Spontane Gesichtsberührungen- Mehr als nur die reine Berührung?

Gesichtsberührungen sind ein Teil unseres Alltags. Und häufig kennen wir auch den Grund für Gesichtsberührungen, wie zum Beispiel beim Popeln. Aber warum berühren wir unser Gesicht so oft spontan und ohne offensichtlichen Grund? Spontane Gesichtsberührungen scheinen mehr als nur eine Berührung zu sein und beeinflussen unser Denken, unser Fühlen und unsere Gehirnaktivität. Aktuelle Forschung zu diesen Einflüssen, könnt ihr in diesem Beitrag lesen.

 

 

Kennst du das, wenn du ganz viel gegessen hast und dir den Bauch reibst? In deinem ganzen Leben spielen Selbstberührungen wie diese eine wichtige Rolle. Schon vor unserer Geburt und solange wir leben, berühren wir uns selbst. Um Selbstberührungen spüren zu können, ist unser Körper sehr gut ausgerüstet.  Groben Schätzungen zufolge helfen uns 900 Millionen Tastsinneszellen dabei verschiedene Informationen über die Umwelt und unseren eigenen Körper zu sammeln (Grunwald, 2020*). Zum Beispiel reagieren sogenannte Vater-Pacini-Körperchen besonders auf Bewegung, Meissner- und Ruffini-Körperchen auf Verformungen der Haut. Andere Zellen reagieren besonders auf verschiedene Temperaturen und Schmerzen. Diese und weitere Zellen übersetzen die gesammelten Informationen in elektrische Impulse. Diese elektrischen Impulse werden dann von Nervenfasern an unser Gehirn weitergeleitet. Im Gehirn reagiert dann mehr als jede zehnte Zelle auf Berührungen, um die Informationen zu verarbeiten. Die Zusammenarbeit von Tastsinneszellen, Nervenfasern und Gehirnzellen trägt dazu bei, dass wir spüren, was wir gerade berühren. Auch wenn wir es nicht sehen, wissen wir ganz genau, wo wir uns gerade berühren, zum Beispiel im Gesicht.

Bild 1: Tastsinneszellen in unserer Haut sammeln Informationen über die Umwelt.  Nervenfasern leiten diese Informationen an das Gehirn weiter, wo die Informationen verarbeitet werden.Bild 1: Tastsinneszellen in unserer Haut sammeln Informationen über die Umwelt. Nervenfasern leiten diese Informationen an das Gehirn weiter, wo die Informationen verarbeitet werden.

Spontane Gesichtsberührungen

In vielen Fällen wissen wir, warum wir unser Gesicht berühren, zum Beispiel wenn wir uns einen Pickel ausdrücken oder uns waschen. In anderen Fällen wissen wir nicht so genau, warum wir unser Gesicht berühren. Diese Gesichtsberührungen werden spontane Gesichtsberührungen genannt. Und fast alle Menschen auf der Welt berühren täglich spontan ihr Gesicht, unabhängig vom Alter, der Herkunft oder dem Geschlecht (Spille et al., 2021). Es wurde ausgerechnet, dass wir das sogar bis zu 800 Mal am Tag machen. In vielen Fällen berühren wir dabei die Schleimhäute oder die nahe Umgebung in unserem Gesicht, also Augen, Nase und Mund. Berührungen der Schleimhäute in unserem Gesicht ist laut der Welt-Gesundheits-Organisation einer von drei Wegen, sich mit Corona anzustecken. Um diese Ansteckungen in Zeiten einer Pandemie zu verringern, wird in der Öffentlichkeit auf Schildern häufig empfohlen, sich nicht mit den Händen im Gesicht zu berühren. Allerdings ist es gar nicht so einfach, dass wir uns nicht im Gesicht berühren. Menschen erinnern sich häufig gar nicht daran, dass sie sich im Gesicht berührt haben (Spille et al., 2021). Auch wenn wir den Grund für diese spontanen Gesichtsberührungen noch nicht kennen, gibt es Hinweise darauf, dass spontane Gesichtsberührungen für uns Menschen mehr bedeuten als die bloße Berührung.

Spontane Gesichtsberührungen und Angst

In einem Experiment haben die Versuchspersonen Fragebögen darüber ausgefüllt, wie ängstlich sie allgemein sind und wie viel Angst sie vor einer zahnärztlichen Behandlung haben (Carillo-Diaz et al., 2020). Um zu messen, wie oft sich die Menschen im Gesicht berühren, wurden sie im Warteraum einer zahnärztlichen Praxis gefilmt. Dabei kam heraus, dass die Menschen, die allgemein ängstlicher Bild 2: Wenn Menschen Angst haben, berühren sie ihr Gesicht besonders oft und lange.Bild 2: Wenn Menschen Angst haben, berühren sie ihr Gesicht besonders oft und lange.waren, sich auch häufiger und länger im Gesicht berührt haben. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass uns spontane Gesichtsberührungen dabei helfen, mit unseren Ängsten umzugehen. Um jedoch den Zusammenhang zwischen Ängstlichkeit und spontanen Gesichtsberührungen zu verstehen, sind weitere Studien notwendig. Zum Beispiel könnten wir messen, welchen Einfluss es auf uns hat, wenn wir uns nicht im Gesicht berühren können. Welchen Einfluss es auf die Ängstlichkeit hat, wenn wir uns nicht im Gesicht berühren, wurde noch nicht untersucht. Aber ob wir uns genauso gut Dinge merken können, wenn wir unser Gesicht nicht berühren, wurde in einer ersten Studie untersucht.

Spontane Gesichtsberührungen und das Gedächtnis

Um herauszufinden, welche Auswirkungen es auf das Gedächtnis hat, wenn Menschen sich nicht im Gesicht berühren, wurde in einem Experiment während einer Merkaufgabe verhindert, dass sich die Versuchspersonen im Gesicht berühren können. Zuerst sollten die Versuchspersonen die Formen von mehreren Gegenständen erfühlen und für 14 Minuten merken (Spille et al., 2022). Nach den 14 Minuten sollten die Versuchspersonen die Formen auf ein Blatt Papier aufzeichnen. Das haben die Versuchspersonen vier Mal gemacht, also die Formen erfühlen, für 14 Minuten merken und am Ende aufzeichnen. Bei zwei der vier Male wurde den Versuchspersonen vor den 14 Minuten gesagt, dass ihre Temperatur gemessen werden soll und dafür ihre Zeigefinger in ein Thermometer gesteckt werden müssen. Dadurch konnten die Versuchspersonen sich nicht im Gesicht berühren. Bei den anderen beiden Malen konnten die Versuchspersonen ihre Hände frei bewegen und ihr Gesicht berühren, wann immer sie wollten.

Während sich die Bild 3: Spontane Gesichtsberührungen scheinen zumindest manchen Menschen direkt oder indirekt beim Erinnern zu helfen.Bild 3: Spontane Gesichtsberührungen scheinen zumindest manchen Menschen direkt oder indirekt beim Erinnern zu helfen.Versuchspersonen die Formen merken sollten, haben viele ihr Gesicht berührt. Natürlich nur bei den Malen, bei denen ihre Hände frei waren. Manchmal haben sie ihr Gesicht aus offensichtlichen Gründen wie Popeln berührt. Aber oft haben sie ihr Gesicht spontan, also ohne offensichtlichen Grund, berührt. Dabei wurde beobachtet, dass manche Versuchspersonen ihr Gesicht häufig spontan berühren, während andere das nur selten tun. Nach dem Experiment wurde für jede Versuchsperson bewertet, wie gut sie die Formen aufgezeichnet hat. Also wurden Zeichnungen für die Male bewertet bei denen die Hände frei waren und für die Male bei denen die Hände nicht bewegt werden konnten. Bei den Versuchspersonen, die ihr Gesicht sowieso nur selten berührt haben, waren die Zeichnungen immer ähnlich gut, egal ob die Hände bewegt werden konnten oder nicht. Also hatte es bei diesen Versuchspersonen wohl keinen so großen Einfluss auf das Gedächtnis, wenn sie sich nicht im Gesicht berühren konnten. Bei den Versuchspersonen, die ihr Gesicht häufig berührt haben hingegen, waren die Zeichnungen unterschiedlich gut. Wenn sie ihre Hände frei bewegen und ihr Gesicht berühren konnten, waren die Zeichnungen viel besser, als wenn sie ihre Hände nicht frei bewegen und ihr Gesicht nicht berühren konnten.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Berührung des Gesichtes und der Fähigkeit, sich Dinge zu merken. Ob und wie die Verhinderung von Gesichtsberührungen unser Gedächtnis beeinflusst, wissen wir noch nicht. Wir stehen noch ganz am Anfang der Erforschung von spontanen Gesichtsberührungen, aber es scheint einen Zusammenhang zwischen spontanen Gesichtsberührungen und dem Gedächtnis und unserer Angst zu geben. Sowohl unser Gedächtnis als auch unsere Angst sitzen in unserem Gehirn. Deswegen dachten sich die Forschenden, dass es interessant wäre, die Aktivität unseres Gehirns im Verlauf von spontanen Gesichtsberührungen zu untersuchen.

Spontane Gesichtsberührungen und unser Gehirn

Ob Gesichtsberührungen die Aktivität unseres Gehirns beeinflussen, wurde in einem ähnlichen Experiment wie oben beschrieben untersucht (Butz et al., 2023). Die Versuchspersonen sollten wieder Formen von Gegenständen erfühlen, sich merken und später aufzeichnen. Währenddessen wurden sie wieder gefilmt, aber dieses Mal wurde zusätzlich die Aktivität des Gehirns mit Metallringen auf dem Kopf der Versuchspersonen gemessen und untersucht (siehe Glossar: Elektroenzephalografie). Dann wurde verglichen, wie aktiv das Gehirn vor einer spontanen Gesichtsberührung war und wie aktiv das Gehirn nach einer spontanen Gesichtsberührung war. Vor der spontanen Gesichtsberührung waren zwei Orte des Gehirns besonders aktiv, nach der spontanen Gesichtsberührung aber nicht mehr. EinerBild 4: Rechts: Eine Versuchsperson mit Metallringen auf dem Kopf, mit denen wir die Aktivität des Gehirns messen. Links: Die Aktivität des Gehirns wird dann für jeden Metallring am Computer als eine solche wellige Linie dargestellt.Bild 4: Rechts: Eine Versuchsperson mit Metallringen auf dem Kopf, mit denen wir die Aktivität des Gehirns messen. Links: Die Aktivität des Gehirns wird dann für jeden Metallring am Computer als eine solche wellige Linie dargestellt. der beiden Orte des Gehirns ist dafür bekannt, bei der Verarbeitung von Gefühlen beteiligt zu sein, der andere Ort des Gehirns dafür, das Gedächtnis zu beeinflussen. Das könnte bedeuten, dass sich unser Gedächtnis und unsere Angst gegenseitig beeinflussen. Wie oben beschrieben, berühren sich ängstliche Menschen besonders oft. Vielleicht helfen spontane Gesichtsberührungen unsere Angst zu verarbeiten, was wiederum unserem Gedächtnis hilft. Das wäre eine Erklärung dafür warum sich Menschen in dem oben beschriebenen Experiment Dinge weniger gut merken konnten, wenn sie ihr Gesicht nicht berühren konnten. Diese Erklärung muss jedoch noch genauer untersucht werden.

Spontane und aktive Gesichtsberührungen

Die Aktivität unseres Gehirns verändert sich bei jeder Bewegung unserer Arme und jeder Berührung unseres Gesichtes. Daher könnte es sein, dass die Unterschiede der Aktivität des Gehirns nur durch die Bewegung des Arms und der Berührung des Gesichts ausgelöst wurden.

Um das zu überprüfen, wurden die Menschen am Ende des Experiments darum gebeten, sich im Gesicht zu berühren (Butz et al., 2023). Die Versuchspersonen haben sich also im Gesicht berührt, weil es ihnen gesagt wurde. Der Grund für diese Berührungen ist im Gegensatz zu den spontanen Gesichtsberührungen bekannt. Diese Gesichtsberührungen werden aktive Gesichtsberührungen genannt. Zwischen der Zeit vor und nach den aktiven Gesichtsberührungen wurden fast keine Unterschiede der Gehirnaktivität gefunden. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass spontane Gesichtsberührungen unser Gehirn ganz anders beeinflussen als aktive Gesichtsberührungen. Aber warum wurden bei den spontanen Gesichtsberührungen so große Unterschiede beobachtet, die bei den aktiven Gesichtsberührungen nicht beobachtet wurden? Um diese Frage zu beantworten, wurde die Aktivität des Gehirns zwischen der Zeit vor spontanen und aktiven Gesichtsberührungen verglichen. Beim Vergleich der Zeit vor den beiden Gesichtsberührungen wurden wieder große Unterschiede gefunden. Also scheint sich der Mensch vor einer spontanen Gesichtsberührung in einem ganz besonderen Zustand zu befinden. Und hilft uns die spontane Gesichtsberührung dabei aus diesem besonderen Zustand wieder in einen normalen Zustand zu kommen?

Um das zu untersuchen wurde die Aktivität des Gehirns nach spontanen mit der Aktivität nach aktiven Gesichtsberührungen verglichen. Wenn uns spontane Gesichtsberührungen dabei helfen, wieder aus diesem besonderen Zustand herauszukommen, sollte die Aktivität des Gehirns nach spontanen und aktiven Gesichtsberührungen ähnlicher sein als vorher. Und genau das haben die Forschenden auch gefunden. Die Gehirnaktivität nach spontanen und aktiven Gesichtsberührungen war viel ähnlicher als vor den beiden Arten der Gesichtsberührungen. Das deutet darauf hin, dass Menschen nach einer spontanen Gesichtsberührung nicht mehr so sehr in diesem besonderen Zustand waren wie vor der spontanen Gesichtsberührung. Um diesen besonderen Zustand näher beschreiben zu können, sind jedoch noch weitere Studien notwendig. Was wir aber schon jetzt sagen können, ist, dass es einen Zusammenhang zwischen spontanen Gesichtsberührungen, unserer Gehirnaktivität, unserem Denken und unserer Angst gibt.

Zu guter Letzt

Hättest du gedacht, dass spontane Gesichtsberührungen so viel mehr als nur Berührungen des eigenen Gesichtes sind? Eine Erklärung für die Ergebnisse der beschriebenen Experimente könnte sein, dass uns Gesichtsberührungen dabei helfen, unsere Aufmerksamkeit von etwas wegzulenken, zum Beispiel etwas, was uns Angst macht, oder etwas, das uns von Erinnerungen ablenkt. Das würde uns dabei helfen, dass wir nicht mehr an das denken, was uns Angst macht oder uns ablenkt. Die Forschung ist jedoch noch ganz am Anfang. Es gibt noch viele Fragen zu klären. Berühren wir unser Gesicht mehr in Situationen die uns unterfordern oder überfordern? Und ist das überhaupt für alle Menschen gleich oder gibt es Unterschiede zwischen den Menschen? Schaffen wir es, uns nicht im Gesicht zu berühren, wenn uns ein Schild dazu auffordert, wie während Corona? Hat die Gesichtsberührung durch eine andere Person oder gar durch einen Roboter einen ähnlichen Einfluss auf uns, wie wenn wir uns selbst berühren? Ein paar dieser Fragen probieren wir in Studien, die wir aktuell durchführen, zu beantworten. Und auch andere Labore führen immer mehr Studien zum Thema Gesichtsberührungen durch. Deswegen wissen wir hoffentlich bald mehr darüber, welchen Einfluss Gesichtsberührungen auf uns haben und wodurch sie uns beeinflussen.

*In Klammern werden die AutorInnennamen angegeben, die zu diesem Thema schon geforscht haben, z. B. so: Grunwald, 2020. Das bedeutet, dass jemand namens Grunwald im Jahr 2020 dazu geforscht hat. Diese Vorarbeiten findet ihr ganz unten, am Ende des Artikels, aufgelistet.

Literaturverzeichnis

Butz, K., Mueller, S., Spille, J., Martin, S., & Grunwald, M. (2023). Spontaneity matters! Network alterations before and after spontaneous and active facial self-touches: An EEG functional connectivity study. International Journal of Psychophysiology, 184, 28-38. doi:10.1016/j.ijpsycho.2022.12.004

Carrillo-Diaz, M., Lacomba-Trejo, L., del Valle-González, A., Romero-Maroto, M., & González-Olmo, M. J. (2021). Anxiety and facial self-contacts: possible impact on COVID-19 transmission in dental practice. BMC Oral Health, 21(1), 1-9.

Grunwald, M. (2020). Homo Hapticus warum wir ohne Tastsinn nicht leben können. München: Droemer Taschenbuch.

Spille, J. L., Grunwald, M., Martin, S., & Mueller, S. M. (2021). Stop touching your face! A systematic review of triggers, characteristics, regulatory functions and neurophysiology of facial self touch. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 128, 102-116.

Spille, J. L., Grunwald, M., Martin, S., & Mueller, S. M. (2022). The suppression of spontaneous face touch and resulting consequences on memory performance of high and low self-touching individuals. Scientific Reports, 12(1). doi:10.1038/s41598-022-12044-4

Bildquellen

Bild 1:

Mensch: Engin_Akyurt via pixabay

Gehirn: Clker-Free-Vector-Images via pixabay

Nervenfaser: NickyHayes via pixabay

 

Bild 2: Pezibear via pixabay

 

Bild 3:

Mensch: Andrea Piacquadio via pixabay

Fragezeichen: kropekk_pl via pixabay

Glühbirne: Shafin_Protic via pixabay

 

Bild 4:

Oben: ulrichw via pixabay

Unten: NomeVisualizzato via pixabay

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