Mit Psychologie Frieden fördern? Beiträge aus der psychologischen Forschung zur Reduktion von destruktiven Konflikten und Friedensförderung
Wie Frieden fördern und gestalten? Eine Frage, mit der sich Menschen seit jeher beschäftigen – denn auch heute, 100 Jahre nach dem Ende des 1. Weltkrieges, gibt es Kinder, die noch nie in Frieden leben konnten. Diese Spezialausgabe zum Thema Friedenspsychologie gibt einen Einblick in Forschung, die Antworten auf diese Fragen zu geben versucht.
*Alle Autor*innen haben zu gleichen Teilen beigetragen.
Am 11. November 2018 jährt sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal. In Frieden zu leben, ist sicherlich einer der wichtigsten Werte aller Zeiten. Dennoch gibt es auch heute Kinder, die noch nie in Frieden gelebt haben. Der Krieg in Syrien zum Beispiel hält schon seit sieben Jahren an und auch in anderen Teilen der Welt bewirken Terrorismus, Krieg und Klimaveränderungen, dass sich die größte Zahl an Menschen seit Ende des zweiten Weltkrieges auf der Flucht befindet (Edwards, 2017) – was wiederum vielfach Konflikte hervorzurufen oder zu verstärken scheint. Wie kommen diese Konflikte zustande und wie werden sie aufrechterhalten? Und vor allem: Wie können Barrieren überwunden und Konflikte nachhaltig gelöst werden, damit wir in Frieden leben können?
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Mit dieser Sonderausgabe möchten wir in Bezug auf diese und ähnliche Fragen einen Einblick in Forschung und Praxis der Friedenspsychologie geben. Die Friedenspsychologie ist ein Teilbereich der Friedensforschung und der Psychologie. Forscher*innen und Praktiker*innen, die in diesem Bereich tätig sind, versuchen mithilfe psychologischer Modelle und Theorien, das Erleben der an Konflikten Beteiligten besser zu begreifen und zu einer gewaltlosen und konstruktiven Bearbeitung oder Lösung von Konflikten beizutragen; mit dem Ziel Frieden zu erreichen.
Was ist überhaupt Frieden? Ist die Abwesenheit eines gewaltsamen Konflikts gleichzusetzen mit der Realisierung von Frieden? Nach Galtung (1971) bedeutet Frieden nicht allein die Abwesenheit von personaler, direkter Gewalt und Krieg (was als „negativer“ Frieden bezeichnet wird), sondern Frieden bedeutet auch die Abwesenheit von struktureller, indirekter Gewalt und das Vorhandensein von sozialer Gerechtigkeit (sogenannter “positiver“ Frieden). Positiven Frieden kann man greifbarer machen, indem man auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Bezug nimmt, die allen Menschen universale bürgerliche, politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte zuspricht (http://www.un.org/en/universal-declaration-human-rights/). Gert Sommer und Jost Stellmacher argumentieren dementsprechend in ihrem Artikel, dass das Ideal des Friedens durch die umfassende Verwirklichung der Menschenrechte erreicht werden kann. Aus psychologischer Sicht beleuchten sie, welche Probleme bei der Verwirklichung der Menschenrechte und beim Erkennen von Menschenrechtsverletzungen bestehen und wie Menschenrechte politisch missbraucht werden können. Sie führen weiter aus wie wir Bildung zu Menschenrechten effektiver gestalten können.
Neben der Verletzung und dem Missbrauch von Menschenrechten gibt es weitere strukturelle Bedingungen, die zur Entstehung oder Verschärfung von Konflikten beitragen. Julia Schnepf und Norbert Groeben stellen dar, wie die Schere zwischen Arm und Reich zu mehr Fremdenfeindlichkeit führen kann: Ökonomische Ungleichheiten können für Menschen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status eine Bedrohung ihrer Identität bedeuten und dies kann zur Stärkung der nationalen Identität und Fremdenfeindlichkeit führen. Sie betonen daher, wie wichtig es ist, die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern.
Konflikte sind allerdings nicht per se schlecht. So können Interessensgegensätze Ausgangspunkt für einen konstruktiven sozialen Wandel sein und produktiv ausgetragene Konflikte können zur Stärkung der gesellschaftlichen Integration führen (Bonacker & Imbusch, 2004). Viele demokratische, liberale Errungenschaften mussten schließlich erst durch Konflikte erkämpft werden. Beispielsweise schlossen sich Teile der Bevölkerung in der DDR zu gewaltfreien Initiativen und Demonstrationen gegen die Regierung zusammen, was schließlich zur Revolution in der DDR beitrug. Die Frage ist also nicht unbedingt, wie Konflikte vermieden werden können, sondern vielmehr wie diese möglichst konstruktiv und gewaltlos bearbeitet werden können. Der Beitrag von Valentin Ade, Marco Warsitzka und Martin Albani widmet sich dieser Frage. Er erklärt einerseits, warum die geläufige Annahme, dass bei Verhandlungen der Gewinn einer Partei automatisch einen Verlust der anderen Partei darstellt, keine guten Voraussetzungen für Friedensverhandlungen sind. Andererseits betont er, warum bei Wertkonflikten ein besonderes Augenmaß gefragt ist. Der Beitrag gibt des Weiteren konkrete Lösungsansätze, die aus den psychologischen Annahmen und Erkenntnissen abgeleitet werden können.
Nun sollte ein Konflikt nicht nur temporär beigelegt oder eingedämmt werden, sondern auch nachhaltig zu positivem Frieden führen. Markus Barth, Birte Siem, Anna-Lisa Aydin, Johannes Ullrich und Nurit Shnabel postulieren mit dem Bedürfnisbasierten Modell der Versöhnung, dass die Versöhnungsbereitschaft zwischen Konfliktparteien am wahrscheinlichsten ist, wenn für sie spezifische Bedürfnisse angesprochen werden. Die vorgestellten Studien verweisen darauf, dass Täter*innen und Opfer in Konflikten unterschiedliche Bedürfnisse aufweisen, und wie dieses Wissen eingesetzt werden kann, um versöhnungsorientiertes Verhalten auf beiden Seiten zu erhöhen.
Einen Einblick, wie sozialpsychologische Theorien und Modelle in der Praxis konkret angewendet werden können, bietet Nina Hansen gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Die Autor*innen berichten von zwei Projekten in Sri Lanka, in denen wirtschaftliche Förderprojekte als Maßnahme zur Friedensförderung sozialpsychologisch evaluiert wurden. Sie erklären, wie Kontakt zwischen vormals verfeindeten Gruppen und die Befähigung zur (wirtschaftlichen) Eigenständigkeit den Kampf um Ressourcen verringern und friedliche Beziehungen zwischen Gruppen fördern kann.
Wir hoffen, mit diesen Artikeln einen Einblick in einige Themen zu geben, mit denen sich Friedenspsycholog*innen auseinandersetzen. Ein tieferes Verständnis für die Ursachen von Konflikten und ein konstruktiver Umgang mit diesen ist ein wichtiger erster Schritt in Richtung Frieden.
Noch ein paar weiterführende Hinweise: |
Literaturverzeichnis
Bonacker, T., & Imbusch, P. (2004). Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung. In G. Sommer & A. Fuchs (Hrsg.), Krieg und Frieden: Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie (S. 195-207). Weinheim: Beltz PVU.
Edwards, A. (2017). Forced displacement worldwide at its highest in decades. Retrieved from http://www.unhcr.org/news/stories/2017/6/5941561f4/forced-displacement-worldwide-its-highest-decades.html.
Galtung, J. (1971): Gewalt, Frieden und Friedensforschung. In D. Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung (S. 55-104). Frankfurt a. Main: Suhrkamp.