Peter Fischer und Eva Lermer "Das Unbehagen im Frieden: Die neue Lust am Leid"

„Spielt doch mal Frieden!“ denke ich, spreche es aber nicht laut aus, da mir bereits während des Gedankens klar wird, wie langweilig das für die Soldatendarsteller wäre. Im Garten des Mehrfamilienhauses, in dem ich wohne, nutzen Kinder der Nachbarn die ersten Sonnenstrahlen und spielen mit Plastikgewehren, verstecken sich hinter der Hecke und ballern sich gegenseitig ab. Sie spielen irgendetwas in Richtung Krieg.

Das Buch „Das Unbehagen im Frieden: Die neue Lust am Leid“ von Peter Fischer und Eva Lermer besteht aus drei Teilen: Der erste, recht kurze Teil stellt die Idee vom Wohlstandsübermut vor. Im zweiten Teil finden die Leser_innen elf Kapitel mit Evidenz für diese Idee. Der dritte Teil befasst sich mit Strategien zur Überwindung dieses Wohlstandsübermutes und tritt mit dem hehren Ziel an, eine Antwort auf die Frage zu finden „Wie können wir bessere Menschen werden?"

Was aber meinen die Autorin und der Autor Wohlstandsübermut? Peter Fischer und Eva Lermer bezeichnen hiermit den Umstand, dass es in einer Gesellschaft, in der es die Mehrheit eigentlich zu Wohlstand gebracht hat, die Not durch Kriege und Katastrophen weitestgehend nur aus Anekdoten kennt, zu einer gewissen Langeweile kommen kann. Diese Langeweile führt dann zu potentiell risikoreicherem bis sogar gewalttätigem Verhalten. Das ist erst einmal eine steile These. Je länger sich die Autorin und der Autor mit ihr befassen und die Leser_innen zu überzeugen versuchen, umso besser konnte ich sie im Verlauf der Lektüre des Buches nachvollziehen.

Die ersten Evidenz-Kapitel gefallen mir noch nicht so gut wie die späteren. Eher positiv finde ich die Erläuterungen zu Beziehungen zwischen Gruppen und wie diese über unser Bedürfnis nach sozialer Identität maßgeblich mitbestimmt werden. Zum Beispiel erklären die Autorin und der Autor auf Seite 23: „Meist ist uns die Gruppe, der wir angehören, wichtiger und erscheint uns besser als andere Gruppen […]“ Solche Beschreibungen finden sich über das ganze Buch verstreut. Natürlich kann ein derartig kurzes Buch nicht sämtliche Aspekte von Intergruppenbeziehungen beleuchten, aber viele essenzielle Punkte werden angesprochen. Hilfreich für eine Einordnung der einzelnen Evidenzen in ein großes Ganzes ist ebenfalls, dass die Autorin und der Autor am Ende eines jeden Kapitels eine kurze Zusammenfassung anbieten.

Im dritten und letzten Teil, der den Leser_innen Anstöße vermitteln möchte, die sie zu besseren Menschen machen können, werden gerade zu Beginn manche Thesen aufgestellt, die ich nicht unbedingt teile, aber ich muss nicht immer derselben Meinung wie eine Autorin sein, um ein Buch gut zu finden. So glaube ich nicht, dass ausgerechnet die kognitiven Neurowissenschaften in den nächsten 50 bis 100 Jahren den Werkzeugkasten der Psychologie entscheidend erweitern werden, aber das ist sehr wahrscheinlich auch nur eine Frage persönlicher Präferenz, in welche Richtung sich die wissenschaftliche (Sozial-)Psychologie entwickeln sollte. Die konkreten Strategien zur Verbesserung der Welt werden nacheinander angenehm kurz und kurzweilig präsentiert. So stellen Peter Fischer und Eva Lermer auf gerade einmal einer Seite prägnant dar, warum die Welt von mehr Frauen in Führungspositionen profitieren würde (S. 113). An diese Strategien schließen sich noch Ausführungen zu zentralen psychologischen Konstrukten an (z. B. Was ist Denken? Was ist Fühlen?), die durch leicht verständliche Hinweise zur Dissonanzreduktion (Menschen brauchen die Möglichkeit, kognitive Spannungen abzubauen, ab S. 131) abgerundet werden. Der Ausblick bietet einen Hinweis darauf, wie eventuell Aufklärung bzw. Psychoedukation Aggressionen abbauen könnte. Hoffentlich klappt’s.

Formale Aspekte

Im Buch findet sich entweder keine geschlechtergerechte Sprache bzw. dieser Aspekt wird uneinheitlich gehandhabt, wenn zum Beispiel auf Seite 16 von ForscherInnen die Rede ist.

Bei den Referenzen haben sich mehrere kleine Fehler eingeschlichen: Während im Fließtext recht häufig das Buch von Daniel Kahneman als Kahneman (2010) zitiert wird, so zum Beispiel auf den Seiten 17, 22, 31 und zuletzt auf Seite 138, steht im Literaturverzeichnis auf Seite 147 eine Referenz zu Kahneman (2011). Werden auf Seite 22 noch Taylor und Brown zitiert, heißt das Autorenduo auf Seite 23 plötzlich Tayler und Brown. Beim Hinweis auf 14.400 Kriege, die seit Menschengedenken geführt werden, findet sich auf Seite 138 eine Referenz zu (Fischer et al., 2010). Eine solche Referenz existiert im Literaturverzeichnis nicht. Zuvor wurde im Buch bezüglich desselben Sachverhaltes auf Fischer et al. (2018) Bezug genommen.

Die Ordnung der Referenzen im Literaturverzeichnis ist ebenfalls nicht vollständig alphabetisch.

Diese Aspekte sind allerdings allesamt so geringfügig, dass sie den positiven Gesamteindruck höchstens minimal trüben können.

Fazit

Insgesamt bietet das Buch „Das Unbehagen im Frieden: Die neue Lust am Leid“ eine kurze und schnelle Lektüre, die zu längeren Gedankengängen und Diskussionen mit anderen Leser_innen anregen kann. Und das ist aus meiner Sicht in Zeiten, in der eine Gesellschaft in ganz ungünstige Bereiche abzudriften droht, eine herausragende Leistung.

Disclaimer: Die Autorin Eva Lermer hat mir auf meine Anfrage hin ein Rezensionsexemplar für eine Besprechung zukommen lassen.

Autor*innen

Buchbewertung

overall
5 of 5
novelty
5 of 5
readability
4 of 5