Editorial zur Themenausgabe: „Stereotype und Vorurteile“
„Wenn wir eines Tages aufwachten und jeder Mensch hätte dieselbe Rasse, denselben Glauben und dieselbe Farbe, hätten wir bis mittags andere Gründe für Vorurteile gefunden.“ – George Aiken (ehemaliger U.S. amerikanischer Politiker)
Im Angesicht vermehrter Migrationsbewegungen, einhergehend mit polarisierten Diskussionen in Politik und in sozialen Medien, scheint der soziale Frieden in Europa bedroht. Debatten sind geprägt von Vorverurteilungen und pauschalen Schuldzuschreibungen. MigrantInnen werden als gefährlich bezeichnet, AmerikanerInnen als dumm, Ostdeutsche als Nazis und SüdländerInnen als faul. Stereotype und Vorurteile betreffen alle gesellschaftlichen Gruppen und erscheinen wie ein natürlicher Begleiter der sozialen Wahrnehmung. Nicht selten ziehen sie jedoch drastische, negative Konsequenzen nach sich, vor allem für Mitglieder von Gruppen mit niedrigem sozialem Status. Folglich befördern Stereotype und Vorurteile auch die Empfindung von Ungerechtigkeit und bedrohen das zwischenmenschliche Vertrauen und die Kooperation und somit letztlich den sozialen Frieden.
Doch warum haben wir eigentlich Vorurteile und wie bilden sie sich heraus? Kann man Vorurteile messen? Können wir unsere Vorurteile kontrollieren? Können wir überhaupt anderen Menschen unvoreingenommen gegenübertreten? Diese klassischen Fragen der Sozialpsychologie sind echte Evergreens und auch heute noch Gegenstand vielfältiger Forschung. Um diesen Fragen aus wissenschaftlicher Sicht auf den Grund zu gehen, dreht sich ein zweiteiliges Themenheft des In-Mind Magazins um den Themenkomplex Stereotype und Vorurteile.
Teil 1 des Themenheftes beleuchtet zunächst „Die Hintergründe und die Macht des ersten Eindrucks“. Nils Brandenstein und Claus-Christian Carbon erläutern wie und warum wir uns in unserem Alltag blitzschnell einen Eindruck von anderen Menschen bilden und warum dieser erste Eindruck häufig sehr hartnäckig ist. Der Artikel „Haben wir alle Versteckte Vorurteile?“ von Alexandra Goedderz und Adam Hahn beschäftigt sich mit „impliziten“ Einstellungen und ihrer Bedeutung in der Gesellschaft. Die AutorInnen gehen der Frage nach, ob wir alle unbewusste Vorurteile gegenüber Fremdgruppen haben und ob man diese messen kann. Anschließend nimmt Juliane Degner in ihrem Artikel „Stereotype und Vorurteile im frühen Kindesaltern“ eine entwicklungspsychologische Perspektive ein. Der Artikel erläutert wie Stereotype und Vorurteile bereits im Kindesalter als Folge normaler Lernprozesse entstehen und wie sie schon in der KiTa offen zutage treten. Den ersten Teil unseres Themenheftes beschließt Jens Hellmann und geht der Frage nach, ob zwischenmenschlicher Kontakt eine wirksame Methode ist, um Stereotypen und Vorurteile abzubauen.
Teil 2 des Themenheftes eröffnen Stefanie Hechler und Thomas Kessler und gehen der klassischen sozialpsychologischen Frage auf den Grund, warum „wir“ uns eigentlich besser finden als „die anderen“. In seinem Artikel „Vorurteile im Wandel der Zeit“ nimmt David Urschler dann eine historische Perspektive ein und zeigt auf, dass
Vorurteile gegenüber sozialen Gruppen immer auch einen Zeitgeist widerspiegeln. Die Auswirkungen von Stereotypen und Vorurteilen in der Schule beleuchten Anita Tobisch, Florian Klapproth und Markus Dresel und stellen die Frage, ob Kinder mit Migrationshintergrund durch Lehrkräfte benachteiligt werden. Zum Abschluss unseres Themenheftes widmen sich Maria Agthe und Daniela Niesta-Kayser den Vorurteilen gegenüber schönen Menschen und zeigen auf, dass Schönheit häufig einen Vorteil, manchmal aber auch einen Nachteil darstellt.
Zusammenfassend bieten die Artikel unseres Themenheftes eine Reihe wertvoller Erkenntnisse.
Stereotype und
Vorurteile sind natürliche Begleiter des sozialen Lebens, die sich bereits im Kindesalter manifestieren. Sie erscheinen oft unscheinbar und harmlos, können jedoch massive Benachteiligungen für Betroffene nach sich ziehen, bis hin zur Gefahr für Leib und Leben. Die Universalität von Stereotypen und Vorurteilen einerseits und ihre potenziell dramatischen Konsequenzen andererseits, haben sozialpsychologische ForscherInnen seit jeher fasziniert und angetrieben, diese besser zu verstehen. Auch in Zukunft werden
Stereotype und
Vorurteile uns noch beschäftigen. Sie lassen sich als solche nicht ‚abschaffen‘ und auch sie zu verändern bedarf eines gewissen Aufwands und Mutes. Am effektivsten lassen sich (negativen)
Stereotype durch positive Kontakterfahrungen überwinden. Denn dort, wo Menschen sich in einem sicheren Umfeld kennenlernen können und sich als Individuen begegnen, dort weichen
Stereotype und
Vorurteile der Wahrnehmung von Personen mit Bedürfnissen, Ängsten, Hoffnungen und einer Geschichte und dort entsteht Vertrautheit.
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