Horoskope – Wieso wir daran glauben
In Horoskopen lesen wir häufig Sätze wie: „Manchmal sind Sie extrovertiert, leutselig und aufgeschlossen, manchmal eher introvertiert, skeptisch und zurückhaltend.“ Haben Sie das Gefühl, diese Aussage trifft auf Sie zu? Wahrscheinlich. Und damit sind Sie nicht alleine. Eine mögliche Erklärung dafür, dass Horoskope sich häufig als scheinbar richtig erweisen, liefert der Barnum-Effekt.
Gala, Bild, Kölner Stadtanzeiger – auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Printmedien, und doch haben sie eines gemeinsam: Sie enthalten Horoskope. Das erste Horoskop erschien 1930 in England. Der „Sunday Express“ veröffentlichte es damals zu Ehren der gerade geborenen Prinzessin Margaret. Die Geburt einer Prinzessin war somit auch die Geburtsstunde des Horoskops.
Bis heute erfreuen sich Horoskope großer Beliebtheit. 39 Prozent der Deutschen geben an, Horoskope zumindest in unregelmäßigen Abständen zu lesen. Und zugegeben, ich bin eine von ihnen. Obwohl ich eigentlich weiß, dass Planetenkonstellationen keine Auswirkungen auf mein Liebesleben haben oder mir einen unverhofften Geldsegen bringen könnten, scheinen die Formulierungen in Horoskopen immer auf meine momentane Situation zu passen. Wieso ist das so?
Eine mögliche Erklärung hierfür ist der sogenannte Barnum-Effekt. Der Name Barnum ist Ihnen vielleicht schon einmal über den Weg gelaufen, als Sie Netflix geschaut haben: Der Film The Greatest Showman erzählt die Geschichte von Phineas Taylor Barnum, einem amerikanischen Geschäftsmann aus dem 19. Jahrhundert. Barnum eröffnete damals einen Zirkus, der neben Tieren und TänzerInnen auch MagierInnen, Giganten, Kleinwüchsige und eine vermeintliche Meerjungfrau zeigte und gilt daher als Pionier des Zirkus. Die Mitwirkenden des Zirkus wurden dabei exotisch angekündigt: „Sehen Sie sich die Schlangenfrau an – sie geht, sie redet, sie atmetet die Luft um uns herum“. Eine doch eher banale Aussage, wie ein amerikanischer Psychologe seinerzeit bemerkte („Natürlich tut sie das“) und den Befund, dass belanglose Aussagen auf so ziemlich jede Person zutreffen, daher als Barnum-Effekt bezeichnete (Meehl, 1956).
Der Barnum-Effekt besagt also, dass Aussagen so interpretiert werden, dass sie als auf die eigene Person zutreffend empfunden werden (Forer, 1949) – und zwar vor allem dann, wenn sie kurz, vage, zweiseitig und positiv sind (Sundberg, 1955). Typische Beispiele sind „Sie mögen ein bisschen Veränderung in ihrem Leben“ (vage), „Sie sind spontan, voller Lebensfreude und sehr gefühlvoll – aber Sie sind auch ziemlich aufgekratzt und schnell bereit, die Stimmung in Ärger und Aggression umschlagen zu lassen“ (zweiseitig) oder „Sie sind optimistisch und kraftvoll und werden von anderen gemocht“ (positiv). Aussagen, auf die diese Eigenschaften zutreffen, werden auch als Barnum-Statements bezeichnet.
Der Barnum-Effekt wurde erstmals 1949 von dem Psychologen Bertram Forer gezeigt und wird daher auch Forer-Effekt genannt. Um den Barnum-Effekt zu testen, wurden Studierenden unterschiedliche Barnum-Statements vorgelegt, zum Beispiel „Du brauchst die Zuneigung und Bewunderung anderer, dabei neigst du zu Selbstkritik“, „Manchmal verhältst Du Dich extrovertiert, leutselig und aufgeschlossen, manchmal auch introvertiert, skeptisch und zurückhaltend“ oder „Zwar hat deine Persönlichkeit einige Schwächen, doch kannst du diese im Allgemeinen ausgleichen“.
Es wurde angenommen, dass diese Barnum-Statements als diagnostisch für die Persönlichkeit angesehen werden, obwohl sie das aufgrund ihrer Allgemeingültigkeit nicht sind. Hierzu wurden den Studierenden 13 Barnum-Statements vorgelegt, die sie auf einer Skala von 0 (gering) bis 5 (perfekt) bewerten sollten. Es gab zwei Bewertungskriterien: Inwiefern eignen sich die Aussagen dazu, Persönlichkeit überhaupt offenzulegen und inwiefern eignen sich die Aussagen dazu, grundlegende Eigenschaften der eigenen Persönlichkeit offenzulegen? Zusätzlich wurden die Studierenden darum gebeten, zu markieren, ob sie die Aussagen bezogen auf ihre eigene Persönlichkeit für wahr oder falsch hielten.
Als die Studierenden im Anschluss an das Experiment aufgefordert wurden, die Hand zu heben, wenn sie glaubten, die präsentierten Aussagen wären als Persönlichkeitstest gut geeignet, meldete sich die gesamte Klasse. Dieses Ergebnis lässt bereits vermuten was auch die statistische Auswertung später zeigte: Die Studierenden hielten die Aussagen für einen zuverlässigen Test für die Messung ihrer Persönlichkeitseigenschaften, obwohl es sich hierbei um Barnum-Statements handelte.
Wieso also interpretieren wir Aussagen so, als wären sie speziell auf uns zugeschnitten, obwohl sie offensichtlich auf die meisten Menschen zutreffen? Bei der genaueren Betrachtung der Barnum-Statements wird das vielleicht bereits deutlich: Barnum-Statements lassen viel Raum für Interpretation. Wer die „anderen“ sind, dessen Zuneigung man sich wünscht, wird nicht näher definiert. In welchen Situationen Personen, die diesen Text lesen, extrovertiert sind, in welchen introvertiert, bleibt ihnen selbst überlassen. Und auch auf welche Schwächen Bezug genommen wird, kann jede Person für sich entscheiden. Solche Aussagen sind daher allgemein zulässig. Das bedeutet, sie treffen auf alle Menschen gleichermaßen zu, ähnlich wie die Aussage „Du hast zwei Augen“.
Dass Menschen normalerweise zwei Augen besitzen, bedeutet jedoch auch, dass dieses Merkmal nicht dabei hilft, einen Menschen von einem anderen Menschen zu unterscheiden. Hierfür bräuchte es weitere Merkmale, beispielsweise die Augenfarbe, ihre Form und die Länge der Wimpern. Genauso ist es bei der Persönlichkeit. Dass ein Mensch Schwächen und Stärken hat, unterscheidet ihn nicht von anderen Menschen. Es sind die individuellen Schwächen und Stärken, die uns unterscheidbar machen. Die einen können nicht so gut zuhören, dafür jedoch gut unterhalten. Die anderen können nicht singen, aber gut tanzen. Dadurch, dass Barnum-Statements die Interpretation ihres uneindeutigen Inhalts jeder Person selbst überlassen, kann ihnen daher fast immer zugestimmt werden.
Das Überraschende an Barnum-Statements ist jedoch nicht, dass wir ihnen zustimmen. Eine Zustimmung ist aufgrund ihrer Formulierung sehr wahrscheinlich. Das Überraschende ist, dass wir die Aussagen als zutreffend für unsere eigene Persönlichkeit empfinden, als akkuraten Test dessen, was uns ganz speziell ausmacht: In einem Experiment wurde Versuchspersonen sowohl ein echtes psychologisches Gutachten vorgelegt, das einzig und allein für die jeweilige Testperson erstellt wurde, sowie eine Beschreibung, die lediglich stereotype und vage Aussagen enthielt, die auf alle Testpersonen zutrafen (also: Barnum-Statements). Es zeigte sich, dass die Versuchspersonen die gefälschten Testdaten als glaubhafter einstuften als das richtige psychologische Gutachten (Merrens & Richards, 1970).
Und obwohl wir in der Lage sind, zwischen echtem, trivialem und falschem Feedback zu unterscheiden, nehmen wir das triviale Feedback als zuverlässigste Quelle für unsere Persönlichkeit wahr (Harris & Greene, 1984). Das bedeutet, das Wissen darum, dass Barnum-Statements allgemein gehaltene Aussagen sind, hält uns nicht davon ab, diese für zutreffend zu halten. Dabei scheint es unwichtig, ob das Feedback zur Persönlichkeit von PsychologInnen, AstrologInnen oder einem Computer gegeben wird (Snyder & Larson, 1972; Ulrich et al., 1963).
Dass es sich bei Horoskopen ebenfalls um Aussagen handelt, die Barnum-Eigenschaften besitzen, konnte Michel Gauquelin 1979 eindrucksvoll nachweisen. Gauquelin schickte VersuchsteilnehmerInnen hierfür ein angeblich individuell auf sie zugeschnittenes Horoskop und ließ die Versuchspersonen anschließend bewerten, inwiefern sie sich in ihrer Persönlichkeit und ihren Problemen in diesem Horoskop wiederfinden. 90% der teilnehmenden Personen gaben an, die Beschreibung als sehr passend zu empfinden. Wie später aufgeklärt wurde, handelte es sich bei dem vermeintlich individuellen Horoskop der einzelnen VersuchsteilnehmerInnen jedoch um ein- und dasselbe Horoskop, nämlich eines, das auf Basis der Geburtsdaten eines Serienmörders erstellt wurde.
Fügt man einem Horoskop einen Einschub wie „für dich“ hinzu, verstärkt das dessen Glaubwürdigkeit zusätzlich. Denn Rückmeldung, die ganz speziell für uns ist, empfinden wir als noch zutreffender (Snyder & Larson, 1972). Gleichzeitig können Interventionen dabei helfen, den Barnum-Effekt zu reduzieren. Wird den Versuchspersonen mitgeteilt, dass es sich beim Barnum-Effekt um eine kognitive Verzerrung handelt und wie diese funktioniert, nehmen diese Barnum-Statements als weniger zutreffend wahr (Ferrero-Rodriguez et al., 2021).
Es gibt jedoch auch Kritik daran, wie der Barnum-Effekt ermittelt wird. Wie Sie vielleicht bereits festgestellt haben, wird der Barnum-Effekt häufig gemessen, indem Versuchspersonen angeben, für wie zutreffend sie die präsentierten Barnum-Statements halten. Auf Basis dieser Ergebnisse werden Personen, die dem Barnum-Effekt unterliegen, dann mitunter als leichtgläubig abgetan. Allerdings ist es nicht per se falsch, Barnum-Statements als passend wahrzunehmen, denn das sind sie durchaus. Wie bereits erwähnt, treffen Barnum-Statements zu, jedoch nicht auf mich als spezifische Person, sondern auf fast alle Menschen. Was Barnum-Statements daher nicht vermögen, ist, zwischen Menschen zu unterscheiden.
Andersen und Nordvik (2002) schlagen daher weitere Kriterien vor, um zu überprüfen, wie wir Barnum-Statements wahrnehmen. Neben Akkuratheit fragten die AutorInnen die Versuchspersonen daher, ob sie die Statements für einzigartig und informativ halten. Hier zeigte sich, dass Barnum-Statements einen Nachteil gegenüber wahrem Feedback haben: Wir scheinen durchaus in der Lage zu sein, zu erkennen, dass Barnum-Statements es nicht ermöglichen, Menschen zuverlässig voneinander zu unterscheiden.
Obwohl Forschung zeigt, dass der Barnum-Effekt unabhängig vom Alter ist (Furnham & Schofield, 1987), glauben gerade jüngere Menschen an Horoskope (Zandt, 2021). Eine Erklärung für den Erfolg von Horoskopen beim jüngeren Publikum könnte darin liegen, dass Horoskope Unsicherheiten reduzieren können (Glick et al., 1989). Studien zeigen, dass insbesondere junge Erwachsene in Zeiten von COVID-19 unter der damit verbundenen Unsicherheit leiden (Glowacz & Schmits, 2020).
Doch nicht nur in Horoskopen werden Barnum-Statements eingesetzt. Auch ExpertInnen aus dem Bereich des Marketings machen sich den Barnum-Effekt zunutze. Bei Spotify sind in „Folgen für dich“ einfach so viele Podcasts aufgelistet, dass auf jeden Fall etwas für Sie dabei ist.
Im Tarot finden sich ebenso Barnum-Statements wie in in Pseudo-Persönlichkeitstests im Internet. Online-Tests, die zeigen, „was in dir steckt“, sind oft so vage formuliert, dass sie auf jeden Fall zutreffen. Wie eben: „Manchmal verhältst Du Dich extrovertiert, leutselig und aufgeschlossen, manchmal auch introvertiert, skeptisch und zurückhaltend.“ Daher ist es sinnvoll, Aussagen auf ihren Inhalt zu überprüfen. Ist die Aussage informativ? Erscheint sie einzigartig? Und handelt es sich dabei tatsächlich um eine Beschreibung, die auf mich als Person zutrifft? Oder lese ich hier gerade ein Barnum-Statement? Wie auch immer die Antwort auf diese Frage lautet, eines ist sicher: Dieser Text macht etwas mit Ihnen.
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Literaturverzeichnis
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Zandt, F. (21. Oktober, 2021). Jüngere Deutsche glauben eher an Horoskope [Digitales Bild]. Zugriff am 13. Juni 2022, von https://de.statista.com/infografik/26016/glaube-an-vorhersagen-aus-horos...