"Wir sind bereit, voranzuschreiten!" Ein Interview mit Daniel Lakens und Klaus Fiedler über die aktuellen Herausforderungen in der psychologischen Forschung.

Kann man der psychologischen Forschung noch vertrauen? In-Mind unterhielt sich mit Daniel Lakens und Klaus Fiedler - zwei der prominentesten Stimmen in der Debatte darüber, wie die psychologische Wissenschaft verbessert werden kann. In diesem Interview offenbaren sie ihren persönlichen Blick zur aktuellen Lage der psychologischen Forschung, wie sich die Psychologie verändert hat und wie sie es in Zukunft tun sollte. Sie beschreiben, warum sie sich in der Debatte engagieren und wie sich diese auf ihre eigene Arbeit ausgewirkt hat.

Das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft nimmt zu. Ob es um Klimawandel oder Kreationismus geht, Politiker wie Donald Trump oder Recep Erdoğan, aber auch andere Persönlichkeiten scheinen Überzeugungen wissenschaftlichen Daten vorzuziehen. Eine wachsende Skepsis gegenüber der Wissenschaft mag sich aus Bestrebungen ergeben, unerwünschte Forschung als ideologisch motiviert darzustellen. Zunehmende Zweifel kommen aber auch aus der Wissenschaft selbst: Die Flut neuer Erkenntnisse scheint manchmal zu schön, um wahr zu sein. Der starke Druck Neues zu veröffentlichen, kann zu verzerrten Ergebnissen führen. Vor einigen Jahren wurden diese Zweifel durch schockierende Enthüllungen von Datenbetrug und Schwierigkeiten bei der Replikation früherer Befunde noch verstärkt. Befindet sich die psychologische Forschung also in einer Vertrauenskrise? Oder sind Fehlschläge, frühere Befunde zu replizieren, ein gesundes Element einer selbstkorrigierenden Wissenschaft? Was kann die psychologische Wissenschaft besser machen?

In-Mind Interview. Von links nach rechts: Daniel Lakens, Jan Crusius, Oliver Genschow, Klaus Fiedler (Bild von Alex Koch)In-Mind Interview. Von links nach rechts: Daniel Lakens, Jan Crusius, Oliver Genschow, Klaus Fiedler (Bild von Alex Koch)Während des Cologne Social Cognition Meetings (CSCM 2017)  hatten Jan Crusius und Oliver Genschow vom In-Mind Magazin die besondere Gelegenheit, zwei der prominentesten Stimmen in der Debatte über die Verbesserung der psychologischen Wissenschaft zu interviewen. Daniel Lakens von der Technischen Universität Eindhoven (Niederlande) betont die Notwendigkeit besserer Methoden, von Forschungstransparenz und rigoroser Wissenschaft. Klaus Fiedler von der Universität Heidelberg (Deutschland) ist überzeugt, dass vor allem bessere Theorien die psychologische Forschung voranbringen werden.

In-Mind: Können wir der psychologischen Forschung noch vertrauen?

  • Fiedler: Auf jeden Fall. Es gibt so viele Fragen über menschliche Probleme die nur durch VerhaltensforscherInnen, wie es zum Beispiel PsychologInnen sind, beantwortet werden können. Ich könnte viele Beispiele nennen. Hier ist nur eines: Wie können Schülerinnen und Schüler am effektivsten in der Schule lernen? Die psychologische Forschung untersucht den optimalen Zeitpunkt für das Lernen. Sie hat uns gelehrt, dass man am besten lernt, wenn Inhalte über die Zeit verteilt und sogenannte Konsolidierungsperioden, wie z. B. Pausen eingelegt werden. Wenn in großen Blöcken unterrichtet wird, lernen SchülerInnen viel weniger effektiv, als wenn der Unterricht auf fünfzehn kleinere Sitzungen über drei Monate verteilt wird. Natürlich gibt es noch viele andere Fragen, die nur VerhaltensforscherInnen beantworten können — unabhängig davon, was Donald Trump denkt.
  • Lakens: Es ist auch sehr wichtig, wie psychologisches Wissen und wissenschaftliche Fakten an die breite Öffentlichkeit gelangen. Menschen erfahren von unseren Erkenntnissen vielfach über die Medien. Es gibt jedoch einen großen Filter, der beschränkt, was weitergegeben wird. Häufig werden psychologische Befunde als lustige Tatsachen dargestellt. Die Psychologie untersucht jedoch wesentlich grundlegendere Fragen, die eine große Bedeutung für die Gesellschaft haben. Ein relevantes Thema betrifft beispielsweise, wie Menschen die Umwelt schützen können. Wir Menschen schauen oft auf kurzfristige Interessen und vernachlässigen langfristige Ziele wie den Umweltschutz. Psychologinnen und Psychologen arbeiten daran, wie die Perspektive von kurz- zu langfristigen Interessen verschoben werden kann, um Menschen langfristig zum Umweltschutz zu motivieren.

In-Mind: Aus Ihren Antworten könnte man den Eindruck gewinnen, dass es der psychologischen Forschung gut geht und dass die Medien nur ein falsches Bild vermitteln. Gibt es keinen Verbesserungsbedarf?

  • Lakens: Natürlich gibt es Verbesserungsbedarf. Es wäre töricht zu glauben, dass wir bereits die bestmögliche Wissenschaft betreiben und dass im Jahr 2100 die Menschen zurückblicken werden und sagen: "Wir konnten uns damals nicht verbessern! Schon im Jahr 2018 war alles perfekt." Das wird nicht passieren. Also, in diesem Sinne: Können wir es besser machen? Ja! Werden wir es besser machen? Natürlich.
  • Fiedler: Es ist sehr wichtig, dass es nie ein letztes Wort gibt. Ein gutes Beispiel für den psychologischen Fortschritt ist die rechtspsychologische Debatte darüber, wie man eine Gegenüberstellung durchführt. Wir kennen solche Gegenüberstellungen aus Filmen, in denen ein Augenzeuge den Mörder unter sechs Personen identifizieren muss. Psychologisch gesehen handelt es sich hier um einen Multiple-Choice-Erkennungs-Test. In den letzten vierzig Jahren haben wir viel darüber gelernt, wie wir diese Art von Tests verbessern können. Zuerst fand man heraus, dass Augenzeugen oft die Falschen identifizieren. Deswegen landeten viele Unschuldige im Gefängnis. Als Abhilfe wurden strengere und weniger fehleranfällige Identifizierungsmethoden entwickelt. So wurde zum Beispiel die Anzahl der Personen in einer Gegenüberstellung erhöht. Augenzeugen müssen nun mögliche Täter nicht mehr gleichzeitig, sondern sequentiell identifizieren. Und einige Jahre später fand man heraus, dass wenn man Augenzeugen einschätzen lässt, wie sicher sie sich bei der Identifizierung sind, sich die Qualität des Verfahrens zusätzlich erhöht. Im Laufe der Jahre haben sich die Empfehlungen, wie man eine Gegenüberstellung macht, immer wieder geändert. Ein einziger Forschungsbefund war nie das letzte Wort. Ich bin sicher, dass es in zwanzig, dreißig, oder vierzig Jahren wieder neue Erkenntnisse geben wird, die dieses Verfahren weiter verbessern. So funktioniert das einfach. Es ist eine ständige Aktualisierung des neuesten Stands. Das ist es, worum es in der Wissenschaft geht.

In-Mind: Die Psychologie befindet sich also überhaupt nicht in einer Krise....

  • Fiedler: Ich mag das Wort "Krise" nicht, wenn es sich auf meinen Lieblingsfußballverein bezieht und ich mag das Wort "Krise" in der Wissenschaft nicht. Natürlich machen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler manchmal Fehler, zum Beispiel in der Art und Weise, wie sie ihre Daten analysieren und wie sie die Ergebnisse interpretieren. Aber ich wage zu behaupten, dass andere Disziplinen wie die Verhaltensökonomie, die Medizin oder die Zellbiologie — um nur einige Beispiele zu nennen — ebenso häufig voreilige Schlüsse ziehen und die Öffentlichkeit zu früh informieren. Ich würde nicht sagen, dass die Psychologie im Vergleich zu anderen Disziplinen zu unvorsichtig agiert. Das sollte uns natürlich nicht daran hindern, neue Methoden und Verfahren zur Verbesserung der Wissenschaft zu entwickeln.
  • Lakens: Einige sagen, dass Wissenschaft sich dadurch auszeichnet, in einer andauernden Krise zu sein. Ich denke, da ist viel Wahres dran. Wir erkennen jetzt, dass einige Dinge schiefgegangen sind. Neben den wissenschaftlichen Methoden, die wir anwenden, Bild von Alex Kochstellen wir nun auch soziale Aspekte des wissenschaftlichen Handelns in Frage. Zum Beispiel, ob die Anreize für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ständig neue und überraschende Ergebnisse zu veröffentlichen, schädliche Auswirkungen haben können. Es ist unsere Aufgabe als Psychologinnen und Psychologen  genau diese sozialen Einflüsse zu untersuchen. Da wir uns mit solchen Einflüssen wie keine andere Disziplin auskennen, können wir an der Verbesserung der Wissenschaft fachübergreifend mitwirken.

In-Mind: Sie beide waren an der Debatte darüber, wie psychologische Forschung verbessert werden kann, sehr aktiv beteiligt. Was hat Sie dabei persönlich motiviert?

  • Lakens: Für mich gab es zwei wichtige Ereignisse. Zuerst kontaktierte jemand mein Forschungsteam und bezweifelte unsere Ergebnisse. Anfangs haben wir die Kritik nicht richtig verstanden. Irgendwann schrieb die Person: "Ihre Ergebnisse sind zu gut, um wahr zu sein. Dafür könnte es verschiedene Gründe geben: Die Daten könnten gefälscht sein; es könnte sein, dass Sie Ihre Daten ‚massiert‘ haben, dass Sie Ihre Daten falsch analysiert haben, oder es könnte sein, dass Sie nicht alle Ihre durchgeführten Studien berichtet haben.“ Wir waren wegen der komplizierten statistischen Dinge, die die Person erwähnte nervös und begannen, unsere Ergebnisse selbst in Frage zu stellen. Wir stellten fest, dass wir uns tatsächlich selektiv für manche Studien entschieden hatten. Wir hatten nur jene berichtet, die für unsere Hypothese sprachen, ohne Rücksicht auf diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – keine oder andere Ergebnisse zeigten. Daraufhin veröffentlichten wir die zusätzlichen Daten auf einer Online-Plattform, um den Stand der Wissenschaft zu korrigieren. Später wurde ich in das sogenannte Reproducibility Project eingebunden und plante eine Replikationsstudie. Mir wurde klar, dass ich bei vielen wichtigen Fragen, zum Beispiel in Bezug auf die Berechnung der erforderlichen Teilnehmerzahl für die Studie, keine Ahnung hatte, wie ich das machen sollte. Wie kann ich als promovierter Wissenschaftler nicht wissen, wie man eine ordentliche Studie entwirft? Ich wurde nicht gut genug ausgebildet, um gute Wissenschaft zu machen. Der zweite Grund, warum ich mich so sehr für die Debatte interessiere, ist deshalb die Motivation, mich selbst und andere weiterzubilden.
  • Fiedler: Ich bin an dieser Debatte interessiert, weil ich glaube, dass die Art und Weise, wie sie sich im letzten Jahrzehnt entwickelt hat, kontraproduktiv war. Sie schädigte das Ansehen der Psychologie in der Öffentlichkeit und untergrub das Selbstvertrauen unserer jungen WissenschaftlerInnen und Studierenden. Außerdem hat der Stil der Debatte meine Neigung zur Widerrede provoziert. Wenn mir jemand sagt, dass es eine Krise gibt, möchte ich belegen, dass es keine Krise ist. Dann denke ich darüber nach, was dagegenspricht. Ich will widersprechen. Vor Beginn der Debatte war ich nicht so sehr motiviert, mich mit positiven Aspekten der Forschung zu befassen, sondern war eher motiviert Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Aber seit Beginn der Debatte habe ich meine Meinung geändert, indem ich die Position eines Verteidigers einnehme. Ich bin überzeugt, dass es lehrreicher ist, positive Aspekte der Wissenschaft herauszuheben, als sich über schlechte Beispiele zu beschweren.

    In-Mind: Worin liegen die größten Herausforderungen für psychologische Wissenschaft?

  • Fiedler: Ich glaube, wenn wir unsere Probleme wirklich bewältigen wollen, wenn wir zum Beispiel die statistischen Probleme, die Daniel gerade erwähnt hat, angehen  wollen, dann brauchen wir andere Wege. Ich habe das Gefühl, dass wir uns dafür Beispiele für die beste Forschung in unserem Fach ansehen müssen, Forschung auf die wir stolz sein können. Dann können andere diesen Forschungsarbeiten nacheifern und einen positiven Schneeballeffekt erzeugen. Vielleicht sollten wir eine Art „Hall of Fame“ für wirklich exzellente Projekte einrichten. Dieses Vorgehen  erfüllt alle Kriterien, die Daniel Lakens im Sinn hat, und wird andere Forscherinnen und Forscher motivieren. So könnten  wir die negativen Überbleibsel der weniger exzellenten Forschung hinter uns lassen.
  • Lakens: In diesem Punkt bin ich wohl anderer Meinung. Ich denke, dass Publikationsverzerrung und nicht vertrauenswürdige Ergebnisse in der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur sehr problematisch sind. Publikationsverzerrung bedeutet, dass nur Ergebnisse berichtet werden, die "funktionierten", aber dass man nichts über die fehlgeschlagenen Studien erfährt. Oft hört man in den Nachrichten, dass Menschen, die Schokolade essen oder Wein trinken eher an Krebs erkranken. Zwei Wochen später liest man in der gleichen Zeitung das Gegenteil. Diese widersprüchlichen Befunde sind genau auf diese Publikationsverzerrung zurückzuführen. Die Ergebnisse werden durch den Zufall bestimmt und an den Extremen findet man „signifikante“ Ergebnisse. Wenn man aber alle Daten aller Studien zusammen betrachtet, dann gibt es gar keinen Zusammenhang. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen wir uns dieses Problems bewusst sein und lernen, wie wir unsere Erkenntnisse der Öffentlichkeit vermitteln.

In-Mind: Was kann man denn gegen diese Probleme tun?

  • Lakens: Meiner Meinung nach sind mindestens zwei Dinge wichtig. NachwuchswissenschaftlerInnen können oft nicht richtig wissen auf welche früheren Befunde, die in der Literatur berichtet wurden, sie bauen können. Wenn immer nur extreme Ergebnisse berichtet werden, wissen sie nicht, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Replikation der gleichen Studie gelingt. Wenn sie es nicht schaffen, die Ergebnisse anderer zu replizieren, dann ist es schwierig, diese Ergebnisse zu publizieren und die Publikationsverzerrung verstärkt sich. Neben diesem entscheidenden Thema ist für mich auch die Ausbildung ausschlaggebend. Wir brauchen eine bessere Ausbildung, die den Nachwuchs lehrt , was die bestmögliche Wissenschaft auszeichnet. Aus irgendeinem Grund haben wir da in der Vergangenheit nicht die beste Arbeit geleistet. Ich sage nicht, dass wir alle echte StatistikerInnen werden müssen. Aber das Erlernen der Grundlagen ist sehr wichtig.
  • Fiedler: Man kann Daniel in diesem Punkt nur zustimmen. Ich finde das Ziel, die Problematik der Publikationsverzerrung anzugehen, sehr gut. Und ja, NachwuchswissenschaftlerInnen müssen sich auf frühere Erkenntnisse verlassen können. Aber sie brauchen auch Anleitung durch ihre Doktormütter und Doktorväter, die ihnen Orientierung geben. Deshalb gefällt mir auch der Gedanke, dass wir unsere Ausbildung verbessern müssen. Wenn es jedoch darum geht, die Qualität der psychologischen Forschung zu verbessern, bin ich weniger geneigt zu glauben, dass wir bessere statistische Methoden brauchen. Die Statistik ist nie besser als das Forschungsdesign. Wenn ein Experiment nicht gut konzipiert ist, wenn das ausgewählte Forschungsmaterial, die Tests und die Messungen fehlerhaft sind, dann kann auch die beste Statistik das nicht ausgleichen.

In-Mind: Wie wichtig sind gute Theorien in dieser Hinsicht?

  • Fiedler: Eine gute Theorie ist wichtiger als das Forschungsdesign. Eine gute Theorie ist wichtiger als alles andere. Wenn die Theorie, die Sie testen, schwach oder logisch fehlerhaft ist, können die besten Designs, Methoden und Statistiken Ihre Vorhersagen undKlaus Fiedler erklärt die Bedeutung guter Theorien (Bild von Alex Koch). Fragestellungen auch nicht beantworten. Was wirklich zählt, ist eine starke theoretische Argumentation. Wir sollten uns immer bewusst sein, welche theoretischen Einschränkungen die Hypothese bestimmen, die getestet werden, und man sollte beim Testen einer Hypothese immer Gegenargumente in Betracht ziehen. Du musst diesen Selbstzweifel annehmen. Diese selbstkritische Haltung auf der Ebene der theoretischen Argumentation ist wichtiger als technisches Wissen.
  • Lakens: Ich stimme vollkommen zu. Aber ich denke nun mal, dass Statistik das einfachste ist, was man unterrichten kann (für Online-Kurse von Daniel Lakens siehe hier). Statistik ist nicht so schwierig und einfach in großen Gruppen zu unterrichten. Ich stimme also zu, dass Theorie wichtig ist, aber man sollte die Statistikausbildung nicht vernachlässigen. Wenn man das falsch macht, kann man sich schnell selbst etwas vormachen. Und das kann sich dann negativ auf die Bildung von Theorien auswirken. Wenn wir unsere Theorie auf Erkenntnissen aufbauen, die auf schlechten Statistiken beruhen, können wir auch keine präzisen theoretischen Vorhersagen ableiten.
  • Fiedler: George Kelly (1955) schrieb über den kreativen Zyklus, der sich auf unsere Debatte, aber auch auf Evolution, Therapie und viele andere Themen anwenden lässt. Kelly stellt die Idee eines Wechsels zwischen Lockerungs- und Straffungsphasen vor. Während Lockerungsphasen muss man kreativ sein und sich neue, vielleicht seltsame Ideen einfallen lassen. Dazu muss man mutig sein. Darauf folgt eine Straffungsphase, in der man verschiedene Hypothesen mit harter Statistik streng gegeneinander testet. Wir müssen sowohl Lockerungs- als auch die Straffungsphasen willkommen heißen und ernstnehmen. Zwischen beiden Phasen zu wechseln ist die ultimative Kunst, gute Wissenschaft zu betreiben.
  • Lakens: Ich bringe all meinen Studierenden  die Idee des Lockerns und der Straffung bei. Ich denke, das kennzeichnet, wie die Wissenschaft funktioniert und wie sie voranschreitet. Ich unterrichte sogar Klaus Fiedlers Artikel (2004), in dem er sich auf den kreativen Zyklus der Wissenschaft bezieht (schmunzelt).

In-Mind: Wie hat die Debatte Ihre eigene wissenschaftliche Arbeit verändert?

  • Lakens: Was ich gelernt habe, ist, dass die Wissenschaft selbst kein statisches System ist. Sie ist dynamisch. Für mich ist das sehr schön, denn das Nachdenken über diese Idee kann die eigene Forschung verbessern. Die Idee eines wandelbaren Systems zwingt einen dazu, sich immer wieder die Frage zu stellen: Was mache ich? Mache ich es auf die bestmögliche Art und Weise? Beispielsweise haben die neuen Technologien es ermöglicht, unsere Arbeit viel transparenter zu gestalten. Als ich die Schule abschloss, konnte ich gerade mal meine erste E-Mail-Adresse anlegen und jetzt haben wir die Technologie, die es mir erlaubt, meine Forschungsmethoden und Daten ganz einfach mit Anderen im Internet zu teilen. Das gefällt mir sehr gut und ich habe es in meine tägliche Routine als Wissenschaftler aufgenommen.
  • Fiedler: In der Debatte um die Reproduzierbarkeit von Forschung ist der freie Austausch von Daten und Wissen zur Selbstverständlichkeit geworden. Es ist so einfach und kostengünstig geworden. Ich finde es gut, dass wir uns nicht mehr in den alten Zeiten befinden, in denen die gemeinsame Nutzung von Daten etwas Ungewöhnliches war. Ich finde das so offensichtlich, so selbstverständlich wertvoll. Darüber hinaus hat die Debatte meinen Blick auf statistische und methodische Fragen geschärft. Ich muss sagen, dass ich die meisten Dinge schon vorher angewendet habe. Aber ich habe es nie so deutlich gesehen, wie ich es jetzt sehe.

In-Mind: Was stimmt Sie optimistisch, dass sich die Psychologie als Wissenschaft in die richtige Richtung bewegt?

    • Lakens: Klaus Fiedler erwähnte Studierende, die sich Sorgen um unsere Wissenschaft machen und desillusioniert sind. Vor kurzem unterrichtete ich in Zürich und machte eine ähnliche Beobachtung. Jemand äußerte sich sehr negativ über das Feld und sagte: Daniel Lakens erklärt die Vorteile von Kooperationen (Bild von Alex Koch)."Was wissen wir über Psychologie? Es gibt im Grunde nichts Gültiges, was in den Lehrbüchern steht!" Ich ließ dann jeden der fünfzehn Teilnehmenden eine Theorie oder Erkenntnis erwähnen, die ihrer Meinung nach solide und gut belegt ist. Es war erstaunlich zu sehen, wie viele Erkenntnisse erwähnt wurden. Ich denke, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, die negative Sichtweise zur Seite zu legen. Ich habe es satt, um ehrlich zu sein. Ich denke, wir sind bereit, uns zu verändern. Und ich denke, wir haben schon viele Schritte nach vorne gemacht. In diesem Zusammenhang gefällt mir besonders gut, wie die Debatte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler enger zusammenführt und vermehrt zu länder- und disziplinübergreifenden Kooperationen beiträgt.

  •  Fiedler: Kooperationen werden unser Feld sicher verbessern. Genauso wie die neuen Bestrebungen zum freien Teilen von Daten. Transparenz über die Hypothesen  und eine Präregistrierung dessen, was Sie in einer Studie erwarten, werden mit Sicherheit dabei helfen, das Feld voranzubringen. Sie werden es nicht glauben, aber ich bin tatsächlich an dieser Bewegung beteiligt. Allerdings auf eine etwas andere Art und Weise (lacht). Ein Kollege von mir mag Turniere. So kamen wir auf die Idee, Turniere für WissenschaftlerInnen auszuschreiben. Wenn es unterschiedliche Erklärungen für ein bestimmtes Phänomen gibt, wollen wir verschiedene wissenschaftliche Modelle und ForscherInnen miteinander konkurrieren lassen. Die Forschung, die das Phänomen am besten erklärt und vorhersagt, gewinnt das Turnier. Auf diese Weise wären Kooperationen nicht nur motivierend, sondern auch aufschlussreich, da sie helfen, Dinge zu finden, die man alleine nicht herausgefunden hätte. Außerdem wäre es unterhaltsam und inspirierend.


In-Mind: Wie kann die Psychologie angesichts dieser Herausforderungen mit der Öffentlichkeit kommunizieren?

  • Lakens: Laien  haben oft keine gute Vorstellung davon, wie Wissenschaft funktioniert. Deshalb denke ich, dass man das schon in der Schule lernen sollte. Dann wären die Leute nicht so einfach verwirrt, wenn sie in den Nachrichten von Forschungsergebnissen hören. Darüber hinaus müssen wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lernen, unsere Ergebnisse und deren Einschränkungen so darzustellen, dass Menschen sie auch ohne spezifische wissenschaftliche Details leicht verstehen können.

  • Fiedler: Wenn man etwas für ein Publikum von Laien veröffentlichen will, muss man eine Einstellung der Authentizität entwickeln. Es ist wirklich wichtig, seinem Publikum Selbstvertrauen, Authentizität und Glaubwürdigkeit zu vermitteln. Man kann nicht retten, was nicht wirklich echt ist. Es ist auch wichtig, diese Haltung zu zeigen, wenn man mit Journalistinnen und Journalisten spricht. Dies ermöglicht es uns, zu vermitteln, dass wir als Wissenschaft vertrauenswürdig sind und dass wir der Öffentlichkeit glaubwürdige Informationen zur Verfügung stellen. Was Sie mit dem In-Mind-Magazin machen, ist genau das, was ich meine. Das Ziel von In-Mind ist es, eine Schnittstelle zwischen dem zu sein, was WissenschaftlerInnen tun, und dem, was die Öffentlichkeit verstehen kann. Das ist wirklich wichtig. Wir haben diesen Aspekt in der Vergangenheit zu sehr vernachlässigt, obwohl es das ultimative Ziel ist. In-Mind ist also wirklich eine Verbesserung in dieser Hinsicht.

In-Mind: Vielen Dank für Ihre Zeit und dieses Interview.

Referenzen

Fiedler, K. (2004). Tools, toys, truisms, and theories: Some thoughts on the creative cycle of theory formation. Personality and Social Psychology Review, 8, 123-131.

Kelly, G. A. (1955). The psychology of personal constructs. Vol. 1. A theory of personality. Oxford, England: W. W. Norton.

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