Die Spielregeln der Kommunikation: Was in Werbung, Politik und beim Sonntagsfrühstück gesagt wird und was nicht
Was haben ausweichende Antworten von Politikern, Werbung für Kaffee mit Arabica-Bohnen und alltägliche Unterhaltungen am Frühstückstisch gemeinsam? Alle sind Kommunikationsakte und alle folgen den gleichen Regeln. Anders als bei gewöhnlichen Regeln müssen die Spieler im „Kommunikations-Spiel“ diese Spielregeln nicht explizit kennen, um ihnen dennoch zu folgen. Um welche Regeln es sich handelt, was bei Verstößen gegen diese Regeln passiert und wo wir überall mit ihnen konfrontiert werden, soll im Folgenden aufgezeigt werden.
Stellen Sie sich bitte die folgende Situation vor: Isolde sitzt sonntagmorgens am Frühstückstisch. Der Toast duftet, die Marmelade steht verführerisch nah und der heiße Kaffee dampft. Allerdings steht die Kaffeekanne am anderen Ende des Tisches, wo ihr Partner Tristan sitzt. Es entsteht also folgender Dialog:
Isolde: „Schatz, kannst Du mir den Kaffee reichen?“
Tristan: „Ja, das kann ich.“, ohne dass dieser Antwort allerdings eine Handlung folgt.
Was tut Isolde nun? Vielleicht schaut sie verwundert, vielleicht ärgert sie sich, vielleicht lacht sie, sofern sie diese Antwort nicht jeden Sonntag zu hören bekommt. In jedem Falle hat Isolde ihr Ziel nicht erreicht. Sie wollte nämlich nicht herauszufinden, ob ihr Frühstückspartner Tristan motorisch in der Lage ist, ihr den Kaffee zu reichen. Sie wollte eine Tasse Kaffee haben.
Glücklicherweise ist derartig fehlgeschlagene Kommunikation eher selten – meist wird Tristan Isolde den Kaffee einschenken. Ebenso wird eine Passantin auf die Frage, ob sie den Weg zum Bahnhof wisse, in aller Regel den Weg weisen und nicht lediglich „ja“ antworten. Kommunikationspartner folgen nämlich zumeist einigen Regeln, die erfolgreiche Kommunikation ermöglichen. Welche das sind, wie sie funktionieren, und was passiert, wenn sie verletzt werden, wollen wir in diesem Artikel näher beschreiben. Außerdem zeigen wir, dass der Anwendungsbereich solcher Kommunikationsregeln weit über persönliche (Alltags)Kommunikation hinausgeht und beleuchten einige Beispiele aus der Massenkommunikation. Doch bevor Isoldes Kaffee in unserem Beispiel erkaltet, nun zu den Regeln der Kommunikation.
Das Kooperationsprinzip und seine vier Maximen
Meist können wir in Gesprächen davon ausgehen, dass unser Gegenüber so auf uns eingeht, dass es zur Situation passt. Unser Gesprächspartner wird sich bemühen, eine passende Information zu liefern und die Kommunikation voranzubringen. Der englische Sprachphilosoph Herbert Paul Grice (1975) nennt dies das Kooperationsprinzip.Beide Gesprächspartner können sich also gewissermaßen auf einen Vertrag berufen, der ihrer Kommunikation zugrunde liegt. Dieser Vertrag muss nicht explizit geschlossen werden, bevor wir in Kommunikation miteinander treten, sondern wird von den Beteiligten implizit befolgt. Im Frühstücksbeispiel bedeutet das: Tristan hätte davon ausgehen müssen, dass Isolde nicht herausfinden wollte, ob er in der Lage ist, ihr Kaffee zu reichen. Er weiß, dass Isolde weiß, dass er das kann. Streng genommen kann Isolde ihm trotzdem keinen Vorwurf machen, denn er hat wahrheitsgemäß geantwortet. Dennoch hat er sich nicht an die Spielregel, das Kooperationsprinzip, gehalten. Er hat Isolde wörtlich genommen, obwohl das nicht beabsichtigt war. Wogegen hat Tristan nun aber genau verstoßen?
Dazu schauen wir uns das Kooperationsprinzip noch etwas genauer an: Grice (1975, 1978) zufolge setzt es sich aus vier Subprinzipien, den Maximen, zusammen: Die Maxime der Quantität besagt, dass ein Beitrag so informativ wie nötig, aber nicht informativer als für den Zweck des Gesprächs nötig sein soll. Die Menge der Information soll also dem Kommunikationsakt angepasst werden. Tristans Beitrag war umfangreicher als nötig, denn er enthielt längst bekanntes Wissen. Der Maxime der Qualität folgend, sind Kommunikationsbeiträge wahr. Es sollen also nur Dinge enthalten sein, von denen angenommen wird, dass sie auch stimmen. Diese Maxime wurde von Tristan nicht verletzt. Wahrheit ist aber nicht immer informativ, wenn sie (wie im Beispiel) bereits beiden Kommunikationspartnern bekannt ist. Die vielleicht wichtigste Maxime ist das Relevanzgebot. Jede gegebene Information soll für die aktuelle Situation, das heißt für das Ziel der aktuellen Kommunikation, relevant sein. „Sei relevant“ bedeutet, dass auf eine Bitte nach Kaffee nicht mit Angaben zu motorischen Fähigkeiten geantwortet wird. Schließlich fordert die Maxime der Modalität, dass Mehrdeutigkeit, Unordnung und Weitschweifigkeit in Kommunikationsbeiträgen vermieden werden. Tristan hat also die Modalitäts- und Qualitäts- Maxime befolgt, er hat wahrheitsgemäß und ohne Umschweife geantwortet. Relevant und so informativ wie gefordert war seine Antwort jedoch nicht.
Wir können also Folgendes festhalten: Auf die Frage „Kannst Du mir den Kaffee reichen?“, die im Grunde keine Frage, sondern eine Aufforderung ist, liefert die wörtliche Antwort „ja“ unnötige Information und ist für das Kommunikationsziel nicht relevant. Hier wird aber auch deutlich, dass der jeweilige Gesprächskontext mitbestimmt was relevant, informativ und angemessen ist. Hätte Tristan sich den Arm verletzt, könnte Isoldes Frage durchaus wörtlich gemeint sein und auch so verstanden werden – trotzdem hätte auf die Antwort „Ja, das kann ich.“ die Tat folgen müssen. Im Idealfall läuft unsere Kommunikation problemlos und die Maximen werden befolgt. Interessanterweise kann aber auch eine Missachtung Bedeutung vermitteln. Welche Bedeutungen das betrifft, betrachten wir im Folgenden genauer.
Missachtungen der Maximen
Weiß ich, dass ein Gesprächspartner offensichtlich eine Maxime missachtet (und weiß mein Gegenüber, dass ich das weiß), kann ich diese Missachtung interpretieren und ihr einen Sinn verleihen – Grice spricht dann von einer Implikatur. Die Bedeutung einer Implikatur geht über den reinen Inhalt des Gesagten hinaus. So könnte sich Isolde am Frühstückstisch also durchaus Gedanken darüber machen, wie sie Tristans Antwort zu verstehen hat. In Frage kommen zum Beispiel Ironie, viele Arten von Humor oder Metaphern, die durch Implikaturen funktionieren. Sagt man zu einem Freund, der einem soeben die Freundin ausgespannt hat: „Du bist mir ein guter Freund.“, so ist für alle offensichtlich die Maxime der Qualität verletzt. Die Aussage kann also nicht wörtlich gemeint sein. Der Sprecher macht mit seiner offenkundig unwahren Aussage deutlich, dass er den anderen ganz und gar nicht für einen guten Freund hält. Kommunikation kommt also durch Missachtungen der Maximen nicht zum Erliegen, sondern kann eine weitere Bedeutungsebene erhalten. Vielleicht wollte Tristan mit seiner Antwort eines lapidaren „ja“ auch auf Isoldes Verletzung der Höflichkeit ( Maxime der Modalität) hinweisen. Ein „bitte“ hätte ihrer Äußerung eindeutig den Charakter einer Aufforderung bzw. Bitte gegeben, und wäre nicht als Informationsfrage missverstanden worden. Ob Isolde das „ja“ Tristans ironisch, humorvoll oder tadelnd interpretiert, lässt sich hier nicht abschließend beurteilen. Diese unterschiedlichen Interpretationen illustrieren aber, dass selbst Alltagskonversationen ein fein abgestimmtes Spiel von Bedeutungsabsicht und Interpretation darstellen, weshalb Higgins, McCann und Fondacaro (1982) auch vom „Kommunikations-Spiel“ sprechen.
Auch die absichtliche Verletzung der Maxime der Relevanz, also die Herstellung eines möglichst direkten Bezugs zum Ziel der Kommunikation, kann bedeutsam sein. Was würde Tristan denken, wenn Isolde auf seine Frage „Wie schmeckt Dir mein Kaffee?“ antwortet „Kaffeekochen ist eine hohe Kunst.“? Ist er geschmeichelt? Oder beleidigt? Der Sozial- und Sprachpsychologe Thomas Holtgraves (2005) legte Personen fiktive Unterhaltungen vor. In diesen Unterhaltungen verletzte ein Gesprächspartner die Relevanz- Maxime, indem er auf die Frage „Wie gefiel dir meine Präsentation?“ ausweichend mit „Es ist schwer, eine gute Präsentation zu halten.“ antwortete. Diese Antwort wurde mehrheitlich als negative Aussage über die Präsentation interpretiert, ohne dass dies explizit gesagt wurde. Holtgraves schließt daraus, dass Relevanz-Missachtungen in interpersoneller Kommunikation zu negativen Interpretationen führen. Es wird angenommen, dass die Antwortenden aus Gründen der Höflichkeit (face management, vgl. Goffman, 1967) nicht direkt negativ antworten möchten.
Auch in der Politik spielen Verletzungen der Relevanz- Maxime eine Rolle: Missachten Politiker in ihren Antworten die Maximen und antworten irrelevant, das heißt nicht auf die gestellte Frage, so werden sie später negativer bewertet als direkt Antwortende (Rogers & Norton, 2011). Allerdings kommt es dazu nur, wenn die Missachtung auch bemerkt wird. Das geschieht häufig nur dann, wenn sich die Zuhörenden explizit auf die Frage konzentrieren. Oft aber bleibt das Ausweichen unbemerkt, weil die Zuhörenden eher darum bemüht sind, sich aus dem Gesagten einen Eindruck von der Person und nicht den Inhalten zu bilden. Ein möglicher Grund, warum Politiker die Kunst der irrelevanten Antwort pflegen, ohne dabei großen Schaden zu nehmen.
In diesen Beispielen erlauben die Maximen also weitergehende Interpretationen einer Aussage. So können Kommunikationspartner eine Interpretation über den semantischen Inhalt des wörtlich Gesagten hinaus vornehmen – man spricht vom pragmatischen Verstehen. Ganz ähnlich wirken die Konversationslogik und ihre Maximen in einem Kontext, der nicht immer durch Inhalte besticht, aber dennoch eine beachtliche Wirkung erzielt – in der Werbung (vgl. Wänke, 2007).
Konversationslogik und Werbung: Die pragmatische Persuasion
Tristan, durch Isoldes Kritik verunsichert, möchte nun besonders guten Kaffee kaufen. Wie beeinflussen ihn dabei Werbeaussagen?
Zur Erinnerung: Die vielleicht wichtigste Annahme des Kooperationsprinzips ist die Relevanz- Maxime. Diese besagt, dass Beiträge für das Ziel der Kommunikation relevant sein sollen. Diese Annahme bleibt auch in Massenkommunikation wie Werbung bestehen. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass uns der Werber überzeugen möchte und dazu relevante Argumente verwendet. Diese Annahme verhilft verschiedenen Stilmitteln der Werbung erst zu ihrer Wirksamkeit, wie das folgende Beispiel illustriert: „Mit seinem hohen Anteil an Arabica-Bohnen schmeckt Wagner-Kaffee noch vollmundiger.“ Völlig offen gelassen wird der Vergleichsgegenstand. Vollmundiger als Leitungswasser oder Pfefferminztee kann jedoch nicht gemeint sein, denn das wäre wenig überzeugend für Kaffeetrinkende. Da der Hersteller überzeugen will (das primäre Ziel von Werbung), ist vermutlich vollmundiger als andere Kaffeesorten gemeint. Das zweite Stilmittel, das hier aufgrund der Konversationslogik wirkt, ist die unvollständige Begründung. Warum schmeckt Wagner Kaffee vollmundiger? Als Begründung wird der hohe Anteil an Arabica-Bohnen genannt. Damit wird aber gleichzeitig unterstellt, dass Arabica-Bohnen für vollmundigen Geschmack sorgen (die Prämisse) – was bislang vielleicht nicht jeder wusste. Eine solche Unterstellung zweifeln wir in der Regel nicht an, erhält der Werbespruch doch nur so seinen Sinn (vgl. Areni, 2002). Ein vollständiges Argument würde sich aus zwei Prämissen zusammensetzen. Erstens und bereits im Werbespruch enthalten: „Wagner-Kaffee enthält einen hohen Anteil an Arabica-Bohnen.“ Zweitens und in der Wagner-Werbung fehlend: „Arabica Bohnen sorgen für vollmundigen Geschmack.“ Nur in Kombination ergibt dies dann die Schlussfolgerung „Wagner-Kaffee schmeckt vollmundig.“ Würden Arabica-Bohnen statt eines vollmundigen Geschmacks Glücksgefühle hervorrufen, wäre das Tristan und Isolde am Frühstückstisch zwar zu wünschen, die obige Werbeaussage wäre aber falsch.
Interessanterweise sorgen Konversationsregeln aber auch dafür, dass Werbung gar keine Begründung liefern muss. Wirbt ein Hersteller von Hautcreme beispielsweise damit, dass seine Anti-Aging Creme „Kollagen-Proteine“ enthält, können wir daraus schließen, dass Kollagen-Proteine ein dem Alter vorbeugender und positiver Bestandteil von Hautcremes sind. Warum sonst hätte uns der Hersteller darauf aufmerksam machen sollen? Wirbt derselbe Hersteller damit, dass seine Hautcremes jetzt „frei von Kollagen-Proteinen“ sind, führt das zu der entgegengesetzten Annahme, dass Kollagen-Proteine in Hautcremes offenbar nicht positiv sind. Scheinbar sind sie in einigen Hautcremes (natürlich nur von anderen Herstellern) aber vorhanden. Diese auf den Grice‘schen Maximen basierende Persuasionsstrategie wird auch als „pragmatische Persuasion“ (Wänke & Reutner, 2010) beschrieben. Über den semantischen Gehalt einer Aussage hinaus (z. B. „enthält Kollagen-Proteine“) ziehen Personen pragmatische Schlüsse, warum etwas gesagt wurde. Ein Hersteller hat natürlich ein Interesse daran, den Konsumenten von seinem Produkt zu überzeugen. Vor diesem Hintergrund werden seine vorher sinnfreien Aussagen zu Kollagen-Proteinen oder Arabica-Bohnen zu relevanten Argumenten. Dies funktioniert auch, wenn Kollagen-Proteine oder Arabica-Bohnen in Wirklichkeit bedeutungslos für Hautpflege oder Kaffeegenuss sind.
Fazit: Kommunikation passiert nicht zufällig
Kommunikation, sei es am Frühstückstisch von Tristan und Isolde, im Politiker-Interview oder in Massenkommunikation wie Werbung, passiert nicht zufällig, sondern folgt ihr innewohnenden Regeln. Das Mitgeteilte erhält seinen Sinn zu großen Teilen durch Annahmen beim Zuhörer. Zu diesen Annahmen zählen die Grice‘schen Maximen, dass ein Beitrag relevant, ausreichend detailliert und wahr ist. Erschließt sich die Relevanz nicht automatisch wie im Beispiel der Arabica-Bohnen, wird der Empfänger selbst aktiv und generiert mögliche Bedeutungen, die einer Aussage Relevanz verleihen. Dabei leiten das Kooperationsprinzip und Grice‘ Konversationsmaximen die Interpretation.
Achten Sie also beim nächsten Tagesschau-Interview mit einem Politiker auf die Relevanz der Antworten und beim nächsten Einkauf auf die Arabica-Bohnen und Kollagen-Proteine, aber lassen Sie sich nicht zu leicht davon überzeugen. Zu welchen Schlüssen verleitet Sie die Aufschrift „vegetarisch“ auf der Gemüsebrühe? Ein Gegenüber, das dem Kooperationsprinzip der Kommunikation folgt, liefert Ihnen diese eigentlich überflüssige Information nicht. Aber nicht alle Gegenüber in Werbung oder Politik halten sich an dieses Prinzip. Prüfen Sie doch einfach einmal für sich, welches Ziel eine Kommunikation vermutlich verfolgt: Sollen Sie belustigt, verwirrt oder überzeugt werden oder geht es doch ganz profan darum, dass Ihr Gegenüber eine Tasse Kaffee haben möchte? Anders als Tristan werden Sie diesem Wunsch dann sicher nachkommen – Sie kennen die Spielregeln der Kommunikation ja nun.
Literaturverzeichnis
- Areni, C. S. (2002). The proposition probability model of argument structure and message acceptance. Journal of Consumer Research, 29, 168-187.
- Goffman, E. (1967). Interaction ritual: Essays on face to face behavior. Garden City, NY: Anchor Books.
- Grice, H. P. (1975). Logic and conversation. In P. Cole & J. Morgan (Eds.), Syntax and semantics 3: Speech acts (pp. 41-58). New York, NY: Academic Press.
- Grice, H. P. (1978). Some further notes on logic and conversation. In P. Cole (Ed.), Syntax and semantics 9: Pragmatics (pp. 113-128). New York, NY: Academic Press.
- Higgins, E., McCann, C. & Fondacaro, R. (1982). The 'communication game': Goal-directed encoding and cognitive consequences. Social Cognition, 1, 21-37.
- Holtgraves, T. (2005). Diverging interpretations associated with the perspectives of the speaker and recipient in conversations. Journal of Memory and Language, 53, 551- 566.
- Rogers, T. & Norton, M. I. (2011). The artful dodger: Answering the wrong question the right way. Journal of Experimental Psychology: Applied, 17, 139-147.
- Wänke, M. (2007). What is said and what is meant: Conversational implicatures in natural conversations, research settings, media, and advertising. In K. Fiedler (Ed.), Social communication. (pp. 223-255). New York, NY: Psychology Press.
- Wänke, M. & Reutner, L. (2010). Pragmatic persuasion: How communicative processes make information appear persuasive. In J. P. Forgas, J. Cooper & W. D. Crano (Eds.), The psychology of attitudes and attitude change (pp. 183-197). New York, NY: Psychology Press.