„Heute schon gerächt?“ Ursachen und Folgen von Rache

Rache ist süß und macht nicht dick!“ Weit verbreitet scheint die Vorstellung zu sein, dass eine Rachehandlung ausschließlich positive Konsequenzen für sich rächende Personen hat, da sie ja süß ist und damit gut tut. Inwieweit stimmt diese Annahme mit wissenschaftlichen Befunden überein? Dieser Artikel soll einen Überblick über Ursachen und Auswirkungen von Rache liefern und darüber hinaus Alternativen zu Rachehandlungen aufzeigen. Wir gehen hier auch der Frage nach: „Wie lassen sich Kaskaden aus aufeinander aufbauenden Rachehandlungen eventuell vermeiden?"

„Hier! Siehst du, Larry? Siehst du, was passiert? Siehst du, was passiert, Larry?” Im Folgenden drischt Walter Sobchak mit einem Stemmeisen auf den Sportwagen ein, von dem er felsenfest überzeugt ist, er müsse besagtem Larry gehören. Wenig später stürzt ein Nachbar Larrys, der tatsächliche Besitzer des Sportwagens, aus seinem Haus auf Walter zu, schnappt sich das Stemmeisen und beginnt, damit das Auto des Dude zu bearbeiten, da der Nachbar seinerseits davon ausgeht, dass dieses Auto Walter gehört. Die soeben beschriebene Szene aus dem Film The Big Lebowski verdeutlicht, wie sich eine Spirale aus Rachehandlungen ergeben kann und illustriert, was Martin Luther King Jr. meinte, als er sagte: „The old law of an eye for an eye leaves everybody blind.“ Wir wollen uns zunächst mit (1) einer Definition zum Phänomen Rache, (2) den Anlässen und (3) Zielen von Rache, sowie mit (4) Befunden zu möglichen Folgen von Rachehandlungen befassen, um schließlich (5) Alternativen zur Racheausführung aufzuzeigen.

1. Zur Definition von Rache

Formal wird Rache häufig als eine Handlung im Sinne einer Antwort definiert, die zur Herstellung eines Ausgleichs zuvor erlittenen Unrechts ausgeübt wird (z. B. Stuckless & Goranson, 1992). Dabei geht es nicht im objektiven Sinne um Unrecht, maßgeblich ist hier die subjektive Wahrnehmung der (vermeintlich) geschädigten Person. Das heißt, dass die Ursache einer Rachehandlung für Außenstehende nicht unbedingt ersichtlich sein muss. Dies gilt ebenso für die wahrgenommene Angemessenheit des Racheakts, der unter Umständen lediglich von der sich rächenden Person als angemessen betrachtet wird.

2. Anlässe für Rachehandlungen

Vor den eigentlichen Rachehandlungen gibt es einen Anlass (oder Anlässe), der zu Rachegelüsten führt. Ebenfalls zeitlich vor der Handlung entwickeln sich Ziele, welche die sich rächende Person mit der Ausführung einer Rachehandlung verfolgt (siehe auch Maes, 1994).
Folgende Anlässe führen häufig zu Rachegelüsten und/oder Rachehandlungen: Wenn ein Mensch Unrecht, das gegen ihn selber geschieht, wahrnimmt, möchte er sich häufig rächen. Das Unrecht kann beispielsweise durch eine physische oder psychische Gewalttat oder auch durch sexuellen Betrug und sonstigen Vertrauensmissbrauch entstehen. Auch wenn solche Handlungen oder Situationen durch Unachtsamkeit, also fahrlässig, herbeigeführt werden, resultieren aus dieser Erfahrung bzw. Wahrnehmung häufig Rachegelüste. Ein initial verursachtes Unrecht löst bei der Person, die es erleidet, Emotionen aus. Solche Emotionen können zum Beispiel Wut, Zorn oder auch Eifersucht sein und zu dem Ziel führen, dem Verursacher des Unrechts Schaden zuzufügen. Auslöser für Rachegefühle sind also vielfältiger Natur. Den unterschiedlichen Auslösern bzw. Anlässen ist allerdings gemein, dass eine Person der Überzeugung ist, ihr sei Unrecht zugefügt worden.

3. Ziele von Rachehandlungen

cheating-husband6 von denharsh via flick (https://www.flickr.com/photos/denharsh/3914321829/in/photolist-6XTVvp-6XTVoX-6XXWJw-6XXWMm-6XXWLw-6XXWKS), cc (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)Folgende Ziele ergeben sich häufig im Zusammenhang mit der subjektiven Wahrnehmung erlittenen Unrechts: Rachegefühle streben oft die (Wieder-) Herstellung von Gerechtigkeit an. Durch Rache soll also ein Ausgleich geschaffen werden. In der Redewendung „etwas jemandem richtig heimzahlen“ steckt beispielsweise dieses Motiv des Ausgleichs. Das Wiederherstellen von Ansehen, Wertschätzung, Ehre oder gesellschaftlichem Status kann ebenfalls ein Motiv sein, das hinter einer Racheabsicht bzw. späteren tatsächlichen Rachehandlung steckt. Nicht nur Gerechtigkeit durch eine Schädigung des Schädigers soll erlangt werden, oft geht es auch um Ziele wie die Wiedererlangung von Selbstwert, Sicherheit und Ehre. Relativ neue Forschung zu Zielen von Rache deutet darauf hin, dass eine Rachehandlung eine Botschaft an den Schädiger sein kann, die diesen zu einer Art Einsicht oder sogar zu Reue oder einem Schuldeingeständnis führen soll. Darüber hinaus soll diese Botschaft nicht selten einen Schutz vor künftigem Schaden am Opfer der Handlung, in dem Rachegefühle ausgelöst wurden, wie auch an anderen Personen bewirken (Gollwitzer, Meder & Schmitt, 2011).

4. Folgen von Rachehandlungen: Rache ist nicht immer süß.

Cheating-husband2 von denharsh via flickr (https://www.flickr.com/photos/denharsh/3915106402/in/photolist-6XTVvp-6XTVoX-6XXWJw-6XXWMm-6XXWLw-6XXWKS), cc (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Im Volksmund heißt es, Rache sei süß. Im englischen Sprachraum spricht man vom süßen Geschmack der Rache („the sweet taste of revenge“), hier wird die gustatorische Modalität also noch viel stärker betont. Auch im Französischen schmeckt Rache süß, sogar süßer als Honig: „La vengeance est plus douce que le miel.“ Mit der sprachlichen Verbindung zu etwas Süßem ist assoziiert, dass der ausführenden Person die Rache gut tut. Wie aber sieht es in der Realität aus? Worauf deuten Forschungsergebnisse hin? Eventuell ist Rache nicht immer süß, vielleicht tut Rache nicht immer gut.

Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass Personen nach der Ausführung einer Rachehandlung einen weniger leichten Zugang zu aggressiven Gedanken haben, wenn die initialen Schädiger wissen, warum an ihnen nun Rache verübt wird (z.B. Gollwitzer & Denzler, 2009). In der wissenschaftlichen Psychologie spricht man auch von einer geringeren kognitiven Verfügbarkeit aggressiver Gedanken, was ebenso bedeutet, dass einer Person aggressive Gedanken weniger schnell in den Sinn kommen. Wichtig ist hierbei, dass das Ausmaß der Verfügbarkeit gewisser Gedanken einen Hinweis auf die Wahrscheinlichkeit des Zeigens entsprechender Verhaltensweisen liefert. Entscheidend scheint bei den eben angesprochenen Befunden die Zielgerichtetheit der Rachehandlung gegen den Schädiger zu sein, welche dazu führte, dass sich Rächende im Anschluss an die Handlung aggressive Gedanken weniger verfügbar hatten (siehe auch Denzler, Markel, & Förster, 2011). Es gibt auch Hinweise darauf, dass eine gewisse Form der Rache Hirnregionen aktiviert, die mit positiven Gefühlen assoziiert sind. Etwas genauer gefasst konnte aufgezeigt werden, dass effektive Bestrafung eines Aggressors (im Vergleich zu symbolischer Bestrafung) einen Bereich im Gehirn stimuliert (das sog. dorsale Striatum), welches mit Belohnungen nach zielgerichtetem Handeln in Verbindung steht (de Quervain et al. 2004). Dieser Befund zeigt, dass unser Gehirn uns nach einer Rachehandlung mitunter informiert, wir haben etwas getan, das gut für uns ist.

Kann Rache auch negative Folgen haben? Durch Rache entsteht zunächst neues Unrecht, das zudem häufig größer ist als dasjenige, welches den Racheakt ausgelöst hat. Wie sich ganze Rachekaskaden entwickeln, die in immer sinnloseren Morden im Sinne von Blutrache, sogenannten Vendettas, münden, haben unter anderem Christakis und Fowler (2009) beschrieben. Darüber hinaus kann Rache Folgen haben, die den eigenen Interessen widersprechen. Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Ein Kollege schwärzt Sie gegenüber dem gemeinsamen Chef an, weil Sie Post-Its mit nach Hause genommen haben und Sie erhalten eine Verwarnung des Chefs. Wenn Sie nun allerdings dem Kaffee Ihres Kollegen Abführmittel beimengen würden, sodass dieser in den nächsten Tagen krank daheim bleiben müsste, wären Sie möglicherweise gezwungen, seine Arbeiten zu übernehmen. Ihr Racheakt würde also Ihren eigenen Interessen, ruhig und entspannt rechtzeitig Feierabend machen zu können, zuwiderlaufen.

Weitere experimentelle Überprüfungen der Auswirkungen von Rache haben ergeben, dass Versuchspersonen, die sich gerächt hatten, ein geringeres Ausmaß an Zufriedenheit und schlechtere Laune berichteten als solche Personen, die sich nicht gerächt hatten (Carlsmith, Wilson, & Gilbert, 2008). In Ergänzung zu soeben dargestellten Befunden (Gollwitzer & Denzler, 2009), die sich vor allem auf Einflüsse von Rache auf die gedankliche, also die kognitive Ebene bezogen haben, geht es bei den Befunden von Carlsmith und Kollegen (2008) wohl vor allem um die affektive Ebene, also diejenige, die mit Gefühlen in Verbindung steht.

Unterschiede im Verhalten von Männern und Frauen bezüglich Rache.

Häufig implizieren gewisse Darstellungen von Rache, dass sich Frauen öfter und auf andere Art und Weise rächen als Männer. Eine empirische Unterfütterung dieser Annahme ist hingegen unseres Wissens nicht vorhanden. Der Eindruck, dass Frauen häufiger Rache üben als Männer, könnte dadurch bedingt sein, dass Frauen öfter von Situationen berichten, in denen sie Wut und daraus resultierend das Bedürfnis nach Rache empfunden haben. Dies gilt sowohl für Fälle, nach denen sie sich gerächt haben als auch für solche, nach denen sie keine Rache ausgeübt haben. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Männer (im Vergleich zu Frauen) je nach Situation Rache als unterschiedlich angemessen erachten (Gollwitzer, 2005).

Hinsichtlich Aggression bzw. Aggressivität, einem Konstrukt also, das nicht irrelevant für Rache ist, zeigen sich dagegen starke Geschlechterdifferenzen. Bereits Jungen sind aggressiver als Mädchen. Bei Männern ist es tendenziell wahrscheinlicher, dass sie eine wohlwollende Einstellung gegenüber Rache akzeptieren (Cota-McKinley, Woody & Bell, 2001). Allerdings fanden auch Cota-McKinley und Kollegen keine Hinweise dafür, dass das Ausüben von Rache geschlechtsspezifisch sei.

Grafiti von Chris Beckwith (https://www.flickr.com/photos/cliffbeckwith/3563325190/in/photolist-6qSYrd), cc (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

5. Alternativen zur Ausführung von Rache.

Schlussendlich berauben sich die Rächenden durch ihre Tat eines moralischen Vorteils, denn nach einer Rachehandlung wäre prinzipiell aus moralischer Perspektive die andere Person wieder am Zug. Als Alternative zur Ausübung einer Rachehandlung könnte man zwar Rache schwören oder auch planen, würde aber nach Widerstehen eines ersten Impulses zur Ausführung des Aktes stets weiterhin über die Möglichkeit der Racheausübung verfügen.

Wenn man sich geschädigt fühlt, sollte man die durch die Kränkung ausgelösten Emotionen zunächst äußern. Dies kann gegenüber der schädigenden Person geschehen, aber auch gegenüber Freundinnen und Freunden. Wenn man befreundeten Personen die Situation schildert, die einen selber wütend gemacht und den Wunsch nach Rache hat aufkeimen lassen, kann daraus resultieren, dass diese Freunde einem klarmachen, wie sehr man selber vielleicht überreagiert oder die Situation der Kränkung falsch interpretiert hat. Insbesondere in solchen Fällen wäre eine nachfolgende Klärung mit der schädigenden Person selbst oder über eine Mediatorin oder einen Mediator möglich und sinnvoll. Wer die Aussprache mit der schädigenden Person nicht herbeiführen kann oder möchte, könnte die Perspektive wechseln und zunächst überlegen oder aufschreiben, welche Gründe die schädigende Person zu der entsprechenden Tat geführt haben könnten und ob man die Souveränität aufbringen kann, auf eine Gegenhandlung zu verzichten.

Sich sinnvoll zu wehren ist ein weiteres wirksames Konzept, das von herkömmlicher Rache abzugrenzen ist. Wer einer schädigenden Person eindeutig die Meinung sagt und klarmacht, dass ihr schädigendes Verhalten nicht toleriert wird, und notfalls bei entsprechend schwerwiegendem Angriff auf die Ehre, Eigentum oder Sicherheit der Person mit Einschalten einer übergeordneten Instanz (zum Beispiel der Polizei) droht, verlässt bereits früh eine mögliche Spirale der Schädigungen und kann so weiteren Schaden möglicherweise wirksam von sich und von anderen abwenden.

Als Fazit lässt sich also festhalten, dass eine zielgerichtete Rachehandlung (in Verbindung mit Einsicht beim Provokateur) die Verfügbarkeit aggressiver Gedanken reduziert (siehe Gollwitzer & Denzler, 2009). Mitunter kann die Ausführung einer Rachehandlung allerdings auch zu einer höheren Unzufriedenheit führen (siehe Carlsmith et al., 2008). Ob in einer spezifischen Situation eine Rachehandlung eine angemessene Reaktion auf erlebtes Unrecht ist, sollte in jedem Falle genau abgewogen werden. Rache kann also positive, aber eben auch negative Folgen haben, ganz nach den jeweils vorliegenden Rahmenbedingungen des einzelnen Falles. Eventuell dienen die hier vorgestellten Alternativen zur Ausführung einer Rachehandlung als Inspiration, wie man auf eine erste Provokation reagieren kann, ohne eine Kaskade aus kaum enden wollenden Racheakten loszutreten.

Literaturverzeichnis

  • Carlsmith, K. M., Wilson, T. D. & Gilbert, D. T. (2008). The paradoxical consequences of revenge. Journal of Personality and Social Psychology, 95, 1316-1324.
  • Christakis, N. A. & Fowler, J. H. (2009). Connected: The surprising power of our social networks and how they shape our lives. Little, Brown and Company.
  • Cota-McKinley, A. L., Woody, W. D., & Bell, P. A. (2001). Vengeance: Effects of gender, age, and religious background. Aggressive Behavior, 27, 343-350.
  • Denzler, M., Markel, P. & Förster, J. (2011). On the dark and bright sides to vengeance: Cognitive, behavioral and affective consequences of aggression. In-Mind Magazine, 12.
  • De Quervain, D. J.-F., Fischbacher, U., Treyer, V., Schellhammer, M, Schnyder, U., Buck, A. & Fehr, E (2004). The neural basis of altruistic punishment. Science, 305, 1254-1258.
  • Gollwitzer, M. (2005). Ist „gerächt“ gleich „gerecht“? Eine Analyse von Racheaktionen und rachebezogenen Reaktionen unter gerechtigkeitspsychologischen Aspekten. Berlin: wvb.
  • Gollwitzer, M. & Denzler, M. (2009). What makes revenge sweet: Seeing offenders suffer or delivering a message? Journal of Experimental Social Psychology, 45, 840-844.
  • Gollwitzer, M., Meder, M. & Schmitt, M. (2011). What gives victims satisfaction when they seek revenge? European Journal of Social Psychology, 41, 364-374.
  • Maes, J. (1994). Psychologische Überlegungen zu Rache (Berichte aus der Arbeitsgruppe „Verantwortung, Gerechtigkeit, Moral“ Nr. 76). Trier: Universität Trier.
  • Stuckless, N. & Goranson, R. (1992). The vengeance scale: Development of a measure of attitudes toward revenge. Journal of Social Behavior and Personality, 7, 25-42.

Autor*innen