Die Kluft zwischen Dringlichkeit und Umsetzbarkeit der Klimapolitik – am Beispiel des CO2-Preises
Der Ausstoß von Treibhausgasen muss massiv verringert werden. Andernfalls wird der Klimawandel Menschen auf der ganzen Welt hart treffen. Allerdings ist nur eine Minderheit derzeit bereit, wirksamen Klimaschutz mitzutragen. Wie kann Klimapolitik aussehen, die Mehrheiten zum Klimaschutz bewegt?
Um die negativen Folgen des Klimawandels abzuwenden, müssen Menschen weniger CO2 ausstoßen (IPCC, 2023). Viele Länder haben Maßnahmen eingeführt, die den gesamtgesellschaftlichen CO2-Ausstoß verringern sollen. In Deutschland gehören dazu unter anderem ein Aufpreis auf klimaschädliche Produkte (ein CO2-Preis), finanzielle Zuschüsse für Solaranlagen und die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets. Allerdings reichen die beschlossenen Maßnahmen weder in Deutschland (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 2022) noch im Rest der Welt aus (IPCC, 2023), die Erderwärmung auf 1,5 °C oder 2 °C zu begrenzen.
Das Klima auch schützen wollen – und nicht nur müssen
Wie kommt es zur Kluft zwischen Dringlichkeit, etwas gegen Klimawandel tun zu müssen, und Willen, wirksame klimaschützende Maßnahmen umzusetzen? Offensichtlich sind Müssen und Wollen zwei verschiedene Dinge. Trotzdem ist die Annahme weit verbreitet, dass man die Bevölkerung nur richtig über den Klimawandel und seine Folgen informieren muss (siehe Hornsey et al., 2021), damit diese sich für mehr Klimaschutz einsetzt. Allerdings führt Information zwar dazu, dass Personen sagen, sie würden in der Zukunft klimafreundlich handeln. Sie wirkt sich jedoch kaum auf tatsächliches Handeln aus (z. B. Hornsey et al., 2021). Auf politischer Ebene passiert scheinbar ähnliches: So hat Deutschland sich zur Einhaltung der Pariser Klimaziele verpflichtet, kommt aber diesen Verpflichtungen nur ungenügend nach (siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 2022).
Dass wirksamer Klimaschutz nicht vorankommt, liegt also vermutlich nicht daran, dass Politikerinnen und Politiker und weite Teile der Bevölkerung die Dringlichkeit des Problems unterschätzen. Dennoch scheint der Weg vom Müssen zum Wollen und damit zu wirksamen Klimaschutzmaßnahmen versperrt. Bevor Klimaschutzmaßnahmen ihre Wirkung entfalten können, müssen sie Politikerinnen und Politikern erstens machbar erscheinen und zweitens dazu führen, dass die Bevölkerung ihr Verhalten – und im Fall des Klimaschutzes, ihren Lebensstil – ändert. Unter welchen Umständen trägt die Bevölkerung aber solchermaßen einschneidende Maßnahmen mit?
Klimapolitische Maßnahmen fordern von der Bevölkerung also den Willen, Änderungen mitzutragen. Im Falle eines CO2-Preises muss sie zum Beispiel entweder steigende Preise für ihre gewohnten Alltagsausgaben hinnehmen oder – und das wäre für wirksamen Klimaschutz wichtig – häufiger mit der Bahn und seltener mit dem Auto fahren; sie müsste weniger heizen, Wohnraum und Heizsysteme sanieren und vieles andere mehr. Ohne den Willen der Bevölkerung, die mit einer Maßnahme angestrebten Verhaltens- und Lebensstiländerungen mitzutragen, kann die Politik keine wirksamen Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen einführen.
Wenn es am Willen mangelt: das Beispiel des deutschen CO2-Preises
Umweltpolitik ohne Bevölkerung ist also nicht machbar. Beide Seiten – Politik und Bevölkerung – sind gleichermaßen gefordert, wenn es darum geht, der Dringlichkeit des Problems gerecht zu werden. Ein gutes Beispiel für den mangelnden Willen in Politik und Bevölkerung zu wirksamem Klimaschutz bietet der deutsche CO2-Preis. Hier tritt die Kluft zwischen dem Müssen und dem Willen, wirksame klimaschützende Maßnahmen politisch umzusetzen, deutlich zu tage.
In Deutschland werden alle CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr und Heizen im Jahr 2023 mit einem zusätzlichen Preis von 30 € pro Tonne CO2 belegt. Dieser Preis verteuert den Liter Benzin um 8,4 Cent (siehe Meyer, 2022). Ein solcher CO2-Preis ist vergleichsweise niedrig und wird wohl kaum die zusätzlichen CO2-Emissionen einsparen, die nötig sind, um die deutschen Klimaziele zu erreichen (siehe Edenhofer et al., 2020). Ein zu niedriger Preis motiviert Verbraucherinnen und Verbraucher zu wenig, sparsamer zu heizen oder weniger Auto zu fahren.
Dabei ist ein ausreichend hoch angesetzter CO2-Preis grundsätzlich ein wirksames Mittel, das Verhalten der Wirtschaft und der Bevölkerung hin zu mehr Klimaschutz zu ändern (sofern er ausreichend hoch gewählt wird). Denn ein CO2-Preis verschafft den klimafreundlicheren Alternativen einen finanziellen Vorteil (siehe Edenhofer et al., 2020). Wenn klimaschädliche Produkte (z. B. Benzin und Diesel) teurer werden, werden klimafreundliche Alternativen (z. B. E-Autos und Bahntickets) im Vergleich dazu billiger. Vergleichbare finanzielle Anreize sind unter anderem in der Lage, den Konsum vegetarischer Gerichte im Vergleich zu nicht-vegetarischen Gerichten zu steigern (siehe Kaiser et al., 2020). Entsprechend bietet auch ein CO2-Preis einen Anreiz dafür, sich nach klimafreundlichen Alternativen umzusehen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Aufpreis auf klimaschädliche Produkte so hoch ist, dass sich der Wechsel auf klimafreundliche Alternativen spürbar finanziell lohnt.
Ein wirksamer CO2-Preis bedeutet, dass alle – Wirtschaft sowie Bevölkerung – ihr Verhalten ändern müssen, wenn sie finanzielle Mehrkosten vermeiden wollen. Sie müssen sparsamer heizen, weniger Auto fahren und Produkte kaufen, deren Herstellung CO2-neutral ist. Wer das nicht tut, sein Verhalten nicht anpasst und Gewohnheiten nicht ändert, bezahlt stattdessen höhere Preise für die gewohnten aber klimaschädlicheren Produkte.
Maßnahmenunterstützung braucht Klimaschutzmotivation
Um jedoch eine solche Lenkung über den Preis zu akzeptieren und Verhalten, gar den Lebensstil, neu auszurichten, müssen Betroffene die Maßnahme mittragen. Das heißt, wirksamer Klimaschutz funktioniert nur, wenn die Betroffenen ihn auch wollen. Zwar kann selbst eine Person, die Klimaschutz nicht wirklich will und zu keiner Verhaltensänderung bereit ist, behaupten, dass ihr Klimaschutz wichtig sei. Sobald Klimaschutz allerdings mehr bedeutet, als bloß eine Meinung zu äußern und mit Verhaltens- und Lebensstiländerungen einher geht, handelt diese Person jedoch wie gewohnt: Sie nimmt weiterhin das Auto und fliegt unverändert in den Urlaub.
Personen, die das Klima wirklich schützen wollen und dies nicht nur behaupten, verhalten sich hingegen auch dann klimafreundlich, wenn dies für sie Unannehmlichkeiten und Aufwand mit sich bringt. Das heißt, die belastbare Motivation zum Klimaschutz (d. h. die Stärke des Wollens) erkennt man an den Mühen und Entbehrungen, die jemand auf sich nimmt, um das Klima zu schützen (siehe Kaiser et al., 2010).
Nur eine Minderheit der Deutschen akzeptiert aber einen wirksamen CO2-Preis (siehe Gerdes et al., 2023). Entsprechend lässt sich vermuten, dass nur eine Minderheit die deutschen Klimaschutzziele auch persönlich entschlossen genug erreichen will. Weiterhin kaufen Deutsche stetig mehr Autos (die meisten davon mit Verbrennermotor; Statistisches Bundesamt, 2023) und unternehmen seit dem Ende der Coronakrise wieder häufiger Flugreisen (Statistisches Bundesamt, 2022). Obwohl sich also eine Mehrheit in Worten zum Klimaschutz bekennt (siehe Umweltbundesamt, 2023), sehen wir in den Taten der Bevölkerung, dass es am ausreichenden Willen zu mehr Klimaschutz mangelt.
Es ist derzeit also nicht damit zu rechnen, dass sich die Bevölkerung freiwillig ausreichend klimafreundlich verhält. Stattdessen muss die Politik Verhältnisse schaffen, die das klimafreundliche Verhalten für alle naheliegend machen. Um dies zu erreichen, benötigt die Politik jedoch ihrerseits die Unterstützung der Bevölkerung. Wenn die Bevölkerung aber ihrerseits nicht motiviert genug ist, um einen wirksamen CO2-Preis zu akzeptieren, kann die Politik die zur Einhaltung der 1.5°- oder 2.0°-Ziele notwendigen Klimaschutzmaßnahmen auch nicht umsetzen, ohne dabei massiven Widerstand in der Bevölkerung hervorzurufen.
Das heißt, je geringer der Wille der Bevölkerung, die mit einer Maßnahme geforderten Verhaltens- und Lebensstiländerungen mitzutragen, desto größer die Kluft zwischen dem, was getan werden sollte, und dem, was getan werden kann, und desto wahrscheinlicher die Ablehnung der umweltpolitischen Maßnahme (siehe Gerdes et al., 2023; Kaiser et al., 2023). Ehrgeizige Umweltpolitik ist also ohne die Bevölkerung nicht machbar.
Um zu verhindern, dass ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen aufgrund massiver Proteste (wie in Frankreich; siehe Douenne & Farbe, 2020) wieder zurückgenommen werden müssen, braucht die Politik einen von der Bevölkerung legitimierten Auftrag. Das heißt, die Bevölkerung muss eine Maßnahme mehrheitlich mittragen oder gar selbst einfordern.
Klimaschutz im Verbund mit Klimaschutzmotivation
Um die Kluft zwischen der Dringlichkeit des Problems, das nach Verhaltens- oder gar Lebensstiländerung verlangt, und der Umsetzbarkeit wirksamer Maßnahmen zu überbrücken, müssen Klimaschutzmaßnahmen abgestimmt sein darauf, was die Bevölkerung zu tun bereit ist, um das Klima zu schützen. Wenn Maßnahmen zu ehrgeizig sind, wird sich keine Mehrheit finden, die Folgen dieser überambitionierten Klimaschutzmaßnahmen auf sich zu nehmen.
Eine von einer Mehrheit getragene Klimaschutzmaßnahme hat mehrere Vorteile. Sie läuft erstens nicht Gefahr, zeitnah wieder abgeschafft zu werden. Sie wird zweitens auch nicht von der Bevölkerung unterlaufen. Ihre Einhaltung muss entsprechend weniger überwacht und eingefordert werden. Und weil sie von der Bevölkerungsmehrheit ausgeht, wird ihre Einhaltung durch das Umfeld verstärkt, indem Bürgerinnen und Bürger sich gegenseitig bei der Einhaltung unterstützen.
Klimapolitische Maßnahmen verändern die Verhältnisse, in denen Bürgerinnen und Bürger leben. Idealerweise werden sie im Gleichschritt mit der Klimaschutzmotivation der Bevölkerung umgesetzt. Wenn klimafreundlichere Alternativen (z. B. Bahnfahren) durch klimapolitische Maßnahmen billiger werden als klimaschädlichere Varianten (z. B. Fahren mit einem Verbrennerauto), verhalten sich zunehmend mehr Menschen klimafreundlicher (Henn & Kaiser, 2019). Die Bevölkerung trägt durch ihre Unterstützung dazu bei, die Lebensverhältnisse mittels klimapolitischer Maßnahmen zu ändern und damit eine Gesellschaft zu formen, in der es allen leichter gemacht wird, sich klimafreundlicher zu verhalten.
Der hypothetische Weg hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft
Wie kann die Politik nun aber wirksame Maßnahmen einführen und gleichzeitig die Bevölkerung mitnehmen? Schauen wir uns am Beispiel der CO2-Bepreisung an, wie sich eine Gesellschaft in eine CO2-neutrale entwickeln könnte (siehe Abbildung 4). Der in diesem Abschnitt vorgestellte Weg ist weitgehend spekulativer Natur.
Bildunterschrift Bild 4: In der Abbildung wird das CO2-Einsparpotential auf der x-Achse der Anzahl der Personen in der Bevölkerung auf der y-Achse gegenübergestellt. Viele Personen verfügen über ein moderates CO2-Einsparpotential, relativ wenige über ein niedriges und ebenfalls wenige über ein hohes Einsparpotential. Klimaschutzmaßnahmen schaffen Verhältnisse, unter denen CO2-verursachendes Verhalten erschwert wird (gestrichelte grüne/graue/pinke Linien) und entsprechende CO2-Einsparpotentiale ausgeschöpft werden. Wenn Einsparpotentiale realisiert werden, wird CO2 eingespart. Dadurch nimmt das Einsparpotential als Ganzes ab, was sich daran zeigt, dass sich die Einsparpotentialverteilung nach rechts verschiebt. Personen, die in den Abbildungen grün/pink markiert sind, sind diejenigen, welche die politischen Maßnahmen zur Ausschöpfung des CO2-Einsparpotentials mittragen.
Die Bevölkerung besteht aus unterschiedlich stark klimaschutzmotivierten Personen. Entsprechend verfügt die Bevölkerung über unterschiedliche CO2-Einsparpotentiale (Einsparpotentiale sind die bisher ungenutzten Möglichkeiten zur CO2-Einsparung; Bild 1 in Abbildung 4). Die Mehrheit verfügt über ein moderates Einsparpotential. Sie tun manche Dinge, um CO2 einzusparen – zum Beispiel fahren sie mit dem Fahrrad zum Supermarkt, sie schalten unbenutzte elektrische Geräte aus und sie unterstützen politische Maßnahmen, die freiwillige Änderungen belohnen (z. B. finanzielle Förderung für Photovoltaikanlagen). Wenige verfügen über ein hohes und wenige über ein niedriges CO2-Einsparpotential. Letztere verzichten bereits auf ein Auto und auf Flugreisen, heizen möglichst wenig und ernähren sich vegan.
Auf eine solche Bevölkerung trifft nun der Vorschlag der Politik, CO2 mit Kosten von 55 € pro Tonne zu belasten (siehe Bild 2 in Abbildung 4). Obwohl dieser CO2-Preis vergleichsweise gering und nur moderat änderungswirksam ist und deshalb höchstens als Einstieg dienen kann (siehe Edenhofer et al., 2020), unterstützen nur die motiviertesten 40 % diese Maßnahme (siehe Gerdes et al., 2023). Die 60%ige Mehrheit akzeptiert die Maßnahme nicht. Davon ist einigen der Einschnitt in ihren Lebensstil zu gravierend. Sie sind über zusätzliche Kosten für gewohnte Produkte besorgt oder darüber, dass Alternativen wie flächendeckender öffentlicher Personennahverkehr fehlen. Andere sind eher unentschlossen. Sie lehnen die Maßnahme ab, weil sie sich noch nicht mit dem Thema beschäftigen oder nichts ändern wollen.
Politik braucht in einer repräsentativen Demokratie nicht zwingend mehrheitliche Zustimmung. Will sie aber im Verbund mit der Bevölkerung handeln, muss sie Mehrheiten für ihre Maßnahme gewinnen. Sie hat dazu im Wesentlichen drei Möglichkeiten.
- Die Politik kann Kampagnen durchführen, um die Bevölkerung über den CO2-Preis und seine Folgen zu informieren. Solche Informationskampagnen haben jedoch den Nachteil, dass sie eher von Personen zur Kenntnis genommen werden, die bereits vergleichsweise klimaschutzmotiviert sind (siehe Taube et al., 2021).
- Die Politik kann die negativen Auswirkungen der Maßnahme mildern oder zusätzliche Vorteile schaffen. Zum Beispiel wäre es denkbar, den Einbau von Wärmepumpen finanziell zu fördern und den ÖPNV – besonders auf dem Land – zu bezuschussen. Zur Entlastung können die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung auch nach einem vorher festgelegten Schlüssel (z. B. pro Kopf) an die Bevölkerung rückerstattet werden.
- Die Politik kann eine Maßnahme aber auch gegen Widerstand aus der Bevölkerung (z. B. bei noch nicht beschaffter Mehrheit) einführen und auf steigende Maßnahmenakzeptanz nach Einführung hoffen. So zeigte sich am Beispiel einer städtischen Stausteuer (siehe Schuitema et al., 2010), dass im Nachgang der Steuereinführung aus mehrheitlichem Widerstand mehrheitliche Akzeptanz werden kann. Aufgrund unzureichenden Wissens über die Ursachen solcher Mehrheitswechsel bietet sich eine Maßnahmenumsetzung gegen den Mehrheitswiderstand nur dann an, wenn sich die negativen Auswirkungen einer Maßnahme im Rahmen halten und positive persönliche Auswirkungen offensichtlich sind (z. B. das verpflichtende Tragen von Sicherheitsgurten).
Wenn die negativen Auswirkungen massiv und positive persönlichen Auswirkungen so gut wie gar nicht vorhanden sind, wie bei einem hohen CO2-Preis, kann die Einführung einer Maßnahme gegen die Mehrheitsmeinung nicht nur Widerstand auslösen, sondern sogar die Handlungsfähigkeit der Politik einschränken. Dies ist in Frankreich geschehen, als eine Mineralölsteuer auf so massiven Widerstand stieß, dass sie wieder zurückgenommen werden musste (siehe Douenne & Fabre, 2020). Grundsätzlich kann es bei Maßnahmen mit erwartbar massiv negativen und wenigen positiven persönlichen Auswirkungen sinnvoll sein, sie versuchsweise, für begrenzte Zeit, einzuführen. Auf diese Weise kann sich die Bevölkerung mit der Maßnahme und ihren Folgen vertraut machen (siehe Schuitema et al., 2010).
Steht die Mehrheit einmal hinter einer Maßnahme, kann sie eingeführt werden, ohne dass mit großem Widerstand zu rechnen ist (siehe Bild 3 in Abbildung 4). Das heißt auch, Maßnahmen, die bereits heute von Mehrheiten akzeptiert werden (z. B. das Tempolimit oder strengere Tierwohlregelungen; siehe Kaiser et al., 2023), könnten eigentlich eingeführt werden.
In unserem Beispiel in Abbildung 4 führt der neu eingeführte CO2-Preis dazu, dass die Bevölkerung den Auswirkungen dieses Preises ausgesetzt wird. Erwartbar realisieren dann auch wenig motivierte Personen einen Teil ihrer CO2-Einsparpotentiale und fahren mit dem Fahrrad zum Supermarkt, um den teuer gewordenen Sprit fürs Auto zu sparen. Die vermehrte Fahrradnutzung zeigt sich ihrerseits nicht nur im veränderten Mobilitätsverhalten der Bevölkerung, sondern auch in deren Erwartung an das Mobilitätsverhalten der Mitmenschen: Man erwartet also auch von anderen klimafreundliches Verhalten. Entsprechend wird CO2 einzusparen generell wahrscheinlicher (siehe Bild 4 in Abbildung 4). Mit anderen Worten, die Bevölkerung bewegt sich in ihrer Gesamtheit auf eine bessere Realisierung ihrer CO2-Einsparpotentiale und damit auf die CO2-Neutralität zu.
Dadurch dass nun auch wenig motivierte Personen den CO2-Preis in ihren Alltagsentscheidungen mitberücksichtigen und damit akzeptieren, kann sich klimafreundlicheres Verhalten in der Mehrheitsgesellschaft durchsetzen. Die Bevölkerung ist dann für eine Verschärfung des CO2-Preises bereit. Das Werben um die Gunst der Mehrheit für einen noch strengeren und dadurch noch wirksameren CO2-Preis kann von Neuem beginnen (siehe Bild 5-7 in Abbildung 4).
Auf Grundlage der effektiv vorhandenen Klimaschutzmotivation der Bevölkerung lassen sich so neue Lebensverhältnisse – ein Preisgefüge für Konsumgüter und Dienstleistungen – schaffen, die zunehmend mehr Klimaschutz nach sich ziehen (Otto et al., 2020). Dadurch steigert sich wiederum das Selbstverständnis für Klimaschutz in der Bevölkerung, was wiederum dazu führt, dass noch wirksamere Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden können. Auf diese Weise kann nach und nach eine klimafreundlichere Gesellschaft entstehen.
Eine solche Veränderung braucht Zeit. Weil die verbleibende Zeit zur Erreichung der Klimaziele knapper wird, besteht eine Kluft zwischen der Umsetzbarkeit der Maßnahmen und der Dringlichkeit des Problems. Wie lässt sich diese Kluft überwinden und können CO2-Emissionen im erforderlichen Maße reduziert werden, um die angestrebten 1.5°- oder 2.0°-Klimaziele einzuhalten? Wir wissen es nicht. Dennoch meinen wir, dass klimapolitische Maßnahmen nur im Verbund mit der Klimaschutzmotivation der Bevölkerung umgesetzt werden können. Denn: Ohne eine Bevölkerung, die wirksamen Klimaschutz mitträgt, wird es weder kurz- noch langfristig nachhaltige Gesellschaften geben (siehe Henn & Kaiser, 2019).
Dieser Beitrag wurde finanziell im Rahmen des Projekts #03EI5213C durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Die in diesem Artikel vertretenen Ansichten und Meinungen sind die der Autorin und des Autors und geben nicht notwendigerweise eine offizielle Position einer Institution oder der deutschen Bundesregierung wider.
Literaturverzeichnis
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