Sind Blondinen wirklich dumm?

Dieser Beitrag wurde zunächst in englischer Sprache in der englischsprachigen Ausgabe (6/2007, Ausgabe 3) des In-Mind Magazins veröffentlicht.

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Blondinen sind dumm, Ausländer sind faul und Frauen können kein Mathe. Andauernd begegnen wir in unserem Alltag solchen Aussagen, auch wenn die meisten Menschen diese Aussagen natürlich nicht ernst nehmen würden. Trotzdem verhalten wir uns gegenüber anderen oft so, als wären sie Mitglied einer bestimmten Gruppe und nichts anderes. Die Grundlagen für diese Verhaltensweisen sind Stereotype und Vorurteile. Stereotype sind subjektive Vorstellungen über die Eigenschaften, Einstellungen und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer bestimmten Gruppe. Es handelt sich dabei um Übergeneralisierungen, wobei den Mitgliedern einer Gruppe bestimmte Eigenschaften nur deswegen zugeschrieben werden, weil sie Mitglied dieser Gruppe sind.

Bild von stokpic via Pixabay (https://pixabay.com/de/m%C3%A4dchen-jung-frau-zur%C3%BCck-schlank-677576/), CCO (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)Selbstverständlich möchten wir uns nicht als vorurteilsbehaftet sehen. Wir glauben an die Gleichheit der Geschlechter und der Ethnien. Vielleicht machen wir einen Witz über die dumme Blondine, aber glauben wir wirklich daran? Glauben wir wirklich, dass Frauen kein Mathe können? Glauben wir, dass Afroamerikaner aggressiver als weiße Amerikaner sind? Die meisten von uns würden das sicherlich verneinen. Obwohl wir egalitäre Überzeugungen von Gleichheit und Gerechtigkeit haben und obwohl wir glauben, dass wir andere nicht verurteilen, sondern uns fair verhalten, hat die Forschung gezeigt, dass die „bösen“ Stereotype tief in uns allen verborgen liegen. Stereotype werden in vielen Situationen und auf die kleinsten Hinweisreize hin aktiviert – schon die reine Anwesenheit eines Mitglieds einer bestimmten Gruppe kann dafür ausreichend sein. Mit anderen Worten, wenn wir einem Mitglied einer bestimmten Gruppe begegnen, rufen wir automatisch Informationen über diese Gruppe ab, wie zum Beispiel typische Einstellungen und Verhaltensweisen.

Bild von jill111 via Pixabay (https://pixabay.com/de/h%C3%BCbsche-frau-make-up-spiegel-glanz-635258/), CCO (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)Patricia Devine von der Universität Wisconsin-Madison (1989) untersuchte, welche Teile bei der Stereotypisierung automatisch sind und welche Teile bewusst kontrolliert werden können. In einer Reihe von Experimenten über das (nordamerikanische) kulturelle Stereotyp schwarzer Menschen konnte sie zunächst zeigen, dass Menschen mit einem hohen und Menschen mit einem niedrigen Grad an Vorurteilen gleich gut über den Inhalt des Stereotyps Bescheid wissen. Nach diesem Stereotyp gelten schwarze Menschen beispielsweise als aggressiv und kriminell, aber auch als sportlich und rhythmisch. Um zu untersuchen, ob die reine Kenntnis eines solchen Stereotyps Gedanken und Verhalten beeinflussen kann – unabhängig davon, ob man bewusst an das Stereotyp glaubt – führte Devine eine Studie durch, in der den Versuchspersonen nicht bewusst war, dass ihre Stereotype aktiviert worden waren. Nach der Aktivierung wurde gemessen, als wie aggressiv die Versuchspersonen ein zweideutiges Verhalten beurteilten. Die TeilnehmerInnen der Untersuchung sahen kurze Lichtblitze und sollten angeben, ob diese links oder rechts in ihrem Gesichtsfeld erschienen. Tatsächlich waren diese Lichtblitze jedoch Wörter, die so kurz gezeigt wurden (80 Millisekunden), dass das menschliche Gehirn sie nicht bewusst erkennen kann. Trotzdem kann das Gehirn immer noch den semantischen Inhalt beurteilen. Ein solches Verfahren bezeichnet man als subliminales Priming bzw. unterschwellige Bahnung. Bei der einen Hälfte der Versuchspersonen wurden Wörter verwendet, die zumeist Bezug zum afroamerikanischen Stereotyp (z. B. „Blacks“, „Negros“, „niggers“, „poor“, „lazy“, „athletic“), jedoch keinen Bezug zu Aggressivität und Feindseligkeit hatten. Bei der anderen Hälfte der Versuchspersonen hatten die Wörter zumeist einen neutralen Inhalt (z. B. „Wasser“, „Fernsehen“, „Nummer“, „jedoch“). Nachdem den Versuchspersonen 100 dieser Wörter gezeigt wurden, wurden sie gebeten, an einem angeblich unabhängigen zweiten Experiment zum Thema Eindrucksbildung teilzunehmen. Die Versuchspersonen lasen hierzu einen kurzen Text über eine Person namens Donald, der sich mehrmals auf nicht eindeutige Weise aggressiv verhält. Beispielsweise weigert Donald sich so lange, seine Miete zu bezahlen, bis die Wohnung neu gestrichen wurde. Die Aufgabe der Versuchspersonen war es dann zu beurteilen, als wie feindselig sie Donalds Verhalten betrachten. Das eindrucksvolle Ergebnis der Studie von Devine ist, dass die Versuchspersonen Donalds Verhalten als aggressiver bewerteten, wenn sie vorher mit Wörtern geprimed wurden, die sich auf Afroamerikaner bezogen, als wenn sie vorher neutrale Wörter sahen. Hierbei machte es keinen Unterschied, ob die Versuchspersonen einen hohen oder einen niedrigen Grad an Vorurteilen aufwiesen. Obwohl die Versuchspersonen die Priming-Wörter nicht bewusst lesen konnten, wurde das Stereotyp trotzdem aktiviert und beeinflusste die nachfolgende Beurteilung einer anderen Person, nämlich Donalds, dessen ethnische Zugehörigkeit übrigens nicht erwähnt wurde. Devine fand folglich heraus, dass Personen in Situationen, in denen sie nicht erkennen, dass sie stereotypisieren, dazu neigen, andere auf der Grundlage von Attributionen zu beurteilen, die in Einklang mit dem Stereotyp stehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die beobachteten Verhaltensweisen nicht eindeutig sind und mehrere Erklärungsansätze erlauben. Obwohl wir stereotype Gedanken bewusst kontrollieren und bekämpfen können, sind wir uns nicht immer bewusst, dass es etwas zu bekämpfen gibt, und tun es dann auch nicht.

Eine Forschergruppe der New York Universität (Bargh, Chen & Burrows, 1996) führte die Arbeiten von Devine weiter. Sie konnten zeigen, dass die Aktivierung eines bestimmten Stereotyps nicht nur zu übereinstimmenden Beurteilungen von anderen führt, sondern dass die Aktivierung auch das eigene Verhalten beeinflusst. In diesem Experiment bearbeiteten die Versuchspersonen eine supraliminale Priming-Aufgabe bzw. überschwellige Bahnungs-Aufgabe, die sogenannte Scrambled Sentence Task (deutsch: Durcheinandergebrachte-Sätze-Aufgabe). Bei dieser Aufgabe sollten die Versuchspersonen einen grammatikalisch korrekten Satz mit vier Wörtern bilden, wobei ihnen zur Satzbildung fünf Wörter vorgelegt wurden. Bei einem Drittel der Versuchspersonen enthielten die Sätze Wörter, die mit Unhöflichkeit verbunden sind (z. B. aggressiv, unhöflich, stören). Bei einem zweiten Drittel standen die Wörter in Verbindung mit Höflichkeit (z. B. Respekt, Ehre, rücksichtsvoll). Die restlichen Versuchspersonen bearbeiteten Sätze mit neutralem Inhalt. Die Versuchspersonen wurden gebeten, diese Aufgabe fertig zu stellen und danach den Versuchsleiter in einem benachbarten Raum aufzusuchen. Allerdings unterhielt sich der Versuchsleiter gerade mit jemandem in dem Nachbarraum, als die Versuchspersonen fertig waren. Ziel des Experiments war es herauszufinden, ob die Versuchspersonen den Versuchsleiter unterbrechen würden. Die ForscherInnen stellten die Hypothese auf, dass die aktivierten Kategorien, wie Unhöflichkeit und Höflichkeit, genau jenes Verhalten hervorbringen würden. Die Vermutung wurde bestätigt: Etwa 65 % der Versuchspersonen, die Sätze mit Bezug zu Unhöflichkeit bearbeiteten, unterbrachen die Unterhaltung. Hingegen unterbrachen 40 % der Versuchspersonen in der neutralen Bedingung und weniger als 20 % in der Bedingung mit den Sätzen zum Thema Höflichkeit die Unterhaltung. In einem zweiten ähnlichen Experiment konnten die ForscherInnen zeigen, dass die Aktivierung des Stereotyps über alte Menschen, etwa mit den Wörtern „Florida“, „alt“ oder „einsam“, dazu führte, dass die Versuchspersonen hinterher langsamer liefen. Dieses Ergebnis trat auf, obwohl das Priming sich nicht explizit auf das Stereotyp „langsam“ bezog. Ein drittes Experiment hatte eine etwas direktere Verbindung zur Forschung von Devine. Bei einer Gruppe von Versuchspersonen wurde das Stereotyp über Afroamerikaner unterschwellig geprimed. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die mit neutralen Inhalten geprimed wurde, zeigte diese Gruppe einen höheren Grad an offener Feindseligkeit, als der Versuchsleiter ihnen mitteilte, dass sie aufgrund einer Computerpanne eine ermüdende und lästige Aufgabe noch einmal durchführen müssen. Anders ausgedrückt zeigt die Forschung von Bargh, Chen und Burrows, dass die Aktivierung eines Stereotyps (z. B. durch das Bilden von Sätzen, die sich auf eine bestimmte Eigenschaft beziehen) das spätere Verhalten einer Person beeinflussen kann.

Bild von Jo-B via Pixabay (https://pixabay.com/de/frau-m%C3%A4dchen-blond-portr%C3%A4t-792872/), CCO (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)Bei Betrachtung der letzen Experimente im Rahmen der Forschung von Devine wird das Problem mit dem unschuldigen Witz über den armen und aggressiven schwarzen Typen oder über die dumme Blondine offensichtlich. Selbst wenn wir nicht ausdrücklich an ein Stereotyp glauben, wissen wir trotzdem über das Stereotyp Bescheid. Die Begegnung mit einem Mitglied aus dieser stereotypisierten Gruppe, wie beispielsweise schwarze Menschen, führt zur Aktivierung dieses Stereotyps. Da die Aktivierung zumeist nicht bemerkt wird, besteht keine Möglichkeit, dem Stereotyp entgegenzuwirken. Dann empfinden wir die Person auf der gegenüberliegenden Straßenseite als aggressiv, einfach nur deshalb, weil sie schwarz ist. Zudem besteht die Möglichkeit, dass wir uns dieser Person gegenüber unbewusst feindseliger als normalerweise verhalten, weil die Aktivierung stereotyper Gedanken auch unser eigenes Verhalten beeinflusst. Dabei wird deutlich, dass diese Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen: Die schwarze Person, die wir als aggressiv erachten, reagiert genauso, wie wir sie behandeln, nämlich aggressiv.

Aber wie verhält es sich mit anderen Stereotypen? Frauen können kein Mathe, aber sind gut in Sprachen. Warum sollte man sich darüber beschweren, wenn es sich doch nur um einen Geschlechterunterschied handelt? Ryan Brown und Robert Josephs von der Universität von Texas in Austin (1999) beleuchteten diese angeblichen Geschlechterunterschiede. In einem Experiment stellten sie einen Mathetest so dar, dass er entweder über sehr geringe oder über außergewöhnlich hohe Fähigkeiten Aufschluss geben würde. In dem Test schnitten Frauen nur dann ganz besonders schlecht ab, wenn er so dargestellt wurde, dass er Aufschluss über geringe Fähigkeiten geben würde. Hingegen ergab sich ein umgekehrtes Bild für die Männer. Letztere schnitten dann schlechter ab, wenn sie dachten, dass der Test Aufschluss über hohe Mathefähigkeiten geben würde. Nach der Stereotypbedrohungs-Theorie ( Stereotype Threat Theory) von Claude Steele und Joshua Aronson (1995) stellt der Gedanke daran, ein negatives Stereotyp über einen selbst zu bestätigen oder dem Stereotyp entsprechend behandelt zu werden, eine Bedrohung dar. Das Erleben einer solchen Bedrohung wiederum verursacht, dass man weniger gut funktioniert und schlechter abschneidet, als man eigentlich könnte – ein Teufelskreis! Es gibt zwei Gründe für eine solche Minderleistung, die durch die Stereotypbedrohung verursacht wird. Zum einen könnte der andauernde Gedanke daran, etwas nicht zu tun, wie zum Beispel schlecht in einem Mathetest abzuschneiden, genau dieses Verhalten fördern. Zum anderen ziehen die Gedanken, die dazu aufgewendet werden, das Stereotyp nicht zu bestätigen, kognitive Kapazitäten von der eigentlichen Aufgabe ab. Es ist naheliegend, dass dies wiederum eine Quelle für eine sich selbst erfüllende Prophezeiung darstellt. Sie sollten also noch einmal gut darüber nachdenken, wenn Sie das nächste Mal einen Blondinenwitz zum Besten geben wollen, bevor Ihre (blonde) Freundin einen Mathetest hat.

Zusammenfassend legt die Forschung zu Stereotypen nahe, dass es viele Vorgänge gibt, mit denen die Stereotype in unser tägliches Leben geraten. Stereotypisieren, also die Aktivierung von Informationen, die in Einklang mit dem Stereotyp stehen, scheint in täglichen Situationen unausweichlich zu sein. Durch die Aktivierung von diesem kategoriebasierten Wissen werden unsere Gedanken und Verhaltensweisen beeinflusst. Das wiederum führt zu einer andauernden Bestätigung des Stereotyps, weil wir fast automatisch bestimmte Verhaltensweisen hervorrufen, indem wir sie von anderen erwarten. Wenn Mitglieder einer stereotypisierten Gruppe befürchten, die negativen Stereotype zu bestätigen, könnten sie zudem der Stereotypbedrohung unterliegen und daher eine Minderleistung zeigen. Um auch einen positiven Aspekt zu nennen, sind Stereotype natürlich nicht immer schlecht. In vielen Situationen vereinfacht kategoriebasiertes Wissen tatsächlich die Welt für uns. Wir müssen nicht jedes noch so kleine Stückchen an Information einzeln verarbeiten. Durch die Anwendung von Kategorien und Stereotypen wird unsere Informationsverarbeitung stark vereinfacht. Einige – selbst negative – Stereotype können sogar hilfreich sein und wir wollen sie gar nicht loswerden. Wenn wir beispielsweise eine Gruppe von Männern mit kahlrasierten Köpfen vor uns sehen, könnte es eine gute Idee sein, die Straßenseite zu wechseln, um eine mögliche gefährliche Situation mit einer Gruppe Skinheads zu vermeiden. Trotzdem lehrt uns die Forschung, dass wir uns der Stereotype, die wir selbst haben und denen wir begegnen, sehr bewusst sein müssen. Einfach nur zu denken „Ich glaube doch sowieso nicht daran“, führt nicht zum gewünschten Ergebnis. Wir müssen uns stattdessen andauernd in Erinnerung rufen, die Stereotype zu bekämpfen. Sie glauben mir nicht? Sie sind davon überzeugt, dass Sie andere nur stereotypisieren, wenn Sie das möchten? Schauen Sie sich Hidden Bias (Deutsch: versteckte Voreingenommenheit; http://www.tolerance.org/Hidden-bias) an und machen Sie einen Test von Project Implicit (Deutsch: Projekt Implizit; https://implicit.harvard.edu/implicit/), um Ihre versteckten Vorurteile aufzudecken. Sie werden überrascht sein, dass Sie mehr Vorurteile haben, als Sie dachten!

Referenzen

Bargh, J. A., Chen, M. & Burrows, L. (1996). Automaticity of social behavior: Direct effects of trait construct and stereotype activation on action. Journal of Personality and Social Psychology, 71, 230-244.

Brown, R. P. & Josephs, R. A. (1999). A burden of proof: Stereotype relevance and gender differences in math performance. Journal of Personality and Social Psychology, 76, 246-257.

Devine, P. G. (1989). Stereotypes and prejudice: Their automatic and controlled components. Journal of Personality and Social Psychology, 56, 5-18.

General Protection Fault (March 7, 2005). Comic retrieved June 11, 2007 from GPF Comics.

Steele, C. M. & Aronson, J. (1995). Stereotype threat and the intellectual test performance of African Americans. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 797-811.

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