Aussehen gegen Funktion – Die Repräsentation von Kategorien ist abhängig von Geschlecht und Verarbeitungsmodus

Das Thema Geschlechtsunterschiede befeuert immer wieder die öffentliche Diskussion. Auch im Bereich der sprachlichen Fähigkeiten wird oft über Geschlechtsunterschiede debattiert. Beispielsweise wird Männern meist ein Vorteil in der kognitiven Verarbeitung von Objekten aus künstlichen Kategorien (z.B. Werkzeuge oder Möbel) nachgesagt, Frauen hingegen haben anscheinend oft Verarbeitungsvorteile bei natürlichen Kategorien (z.B. Tiere oder Früchte). Ist das wirklich so? Und wenn es so ist, warum ist es so? Dieser Artikel beschäftigt sich mit solchen Fragen und damit, welchen Beitrag die kognitiven Neurowissenschaften in diesem Zusammenhang leisten können.

Dass Frauen dümmer, weniger leistungsfähig und für viele Dinge nicht geeignet sind, galt bis vor wenigen Jahrhunderten, wenn nicht sogar Jahrzehnten, als anerkannte Meinung (z. B. Becker & Kortendiek, 2004; Hausen, 1986). Nach großen Fortschritten in Richtung Frauenrechte ab der Mitte des letzten Jahrhunderts schien das Ziel der Gleichberechtigung in der westlichen Welt in vielerlei Hinsicht erreicht. „Ich hatte gedacht: Das Thema ist durch - Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ erinnert sich beispielsweise die Wirtschaftsjournalistin Barbara Bierach in einem Interview der Zeitschrift Brigitte (Brigitte, 2002). Dass die Annahme, Männer und Frauen seien gleichberechtigt, sicherlich zu pauschal ist und man genau schauen muss, um welchen Bereich es sich handelt, ist in aktuellen Debatten deutlich zu spüren. Auch bedeutet „gleichberechtigt“ nicht unbedingt „gleich“. Zum Beispiel gibt es unumstritten physiologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Spätestens seit Bestsellern wie Männer sind anders. Frauen auch. (Gray, 1998) und Warum Männer immer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen (Pease & Pease, 2000) akzeptiert die moderne Öffentlichkeit offensichtlich (wieder), dass es diverse Geschlechtsunterschiede gibt und „Männer und Frauen […], biologisch betrachtet, zwei verschiedene Spezies“ sind, wie der Philosoph Richard David Precht die Essenz der genannten Bücher zusammenfasst (Schröder, 2009). Ob nun lediglich physiologische Unterschiede bestehen oder ob es auch psychologische Unterschiede gibt, wie es die oben genannten Bücher in zweiter Hinsicht nahelegen, wird dagegen stärker diskutiert. Nichtsdestotrotz zeigen sich in verschiedenen kognitiven Bereichen tatsächlich Geschlechtsunterschiede. Diverse Geschlechtsunterschiede erscheinen vielen Menschen oftmals plausibel. Alle kennen den Mythos der Jäger und Sammler, nach welchem Männer für die Jagd und die Verteidigung von Lebensraum zuständig waren, Frauen dagegen für Sammeln und Kindererziehung (für eine wesentlich differenziertere Betrachtung der Thematik siehe z.B. Röder, 2007). Die Beschäftigung mit bestimmten Tätigkeiten und Objekten führt üblicherweise zu besserer Verarbeitung tätigkeitsrelevanter Aspekte. Und über Jahrtausende hinweg könnten Unterschiede in den Aufgaben schließlich zu fest verankerten geschlechtsspezifischen Unterschieden im Gehirn geführt haben. Welche Konsequenzen hätte dies aber für die Verarbeitung von Begriffen, die diesen Aufgabenbereichen zuzuordnen sind, und für die Speicherung und den Abruf von Wissen aus dem Langzeitgedächtnis? Besonders in sprachlichen Fähigkeiten und bei der Organisation von Sprache im Gehirn scheint es nämlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu geben.

Künstliche und natürliche Kategorien

Bevor man sich mit Geschlechtsunterschieden im sprachlichen Bereich, speziell im semantischen Gedächtnis, nähern kann, muss man die generelle Einteilung von Objekten in künstliche und natürliche Kategorien in die Überlegungen einbeziehen (z. B. Farah, Meyer, & McMullen, 1996). Künstliche Kategorien umfassen dabei Objekte, welche von Menschen gemacht sind, also z. B. Werkzeuge, Möbel oder Kleidungsstücke. Dagegen fallen in natürliche Kategorien biologische, also lebendige, und damit nicht vom Menschen gemachte „Objekte“, z. B. Fische, Blumen, Bäume oder Früchte. Dass diese Unterscheidung künstlicher und natürlicher Kategorien nicht nur konzeptioneller und theoretischer Art ist, sondern sich auch in Kognition und eventuell sogar im Gehirn manifestiert, zeigen inzwischen zahlreiche Studien der kognitiven Psychologie und der Neurowissenschaften (z. B. Kiefer, 1999; Martin & Chao, 2001). Typischerweise sind künstliche Objekte, also Dinge, die von Menschen gemacht sind, darüber definiert, wie man sie benutzt (z. B. McRae & Cree, 2002).

Zum Beispiel kommt es bei Werkzeugen weniger auf Oberflächenmerkmale wie Form, Farbe oder Material an, sondern darauf, wie und wofür man das Werkzeug benutzen kann. Dagegen sind natürliche „Objekte“ – z.B. Früchte oder Tiere – nicht über die Funktion, die sie erfüllen oder darüber, wie wir sie benutzen können, zu unterscheiden. Um natürliche Objekte zu unterscheiden, helfen uns besonders die äußeren Merkmale, also wie sich etwas anfühlt, wie etwas aussieht oder wie es sich anhört (z. B. McRae & Cree, 2002). Äpfel und Birnen kann man gleichermaßen essen, schälen, zu Kompott verarbeiten etc. Unterschiede bestehen dagegen in der Form, der Farbe und wie sich die Schale anfühlt.

Geschlechtsunterschiede bei der Verarbeitung von Kategorien

Ein Blick in die Literatur bringt nun zahlreiche Studien zutage, in welchen Geschlechtsunterschiede im Bereich der Kategorienverarbeitung gefunden wurden. So haben Frauen oftmals einen Verarbeitungsvorteil bei natürlichen Objekten, Männer dagegen haben Vorteile mit künstlichen Objekten. Dies zeigt sich z.B. in einfachen Bildbenennungsaufgaben, in denen die Probanden lediglich die auf dem Bildschirm gezeigten Bilder mit dem korrekten Namen benennen müssen: Frauen sind im Mittel bei Abbildungen natürlicher Objekte schneller und akkurater, wohingegen Männer im Mittel schneller beim Benennen künstlicher Objekte sind (z.B. Laws, 1999). Des Weiteren können Frauen schneller natürliche Objekte von Phantasieobjekten unterscheiden, Männer dagegen können schneller künstliche Objekte von Phantasieobjekten unterscheiden (Barbarotto, Laiacona, Macchi & Capitani, 2002).

Ebenso zeigen sich Geschlechtsunterschiede, wenn man Probanden bittet, zu einer gegebenen Kategorie möglichst viele Exemplare zu nennen: Frauen können hier mehr Exemplare natürlicher Kategorien (besonders Früchte) produzieren, Männer können mehr Exemplare künstlicher Kategorien (besonders Werkzeuge und Fahrzeuge) generieren (z.B. Coppens & Frisinger, 2005). Darüber hinaus gibt es auch Studien mit Läsionspatienten, in welchen Geschlechtsunterschiede beobachtet werden konnten: Männer mit Gehirnläsionen zeigen mehr Defizite bei natürlichen Kategorien. Dagegen waren Ausfälle und Defizite bei künstlichen Kategorien wesentlich seltener und gleichmäßig über die wenigen männlichen und weiblichen Patienten verteilt (z.B. Capitani, Laiacona, Mahon, & Caramazza, 2003).

Und schließlich gibt es vereinzelte Hinweise aus den kognitiven Neurowissenschaften, dass bei Männern und Frauen teilweise unterschiedliche Hirnregionen bei der Verarbeitung unterschiedlicher Kategorien aktiv sind (z.B. Baxter et al., 2003). Zusammengenommen lässt sich also sagen, dass aus verschiedenen Forschungsrichtungen und mit verschiedenen Untersuchungsmethoden Geschlechtsunterschiede bei der Verarbeitung verschiedener Kategorien zu beobachten sind. Die einfachste Erklärungsmöglichkeit solcher Geschlechtsunterschiede besteht nun darin, dass unterschiedliche Vertrautheit mit bestimmten Gegenständen zu besseren Zugriffs- und Abrufmechanismen führt. Männer sollten demnach durch ihre stärkere Beschäftigung mit Werkzeugen und technischen Dingen, welche unter anderem durch die klassischen Geschlechterrollen vorgegeben wird, mit künstlichen Objekten besonders vertraut sein und dadurch einen besonders guten Gedächtniszugriff darauf haben. Frauen dagegen könnten durch die ebenfalls beispielsweise über Geschlechterrollen vorgegebene Beschäftigung mit Kindererziehung, Speisenzubereitung etc. besonders mit natürlichen Objekten vertraut sein und dadurch auf besonders effiziente Abrufmechanismen für diese Objekte zurückgreifen können. Das Problem mit den oben aufgeführten Studien ist, dass sie eine solche Interpretation über die unterschiedliche (individuelle) Vertrautheit mit Objekten zwar zulassen, jedoch nicht nur Prozesse tangieren, die mit semantischer Verarbeitung und dem Abruf von Objekten zu tun haben. Wenn man Personen beispielsweise bittet, zu einer gegebenen Kategorie möglichst viele Exemplare zu nennen, spielen bei der Bearbeitung dieser Aufgabe neben den automatischen Abrufprozessen sowohl willentliche Prozesse als auch verschiedene kognitive Fähigkeiten eine Rolle. Dadurch kann man nicht direkt auf Prozesse rückschließen, welche mit dem (automatischen, unwillkürlichen) Zugriff und Abruf von kategorialem Wissen verbunden sind und damit Hinweise auf die Organisation von Gedächtnisinhalten geben.

Ein klassischer Versuchsaufbau: Das Priming

Zur Überprüfung der Hypothese, dass sich Männer und Frauen hinsichtlich der Abrufmechanismen für natürliche versus künstliche Objekte unterscheiden, kann man stattdessen auf einen klassischen Versuchsaufbau der kognitiven Psychologie – nämlich auf das semantische Primingparadigma – zurückgreifen. Bei einem Primingversuch sieht die Versuchsperson nach einem Fixationskreuz kurz nacheinander zwei Reize, z.B. Wörter, auf dem Computerbildschirm. Der erste Reiz ist der Prime-Reiz. Dieser ist typischerweise für die Aufgabe der Versuchsperson irrelevant. Der zweite Reiz ist der Target-Reiz, auf den die Person reagieren muss, z.B. mit einem Urteil darüber, ob das Target orthographisch richtig ist. Variiert wird nun die Beziehung zwischen Prime- und Targetreiz: in manchen Versuchsdurchgängen stehen die Bedeutung des Primes und die Bedeutung des Targets miteinander in Beziehung, Prime und Target sind also assoziiert. In anderen Durchgängen sind Prime und Target nicht assoziiert.

Zum Beispiel ist der Prime ein Kategoriebegriff wie etwa BLUME und das Target danach ist ein Mitglied der Kategorie Blume, etwa Rose. In diesem Fall sind Prime und Target assoziiert. Wenn jedoch vor dem Target Rose z.B. der Kategoriebegriff FISCH gezeigt wird, sind Prime und Target nicht assoziiert, da sie semantisch keine Beziehung zueinander haben. Das typische Ergebnis ist, dass Personen auf Targets schneller reagieren, wenn Prime und Target assoziiert sind, obwohl der Prime keinerlei Hinweis auf die korrekte Antwort auf das Target bietet. Die Bedeutung des Targets wurde demnach im assoziierten Fall bereits durch den Prime voraktiviert, was zu schnellerer Verarbeitung des Targets führt. Aus diesem Ergebnis kann man Rückschlüsse auf Abrufmechanismen im Gedächtnis ziehen. Allerdings ist für solche Rückschlüsse der zeitliche Abstand zwischen Prime und Target entscheidend. „Etwa ab Intervallen von über 300 Millisekunden kann man nicht mehr ausschließen, dass die Effekte auf mehr oder weniger bewussten Erwartungen und Strategien beruhen. Eine Interpretation im Sinne von automatischen Gedächtnisprozessen wird dann schwierig“, erläutert der Primingexperte Prof. Dirk Wentura aus Saarbrücken (siehe auch z. B. Neely, 1991). Es darf also nicht mehr als die sehr kurze Zeit von 300 ms zwischen Prime- und Target-Darstellung auf dem Bildschirm vergehen, damit man auf Strukturen und Prozesse im Gedächtnis schließen kann.

Unterscheiden sich nun Männer und Frauen in der Verarbeitung natürlicher und künstlicher Kategorien?

Um mit dem Priming Fragen zu Abrufmechanismen und zur Speicherung von künstlichen und natürlichen Kategorien zu untersuchen, wurden semantische Primingversuche zum einen mit natürlichen, zum anderen mit künstlichen Kategorien durchgeführt. Hierbei wurden gezielt Männer und Frauen untersucht. Die Ergebnisse mehrerer solcher Versuche (siehe Bermeitinger, 2009; Bermeitinger, Wentura, & Frings, 2008) waren eindeutig: Männer waren mit natürlichen und mit künstlichen Kategorien schneller bei assoziierten im Vergleich zu nicht assoziierten Zielwörtern. Das Primewort machte also ein assoziiertes Targetwort stets zugänglicher. Frauen hingegen zeigten einen solchen Primingeffekt nur mit natürlichen Kategorien. Bei künstlichen Kategorien dagegen war es für Frauen nicht von Vorteil, wenn eine assoziierte Kategorie als Prime gezeigt wurde. Diese Ergebnisse können nun nicht mehr über die unterschiedliche Vertrautheit mit einzelnen Objekten erklärt werden, da die Versuchspersonen auf die gleichen Wörter einmal mit assoziiertem und zum anderen mit nicht assoziiertem Prime reagieren mussten. Falls allein die unterschiedliche Vertrautheit zu Geschlechtsunterschieden geführt hätte, hätte man erwartet, dass Männer generell schneller auf künstliche Objekte reagieren und Frauen generell schneller bei natürlichen Objekten sind. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Männer und Frauen sich in einem anderen Punkt unterscheiden, nämlich darin, wie schnell sie auf einen Begriff reagieren in Abhängigkeit von Kategorietyp (also natürlich vs. künstlich) und vorgeschaltetem Prime (also assoziiert oder nicht assoziiert).

Wodurch kommen diese Unterschiede zustande? Teil 1: Fixe Unterschiede im Gehirn?

Man könnte nun annehmen, dass sich diese Geschlechtsunterschiede und die Unterschiede zwischen natürlichen und künstlichen Kategorien in unterschiedlichen Verarbeitungsprozessen und/oder in generellen strukturellen Unterschieden im Gehirn niederschlagen. Um dies zu überprüfen, wurden die gleichen Experimente wie oben durchgeführt und gleichzeitig Hirnströme aufgezeichnet. Hierbei zeigte sich jedoch, dass Männer und Frauen sich hinsichtlich der Prozesse, die im Gehirn ablaufen, nicht unterscheiden (Bermeitinger, 2009). Zum anderen wurde eine Methode angewendet, bei der die Wörter so präsentiert wurden, dass sie zunächst nur in einer Hirnhälfte verarbeitet wurden. Mit dieser Art der Präsentation zeigte sich ebenfalls, dass Frauen und Männer die beiden Kategorien gleichermaßen verarbeiten können – es gab keine Geschlechtsunterschiede, was darauf hindeutet, dass die Kategorien bei Männern und Frauen in den Hirnhälften in ähnlicher Weise gespeichert sind (Bermeitinger, 2009). Insgesamt lässt sich auf der Grundlage dieser Versuche sagen, dass sich die Prozesse und Regionen im Gehirn, die an der Verarbeitung von Kategorieinformation beteiligt sind, bei Männern und Frauen nicht unterscheiden.

Wodurch kommen diese Unterschiede zustande? Teil 2: Verschiedene Verarbeitungsmodi!

Was führt dann aber dazu, dass es in der Standardanordnung Geschlechtsunterschiede bei der Verarbeitung von natürlichen und künstlichen Kategorien gibt, wenn es keine fixen Unterschiede im Gehirn sind? Eine mögliche Hypothese ist, dass Frauen und Männer bevorzugt mit einem anderen Verarbeitungsmodus an die Verarbeitung von Kategorien herangehen. Zum Beispiel könnten Frauen bevorzugt einen Verarbeitungsmodus anwenden, welcher auf äußere Merkmale gerichtet ist – und damit Vorteile bei natürlichen Kategorien haben. Männer hingegen könnten in ihrem bevorzugten Verarbeitungsmodus die Benutzbarkeit und Handhabung der Objekte mit einbeziehen – und damit Vorteile bei künstlichen Kategorien haben. Hieran anschließend stellt sich die Frage, ob es möglich ist, den bevorzugten Verarbeitungsmodus, so es ihn denn gibt, zu verändern. Um dies zu überprüfen, wurde in weiteren Experimenten zwischen die Primingdurchgänge eine zweite Aufgabe eingestreut. Diese Zweitaufgabe war für die eine Hälfte der Versuchspersonen eine Aufgabe, welche sich auf ein äußeres Merkmal richtete. Beispielsweise sollten zwei Gegenstände, die auf dem Bildschirm benannt wurden, hinsichtlich ihrer Größe verglichen werden. Die andere Hälfte der Versuchspersonen hatte eine zweite Aufgabe, welche sich auf die Funktion oder die Manipulierbarkeit von Gegenständen bezog. Beispielsweise sollten zwei Gegenstände danach beurteilt werden, ob man sie für den gleichen Zweck benutzen kann (z.B. eine Kerze und eine Glühlampe sind etwa gleich groß und erfüllen die gleiche Funktion; ein Ball und ein Telefon sind vergleichbar groß, jedoch haben sie unterschiedliche Funktionen; Stricknadeln und ein Webstuhl haben im weiteren Sinne die gleiche Funktion, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Größe; ein Blumentopf und eine Orgel unterscheiden sich sowohl in Funktion als auch in Größe). In diesen Experimenten zeigte sich (Bermeitinger, 2009; Bermeitinger, Wentura & Frings, 2008), dass sich die Effekte der vorherigen Experimente tatsächlich in Richtung der Ergebnisse von Männern verschieben lassen können, wenn die Versuchspersonen zusätzlich die Funktionsaufgabe bearbeiteten: unabhängig vom Geschlecht der Versuchsperson zeigten sich Primingeffekte für natürliche und künstliche Kategorien. Mit der Zweitaufgabe, in der es um die äußeren Merkmale ging, zeigten die Versuchspersonen dagegen das Muster, welches sonst von Frauen gezeigt wurde: wiederum unabhängig vom Geschlecht der Versuchsperson ergaben sich mit der zusätzlichen Funktionsaufgabe Primingeffekte nur für natürliche Kategorien. Dieses Ergebnis ist zum einen ein Nachweis dafür, dass Männer und Frauen gleichermaßen in der Lage sind, die verschiedenen Kategorien zu verarbeiten. Zum anderen konnte dadurch bestätigt werden, dass Gegenstände nicht fix repräsentiert sind, sondern dass je nach Situation und Verarbeitungsmodus eine aktuelle Repräsentation der Gegenstände aufgebaut und abgerufen wird. Verarbeitungsmodus bedeutet hierbei, dass man bestimmte Eigenschaften momentan stärker gewichtet. Ein Schraubendreher ist also etwas anderes, wenn man ihn nach seiner Farbe zu gleichen Farben sortiert, als wenn man ihn zum Eindrehen von Schrauben benutzen will. Mit einem funktionalen Verarbeitungsmodus werden die Funktion von Dingen und die Handlungen, die man mit Gegenständen ausführen kann, stärker gewichtet. Da diese Eigenschaften für die Unterscheidung von künstlichen Objekten besonders wichtig sind (siehe oben), entstehen dadurch Verarbeitungsvorteile für künstliche Objekte. Mit einem Verarbeitungsmodus, der auf die äußeren (also perzeptuellen) Eigenschaften von Objekten gerichtet ist, resultieren Verarbeitungsvorteile für natürliche Objekte.

Fazit

Was bleibt nun von den Geschlechtsunterschieden übrig? Männer und Frauen können offensichtlich gleichermaßen auf natürliche wie auf künstliche Begriffe zugreifen und keines der beiden Geschlechter hat generell Nachteile bei der Verarbeitung einer Kategorie. In der bevorzugten Verarbeitungsweise hingegen unterscheiden sich im Mittel Frauen von Männern und jedes Geschlecht bevorzugt einen etwas anderen Modus. Sofern kein bestimmter Verarbeitungsmodus angeregt wird – was man etwa durch die oben dargestellten Zweitaufgaben erreichen kann – ergeben sich die berichteten Geschlechtsunterschiede. Die biologische Grundlage scheint bei Frauen und Männern also gleich zu sein. Es besteht jedoch sowohl eine Präferenz für eine bestimmte Verarbeitungsweise als auch die Möglichkeit, flexibel von einer in die andere zu wechseln. An dieser Stelle könnte man sich nun fragen, inwiefern Kategorisierung von Objekten überhaupt sinnvoll ist oder ob es nicht sowieso besser wäre, jedes Objekt für sich zu betrachten und nicht alles in eine Schublade oder Gruppe packen zu wollen. Wofür sind diese Kategorien also eigentlich da? Die Vorteile von Kategorien sind vielfältig (z.B. Murphy, 2004), doch der größte Vorteil hierbei ist sicherlich: “Categories are great simplifiers” [Kategorien sind großartige Vereinfacher] (Blair & Homa, 2003, p. 1293). Eigenschaften, die auf viele Exemplare einer Kategorie zutreffen, müssen nicht für jedes einzelne Exemplar gespeichert werden. Außerdem kann Wissen dadurch auf neue Objekte, die in eine Kategorie fallen, übertragen werden. Hierdurch werden Vorhersagen, beispielsweise darüber, wie sich bestimmte Mitglieder einer Kategorie verhalten werden oder wie man mit ihnen interagieren kann, verbessert. Zudem wird Sprache durch Kategorien überhaupt erst möglich. Ohne Kategorien müsste man bei jeder Beschreibung eines Objektes alle seine Eigenschaften aufzählen. Anstatt einfach zu sagen: „Das ist ein Vogel“, wäre eine komplexe Auflistung diverser Einzelaspekte nötig, wie etwa: lebt, hat Flügel, hat Federn, baut ein Nest, legt Eier, hat zwei Beine, hat einen Schnabel etc. Selbstverständlich müsste ebenfalls ausgeführt werden, was überhaupt Leben, Flügel, Nest, Eier, Beine, Schnabel etc. sind. Kategorisierung ist deshalb einer der grundlegendsten, universellsten und wesentlichsten Prozesse jedes Lebewesens und sogar jedes neuronalen Systems (z.B. Feldman, 2006). Diese Erkenntnisse zusammen mit den oben dargestellten Befunden zeigen, dass Kategorisierung insgesamt eine sehr sinnvolle und effiziente Methode ist. Jedoch sind eine bestimmte Art der Kategorisierung auf der einen Seite und die Gewichtung von bestimmten Eigenschaften auf der anderen Seite manchmal mehr und manchmal weniger sinnvoll. Eventuell sollten also Dinge je nach Situation und je nach Zweck mit einem anderen Verarbeitungsmodus beurteilt oder betrachtet werden. Darüber hinaus ist der Befund, dass der Zugriff auf bestimmte Objekte durch den aktuellen Verarbeitungsmodus mitbestimmt wird, hochgradig relevant für Therapieansätze für Patienten mit sprachlichen Ausfallserscheinungen oder eventuell auch bei Demenzpatienten. Indem man diese Patienten in einen geeigneten Verarbeitungsmodus versetzt, könnte schon helfen, den Zugriff zu dem einen oder anderen Wort zu erleichtern. Insgesamt können die dargestellten Befunde als Einladung verstanden werden, auch im Alltag mal ganz bewusst den einen oder anderen Modus auszuprobieren. Zum Beispiel in festgefahrenen Situationen können solche (gewissermaßen) Perspektivenwechsel die Beurteilung von Dingen optimieren und daneben dazu beitragen, andere besser zu verstehen.

 

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