Erbschaften – Grund zur Freude oder eher ein Kreuz für Familien?

1.    Das liebe Geld – Böse Folgen für die Familie?

Geld und Familie – scheinbar ein Widerspruch angesichts der besonderen emotionalen Nähe und Solidarität, die Familien kennzeichnen, dennoch: Geld spielt in Familien eine überaus wichtige Rolle, spiegeln doch finanzielle Zuwendungen immer auch Sympathien bzw. Antipathien unter den Familienmitgliedern wider. Dies gilt in besonderem Maße für das brisante Thema des Erbens, das auch ein gesellschaftliches Tabu ist, hat es doch den faden Beigeschmack der Erbschleicherei und Leichenfledderei. In vielen Familien kommt es zu massiven Erbschaftskonflikten und Zerwürfnissen, die ganze Familien spalten und sich oft bis weit in die nachfolgenden Generationen hinein ziehen. Die Frage ist: Wie kommt es zu solchen Eskalationen und wie sind sie zu verhindern oder zumindest abzumildern?

Ein FriedhofBild von Christiane WempeDas Thema Erben und Vererben ist ein besonders heißes Eisen in der Psychologie des Geldes, das uns in die Abgründe von Familiengeschichten schauen lässt. Nicht selten werden selbst bisher (scheinbar) harmonische Familienbeziehungen auf eine harte Probe gestellt oder finden an diesem Punkt ein unschönes Ende. Erzählungen rund ums Erben berühren uns alle (spätestens, wenn es ansteht), kennt doch jede/-r solche unangenehmen Geschichten aus ihrer oder seiner Familie oder dem Bekanntenkreis. Hier ein Beispiel dazu, das uns noch weiter beschäftigen soll:

Fallbeispiel: In der Familie M. ist zunächst der Vater verstoben, die Mutter erbt das Haus und einen größeren Geldbetrag sowie einige Aktien. Die beiden Kinder verzichten, da die Mutter im Haus bleiben will und mit ihrer kleinen Rente ihnen ihren Anteil vom Haus nicht auszahlen kann. Jahre später wird die Mutter pflegebedürftig, die Tochter zieht ins Elternhaus zurück und kümmert sich um diese, während der Sohn – beruflich stark eingebunden – nur selten nach der Mutter schaut. Als dann die Mutter verstirbt, stellt sich heraus, dass sie das Haus bereits der Tochter überschrieben hat, als Ausgleich für ihre Hilfe und weil diese als Alleinerziehende wenig verdient. Der Sohn, der erst zu diesem Zeitpunkt davon erfährt, ist höchst erbost und droht seiner Schwester mit rechtlichen Schritten. Das für ihn zum Ausgleich vorgesehene Geld ist zum Teil für die Pflege aufgebraucht.

So oder ähnlich sind die typischen Konflikte, um die Erbschaftsfälle in Familien kreisen (Plogstedt, 2011). Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Thema in der psychologischen Fachliteratur bisher wenig beachtet wurde (Schönberger, 2008). Die große Nachfrage nach Erbschaftsratgebern (z. B. Jonas & Jonas, 2013) und professioneller Hilfe in Form von Erbschaftsmediation zeugen von dem immensen Bedarf der Betroffenen, mit den damit einhergehenden Konflikten umzugehen.

Warum spielt Geld – und Erben insbesondere – in Familien eine so große Rolle? Geld dient nicht nur der ökonomischen Absicherung der Familienmitglieder, sondern Geldgaben haben darüber hinaus eine symbolische Bedeutung, weil diese sowohl Wertschätzung als auch Ablehnung zum Ausdruck bringen. Geld verleiht also Macht: Eltern können damit bestrafen und belohnen, wie auch Druck und Kontrolle auf ihre Kinder ausüben, indem sie Geldzuwendungen an bestimmte Bedingungen (z. B. Aufgaben erfüllen) knüpfen. Ungleiches Verteilen kann Zwietracht unter den Kindern säen, denn Kinder, egal welchen Alters, reagieren sensibel auf jede Art von elterlicher Benachteiligung bzw. Bevorzugung. Daher beeinflusst die Art und Weise, wie Eltern ihr Erbe aufteilen, nicht nur die Eltern-Kind- Beziehung, sondern immer auch die Geschwisterbeziehungen. Wenn ein Kind weniger erbt als das andere oder sogar leer ausgeht, löst dies heftigste Gefühle der Zurücksetzung und Kränkung aus.

Die Situation ist auch gesellschaftspolitisch in höchstem Maße aktuell, denn es geht um viel Geld: In den nächsten Jahren rollt die größte Erbschaftswelle in der Geschichte Deutschlands auf uns zu, etwa 2,6 Billionen Euro bis zum Jahr 2020 (laut Postbankstudie, 2013). Die jetzt alternde Generation hat in den Jahren des Wirtschaftswunders nach dem zweiten Weltkrieg ein beträchtliches Vermögen (Geldvermögen sowie Sachwerte) angespart, das nun an ihre Nachkommen geht.

2. Der letzte Wille: Wie es allen recht machen?

Ein Dokument "Mein letzter Wille"Bild von Christiane WempeEltern unterstützen von Geburt an ihre Kinder auf vielfältige Weise, wobei die finanzielle Absicherung, allen voran das Ermöglichen einer Ausbildung, im Mittelpunkt steht (z. B. Lauterbach & Lüscher, 2003; Leopold, 2009; Szydlik, 2001). Die Unterstützung endet auch nicht, wenn die Kinder längst erwachsen sind: Zum Beispiel ermöglichen Eltern ihnen auch dann noch, im Haus mit zu wohnen, machen Geld- oder Sachgeschenke, laden zu Urlauben ein oder unterstützen beim Hausbau. Solche Schenkungen zu Lebzeiten stellen eine Art vorzeitiges Erbe dar und erfolgen ganz nach Belieben der Eltern. Das Vererben am Ende des Lebens bildet den Abschluss der elterlichen Versorgungsleistungen und überdauert ihren Tod. Vererben ist kein punktuelles Ereignis, sondern ein Prozess, der sich vom Tod des ersten bis zum Tod des zweiten Elternteils hinzieht. In dieser Zeit kann sich viel ändern, beispielsweise werden Testamente nicht selten kurz vor dem Ableben noch einmal geändert.

Hinter dem Vererben verbirgt sich ein psychologischer Mechanismus, der als „Generativität“ (Erikson, 1988; siehe auch Ernst, 2008) bezeichnet wird. Dies bedeutet, dass Menschen in der Lebensmitte das Bedürfnis entwickeln, die eigenen Werte und Normen an die nachfolgende Generation weiterzugeben sowie Fürsorge und Verantwortung für diese zu übernehmen. Ausgelöst werde die Generativität durch das Bewusstwerden der eigenen Endlichkeit, denn in dieser Lebensphase sterben die eigenen Eltern oder gleichaltrige Menschen im näheren Umfeld. Die Angst vor dem eigenen Tod ist wohl die größte menschliche Angst überhaupt. Diese Bedrohung löst das Bestreben aus, etwas von sich auf dieser Welt zu hinterlassen und sich auf irgendeine Weise unsterblich zu machen. Das Weitergeben gilt vorrangig den eigenen Kindern und Kindeskindern, kann sich aber auch an Personen der nachfolgenden Generation allgemein richten (z. B. durch die Übernahme einer Funktion als Mentorin oder Mentor im Beruf, das Gründen von Stiftungen). Generative Akte werden als befriedigend, erfüllend und sinnstiftend erlebt. Wer etwas für die Nachwelt tut, hat ein höheres Wohlbefinden und Selbstvertrauen im Alter. Die Weitergabe des Familieneigentums an die Nachkommen verbindet die Generationen.

Auch die Erbschaftsforschung hebt die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit als wichtigen Mechanismus hervor, der die Art der Verteilung von Erbgütern beeinflusst. In Anlehnung an die „terror management theory“ (Rosenblatt, Greenberg, Solomon, Pyszczynski & Lyon, 1989) wird angenommen, dass Menschen im Angesicht des Todes („Mortalitätssalienz“) ihren Glauben an eine gerechte Welt („jeder erhält, was er verdient“) intensivieren als eine Art Schutzmechanismus vor dieser Angst. In der Folge neigen Menschen in dieser Situation dazu, ihre Werte und ihr Weltbild zu betonen. Dies wurde in zahlreichen Experimenten nachgewiesen (z. B. Bossong & Nussbeck, 2004). Daher bevorzugen Erblasser/-innen jene Erben, die ähnliche Anschauungen wie sie vertreten und benachteiligen jene, die davon abweichen. So wird zum Beispiel der Sohn als Haupterbe eingesetzt, von dem sich die Eltern versprechen, dass er die Firma in ihrem Sinne weiterführt, während der andere Sohn das Nachsehen hat, der einen Beruf ergriffen hat, den die Eltern nicht gutheißen.

Vielen Eltern ist daran gelegen, dass ihren Kindern etwas bleibt, um sie abzusichern. Andere dagegen sparen ihr Geld, um für das höhere Alter vorzusorgen („sensible Eichhörnchen“) oder lassen es sich im Alter so richtig gut gehen und verprassen ihr Geld für Reisen oder Konsumgüter („eigennützige Selbstbediener“), wie eine aktuelle australische Studie zeigt (Lawrence & Goodnow, 2011).

Die Motive der Erblasser/-innen sind äußerst unterschiedlich und vielschichtig, und ihnen auch nicht immer bewusst (Jonas & Jonas, 2013). Das Erbe wird unter den Empfängern/-innen nach verschiedenen Kriterien aufgeteilt, wobei aus evolutionstheoretischer Sicht zwei Hauptprinzipien zum Tragen kommen: Gleichbehandlung von Verwandten vs. Gleichheitsabstimmung nach Gegenseitigkeit (Euler, 2007):

  • Beim Prinzip der Gleichbehandlung von Verwandten (formale Gerechtigkeit), wird das Erbe gemeinschaftlich geteilt, in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad. Eltern stellen ihre Kinder gleich, unabhängig davon, was diese für die Eltern getan haben. Dieses Vorgehen entspricht der gesetzlichen Erbfolge im deutschen Rechtssystem. Es gilt als einfachste Lösung und soll der Konfliktvermeidung dienen.
  • Demgegenüber sieht das Prinzip der Gleichheitsabstimmung nach Gegenseitigkeit eine Aufteilung nach den persönlichen Verdiensten der Erben vor, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad vor, das heißt welche Gegenleistungen (z. B. Pflege) erbracht wurden. Dabei kann es passieren, dass Kinder, die sich nicht groß für ihre Eltern engagiert haben, weitgehend enterbt werden. Da Verdienste sehr subjektiv bewertet und häufig kontrovers gesehen werden, schürt diese Aufteilung häufig Streitigkeiten unter den Kindern. Die in Familien übliche besondere emotionale Solidarität ist mit einem finanziellen Aufrechnen grundsätzlich schwer zu vereinbaren.
  • Ein drittes Kriterium ist die Bedürftigkeit einzelner Kinder, das heißt Eltern neigen dazu, besonders bedürftige Kinder (infolge von Scheidung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit) großzügiger zu bedenken als finanziell besser gestellte Kinder. Dahinter verbirgt sich die durchaus positive Absicht diese abzusichern und einen finanziellen Ausgleich unter den Kindern schaffen zu wollen. Auf Seiten der Kinder führt dieses Prinzip jedoch zu Eifersuchtsgefühlen und Neid. Erschwerend kommt hinzu, dass die bereits verstorbenen Eltern sich nicht mehr rechtfertigen können.

Wie schwer es in der Realität ist, diese Prinzipien im konkreten Erbschaftsfall anzuwenden, soll an unserem Fallbeispiel erläutert werden.

Fallbeispiel: Die Eltern in der Familie M. waren stets darauf bedacht, ihre Kinder gleich zu behandeln, konnten dies aber nicht immer konsequent einhalten. Die Tochter habe es schon als Kind schwerer gehabt, weil sie lange krank gewesen war. Auch schulisch und beruflich sei sie nicht weit gekommen, erschwert durch eine frühe Schwangerschaft, der Vater des Kindes habe sie nach der Geburt verlassen. Daher haben die Eltern ihr schon früher oft unter die Arme gegriffen, was bei dem erfolgreichen Sohn nicht nötig war. Die Mutter hat es gut gemeint und wollte ihrer Tochter und der Enkelin das Leben erleichtern. Aus Angst vor dem Konflikt hat sie sich nicht getraut, ihrem Sohn von der Hausübertragung zu erzählen. Außerdem ist sie enttäuscht, dass er sie so selten besucht habe.

In diesem Fall kommen also die letzten beiden Prinzipien zum Tragen, der Verdienst und die Bedürftigkeit der Tochter, die dem ersten Prinzip der formalen Gerechtigkeit widersprechen. Legen also die Kriterien unterschiedliche Aufteilungen des Erbes nahe, sind Konflikte quasi unvermeidbar (Bossong & Nussbeck, 2004). Die Mutter in Familie M. steckt in dem Dilemma, es beiden Kindern recht machen zu wollen – nach dem Prinzip der Gleichbehandlung –, aber gleichzeitig die Hilfeleistungen der Tochter durch einen entsprechenden Ausgleich zu würdigen, noch verstärkt durch deren schwierigen Lage. Dabei können sich Schwierigkeiten auch durch die Art des Erbes ergeben: Manche Erbstücke (z. B. Elternhaus) sind nicht teilbar und müssen in einer anderen „Währung“ (z. B. Geld) aufgewogen werden. Der Sohn in Familie M. soll als Ausgleich das Geldvermögen erben, das aber einen geringeren Wert hat und in Aktien festgelegt ist. Bei den Erbstücken muss es sich nicht unbedingt um wertvolle Dinge handeln, sondern es können auch einfache Gebrauchsgegenstände sein, die eine Familiengeschichte haben und eng mit Erinnerungen an die Verstorbenen verbunden sind, wie zum Beispiel eine Lieblingstasse oder ein Kleidungsstück.

3. Schweres Erbe – Kampfansage unter den Kindern

Streit um Inhalt einer SchmuckschatulleBild von Christiane WempeKaum ein Geldaustausch ist aus der Perspektive der Kinder emotional so aufgeladen wie das elterliche Erbe, das meist mit gemischten Gefühlen erlebt wird. Einerseits sind Erbschaften sehr willkommen, weil sie den Lebensstandard der Erben erhöhen, eine bessere Alterssicherung oder das Erfüllen bestimmter Wünsche (Hausbau, größere Anschaffungen) ermöglichen. Die Kinder sind ihren Eltern über deren Tod hinaus dankbar und behalten sie in guter Erinnerung. Aber auch Schuldgefühle können sich einstellen, wenn Kinder ihre hilfsbedürftigen Eltern im Alter vernachlässigt haben. Umgekehrt können Kinder das Erbe als Wiedergutmachung für erlebte Kränkungen durch die Eltern wahrnehmen. Das Antreten des Erbes kann Kinder auch verpflichten, bestimmte Traditionen fortzuführen, zum Beispiel in ein Familienunternehmen einzusteigen, und so tief in ihr Leben eingreifen.

Andererseits ist das Erbe mit dem Ableben eines Elternteils verbunden und bedeutet daher in der Regel einen großen Verlust, der zu betrauern ist. Trauer ist eine intensive Emotion, die Menschen in einen Ausnahmezustand versetzen kann. Allerdings hängt die Trauerreaktion von vielen Faktoren ab, wie etwa der Beziehung zum verstorbenen Elternteil oder den Umständen seines Ablebens. Die gemeinsame Trauer lässt Geschwister oft zumindest vorübergehend (wieder) näher zusammenrücken. Kinder verbünden sich auch dann schnell, wenn entfernte Verwandte oder Außenstehende, zum Beispiel neue/- Partner/-innen des Elternteils oder deren Kinder beerbt werden, denen gern Erbschleicherei unterstellt wird. Der Kontakt der Kinder kann sich aber auch lockern, vor allem nachdem die Mütter als Verbindungsglieder und Vermittlerinnen in Familien („kin-keeper“) wegfallen. Mit dem Tod des letzten Elternteils rücken die Kinder nun selbst in die Position der Familienältesten, was ihnen nun ihrerseits die eigene Endlichkeit ins Bewusstsein rücken lässt.

Die Gefahr der Entfremdung ist auch dann erhöht, wenn sich um das Erbe gestritten wird (Plogstedt, 2011), was laut Postbankstudie (2013) bei jeder sechsten Erbschaft in Deutschland der Fall ist, meist unter Geschwistern. Die aufbrechenden Gefühle von Neid, Wut und Kränkung sind neben der Trauer um den verstorbenen Elternteil zu bewältigen und können Einfluss auf den Trauerprozess nehmen (Stroebe & Shut, 2005, zitiert nach Jonas & Jonas, 2013). Besonders schwierig beim Vererben ist, dass eine Bevorzugung des einen Kindes automatisch zu einer Benachteiligung des anderen Kindes als Erben führt. Auseinandersetzungen zwischen den Geschwistern sind mehr oder weniger vorprogrammiert, wie unser Fallbeispiel zeigt:

Fallbeispiel: Auch in der Familie M. eskaliert die Situation zwischen den Kindern nach Eröffnung des mütterlichen Testaments. Als der Sohn erfährt, dass seine Schwester das Haus bereits erhalten hat, fühlt er sich sehr übergangen und ist wütend auf Mutter und Schwester. Besonders ärgert ihn, dass dies alles hinter seinem Rücken lief und er nicht in diese Pläne eingeweiht wurde. Die Schwester habe schon immer mehr Zuwendungen von den Eltern erhalten, während er sein Studium überwiegend selbst finanzieren musste. Das habe ihn schon früher gestört, er habe sich aber nie beklagt. Die Schwester dagegen fühlt sich im Recht, habe sie doch viel Zeit und Energie in die Pflege der Mutter gesteckt und ihre Bedürfnisse zurückgestellt, während er seine Karriere davon unbehelligt vorantreiben konnte. Daher verfüge er jetzt über ein hohes Einkommen und sei auf das Erbe gar nicht angewiesen, während sie kaum über die Runden komme. Außerdem müsse sie an ihre Tochter denken, die der Mutter als einzige Enkelin sehr am Herzen gelegen war.

Der psychologische Mechanismus hinter den Erbschaftskonflikten ist die (wieder) auflodernde Rivalität unter den Geschwistern, die zu Misstrauen und Missgunst, gegenseitigen Beschuldigungen und Unterstellungen führt. Das Gefühl der Benachteiligung gilt als eine Hauptursache von Geschwisterstreitigkeiten. Der Sohn in Familie M. empfindet die Erbaufteilung als ungerecht und nimmt seiner Mutter die Entscheidung übel. Ihre Argumente sind für ihn nicht nachvollziehbar, er sieht die Situation ganz anders. Die Hilfeleistungen seiner Schwester hält er für selbstverständlich, da sie umgekehrt ja auch lange unterstützt worden sei. Auch den Hinweis auf ihre besondere Bedürftigkeit will er nicht gelten lassen, sie sei doch inzwischen erwachsen und für sich selbst verantwortlich. Die Schwester wiederum fühlt sich insgesamt benachteiligt, weil sie schon früh durch ihre Erkrankung eingeschränkt war und es durch ihr Kind heute schwer habe. Die Großmutter habe schließlich auch an die Enkelin gedacht.
Die Konkurrenz um das elterliche Erbe lässt also alte Rivalitäten wieder aufbrechen, die nochmal eine neue Dynamik entfalten können. Ungleiche Aufteilungen des Erbens unter den Kindern sind oft Fortsetzung bzw. Endpunkt elterlicher Ungleichbehandlung aus früheren Jahren. Von ihrem Erziehungsanspruch her sind Eltern allgemein bemüht, ihre Kinder gleich zu behandeln, was aber nicht immer möglich ist. Unterschiede sind allein schon aufgrund des Altersabstands der Kinder erforderlich: Ältere Kinder haben bestimmte Privilegien, sie dürfen zum Beispiel länger aufbleiben oder allein draußen spielen, was den jüngeren immer ein Dorn in Auge ist. Solche Unterschiede im elterlichen Verhalten sind in der Regel von klein auf zu beobachten und werden von den Kindern genauestens registriert. Entscheidend ist dabei, wie die Kinder das subjektiv sehen, nicht wie Eltern sich tatsächlich verhalten. Noch im mittleren Alter benennen Menschen rückwirkend Benachteiligungen, die sie als Kinder und Jugendliche von ihren Eltern bezüglich Zuneigung, Disziplin und Privilegien erfahren haben (Boll, Ferring & Filipp, 2001). Auch bei den Ressourcen verhält es sich ähnlich: Den Anspruch auf möglichst gerechte Verteilung auf die Kinder können Eltern nicht immer einlösen, denn je nach ihrer Stellung in der Geschwisterreihe erhalten Kinder mehr oder weniger davon (Hertwig, Davis & Sulloway, 2002). Erst- und Letztgeborene genießen die ungeteilte Zuwendung ihrer Eltern jeweils eine Zeitlang allein, mittlere Kinder dagegen müssen diese von Anfang an teilen und haben die Eltern nie für sich allein.

Fazit

Die Forschung zeigt uns insgesamt: Konflikte um das Erbe können langwierige zähe Auseinandersetzungen bis vor Gericht oder sogar Kontaktabbrüche nach sich ziehen, auch wenn die Eltern nur das Beste für ihre Kinder wollten. Was helfen uns nun all die hier beschriebenen Erkenntnisse, Konflikte im Erbfall zu vermeiden oder wenigstens abzumildern? Ein wichtiger Punkt ist die Offenheit in Erbangelegenheiten allen beteiligten Kindern gegenüber, weil dies Vertrauen und Verständnis fördert und so entscheidend dazu beiträgt, zufriedenstellende Lösungen zu erreichen (Jonas & Jonas, 2013). Die Akzeptanz von ungleichen Aufteilungen erhöht sich, wenn Eltern ihren Kindern erklären, warum sie ein Kind mit einem höheren Anteil bedenken, zum Beispiel weil es ihnen viel geholfen hat oder sich in einer misslichen Lage befindet. Wie wichtig es ist, dass Eltern ihre Ungleichbehandlung begründen, wurde auch bei jüngeren Geschwistern nachgewiesen (Kowal & Kramer, 1997). In ihrem sehr informativen und hilfreichen Ratgeber geben Jonas und Jonas (2013) Impulse, nach welcher Methode (in Anlehnung an Montada, 2007) Erblasser/-innen für die Erbmasse Bereiche festlegen können, die sie dann nach unterschiedlichen Kriterien unter den potenziellen Erben/-innen aufteilen können. Wenn Familien die Konflikte allein nicht lösen können, kann eine Mediatorin oder ein Mediator in Anspruch genommen werden. Diese helfen, die Absichten der Erblasser/-innen nachzuvollziehen, um so Verständnis bei den Erben/-innen für deren Entscheidung zu wecken. Dabei sind sachliche Argumente von der Beziehungsebene, vor allem von alten Konflikten, zu trennen. In Zukunft stellen sich neuartige Herausforderungen, wenn in den neuen Familienformen Kinder aus verschiedenen Ehen beider Partner/-innen gemeinsam erben.

Literatur

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Szydlik, M. (2001). Wer hat, dem wird gegeben: Befunde zu Erbschaften und Schenkungen in Deutschland. Informationsdienst Soziale Indikatoren, 25, 5-8.

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