Autofahren im Alter: Einschränkungen und Perspektiven
Mobilität ist in unserer Gesellschaft von hoher Bedeutung und ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität. Gerade für Senioren kann das Autofahren den Alltag sehr erleichtern. Massenmedien greifen das Thema „Ältere Autofahrer“ immer wieder auf, besonders dann, wenn ein älterer Mensch an einem Unfall beteiligt war. Doch stellen ältere Autofahrer wirklich ein Risiko im Straßenverkehr dar? Welche altersbedingten Veränderungen beeinflussen die Fahrtauglichkeit? Wie kann man die Mobilität älterer Menschen möglichst lange erhalten? Welche technischen Möglichkeiten der Unterstützung älterer Fahrer gibt es?
Einführung
In den nächsten Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in den Ruhestand. Hierbei handelt es sich um eine Generation, die eine lebenslange Erfahrung mit dem Auto als selbstverständliches Fortbewegungsmittel aufweist. Veränderte Lebensstile, ein im Allgemeinen besserer Gesundheitszustand sowie eine sehr hohe PKW-Verfügbarkeit werden bei dieser Generation zu einer höheren Mobilitätsrate führen im Vergleich zu den Senioren von heute. Autofahren ermöglicht Senioren ein eigenständiges Leben. Im hohen Alter stellen sich aber oft körperliche Einschränkungen ein, so dass viele Senioren irgendwann vor der Frage stehen, ob sie ein Auto noch sicher führen können. In diesem Artikel wird anhand von Statistiken zu Unfällen von Senioren im Straßenverkehr der Sicherheitsaspekt dieses Themas beleuchtet. Es zeigt sich, dass erst ab einem Alter von 75 Jahren das fahrleistungsbezogene Unfallrisiko stärker ansteigt – ohne aber das Niveau von Fahranfängern zu erreichen. Dies spricht dafür, dass zumindest die jüngeren Senioren in der Lage sind, die mit dem Alter einhergehenden körperlichen Einschränkungen, wie verlangsamte Reaktionszeiten, Verschlechterung des Sehens und eingeschränkte Beweglichkeit, durch Umsicht, eine große Routine und Vermeidung von Risikofaktoren kompensieren zu können. Im zweiten Teil des Artikels wird erläutert, wie die individuelle Mobilität älterer Menschen durch technische Maßnahmen, Schulungen und Trainings möglichst lange erhalten und optimiert werden kann. Die Wichtigkeit der Weiterentwicklung alternativer Mobilitätskonzepte wird betont.
Deutschlands Autofahrer werden älter
Aufgrund des demographischen Wandels werden in den nächsten Jahren immer mehr ältere Autofahrer auf unseren Straßen unterwegs sein. Während 1950 die Lebenserwartung noch bei etwa 70 Jahren lag, beträgt sie heute bereits ca. 80 Jahre. Besonders in ländlichen Regionen, wo die Menschen aufgrund eines weniger gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehrs verstärkt auf das Auto angewiesen sind, ist eine Zunahme des Anteils der Autofahrer über 60 Jahren zu erwarten (Kubitzki & Janitzek, 2009).
Aber auch wegen einer zunehmenden Verbreitung des Führerscheins werden in Zukunft mehr Senioren selbst hinter dem Steuer sitzen: Im Jahr 2001 besaßen 90 % der über 75-jährigen Männer einen Führerschein, bei den Frauen ab 75 Jahren waren es hingegen nur 30 % (Kemming, Brinkmann & Greger, 2007). Für junge Frauen und Männer ist es inzwischen aber beinahe eine Selbstverständlichkeit, die Fahrerlaubnis zu erwerben. Damit wird in wenigen Jahren der Anteil der Führerscheinbesitzer bei nahezu 100 % liegen.
Senioren im Straßenverkehr: Eine Gefahr?
Ein Blick in die Statistiken zeigt ein heterogenes Bild: So waren 2009 zwar 20 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland älter als 64 Jahre, gleichzeitig war diese Altersgruppe aber nur in 11% der Unfälle mit Personenschaden verwickelt (Statistisches Bundesamt, 2010). Die unterproportionale Unfallbeteiligung spiegelt jedoch eher die geringere Verkehrsteilnahme von Senioren als Fahrzeugführer wider als dass sie ein Beleg dafür wäre, dass ältere Menschen die sichereren Fahrer sind. So bestritt im Jahr 2002 die Gruppe der Senioren (65+) nur zwischen 9 und 10 % der Gesamtfahrleistung in Privat-PKWs (Kubitzki & Janitzek, 2009). Dabei bleibt für viele Senioren das Auto ein sehr wichtiges Fortbewegungsmittel: zwar sinkt der Gesamtwegeaufwand von Senioren im Vergleich zu Nicht-Senioren um 64 %, aber gleichzeitig legen Senioren zwei Drittel aller ihrer Wege mit dem Auto zurück. Entscheidend für die Beurteilung des Sicherheitsaspekts ist das fahrleistungsbezogene Risiko einer Unfallbeteiligung. Dieses sinkt bis zu einem Alter von etwa 45 Jahren, ab 50 Jahren steigt es wieder leicht und ab 75 Jahren deutlich an, ohne aber dabei das Niveau von Fahranfängern zu erreichen (Hargutt et al., 2007). Auch in den Verursacherraten bei Unfällen mit Personenschäden fallen ältere Fahrer auf: Über 65-jährige PKW-Fahrer, die an Unfällen beteiligt sind, tragen sehr häufig die Hauptschuld (67 %), bei den über 75-Jährigen wurde sogar 77 % der Unfallbeteiligten die Hauptschuld zugewiesen (Statistisches Bundesamt, 2010). Es zeigt sich also besonders für die über 75-jährigen Senioren, dass das Autofahren mit zunehmendem Alter unsicherer wird.
Für ältere Menschen sind insbesondere komplexe Fahrsituationen schwerer zu bewältigen als für Jüngere. Laut Statistischem Bundesamt (2010) sind die häufigsten Unfallursachen bei älteren Fahrern Vorfahrtsfehler (19%) und Fehler bei Fahrmanövern, wie Abbiegen, Rückwärtsfahren, Wenden, Ein- und Anfahren (17%). Fahraufgaben mit durchschnittlichem Anforderungscharakter werden von älteren Autofahrern ähnlich gut wie von Jüngeren bewältigt (Ellinghaus, Schlag & Steinbrecher, 1990). Dagegen spielen unangepasste Geschwindigkeit, Abstandsfehler, Alkoholeinfluss, falsche Straßennutzung oder Fehler beim Überholen eine geringere Rolle. Dies spricht dafür, dass weniger Leichtsinn und Unvernunft der Grund für Unfälle bei Senioren sind als vielmehr altersbedingte Einschränkungen der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit.
Fahrrelevante körperliche und geistige Veränderungen im Alter
Grundsätzlich spricht ein hohes Lebensalter nicht gegen das Autofahren. Senior/innen sollten sich aber kritisch mit den eigenen Fähigkeiten auseinandersetzen. Dazu ist es notwendig, die mit dem Alter einhergehenden Veränderungen zu verstehen und zu wissen, welche Relevanz diese für das Autofahren haben. Der Prozess des Alterns verläuft individuell sehr unterschiedlich. Daher sagt das chronologische Alter relativ wenig über die tatsächliche körperliche und geistige Fitness eines Menschen aus: Sicher ist aber, dass mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit für altersbedingte Abbauprozesse und Erkrankungen zunimmt und daher Einbußen in der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit eher zu erwarten sind. Von den in der Fachliteratur diskutierten alterstypischen Veränderungen sind für das Autofahren vor allem die Verschlechterung des Sehvermögens, die eingeschränkte Beweglichkeit und die verlangsamte Reaktionsfähigkeit relevant (für einen Überblick siehe Kaiser & Oswald, 2000). Dies soll im Folgenden genauer erläutert werden.
Sehvermögen
Degenerative Prozesse führen mit zunehmendem Alter zu einer Verringerung der Sehfähigkeit. Eine Verschlechterung der Sehfähigkeit beginnt aber bereits in jüngeren Jahren, weshalb Sehtests für alle Autofahrer alle zwei Jahre sehr zu empfehlen sind. Bei allen Menschen nimmt die Fähigkeit des Auges zur Naheinstellung mit zunehmendem Alter ab. Die daraus resultierende Altersweitsichtigkeit, die so genannte Presbyopie, führt dazu, dass Dinge in der Nähe unscharf wahrgenommen werden. Dies kann teilweise durch Sehhilfen ausgeglichen oder zumindest gemindert werden. Häufig treten aber auch unterschiedliche Einbußen der visuellen Fähigkeit kombiniert auf.
Durch eine fortschreitende Austrocknung der Augenstrukturen kommt es darüber hinaus zu einer erhöhten Blendungsempfindlichkeit und aufgrund einer Verkleinerung des Pupillendurchmessers vermindert sich die Dämmerungssehschärfe. Dazu nimmt die für die Anpassung an verschiedene Lichtstärken (Hell-Dunkel-Adaptation) notwendige Dynamik der Pupillenöffnung im Alter ab. Dadurch braucht das ältere Auge beim Fahren nach einer Blendung mehr Zeit für die nachfolgende Dunkeladaptation. Nachtfahrten sind daher für ältere Fahrer/innen schwieriger zu bewältigen als für junge Fahrer/innen. Durch die Wahl der richtigen Scheinwerfer kann das Autofahren im Dunkeln erleichtert werden. Experten des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR, 2009) empfehlen die Benutzung von Xenonscheinwerfern und halten auch Kurvenlichter für hilfreich, um das Sichtfeld in Kurven besser ausleuchten zu können.
Bewegungsapparat
Mit zunehmendem Alter nehmen die Beweglichkeit des Körpers und die Körperkraft ab. Hinzu können Krankheiten wie Arthrose kommen, welche die Beweglichkeit weiter beschränken. Dies erschwert vielen Senior/innen das Einsteigen ins Auto sowie das Durchführen von Fahrmanövern wie Wenden oder Einparken. Hilfreich sind hier höher gebaute Fahrzeuge mit großem Türöffnungswinkel, gut einstellbaren Autositzen, einer Servolenkung und elektrisch bedienbaren Fenstern. Schulterblicke sind durch Versteifungen im Halswirbelbereich häufig nur noch eingeschränkt möglich. Weitwinkelspiegel können die Übersicht verbessern und erleichtern.
Psychologische Leistungsfähigkeit
Im Bereich der psychophysischen und psychomotorischen Leistungskapazität ist im hohen Alter eine generelle Verlangsamung der gesamten zentralnervösen Aktivität charakteristisch. Bei Mehrfachreaktionsaufgaben brauchen ältere Menschen sowohl bei der Entscheidung als auch der der Ausführung länger als junge Menschen. Dies verweist auf altersbedingte Leistungseinbußen hinsichtlich der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit.
Befunde aus der Aufmerksamkeitsforschung deuten darauf hin, dass vor allem bei unvertrauten Reizkonstellationen im Alter eine Verschlechterung der Aufmerksamkeitsleistung zu verzeichnen ist, während dies bei vertrauten Reizsituationen kaum zu beobachten ist. Dies erklärt, warum ältere Menschen auf vertrauten Strecken durchaus sicher fahren können, mit unbekannten Strecken aber oftmals überfordert sind. Eine altersbedingte Abnahme der geteilten Aufmerksamkeit (d.h. die parallele Verarbeitung verschiedener Informationen) wird häufig als spezifisches alterstypisches Leistungsproblem diskutiert. Dies kann beispielsweise dann problematisch werden, wenn sich Senioren in einer fremden Stadt orientieren und gleichzeitig auf den fließenden Verkehr achten müssen. Die Fähigkeit, relevante Informationen von irrelevanten zu unterscheiden ist eine Leistung der selektiven Aufmerksamkeit und zählt zu den Grundbedingungen für das korrekte Reagieren beim Autofahren. Durch Einschränkungen der selektiven Aufmerksamkeit reagieren ältere Fahrer häufiger unangemessen auf Verkehrssignale und Verkehrszeichen.
Menschen bleiben aber bis ins hohe Alter lernfähig, so dass durch adäquate Trainings einige der kognitiven Leistungsverringerungen bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden können. In einer groß angelegten Studie (Willis et al. 2006) an über 65-jährigen Senior/innen konnte nachgewiesen werden, dass kognitive Trainings zu einer Verbesserung der trainierten Fähigkeiten führen, und dieser Effekt war auch noch nach fünf Jahren nachweisbar. Darüber hinaus waren die Senior/innen auch teilweise in der Lage, das im Training gelernte auf alltagsrelevante Aufgaben zu transferieren (z.B. Essenszubereitung, Informationen auf Medikamentenverpackungen verstehen, Telefonnummer heraussuchen). Bei Kontroll- und Trainingsgruppe war im Laufe der fünf Jahre Untersuchungszeitraum eine Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit zu beobachten, allerdings war dieser Prozess in der Trainingsgruppe verlangsamt.
Persönlichkeit
Einige Persönlichkeitsmerkmale verändern sich mit zunehmendem Alter für die Teilnahme am Straßenverkehr in eher günstiger Weise: Dominanzstreben, Risikobereitschaft sowie Emotionalität und Aggressivität gegenüber anderen Verkehrsteilnehmer/innen nehmen im Alter ab. Daher setzen ältere Fahrer/innen insgesamt einen ruhigeren Fahrstil um als jüngere Fahrer/innen (Kaiser & Oswald, 2000).
Krankheiten
Hohes Alter geht mit einer Erhöhung der Erkrankungswahrscheinlichkeit einher. Zu den typischen alterskorrelierten Erkrankungen, die aus verschiedenen Gründen negative Auswirkungen auf die Fahrleistung haben können, zählen vor allem Diabetes Mellitus, Morbus Parkinson, Demenzerkrankungen, Herz- und Gefäßerkrankungen und Rheuma. Außerdem treten bei älteren Menschen häufig mehrere dieser Erkrankungen
gleichzeitig auf, weswegen Senior/innen oft auch mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen müssen. Diese Medikamente können teilweise erhebliche Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit haben. Andererseits stellt die Einnahme dieser Medikamente aber oft auch eine Voraussetzung für die Erhaltung der Fahrtauglichkeit dar. Natürlich können auch jüngere Menschen an chronischen, behandlungsbedürftigen Krankheiten leiden, die sich nicht zuletzt durch die damit verbundene Medikamenteneinnahme negativ auf die Fahrtauglichkeit auswirken können. Aufgrund der steigenden Erkrankungswahrscheinlichkeit im Alter und dem damit einhergehenden zunehmenden Medikamentenkonsum besteht jedoch ein besonderer Aufklärungsbedarf für Senioren zum Thema Einfluss von Krankheiten und Medikamenten auf die Fahrtauglichkeit.
Kompensation von altersbedingten Leistungsveränderungen im Fahrverhalten
Bis zu einem Alter von etwa 70 bis 75 Jahren scheinen altersbedingte Beeinträchtigungen erfolgreich durch eine angepasste Fahrweise kompensiert werden zu können. Kompensationsbemühungen älterer Fahrer beziehen sich sowohl auf Entscheidungen vor Antritt der Fahrt als auch auf die Risikowahl und Handlungsauswahl während der Fahrt. So vermeiden ältere Menschen z.B. gehäuft Fahrten im dichten Verkehr oder in der Stadt, bleiben fern von gefährlich erlebten Kreuzungen und bevorzugen gezielt bekannte Strecken. Zudem wählen sie vermehrt kürzere Strecken bzw. legen längere Fahrpausen ein, sofern eine längere Fahrt nicht vermeidbar ist (Weinand, 1997). Ältere Fahrer/innen wählen schließlich geringere Fahrgeschwindigkeiten und Beschleunigungen, folgen vorausfahrenden Fahrzeugen mit einem größeren Abstand und sind vorsichtiger beim Durchfahren enger Kurven (Schlag, 1990). Hierdurch schaffen sie sich selbsttätig mehr Zeit, um auf gegebene Situationen angemessen reagieren zu können.
Zu bedenken ist jedoch, dass nur kompensiert werden kann, was man bemerkt, wofür man die richtigen Strategien hat und was man als defizitär bewertet. Gerade im Hinblick auf die Wahrnehmung eigener Defizite scheinen ältere Menschen jedoch Schwierigkeiten zu haben und beurteilen sich häufig als zu positiv. Eine Tendenz zur Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten scheint menschlich zu sein, sie ist aber bei älteren Menschen ausgeprägter als bei jüngeren. Gerade für ältere Personen, die sich im Vergleich zu ihrer Altersgruppe als überdurchschnittlich gute Fahrer/innen einstufen, ist das Risiko für eine objektiv sicherheitskritische Fahrweise viermal so hoch wie für Personen, die sich selbst als höchstens durchschnittliche Fahrer einstufen (Hargutt et al., 2007). Abhilfe schaffen können hier Schulungsmaßnahmen, die auf eine Förderung der Selbsteinschätzung und der Wahrnehmung eigener Schwächen sowie auf die Vermittlung adäquater kompensatorischer Strategien abzielen.
Das „Seniorenauto“ als Lösung altersbedingter Leistungseinbußen?
Ausgehend von den genannten Veränderungen im Alter wird vereinzelt ein so genanntes Seniorenauto gefordert. Solche Seniorenautos sollen z.B. niedrigere Türschwellen, größere Türgriffe und besser verstellbare Autositze haben, um den Einstieg in die Fahrerkabine zu erleichtern. Durch kontrastreichere und größere Anzeigen soll die visuelle Belastung der Fahrer reduziert werden und durch weniger Bedienelemente des Fahrzeuginnenraums weniger komplex gestaltet werden. Die Einführung von Fahrerassistenzsystemen soll schließlich den/die Fahrer/in bei der Fahrzeugführung unterstützen. Hierbei sei jedoch kritisch angemerkt, dass derartige Systeme bei nicht-optimaler Ausgestaltung (z.B. aufgrund einer komplexen Systembedienung) eine zusätzliche Ablenkungsquelle im Fahrzeug einführen können.
Diese Aspekte für eine seniorengerechte Ausgestaltung von Fahrzeugen wurden in der Vergangenheit praktisch nicht beachtet. Bislang gilt ein Seniorenauto eher als Ladenhüter denn als Verkaufsschlager. Dabei gilt:
„Altengerecht ist menschengerecht“ (VDI, 2007): Eine altersgerechte Ausgestaltung von Fahrzeugen käme nämlich auch jüngeren Fahrern zu Gute. Unter dieser Annahme wäre die Entwicklung von Fahrzeugen zu fordern, die optimal auf die Bedürfnisse älterer Fahrer ausgerichtet sind und dabei nicht stigmatisierend wirken.
Fahrerinformation und -assistenz zur Erhaltung der Mobilität im Alter
Diese Ausführungen legen nahe, dass bei der Ausgestaltung von Informations- und Assistenzsystemen im Fahrzeug generell die oben beschriebenen altersbedingten Leistungseinbußen und die alterskorrelierten Veränderungen im Fahrverhalten zu beachten sind. Mittlerweile existieren Richtlinien für die altersgerechte Gestaltung solcher technischer Systeme. Diese formulieren z.B. gezielt Anforderungen an die Gestaltung von Anzeigen im Fahrzeug (z.B. stärkere Kontraste, größere Schriftgrößen und Bilder) und betonen die Bedeutung multimodaler (visueller und akustischer) Ausgaben im Fahrzeug.
Speziell für ältere Fahrer/innen bieten sich Unterstützungsfunktionen an, die gezielt Informationen über bevorstehende Kreuzungen oder über zu beachtende Verkehrszeichen darbieten. Hierdurch soll zum einen die
Aufmerksamkeit der Fahrer auf relevante Ereignisse gelenkt werden. Zum anderen können die Fahrer über komplexe Situationen vorinformiert werden, wodurch das Durchfahren der jeweiligen Situation erleichtert wird (Davidse, 2005). Ältere Personen sind nach eigenen Angaben durchaus bereit, diese oder andere Unterstützungsfunktionen im Fahrzeug zu nutzen. Besonders hilfreich für Senioren sind Abstands- und Spurhaltesysteme sowie Parkassistenten, da diese Systeme Aspekte des Autofahrens übernehmen, die altersbedingten Leistungsdefiziten unterworfen sind.
Weitere Maßnahmen zur Erhaltung der Mobilität
Durch Erfahrung und Routine können Senior/innen bis zu einem gewissen Grad altersbedingte Leistungseinbußen beim Autofahren kompensieren. Dazu ist es aber wichtig, in Übung zu bleiben: Senior/innen sollten für sie schwierige Situationen nicht vermeiden, sondern diese gezielt trainieren. Beispielsweise gibt es erste Fahrschulen, die sich eigens auf solche „Auffrischungstrainings“ für ältere Kraftfahrer/innen spezialisiert haben.
Relevant ist dies besonders für jüngere Senior/innen, die noch bei guter Gesundheit sind, denen aber die Übung fehlt, weil sie oft jahrzehntelang nicht mehr selbst am Steuer saßen und die sich z.B. durch Krankheit des Partners gezwungen sehen, wieder selbst zu fahren. Bislang gibt es aber noch zu wenige wissenschaftliche Untersuchungen zur Effizienz derartiger Trainings. Eine viel versprechende Möglichkeit wäre auch ein Training im Fahrsimulator (Roenker et al., 2003). Hier kann der/die Fahrer/in gefahrlos auch an kritische Situationen herangeführt werden und ein adäquates Fahrverhalten in diesen Situationen üben. Insbesondere kann das Fahrverhalten an Autobahnauffahrten und an Knotenpunkten, die für Senior/innen besonders schwer zu bewältigen sind, in verschiedenen Schwierigkeitsstufen trainiert werden. Die moderne Fahrsimulation bietet hierbei auch die Möglichkeit des adaptiven Trainierens. Das bedeutet, dass Lerneinheiten, die der Fahrer bereits gut beherrscht, schneller abgehandelt werden können. Dadurch bleibt mehr Zeit, um Lerninhalte, die noch nicht so gut beherrscht werden, gezielt zu wiederholen. Auch im Bereich der Fahreignungsdiagnostik ist der Einsatz von Fahrsimulatoren empfehlenswert (z.B. Kaussner & Krüger, 2009). Wegen der hohen Kosten, aber auch aus Mangel an systematischen Studien wurde diese Methode aber bisher noch nicht der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Limbourg und Reiter (2001) fordern, dass sich die seniorenorientierte Präventionsarbeit nicht nur auf die Senior/innen selbst richten sollte, sondern auch Stadt- und Verkehrsplaner einbeziehen sollte: Eine Vereinfachung und Verlangsamung des Verkehrs z.B. durch mehr Tempo 30-Zonen, Tempolimits auf Autobahnen, doch alle Präventions- und Trainingsmaßnahmen haben ihre Grenzen: Daher ist es gegebenenfalls sicherer, irgendwann das Autofahren aufzugeben. Dies sollte allerdings nicht allein aufgrund des chronologischen Alters erfolgen, sondern individuell davon abhängen, wie fit eine Person ist. Durch regelmäßige (verpflichtende) Gesundheitsuntersuchungen könnte die allgemeine Verkehrssicherheit optimiert werden. Dabei bleibt zu diskutieren, ob Pflichtuntersuchungen nur auf ältere Fahrer/innen beschränkt werden sollten oder ob sie nicht von allen Führerscheinbesitzern z.B. alle fünf Jahre gefördert werden sollten. Bislang mangelt es jedoch an Kriterien, anhand derer im Einzelfall bestimmt werden kann, welcher Grad der Fahreignung vorliegt und ob vorhandene Eignungsmängel erfolgreich kompensiert werden können. Von der Möglichkeit der Erteilung einer bedingten Fahreignung, um dem individuellen Fahrer genau die Mobilität zu ermöglichen, die er sicher erbringen kann, wird noch zu selten Gebrauch gemacht.
Mobilität – und das bedeutet für viele Menschen vor allem in den ländlichen Regionen: Autofahren – ist ein entscheidender Faktor für die Lebensqualität. Der Verzicht auf das aktive Autofahren geht oft mit depressiven Symptomen und einer verringerten Lebensfreude einher (Marottoli et al., 1997). Daher ist die Gesellschaft gefordert, den Menschen Mobilitätsalternativen zum Individualverkehr zu bieten. In Ballungszentren gibt es auf diesem Gebiet schon fortgeschrittene Projekte, um für Senior/innen die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs attraktiver zu machen. Beispielsweise wurden im Rahmen des EU-Projekts Attaining Energy-Efficient Mobility in an Ageing Society (AENEAS) in verschiedenen europäischen Metropolen Konzepte entwickelt, um zum einen durch Schulungen bei älteren Menschen ein Bewusstsein für alternative Mobilitätsformen wie zu Fuß gehen, öffentlicher Nahverkehr, Car Sharing oder Radfahren in Großstädten zu schaffen und zum anderen ältere Menschen entsprechend ihrer Bedürfnisse bei der Benutzung alternativer Mobilitätsformen durch Trainings zu unterstützen. Speziell in ländlicheren Gebieten ist aber der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs nicht so weit fortgeschritten bzw. wird sogar aus wirtschaftlichen Erwägungen zurückgefahren. Hier müssen neue Konzepte entwickelt und getestet werden (z.B. Rufbusse, Mitfahrdienste oder Seniorentaxis).
Fazit
Ein hohes Alter für sich allein ist kein Grund dafür, das Autofahren grundsätzlich aufzugeben. Entscheidend ist die individuelle geistige und körperliche Fitness. Informations- und Assistenzsysteme im Fahrzeug können bei der Kompensation altersbedingter Leistungseinbußen helfen. Entscheidend aber ist: Nur wer regelmäßig fährt, hat auch eine gewisse Routine, kennt seine Leistungsgrenzen und kann durch seine Erfahrung mögliche altersbedingte Leistungseinbußen ausgleichen. Fahrtrainings können dabei helfen, die vorhandene Fahrtauglichkeit zu verbessern oder wenigstens zu stabilisieren.
Wenn sich der Gesundheitszustand aber dauerhaft verschlechtert, bleibt irgendwann keine andere Möglichkeit mehr, als das Fahren aufzugeben. Für die Zukunft müssen alternative Mobilitätskonzepte entwickelt und gefördert werden, die es älteren Menschen auch nach dem Aufhören des Fahrens ermöglichen mobil zu bleiben.
Literaturverzeichnis
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