Klimaverhandlungen: Warum nachhaltige Lösungen so schwierig zu erreichen sind und wie es dennoch gelingen kann

Der Wandel zur Nachhaltigkeit kann nur durch globale, kollektive Zusammenarbeit gelingen und die Bedingungen dafür werden häufig am Verhandlungstisch ausgelotet. Dabei begegnen die Verhandelnden zahlreichen psychologischen Herausforderungen. Wie können die mehrdimensionalen Interessen unterschiedlicher Generationen und Parteien im Sinne nachhaltiger Einigungen unter einen Hut gebracht werden? In diesem Artikel diskutieren wir Barrieren und Lösungsansätze am Beispiel von Klimaverhandlungen.

In der Klimakrise befindet sich unsere Gesellschaft an einem Scheidepunkt, an welchem die Transformation zur Nachhaltigkeit nur durch kollektive Kooperation gelingen kann: „Jede umfassende Reaktion auf den Klimawandel erfordert eine Einigung und Koordinierung zwischen den Nationen“ (Bazerman, 2006, S. 184). Obwohl Einzelpersonen mit ihren Entscheidungen und Verhaltensweisen durchaus zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können, sind in einem ganzheitlichen und systematischen Transformationsprozess eine Vielzahl von Interessensvertreter:innen – z. B. Nicht-Regierungsorganisationen, politische Parteien oder Nationen – verwickelt. Diese Stakeholder treten miteinander in Verhandlungen, um ihre Interessenskonflikte zu lösen, für alle Seiten annehmbare Einigungen zu erzielen und auf diesem Weg das gemeinsame Ziel des nachhaltigen Wandels voranzutreiben.

Ein bekanntes Beispiel dafür ist die UN-Klimakonferenz: Die jährlich stattfindende Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention, aus welcher unter anderem das bekannte Pariser Abkommen von 2015 hervorgegangen ist. Immer wieder wird jedoch problematisiert, dass Klimaverhandlungen häufig ohne große Erfolge zu Ende gehen: Dringend notwendige Entscheidungen werden aufgeschoben, Interessenskonflikte bleiben ungelöst und getroffene Vereinbarungen werden unvollständig umgesetzt (ARD Alpha, 2022).

Aus diesem Anlass hat die psychologische Verhandlungsforschung jüngst damit begonnen, die besonderen Herausforderungen beim Erreichen nachhaltiger Einigungen in Klimaverhandlungen zu benennen und zu erforschen. Das Ziel ist es, diese Herausforderungen aus psychologischer Sicht zu verstehen, um daraufhin wirksame Lösungsansätze zu entwickeln, die über bereits bekannte allgemeine Verhandlungsstrategien zum Erreichen von Win-Win-Lösungen in Verhandlungen hinausgehen. In diesem Artikel greifen wir exemplarisch vier zentrale Herausforderungen in Klimaverhandlungen heraus (Multitemporalität, Multilateralität, Multidimensionalität, Repräsentanz) und erläutern, welche Erkenntnisse, neue Impulse und erste Lösungsansätze die Verhandlungspsychologie für deren Bewältigung bereithält.

Bild 1: Der gesellschaftliche Wandel zur Nachhaltigkeit ist untrennbar mit gemeinsamem Entscheidungsverhalten und damit Verhandlungsprozessen verbunden.Bild 1: Der gesellschaftliche Wandel zur Nachhaltigkeit ist untrennbar mit gemeinsamem Entscheidungsverhalten und damit Verhandlungsprozessen verbunden.

Multitemporalität: Kurz- und langfristige Interessen in Einklang bringen 

Damit Verhandlungsergebnisse als nachhaltige Einigungen bezeichnet werden können, müssen sie im Sinne des Brundtland-Reports (1988) „die Bedürfnisse der Gegenwart erfüllen, ohne die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“ (S. 20). Solche nachhaltigen Einigungen zu erzielen ist für Verhandelnde besonders schwierig, da dafür in heutigen Vereinbarungen multitemporale Interessen, sprich eigene momentane Interessen sowie auch die Interessen der Zukunft, gleichberechtigt berücksichtigt werden müssen. Zudem müssen die Akteur:innen im Hier und Jetzt im Sinne des Wandels zur Nachhaltigkeit kurzfristig bedeutsame Kosten in Kauf nehmen (z. B. große Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien beschließen), deren positive Konsequenzen erst (ggf. für andere Personen) in der langfristigen Zukunft eintreten (z. B. Profitabilität durch Energiewende erst nach mehreren Jahrzehnten). Dadurch können sich zukunftsorientierte, nachhaltige Einigungen für die Parteien am Verhandlungstisch wie ein Verlust anfühlen, den man nur ungern vereinbaren möchte (Majer et al., 2022).

Um die Berücksichtigung der Interessen unterschiedlicher Zeiten anzuregen, ist aus psychologischer Sicht zentral, die langfristigen Interessen der Zukunft in die eigene Verhandlungsposition einzuweben und auf diesem Weg eine innere Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen zu erzeugen. Eine konkrete psychologische Technik, die das Erreichen zukünftiger Ziele unterstützt, ist Mentales Kontrastieren (Oettingen et al., 2001). Beim Mentalen Kontrastieren werden gewünschte (oder gerade unerwünschte) zukünftige Zustände mit dem Status Quo kontrastiert, also mental gegenübergestellt. Durch den aktiven Abgleich der gewünschten Zukunft mit dem Ist-Zustand können spezifische Hindernisse identifiziert werden, die der Zielerreichung im Weg stehen. Außerdem kann dieser Prozess Akteur:innen helfen, ihre momentanen Entscheidungen als Teil einer Abfolge künftiger Ereignisse wahrzunehmen, ihr Bewusstsein für zukunftsbezogene Risiken schärfen und schließlich zukunftsorientierte(re)s Entscheidungsverhalten sowie das Commitment zu diesen Entscheidungen fördern (Oettingen et al., 2001; Trötschel et al., 2022). Aber wie kann man Verhandlungsparteien zum Mentalen Kontrastieren anregen?

Bild 2: Die wohl größte Gruppe der nicht-repräsentierten Menschen in Klimaverhandlungen sind Kinder und Jugendliche.Bild 2: Die wohl größte Gruppe der nicht-repräsentierten Menschen in Klimaverhandlungen sind Kinder und Jugendliche.

Im Abschlussbericht der UN-Klimakonferenz 2022 im ägyptischen Sharm el-Sheikh werden Verhandelnde beispielsweise explizit dazu aufgefordert, „Kinder und Jugendliche in ihre Prozesse zur Gestaltung und Umsetzung von Klimapolitik und -maßnahmen einzubeziehen“ (S. 9). Denn jüngere Generationen sind gleichermaßen – oft sogar stärker – von Nachhaltigkeitsentscheidungen und deren langfristigen Konsequenzen betroffen, jedoch bisher in der Regel nicht am Klimaverhandlungstisch repräsentiert, um ihre Interessen selbst zu vertreten.

Um dem entgegenzuwirken, gibt es erste Bestrebungen, zukünftige Generationen aktiv an den Verhandlungstisch zu holen, um deren Betroffenheit von und Interessen in Nachhaltigkeitsentscheidungen sichtbarer zu machen. Im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh (2022) wurde beispielsweise erstmals ein Jugend-Klima-Forum eingerichtet. Während diese Maßnahme eine vielversprechende, positive Entwicklung darstellt, muss sie zugleich als erster Schritt eines langen Wegs bewertet werden: So nahm die jüngere Generation lediglich eine Beobachterrolle ein und konnte die eigentlichen Entscheidungsprozesse nicht direkt beeinflussen (Modéer et al., 2023). Eine erhöhte Sichtbarkeit der langfristigen Interessen der Zukunft erhöht dennoch die Wahrscheinlichkeit, dass Verhandlungsparteien diese Interessen stärker wahrnehmen und mit dem heutigen Ist-Zustand abgleichen.

Multilateralität: Die Interessen unterschiedlicher Gruppen in Einklang bringen 

Um globale Herausforderungen wie die Nachhaltigkeitstransformation zu bewältigen, wird umfassende internationale Zusammenarbeit benötigt. Folglich hat der Verhandlungstisch, an welchem Akteur:innen aus aller Welt zusammenkommen, um Klimamaßnahmen auszuhandeln, sehr viele Plätze. Beispielsweise nehmen allein 27 Europäische Mitgliedstaaten jährlich an den UN-Klimaverhandlungen teil. In der Forschungsliteratur spricht man in diesem Zusammenhang von Multilateralität. 

Bedingt durch die hohe Anzahl der Verhandlungsparteien in multilateralen Verhandlungen ist die Vielseitigkeit von Interessen und Interessenskonflikten, welche im Sinne gemeinsamer Einigungen unter einen Hut gebracht werden müssen, enorm groß. Aus der Verhandlungsforschung und -realität ist bekannt, dass ein Interessenausgleich in Verhandlungen mit mehreren Parteien (Multi-Party-Negotiations) schwierig zu erreichen ist und die Verarbeitung von einer Übermenge an Informationen sowie einen immensen Koordinationsaufwand erfordert (Gelfand et al., 2011).

Bild 3: Klimaverhandlungen finden auf globaler Ebene statt und Vertreter:innen aus fast allen Ländern der Welt haben einen Platz am Verhandlungstisch.Bild 3: Klimaverhandlungen finden auf globaler Ebene statt und Vertreter:innen aus fast allen Ländern der Welt haben einen Platz am Verhandlungstisch.

In globalen Verhandlungen wie den UN-Klimakonferenzen kommt erschwerend hinzu, dass nicht nur Interessenkonflikte zwischen den unterschiedlichen Parteien gelöst werden müssen. Vielmehr sind Verhandlungsführende häufig zusätzlich mit Konflikten innerhalb der von ihnen repräsentierten Gruppe konfrontiert. Diese intra-gruppen Konflikte können durch ungleich ausgeprägte Lobbyarbeit oder politische Polarisierung verstärkt werden. In globalen Verhandlungen müssen dementsprechend nicht nur die Interessen der eigenen Gruppe in der Verhandlung mit anderen Parteien vertreten, sondern zusätzlich die unterschiedlichen Interessen innerhalb der Gruppe berücksichtigt und abgewogen werden (Aaldering & De Dreu, 2012). Dadurch kann es vorkommen, dass die Interessen von einigen Sub-Gruppen nicht repräsentiert werden, (politische) Protestbewegungen entstehen, welche die Verhandlungsparteien am Tisch unter Druck setzen, oder im Extremfall die Verhandlung sogar stagniert. Ein Beispiel: Während sich die EU-Mitgliedsstaaten eigentlich bereits für ein Verbrenner-Aus ab 2035 geeinigt hatten, sorgte ein Zwist innerhalb der deutschen Regierung (ein Veto des FDP-Verkehrsministers Volker Wissing) erst kürzlich dafür, dass dieses Vorhaben entscheidend gebremst wurde (Spiegel, 2022). Die Repräsentation der deutschen Regierung in den EU-Verhandlungen wurde durch einen gruppeninternen Konflikt erschwert.

Wie kann es dennoch funktionieren, die vielfältigen Interessen innerhalb und zwischen den unterschiedlichen Parteien in multilateralen Klimaverhandlungen in Einklang zu bringen? Ein kürzlich veröffentlichtes theoretisches Modell aus der psychologischen Verhandlungsforschung schlägt als psychologische Intervention einen Mindset-Shift vor, welcher Verhandelnden dabei helfen soll, von ihrem kompetitiven in ein ganzheitliches, kooperatives Mindset überzugehen (Trötschel et al., 2022). Auf der psychologischen Ebene soll dabei das Bewusstmachen von gemeinsamen übergeordneten Zielen (z. B. Klimawandel bekämpfen) und die Betonung einer gemeinsamen Gruppenidentität (global citizens) zu kooperativerem Verhalten und wirkungsvolleren Problemlösestrategien verhelfen.

Gemäß der common-ingroup identity theory (Gaertner & Dovidio, 2014) vermag die Identifikation als Teil einer übergeordneten, „großen und ganzen“ Gruppe (die nur gemeinsam erfolgreich sein kann) die sozialen Beziehungen zu anderen Akteur:innen verbessern und helfen, Intergruppenkonflikte vor dem Hintergrund eines gemeinsamen übergeordneten Ziels nachhaltig(er) zu lösen (Fritsche et al., 2018). Psychologische Forschung hat zudem gezeigt, dass Personen mit einer solchen globalen Identität stärker um Gerechtigkeit bemüht sind und mehr umweltfreundliches Verhalten zeigen (Reese & Kohlmann, 2015). Ein solches Zusammengehörigkeitsgefühl könnte neben der Betonung und Bewusstmachung gemeinsamer Ziele auch durch das Hervorheben und Reflektieren gemeinsamer Grundbedürfnisse, ähnlicher grundlegender Interessen und übereinstimmender Motive gestärkt werden. Die Effektivität des Mindset-Shifts in Klimaverhandlungen wird derzeit erforscht. 

Multidimensionalität: Unterschiedliche Ergebnisse in Einklang bringen

Als dritte Herausforderung von Klimaverhandlungen sei die Multidimensionalität von Verhandlungsergebnissen genannt. Verhandlungen über Klimamaßnahmen haben in der Regel nicht „nur“ Auswirkungen auf einer Ergebnisdimension, z. B. der Dimension Umwelt. Stattdessen gehen Umweltmaßnahmen oder Entscheidungen über die Verteilung, Nutzung oder den Schutz von ökologischen Ressourcen nahezu untrennbar einher mit Konsequenzen für andere Ergebnisdimensionen (z. B. wirtschaftliche oder soziale Kosten).

Verhandlungsvereinbarungen in Klimaverhandlungen betreffen also stehts mehrere verschiedene Ergebnisdimensionen, die voneinander abhängig sind. Gleichzeitig ist die Qualität der Dimensionen aber auch so unterschiedlich, dass die simple Verrechnung von Kosten und Nutzen zwischen den einzelnen Dimensionen aus einer starken Nachhaltigkeitsperspektive (strong sustainability; Neumayer, 2013) nicht zulässig ist. Beispielsweise können ökologische Tipping Points, durch deren Überschreitung ein großer und irreversibler ökologischer Schaden entsteht, nicht einfach durch Ausgleichszahlungen kompensiert werden.

Bezüglich der Berücksichtigung unterschiedlicher Ergebnisdimensionen wird im Abschlussbericht der UN-Klimakonferenz (2022) betont, dass Klimaschutzmaßnahmen „bei gleichzeitiger Minimierung der negativen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen“ (S. 2) implementiert werden sollen. Für die Verhandlungsparteien bedeutet das, es muss nicht nur ausgehandelt werden: „Wer trägt die Maßnahmen zur Reduktion von klimaschädlichen Emissionen?“. Sondern auch: „Wie balanciert man die sozialen und ökonomischen Kosten aus, die mit solchen Maßnahmen einhergehen?“ (wobei die reine Bezugnahme auf sofortige Kosten ganz generell problematisch ist, da die langfristigen Kosten beim Nicht-Ergreifen von Maßnahmen in der Regel deutlich höher ausfallen; Sanderson & O’Neill, 2020). Sie sind also nicht nur gefordert, innerhalb einer Ergebnisdimension einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen unseres Planeten auszuhandeln. Stattdessen müssen sie stets die Implikationen der Entscheidungsoptionen für mehrere andere Interessensdimensionen, z. B. wirtschaftliche oder soziale, bedenken und ausbalancieren.

Bild 4: Um bei den jährlichen Klimaverhandlungen wie z. B. der UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh zu einem nachhaltigen Verhandlungsergebnis zu kommen, müssen die Verhandlungsparteien ökonomische und ökologische Folgen ihrer Vereinbarungen getrennt voneinander betrachten.Bild 4: Um bei den jährlichen Klimaverhandlungen wie z. B. der UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh zu einem nachhaltigen Verhandlungsergebnis zu kommen, müssen die Verhandlungsparteien ökonomische und ökologische Folgen ihrer Vereinbarungen getrennt voneinander betrachten.

Was können VerhandlerInnen nun tun, um alle relevanten Ergebnisdimensionen im Blick zu behalten? Verhandlungspsycholog:innen schlagen zunächst die Strategie des Limit Setting vor (Kristensen & Gärling, 1997). Wenn beispielsweise bei der UN-Klimakonferenz über den Kohleausstieg verhandelt wird, sollten die Verhandlungsparteien sich nicht nur auf der wirtschaftlichen Ergebnisdimension ein spezifisches Limit setzen, das festlegt, welche maximalen Kosten sie bereit und fähig sind zu tragen. Stattdessen (und unabhängig von wirtschaftlichen Faktoren) müssen sie auch auf der ökologischen Dimension einen Grenzwert festlegen, welche maximalen Umweltfolgen durch den Kohleabbau im Sinne einer nachhaltigen Entscheidung in Kauf genommen werden können. Abhängig vom übergeordneten Ziel der Verhandlung (z. B. Klima schützen vs. Wirtschaftswachstum fördern) können unterschiedliche Limits sodann in eine Rangreihenfolge gebracht werden, die festlegt, von welchem Limit am ehesten abgewichen werden darf, um einen anderen Grenzwert einhalten zu können.

Kann eher vom wirtschaftlichen Grenzwert abgewichen werden, um den ökologischen Grenzwert einzuhalten? Oder kann eher vom ökologischen Grenzwert abgewichen werden, um den wirtschaftlichen Grenzwert einzuhalten? Um einen nachhaltigen Wandel durch Klimaverhandlungen voranzutreiben, sollten die Akteur:innen ihren Grenzwert auf der ökologischen Dimension am höchsten priorisieren und als ihren Referenzpunkt festlegen. Das bedeutet: Sollte es keine Möglichkeit geben, alle festgelegten Limits einzuhalten, sollte zuallerletzt vom ökologischen Limit abgewichen werden. Ein abschließendes, vor diesem Hintergrund durchaus ernüchterndes Beispiel: Das 1.5 Grad Ziel ist ein sehr bekanntes ökologisches Limit. Allerdings haben die meisten Vertragsstaaten der UN-Klimakonferenz dieses nicht ratifiziert und dem 1.5 Grad Ziel bislang nicht die höchste Priorität verliehen. Somit stellt das 1.5 Grad Ziel keinen verbindlichen Grenzwert dar, was die Chancen, dass Verhandelnde sich – wirtschaftliche oder soziale Kosten in Kauf nehmend – an dieses Limit halten, verringert.

Nachhaltige Einigungen finden: Welche Rolle spielt Repräsentanz?

Abschließend soll die besondere Rolle von Repräsentanz in Klimaverhandlungen beleuchtet werden: Was bedeutet es für diese Verhandlungen, dass die Akteur:innen als Gruppenrepräsentant:innen (anstatt als Individuen) handeln? Und wie wirkt sich die Repräsentanz oder Nicht-Repräsentanz verschiedener Gruppen auf den Umgang mit Multitemporalität, -lateralität und -dimensionalität aus? 

Aus der Wissenschaft ist bekannt, dass die Funktion als Repräsentant:in (verglichen mit der Funktion als verhandelndes Individuum) psychologische Prozesse auslöst, die das Verhalten und Erleben von Verhandler:innen beeinflussen und dadurch das Erreichen gemeinsamer nachhaltiger Einigungen erschweren können. Das Verantwortungsgefühl (accountability) von Repräsentant:innen gegenüber der von ihnen repräsentierten Gruppe ist beispielsweise ein wettbewerbs- und konfliktfördernder Faktor. Die Interessen der eigenen Gruppe durchzusetzen kann durch dieses starke Verpflichtungsgefühl der Repräsentant:innen so sehr in den Mittelpunkt ihrer Verhandlung rücken, dass Konkurrenzverhalten und suboptimale Kompromisse überwiegen und kooperative Verhaltensweisen und Problemlösestrategien verdrängen (Van Lange et al., 2018).

Auf der anderen Seite berührt die (Nicht-)Repräsentanz verschiedener Gruppen in Klimaverhandlungen auch die drei Herausforderungen Multitemporalität, Multilateralität und Multidimensionalität: Da die Interessen der jetzigen Generation am Verhandlungstisch besser repräsentiert sind als die Interessen zukünftiger Generationen, wird das Problem der Multitemporalität verschärft. Da Industrienationen ihre Interessen mit mehr Macht repräsentieren können als der globale Süden, wird es problematischer, die Herausforderung der Multilateralität nachhaltig zu lösen. Und da Wirtschaftsverbände eine mächtigere Lobby als Umweltverbände haben, wird es unwahrscheinlicher, dass die Multidimensionalität von Verhandlungsergebnissen ausbalanciert wird. Doch wie könnte dieses Ungleichgewicht zugunsten von nachhaltige(re)n Einigungen verringert werden? 

Oftmals beobachten wir im Klimakontext, aber auch in anderen Bereichen gesellschaftlichen Wandels (z. B. Black Lives Matter, Israel-Palestina Konflikt), dass Gruppierungen ihre Interessen selbst ohne eigenen Platz am Verhandlungstisch sichtbar(er) machen und durch friedliche Proteste die Unterstützung von Drittparteien erhöhen können (Orazani et al., 2021). Obwohl die gefundenen Effekte klein sind, können friedliche Klimaproteste dazu beitragen, die Verhandlungsparteien in Klimaverhandlungen im Sinne weniger gut repräsentierter – protestierender – Gruppen zu beeinflussen. Eine Umverteilung der Plätze (und damit der Machtverhältnisse) am Verhandlungstisch im Sinne einer ausgewogeneren und gerechteren Repräsentanz verschiedener Generationen, Interessensgruppen und Berücksichtigung von Ergebnisdimensionen wäre ein wünschenswerter, nachhaltigerer Lösungsansatz. 

Fazit – Verhandlungen können in der Transformation zur Nachhaltigkeit vermitteln

Klimaverhandlungen sind enorm herausfordernd. Wenn Verhandelnde zeitgleich mit Multitemporalität, Multilateralität und Multidimensionalität konfrontiert sind, und unterschiedlich gut repräsentierte Zeiten, Interessensgruppen und Ergebnisdimensionen in Einklang bringen sollen, überrascht es nicht, dass Klimaverhandlungsergebnisse für einen nachhaltigen Wandel häufig nicht wirklich zufriedenstellend sind. Doch je besser die vielseitigen Herausforderungen dieser Verhandlungen erkannt, verstanden und erforscht werden, desto wirkungsvollere Lösungsansätze können abgeleitet werden und desto effektiver können Verhandler:innen sich rüsten, um das gemeinsame, globale Ziel einer nachhaltigen Welt zu erreichen. 

Literaturverzeichnis

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