Warum wir BODIKA_1996 eine Mikrowelle abkaufen, KODIBA_1996 aber nicht – Aussprechmuster und ihre Wirkung auf Urteile und Entscheidungen
Menschen mögen nach innen gerichtete Aussprechmuster (z. B. in BODIKA – Lippe -> Zunge -> Rachen) mehr als nach außen gerichtete (z. B. in KODIBA – Rachen -> Zunge -> Lippe). Dieser Effekt wirkt sich auf verschiedene Urteile und Entscheidungen im Alltag aus – aber warum ist „rein“ besser als „raus“?
Stellen Sie sich vor, Sie suchen auf eBay nach einer gebrauchten Mikrowelle. Ein privater Anbieter mit dem Username BODIKA_1996 bietet ein gutes Modell für einen günstigen Preis an. Sie scrollen ein bisschen weiter, und finden einen Anbieter mit dem Username KODIBA_1996, der ein ähnliches Modell zum gleichen Preis verkauft. Welchen Anbieter würden Sie eher kontaktieren? Tatsächlich würden die meisten Menschen in dieser Situation BODIKA_1996 bevorzugen (Silva & Topolinski, 2018). Aber warum? Beide Benutzernamen sind rein fiktiv und sagen eigentlich wenig über die dahinterstehende Person aus. Beide Benutzernamen sind sich außerdem extrem ähnlich – eigentlich unterscheiden sie sich nur in der Position der Buchstaben „B“ und „K“. Und dennoch: Die meisten Menschen würden hier BODIKA_1996 als vertrauenswürdiger einstufen und zuerst kontaktieren wollen (Silva & Topolinski, 2018).
Der Grund dafür liegt in den unterschiedlichen Aussprechmustern in BODIKA und KODIBA. Ein relativ neuer Forschungszweig innerhalb der Psychologie hat gezeigt, dass Menschen eine Präferenz für nach innen gerichtete Aussprechmuster gegenüber nach außen gerichteten Aussprechmustern haben ( Ingendahl, Vogel & Topolinski, 2022; Topolinski et al., 2014). In BODIKA wird der erste Konsonant „B“ an der Lippe gebildet, der zweite Konsonant „D“ mit der Zunge am vorderen Gaumen, und das „K“ hinten im Rachen. Wenn man das Wort BODIKA ausspricht, bilden diese unterschiedlichen Artikulationsorte im Mund eine Bewegung von außen nach innen. In KODIBA ist die Reihenfolge der Artikulationsorte umgedreht (Rachen -> vorderer Gaumen -> Lippe) und bildet dadurch eine Bewegung von innen nach außen. Menschen scheinen eine Präferenz für nach innen gegenüber nach außen gerichteten Aussprechmustern zu besitzen, was auch als „artikulatorischer In-Out Effekt“ bezeichnet wird.
Der Artikulatorische In-Out Effekt
Im Deutschen lassen sich nach innen oder außen gerichtete Wörter durch verschiedene Konsonanten bilden, z. B. MENURI und PATIGO (nach innen), oder RENUMI und GATIPO (nach außen). Sprechen Sie die Wörter mal selbst für sich aus. Fällt Ihnen der Unterschied in den Aussprechmustern auf? Wenn man Menschen nun einfach bewerten lässt, wie sehr sie diese Wörter mögen, dann zeigt sich insgesamt, dass Wörter wie BODIKA, MENURI, oder PATIGO mehr gemocht werden als Wörter wie KODIBA, RENUMI, oder GATIPO. Und das, obwohl diese Wörter die gleichen Vokale und die gleichen Konsonanten beinhalten – der einzige Unterschied ist die Reihenfolge der Konsonanten.
Der artikulatorische In-Out Effekt scheint jedoch nicht nur auf die deutsche Sprache beschränkt zu sein. Er zeigt sich auch in Sprachen wie unter anderem Portugiesisch (Garrido et al., 2019), Englisch (Topolinski et al., 2014), Japanisch (Motoki & Pathak, 2022), oder Türkisch (Godinho et al., 2019). Natürlich muss bei der Untersuchung des artikulatorischen In-Out Effekts in anderen Sprachen auch darauf geachtet werden, dass ein Buchstabe auch mit dem richtigen Laut ausgesprochen wird. Im Englischen wird beispielsweise das „R“ weiter vorne ausgesprochen als im Deutschen. Beim artikulatorischen In-Out Effekt scheint es keine Rolle zu spielen, ob wir das jeweilige Wort nur lesen, es selbst aussprechen, oder einer anderen Person beim Sprechen zuhören (Topolinski & Boecker, 2016a). Auch müssen es nicht unbedingt Wörter sein. Selbst bei Buchstabenkürzeln (z. B. BK) oder Wortfragmenten (B _ _ _ K _) zeigt sich der Effekt (Maschmann et al., 2020; Topolinski & Boecker, 2016a).
Der Effekt wirkt sich aber nicht nur auf die Bewertung von Wörtern oder Buchstabenkürzeln aus, sondern hat auch Konsequenzen für alltägliche soziale Urteile oder Konsumentscheidungen. Beispielsweise werden Personen mit einem nach innen gerichteten Namen als freundlicher und netter eingeschätzt (Garrido et al., 2019), oder eBay HändlerInnen mit einem nach innen gerichteten Benutzernamen für vertrauenswürdiger gehalten (Silva & Topolinski, 2018). Auch Speisen mit nach innen-gerichteten Namen als Labels erscheinen uns appetitlicher (Topolinski & Boecker, 2016b). Der Effekt scheint somit eine Vielzahl an alltäglichen Urteilen und Entscheidungen zu beeinflussen. Dabei sind sich Menschen nicht bewusst, welchen Einfluss Aussprechmuster auf ihre Urteile haben (z. B. Ingendahl, Vogel & Wänke, 2022). Wir wissen also nicht, warum wir BODIKA_1996 vertrauenswürdiger finden als KODIBA_1996 – es scheint mehr ein Gefühl zu sein, dass BODIKA_1996 nett und hilfsbereit ist (Garrido et al., 2019).
Eine Einschränkung scheint aber zu sein, dass der Effekt deutlich schwächer wird, sobald relevantere Informationen für ein Urteil zur Verfügung stehen. Wenn beispielsweise eBay VerkäuferIn BODIKA_1996 nur eine Empfehlungsquote von 20 % und KODIBA_1996 eine von 95 %, dann wird der Effekt der Aussprechmuster gering sein oder sogar verschwinden (Silva & Topolinski, 2018). Auch zeigen aktuelle Arbeiten, dass der Effekt bei Wörtern mit Bedeutung verschwindet (Engelen, 2022). Somit ist fraglich, ob Sie Ihre Nachbarin MONIKA nur wegen ihres Aussprechmusters (Lippe -> Zunge -> Rachen) sympathisch finden, oder Ihren Arbeitskollegen ROLF nur wegen seines Aussprechmusters (Rachen -> Zunge -> Lippe) nicht leiden können.
Warum ist "rein" besser als "raus"?
Dadurch dass sich der Effekt über verschiedene Sprachen, Versuchsmaterialien, und Urteile zeigt, ist in den letzten Jahren das Interesse am artikulatorischen In-Out Effekt gestiegen. Allerdings ist sich die Forschung bis heute nicht einig, wie der Effekt eigentlich zustande kommt (Ingendahl, Vogel & Topolinski, 2022).
Die ursprüngliche Theorie zur Entstehung des artikulatorischen In-Out Effekts ist, dass nach innen gerichtete Aussprechmuster den Bewegungen beim Essen und Schlucken ähneln (Topolinski et al., 2014). Weil Nahrungsaufnahme meist mit positiven Konsequenzen einhergeht (z. B. wir fühlen uns satt), sollen nach innen gerichtete Aussprechmuster sich ebenfalls positiv anfühlen. Wenn nach innen gerichtete Aussprechmuster Nahrungsaufnahme ähneln sollen, dann ähneln logischerweise nach außen gerichtete Aussprechmuster…richtig – Übergeben und Spucken, welches sich in der Regel negativ anfühlt. Dieser Erklärungsansatz wird dadurch unterstützt, dass der Effekt scheinbar stärker ist für die Bewertung von Produkten, die nach innen gerichtet konsumiert werden (z. B. Limonade) als für Produkte, die nach außen gerichtet konsumiert werden (z. B. Kaugummi; Topolinski et al., 2017). Allerdings wird der Effekt nicht dadurch beeinflusst, ob eine Person gerade hungrig ist oder Ekel empfindet (Maschmann et al., 2020).
Eine andere Erklärung ist, dass nach innen gerichtete Aussprechmuster leichter auszusprechen sind (Bakhtiari et al., 2016). Menschen mögen es generell, wenn sie Dinge leicht verarbeiten können (Reber et al., 2004). Bei Sprache ist leichte Verarbeitung unter anderem dadurch zu erreichen, dass ein Wort leicht auszusprechen ist. Genau das gleiche Prinzip könnte somit auch beim artikulatorischen In-Out Effekt gelten – „rein“ ist leichter als „raus“. Diese Theorie wird dadurch unterstützt, dass nach innen gerichtete Wörter tatsächlich als leichter aussprechbar empfunden werden (Bakhtiari et al., 2016). Allerdings stimmen insgesamt Aussprechbarkeit und Wortbewertungen nicht überein. So finden Menschen, dass BODIPA (ohne konsistentes Aussprechmuster) genauso leicht aussprechbar ist wie das nach innen gerichtete BODIKA. Aber bei der Bewertung der beiden Wörter zeigt sich, dass Menschen BODIKA mehr mögen als BODIPA (Ingendahl, Vogel & Wänke, 2022). Das muss bedeuten, dass die Leichtigkeit der Aussprache nicht alleine für den In-Out Effekt verantwortlich sein kann.
Eine letzte Theorie ist, dass der Effekt überhaupt nichts mit Aussprechmustern zu tun hat, sondern nur mit einzelnen Konsonanten (Maschmann et al., 2020). Menschen mögen vorne ausgesprochene Konsonanten wie „B“ oder „P“ mehr als „K“ oder „G“, und das soll einfach einen stärkeren Einfluss auf die Bewertung von Wörtern haben, wenn diese Konsonanten am Anfang der Wörter stehen. Zum Beispiel würde diese Theorie vorhersagen, dass BODIKA gegenüber KODIBA bevorzugt wird, weil BODIKA mit einem „B“ und KODIBA mit einem „K“ beginnt und die späteren Konsonanten „K“ und „B“ einfach weniger Einfluss auf die Wortbewertung haben. Zwar zeigt sich bei Wortfragmenten wie B _ _ _ K _ und K _ _ _ B _ tatsächlich, dass mit zunehmender Anzahl an Front-Konsonanten wie „B“ und „P“ die Bewertung positiver wird. Zum Beispiel mögen Menschen B_ _ _ P _ noch mehr als B _ _ _ K _ (Maschmann et al., 2020). Allerdings ist das nicht mehr der Fall, sobald aussprechbare Wörter bewertet werden: BODIKA wird beispielsweise besser bewertet als BODIPA, obwohl BODIPA mit „B“ und „P“ sogar zwei vordere Konsonanten hat (Ingendahl & Vogel, 2022). Das bedeutet, dass die reine Präferenz für bestimmte Konsonanten den Effekt nicht erklären kann.
Fazit und Ausblick
Insgesamt scheint der Artikulatorische In-Out Effekt ein sprachenübergreifendes Phänomen zu sein, das sich auf verschiedene Urteile und Entscheidungen im Alltag auswirken kann. Allerdings können die bisherigen Theorien das Phänomen nicht gut erklären. Wie soll es nun weitergehen? Zukünftige Forschung könnte daran ansetzen, den Effekt systematisch in verschiedenen Sprachfamilien zu untersuchen. Wenn beispielsweise der Effekt nicht in arabischen Sprachen auftritt, dann könnte zukünftige Forschung die Unterschiede zwischen arabischen und nicht-arabischen Sprachen herausarbeiten und so mögliche Erklärungsansätze finden. Zusätzlich bräuchte es systematische Analysen von verschiedenen Sprachen, bei denen genau untersucht wird, wie oft in einer Sprache nach innen oder außen gerichtete Konsonantenfolgen vorkommen, oder ob diese in bestimmten Wörtern eher vorkommen. Zum Beispiel könnte es sein, dass nach innen gerichtete Aussprechmuster vor allem in positiven Wörtern vorkommen und wir daher diese Muster auch in fiktiven Wörtern mehr mögen. Auch Studien mit Kindern in verschiedenen Phasen des Spracherwerbs könnten dabei helfen, die genauen Prozesse hinter dem Artikulatorischen In-Out Effekt zu identifizieren.
Bis das getan ist, lässt sich jedoch in jedem Fall festhalten, dass Aussprechmuster verschiedene Urteile und Entscheidungen beeinflussen, und daher z. B. bei der Suche eines neuen Markennamens oder beim Erstellen eines eBay Profils berücksichtigt werden sollten. Wenn Sie also demnächst eine Mikrowelle verkaufen wollen, dann nehmen Sie sich bei der Wahl des Benutzernamens ein Beispiel an BODIKA_1996 und achten darauf, dass die Konsonanten von außen nach innen angeordnet sind.
Literaturverzeichnis
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Bildquellen
Bild 1: Figure 1 in Ingendahl, Vogel, & Topolinski (2022) https://doi.org/10.1016/j.tics.2021.10.008 (Erlaubnis des Publishers für Einsatz auf Webpage liegt vor).
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