaft längst noch nicht am Ende der Erkenntnis angelangt ist und noch viel Forschung nötig und interessant wäre auf diesem Gebiet. Die Metapher der Reise zu sich selbst und dem Ursprung der eigenen Kreativität zieht sich im Folgenden als roter Faden durch das gesamte Buch und wird als Orientierung und Richtschnur verwendet, anhand derer sich die einzelnen Themen aufziehen lassen, was dem Buch eine nachvollziehbare Struktur verleiht. Dies gelingt nicht zuletzt deshalb, weil der Autor für die Entstehung dieses Buches einmal um die Welt gereist ist und verschiedenste Forscher in ihren Laboren besucht hat; so kann also auch äußerlich von einer Reise gesprochen werden.
In der Einleitung bereits greift Bas Kast eine der spannendsten Fragen auf, mit der sich das Buch beschäftigt: Schlummert in uns allen ein Genie, das nur von zuviel Verstand, Sprache, Logik und Vernunft daran gehindert wird, sich zu zeigen? Der Autor beschreibt, wie er den australischen Forscher Allan Snyder in seinem Labor im Centre for the Mind in Sydnery trifft. Snyder vertritt die These, dass in jedem Menschen kreative Fähigkeiten schlummern, die zum Beispiel mit Hilfe von nicht-invasiver Hirnstimulation kurzfristig gesteigert werden können. Bas Kast schildert, wie er sich selbst einer solchen Prozedur unterzogen hat und bindet den Leser als imaginative Versuchsperson selbst mit ein. Im letzten Kapitel des Buches („Der Rain Main in uns“, ab S.156) greift der Autor das Thema wieder auf und so haben Anfang und Ende etwas Gemeinsames, das die übrigen Themen des Buches umschließt, was ich sehr gelungen finde.
Positiv hervorzuheben ist der in Kapitel 1 vorgenommene Abriss einer kurzen Darstellung der Philosophie-Geschichte. Der Autor beschreibt sehr eindrücklich den Stellenwert, den Gefühle in den verschiedenen philosophischen Epochen hatten - vom antiken Griechenland, in dem sich die Menschen noch nicht als Urheber ihrer eigenen Taten sahen sondern göttlichen Eingebungen folgten, über Sokrates, der Fragen hatte und Zweifel an dieser Weltanschauung hegte, bis hin zu Aristoteles, der den Menschen als rationales Tier sah und für Vernunft, Nüchternheit und Rationalität kämpfte. Durch diesen historischen Abriss wird schnell klar, dass und warum rationales Handeln so lange Zeit als das Charakteristikum menschlichen Wesens schlechthin galt und Gefühle, wenn überhaupt, als etwas gesehen wurde, das sowieso nicht nützlich sein kann und daher zu ignorieren sei. Der Autor beschreibt sehr gut, wie sich dies erst mit der sogenannten emotionalen Wende, die durch psychologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse angestoßen wurde, änderte. Seit einiger Zeit scheint sich das Menschenbild dahingehend zu wandeln, dass Gefühle durchaus als etwas Nützliches angesehen werden, die in manchen Situationen wertvolle Entscheidungshilfen darstellen können, also je nach Situation vernünftig sein können.
Wie bereits erwähnt, merkt man dem Autor nicht nur seine psychologische Vorbildung, sondern auch seine profunde journalistische Ausbildung an. So versteht er es, den Leser mitsamt seiner Vorstellungskraft immer wieder direkt anzusprechen. Vor dem inneren Auge des Lesers tun sich im Laufe des Buches verschiedene Welten auf: Das antike Griechenland, das zivilisationsferne australische Outback der heutigen Zeit oder Professor Allan Snyders Labor, in dem er verschiedene Hirnareale seiner Versuchspersonen entweder zu hemmen oder zu stimulieren versucht. Bas Kast schafft dies so gekonnt, indem er je nach Situation, die er vor des Lesers innerem Auge heraufbeschwören will, andere Wörter und Stilmittel benutzt. So kommt einem das Geschriebene zwar manchmal etwas unterbrochen, bzw. nicht ganz so einheitlich vor, jedoch entsteht dadurch eine kurzweilige und authentische Schilderung der Situationen, Theorien und Experimente. Diese werden nicht trocken dargestellt, sondern humoristisch und lebendig. Es mag an dieser Stelle jedoch angemerkt werden, dass der Autor teilweise zwischen den Themen ein bisschen zu sehr hin- und herspringt. Dies ist vor allem in Kapitel 3 der Fall, das thematisch meines Erachtens ein wenig für sich alleine dasteht, denn das Thema Ich, unbewusste Motive, und Persönlichkeit, ist in meinen Augen nochmal ein wenig etwas anderes. Zwar verknüpft der Autor trotzdem seine Argumente gekonnt und auch der rote Faden bleibt durchweg ersichtlich, jedoch wirkt die Schreibweise dadurch manchmal etwas unruhig.
Ein wenig kritisch sei noch eine kleine begriffliche Ungenauigkeit auf Seite 68 (Kapitel 2) anzumerken. Hier beschreibt der Autor die Versuche von Antonio Damasio und Antoine Bechara zur Funktion des intuitiven Gespürs als Warnsignal vor falschen Entscheidungen. Die Forscher hatten in ihren Experimenten dieses intuitive Gespür über einen psychophysiologischen Parameter gemessen, die Hautleitfähigkeit. Das Gerät zur Messung der menschlichen Hautleitfähigkeit bezeichnet der Autor als Lügendetektor. Dieser Begriff führt den Leser meines Erachtens in die Irre, impliziert er doch, dass beim Blick auf das Gerät ersichtlich wird, ob ein Mensch die Wahrheit sagt oder eben lügt. Dies ist jedoch mit den Versuchen Damasios und Becharas nicht gemeint; denn die Forscher hatten untersucht, ob bestimmte Körpersignale, obwohl unbewusst ablaufend, dennoch einen Einfluss auf menschliche Entscheidungen haben. Sicher wird der Begriff Lügendetektor vom Autor als simple Veranschaulichung benützt, die dem Leser das Verständnis erleichtern soll. Prinzipiell ist dies vollkommen in Ordnung; an erwähnter Stelle ist der Begriff in meinen Augen nur leider ein wenig fehlleitend.
Abschließend möchte ich noch auf Kasts sehr übersichtliche Art zu zitieren hinweisen. Es finden sich im Anhang zunächst die Quellenverweise und Anmerkungen. Besonders letztere sind sehr nützlich, da sich hier noch zusätzliche Informationen über Autoren, theoretische Modelle oder Ideen finden, die zum erweiterten Verständnis beitragen. Es lohnt also auf jeden Fall diese zu beachten. Danach erst sind die Literaturangaben angehängt, was das Ganze besonders übersichtlich macht. So ist es allen Interessierten möglich, die angegebenen Original-Quellen leicht zu finden und so Weiteres zu diesem Thema nachzulesen. Ebenfalls positiv hervorzuheben sind die Kurz-Zusammenfassungen, die sich am Ende fast eines jeden Kapitels finden. Sie bringen das eben Gelesene noch einmal sehr prägnant auf den Punkt und tragen zum Behalten der take-home message bei. Insgesamt bleibt mir „Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft. Die Kraft der Intuition“ als ein lebendig und teilweise recht amüsant und kurzweilig geschriebenes Buch in Erinnerung, das das Lesen auf jeden Fall wert war.