Bad Habits: Die Gewohnheitsfalle und wie man ihr entkommt

Schlechte Gewohnheiten – nicht nur Ed Sheeran kennt sie. Ein Berg an Hausaufgaben, doch wie so oft greifen wir nicht zum Stift, sondern zum Smartphone, um den Instagram Feed oder unsere Whats-App Nachrichten zu checken. Aber warum fällt es uns so schwer, diese und andere Gewohnheiten in unserem Alltag zu ändern? Wie wird eine Gewohnheit zur Sucht und was hat das mit dem Belohnungssystem unseres Gehirns zu tun? Hier bekommt ihr Antworten und Tipps, wie man der Gewohnheitsfalle entkommen kann.

 

 

„Meine schlechten Angewohnheiten führen dazu, dass lange Nächte allein enden.
Gespräche mit einem Fremden, den ich kaum kenne.
Schwöre, das wird das letzte sein, aber wahrscheinlich nicht.
Ich habe nichts mehr zu verlieren, zu benutzen oder zu tun.
Meine schlechten Angewohnheiten führen dazu, dass ich mit großen Augen ins Leere starre.
Und ich weiß, dass ich die Kontrolle über die Dinge verliere, die ich sage.“
[Auszug des Refrains von Bad Habits von Ed Sheeran ins Deutsche übersetzt.]

Ed Sheeran singt in seinem Song Bad Habits davon, dass er früher die schlechte Angewohnheit hatte, bis spät in die Nacht zu feiern und wie er dabei die Kontrolle über sein Verhalten verlor. Auch uns sind schlechte Gewohnheiten nicht fremd. Sie laufen automatisch ab, ohne dass wir sie bewusst anstoßen oder planen. Es kommt einfach über uns. Ein Beispiel. Die neue Netflix-Serie ist erschienen. Sobald man es sich auf dem Sofa mit der neuen Serie gemütlich gemacht hat, hat man auch schon die Tüte Chips in der Hand und isst und isst – bis sie leer ist. Auf Dauer kann das ungesund sein und man nimmt zu viel an Gewicht zu. Auch diese Situation ist uns vertraut: der Wecker klingelt und der erste Griff geht zum Smartphone – Whats-App Nachrichten checken und den News Feed in den Social Media durchscrollen. Auch wenn man dadurch zu spät zur Schule kommt und wichtigen Unterrichtsstoff verpasst.

Bild 1: Schlechte Gewohnheit: Der erste Griff nach dem Aufwachen geht zum Smartphone um die Likes zu checken, auch wenn man dadurch zu spät zur Schule kommt. Bild 1: Schlechte Gewohnheit: Der erste Griff nach dem Aufwachen geht zum Smartphone um die Likes zu checken, auch wenn man dadurch zu spät zur Schule kommt.

Wie und wo entstehen Gewohnheiten?

Gewohnheiten bilden sich heraus, wenn eine bewusste, routinemäßige Reaktion mit einem Auslöser und einer nachfolgenden Belohnung verknüpft wird. Zum Beispiel kann das Smartphone der Auslöser sein, das Checken der sozialen Netzwerkseiten die routinemäßige Reaktion und der Erhalt von Likes die soziale Belohnung. Wird dieses Verhalten wiederholt, bildet sich eine Gewohnheitsschleife. Je häufiger die Gewohnheitsschleife durchlaufen wird, desto stärker wird die Verbindung zwischen Auslöser und Belohnung. Hat sich die Gewohnheit einmal eingeschliffen, muss die Belohnung auch nicht mehr regelmäßig folgen, damit die Routine durch den Auslöser initiiert wird. Haben wir einmal keine neuen Likes auf Instagram für einen Beitrag erhalten, hält uns das nicht davon ab bald wieder nachzuschauen, ob der Beitrag vielleicht jetzt geliked wurde.

Bild 2: Die GewohnheitsschleifeBild 2: Die Gewohnheitsschleife

Unser Gehirn versucht so oft wie möglich, Gewohnheiten zu etablieren und Dinge im Autopiloten durchzuführen. Gewohnheiten sparen Energie, denn sie laufen automatisch ab, ohne bewusstes zutun oder Überwachung. Wir können uns dann auf andere Dinge konzentrieren. Dabei erlernen wir gute, aber leider auch schlechte Gewohnheiten. Die guten Gewohnheiten behalten wir gerne bei, wie z. B. regelmäßig Sport treiben, aber schlechte Gewohnheiten möchten wir wieder loswerden. Beim Erlernen und Ausführen von Gewohnheiten spielt ein entwicklungsgeschichtlich alter Teil unseres Gehirns eine zentrale Rolle: das Belohnungssystem. 

Dieses Hirnareal hatten schon unsere Vorfahren und auch unsere tierischen Verwandten besitzen es. Das Belohnungssystem motiviert uns zu Verhaltensweisen, damit unsere Wünsche und unsere Bedürfnisse gestillt werden. Es bringt uns dazu zu essen, wenn wir hungrig sind und zu schlafen, wenn wir müde sind. Aber es ist auch dafür verantwortlich, dass wir zum Smartphone greifen, um den Newsfeed von Insta und Co nach neuen Likes zu durchsuchen. Daher könnte man das Belohnungssystem auch als Antreiber bezeichnen, der uns eine Gewohnheit ausführen lässt, um eine Belohnung zu erhalten. Wer zum Beispiel jeden Tag nach dem Mittagessen Süßigkeiten isst, wird das nicht so schnell abstellen können. Ich wette aber, die meisten von euch schaffen es trotzdem, das mit den Süßigkeiten sein zu lassen, wenn die Konsequenzen sehr unangenehm sind und eine Bestrafung darstellen, z. B. ihr vom Zucker Schmerzen in einem kaputten Zahn bekommt. Auch das Handy legt man weg, um Krach mit den Eltern zu vermeiden. Wenn die Folgen unseres Verhaltens uns teuer zu stehen kommen, können wir es also doch schaffen unsere Gewohnheiten zu ändern.

Wer kontrolliert unsere Gewohnheiten?

Bei der Überwachung und Steuerung unseres Antreibers ist ein entwicklungsgeschichtlich junger Teil unseres Gehirns von zentraler Bedeutung: das Kontrollsystem. Dieses Gehirnareal befindet sich ganz vorne im Gehirn, direkt hinter der Stirn und spielt sich als Bestimmer auf, indem es unser Verhalten steuert, reguliert und kontrolliert. Für langfristige Vorhaben brauchen wir ein hohes Maß an Willenskraft und Selbstkontrolle. Wenn ihr z. B. die Schule erfolgreich abschließen möchtet, müsst ihr verschiedene Gewohnheiten und Impulse unterdrücken. Anstatt Netflix zu schauen, muss man sich zum Lernen aufraffen, wenn man die Schule schaffen möchte. Wieder die Macht über seine Gewohnheiten zu bekommen ist nur dummerweise sehr anstrengend. Deshalb fällt es uns so schwer, etwas, was wir regelmäßig in einer bestimmten Situation oder zu einer bestimmten Zeit tun, zu ändern.

Besonders in einem Lebensabschnitt hat der Antreiber die Oberhand: in der Pubertät. Teenager lieben riskante Situationen da diese einen gewissen Kick, eine Belohnung versprechen. Der Antreiber, also unser Belohnungssystem, ist schon sehr früh voll funktionsfähig. Gleichzeitig ist der Aufpasser, also das Kontrollsystem, noch nicht voll einsatzbereit und reift während der Pubertät erst gemächlich, bis es mit ungefähr Mitte 20 voll funktionstüchtig ist. Sprich, die Kontrolle und Hemmung von risikoreichen und gewohnheitsmäßigen Verhaltensweisen funktioniert noch nicht so gut wie bei Erwachsenen. Es herrscht noch ein Ungleichgewicht zwischen Antreiber und Bestimmer – wie bei einem Auto, das mit durchgedrücktem Gaspedal gefahren wird, während die Bremsen versagen, was zu impulsivem, außer Kontrolle geratenem Verhalten führt.Bild 3: Das Gehirn steuert unsere Gewohnheiten und kontrolliert unser VerhaltenBild 3: Das Gehirn steuert unsere Gewohnheiten und kontrolliert unser Verhalten

Wie wird eine Gewohnheit zur Sucht?

Auch bei suchtkranken Personen ist die Funktion des Antreiber- und Bestimmersystems verändert. Der Antreiber erledigt seine Aufgabe im Übermaß, denn das Belohnungslernen funktioniert bei einer Sucht zu gut. Bei jeder Drogeneinnahme wird das Belohnungssystem mit dem Botenstoff Dopamin überschwemmt, ohne dass eine echte Belohnung erfolgt. Das Belohnungssignal am Ende der Belohnungsschleife wird künstlich aufrechterhalten, die Verknüpfung von Auslöser und Belohnung wird immer weiter gestärkt und die Gewohnheit somit immer stärker bis hin zu einer Art Zwang, die Drogen einzunehmen. Die Auslöser können unterschiedlicher Natur sein und werden im Laufe der Suchtentwicklung immer vielfältiger. Jedes Mal, wenn der Botenstoff Dopamin durch die Droge ausgeschüttet wird, kann ein Auslöser, der gerade vorhanden ist, mit der Drogeneinnahme in Verbindung gebracht werden. Dabei kann jeder Reiz in der Umwelt, den die Betroffenen mit der Droge und deren Wirkung verknüpft haben, zum Auslöser werden. Das kann alles Mögliche sein, z. B. ein Ort wie die Raucherecke in der Schule, ein Zeitpunkt wie die große Pause, ein Gefühl wie Stress oder Angst vor der Klassenarbeit, eine bestimmte Person wie ein*e Mitschüler*in.

Auch nach bestimmten Verhaltensweisen, wie Computerspielen oder Glücksspielen, kann man süchtig werden und auch die Nutzung von Social Media kann suchtähnliche Züge annehmen. Besonders Verhaltensweisen, bei denen die Belohnung überraschenderweise und nicht vorhersagbar auftritt, wie neue Likes auf Insta oder das Finden von Lootboxen bei Online-Spielen, haben ein hohes Suchtpotenzial. Denn das Belohnungssystem reagiert gerade auf unvorhersehbare Belohnungen mit einer erhöhten Dopaminausschüttung. Das stärkt die Belohnungsschleife noch weiter.

Interessanterweise können Belohnungen wie Süßigkeiten, Geld etc. das Belohnungssystem von Suchtkranken schlechter aktivieren. Der Anreiz, der von einer Tüte Chips oder einer neuen „coolen“ Netflix-Serie ausgeht, ist für suchtkranke Personen viel geringer als für Gesunde. „Normale“ Belohnung motiviert nicht bzw. nicht mehr. Gute Gewohnheiten können so schwerer entstehen. So zeigte eine bildgebende Studie, dass bei süchtigen Rauchern die Aktivität im Belohnungssystem im Vergleich zu Gelegenheitsrauchern während der Möglichkeit sich Geld zu erarbeiten vermindert war (Bühler et al., 2010*). Drogen aktivieren nun das Belohnungssystem bis zu zehn Mal mehr als zum Beispiel Essen und gaukeln einem vor, dass sie wichtiger sind als das Stillen anderer Bedürfnisse. Außerdem steigt die Motivation, Drogen zu nehmen mit der Einnahme weiter an, da die Drogen das Belohnungssystem weiter schwächen. Das Leben der suchtkranken Personen wird von den Drogen bestimmt und alles dreht sich um deren Beschaffung und den Konsum. Das Verlangen nach der Droge wird übermächtig, ungeachtet aller negativer Folgen für sich selbst.

Aber was ist denn mit dem Bestimmer los? Könnte er nicht Einhalt gebieten? Leider funktioniert auch dieser Teil des Gehirns bei suchtkranken Menschen schlechter. So befinden sich bei spielsüchtigen Personen beispielsweise weniger Nervenzellen im Bestimmer als bei nicht spielsüchtigen Personen (Zois et al., 2017). Veränderungen beim Bestimmer von suchtkranken Personen können erklären, warum Betroffene die falschen Entscheidungen treffen, nämlich solche, die nur kurzfristig zu einer Belohnung führen, aber langfristig Probleme machen. Zum Beispiel kann man mit viel Alkohol Spaß am Abend haben, was kurzfristig positiv ist. Langfristig jedoch können negative Folgen wie Ärger mit der Familie oder gesundheitliche Probleme überwiegen. Sucht kann als Erkrankung unseres Gehirns verstanden werden, bei der der Antreiber übermäßig nach der Droge oder einer bestimmten Verhaltensweise wie Online-Gaming strebt, ohne die langfristigen, negativen Konsequenzen zu berücksichtigen. Außerdem kann der Aufpasser den Antreiber nicht angemessen kontrollieren. Wie gut der Bestimmer seine Arbeit macht, hängt zum einen von den Genen ab, die Mama und Papa an uns weitergegeben haben. Das heißt, wie gut unser Bestimmer unser Verhalten im Griff hat, hängt ein bisschen davon ab, wie gut das unsere Eltern können. Aber eben nicht nur. Einen entscheidenden Anteil hat auch die Umwelt, also wie wir aufwachsen, wie wir erzogen werden, ob wir lernen uns in Geduld zu üben und dafür belohnt werden. Das sind gute Nachrichten für uns: Wir können den Bestimmer nämlich durch Training verbessern, auch wenn unsere Gene es nicht ganz so gut mit uns meinen.

Wie kann ich schlechte Gewohnheiten ändern?

Es ist zwar nicht einfach und mit einiger Anstrengung verbunden, aber die guten Neuigkeiten sind, dass man Gewohnheiten ändern kann. Hier habe ich euch noch einige Tipps zusammengestellt, wie ihr das anstellen könnt. Probiert es einfach aus.

1.    Zunächst müsst ihr die Auslöser identifizieren, das heißt ihr müsst herausfinden, in welchen Situationen sich die schlechte Gewohnheit zeigt. Zum Beispiel scrollt ihr vor dem Einschlafen stundenlang den Newsfeed auf Insta, obwohl ihr doch früher schlafen wolltet, um morgens nicht müde und unausgeschlafen in die Schule gehen zu müssen.

2.    Macht es euch so schwer wie möglich, die schlechte Gewohnheit auszuführen. Legt das Smartphone nicht neben euch auf den Nachttisch, sondern ladet es in einem anderen Zimmer, weit weg von eurem Bett. Macht es euch so umständlich und anstrengend wie möglich, an das Smartphone zu kommen.

3.    Ersetzt die schlechte Gewohnheit, z. B. Newsfeed scrollen, durch eine gute Gewohnheit, z. B. ein Buch lesen. Macht es euch so einfach wie möglich, das neue, wünschenswerte Verhalten auszuführen. Dafür sollte z. B. das Buch dann griffbereit neben dem Bett auf dem Nachttisch liegen und euch regelrecht dazu auffordern, es zur Hand zu nehmen und zu lesen. Außerdem könnt ihr eure Smartphone-Nutzungszeit reduzieren, indem ihr Zeitlimits für Apps einstellt und häufig genutzte Apps vom Home Screen entfernt. Solche einfachen Hilfestellungen, die einen ohne viel Aufwand zum Handeln animieren, nennt man Nudging. Das bedeutet so viel wie anstupsen (Thaler & Sunstein, 2008). Durch Nudging könnt ihr also neue, wünschenswerte Gewohnheiten aufbauen, indem ihr sanft in die „richtige“ Richtung geschubst werdet.

4.    Probiert diese Veränderungen über eine längere Zeit durchzuhalten. Es dauert einige Zeit, bis neue Verhaltensweisen als Gewohnheiten etabliert sind und man nicht mehr darüber nachdenken muss. Je nachdem, wie komplex das neue Verhalten werden soll, kann es unterschiedlich lange dauern, manchmal auch bis zu einem Jahr (Lally et al., 2009).

Wenn ihr diese Tipps berücksichtigt, könnt ihr einige eurer Bad Habits in gute Gewohnheiten ändern. Ed Sheeran hat es übrigens geschafft, einige seiner schlechten Gewohnheiten abzulegen. Dabei geholfen hat ihm die Geburt seiner kleinen Tochter. Dieses Beispiel zeigt, dass es hilfreich ist zu wissen, wofür man eine Gewohnheit ändert.

*In Klammern werden die Autor*innennamen angegeben, die zu diesem Thema schon geforscht haben, z. B. so: Bühler et al., 2010. Das bedeutet, dass jemand namens Bühler zusammen mit Anderen im Jahr 2010 dazu geforscht hat. Diese Vorarbeiten findet ihr ganz unten, am Ende des Artikels, aufgelistet.

Literaturverzeichnis

Bühler, M., Vollstädt-Klein, S., Kobiella, A., Budde, H., Reed, L. J., Braus, D. F., Büchel, C., Smolka, M. N. (2010). Nicotine dependence is characterized by disordered reward processing in a network driving motivation. Biological Psychiatry, 67(8), 745-752. https://doi.org/10.1016/j.biopsych.2009.10.029

Lally, P., van Jaarsveld, C. H. M., Potts, H. W. W., Wardle, J. (2009). How are habits formed: Modelling habit formation in the real world. European Journal of Social Psychology, 40(6), 998-1009. https://doi.org/10.1002/ejsp.674

Olds, J. & Milner, P. (1954). Positive reinforcement produced by electrical stimulation of septal area and other regions of rat brain. Journal of Comparative and Physiological Psychology, 47(6), 419-427. https://doi.org/10.1037/h0058775

Thaler, R. H., & Sunstein, C. R. (2008). Nudge: Improving decisions about health, wealth, and happiness. Yale University Press.

Zois, E., Kiefer F., Lemenager, T., Vollstädt-Klein, S., Mann, K., & Fauth-Bühler, M. (2017). Frontal cortex gray matter volume alterations in pathological gambling occur independently from substance use disorder. Addiction Biology, 22(3), 864-872. https://doi.org/10.1111/adb.12368

Bildquellen

Bild 1: Eigentum der Autorin

Bild 2: Eigene Arbeit der Autorin (Mira Fauth-Bühler) mit Abbildungen aus folgenden Quellen:
Abbildung Smartphone oben: Tracy Le Blanc via pexels
Abbildung Smartphone unten: Jessica Lewis Creative via pexels

Bild 3: Eigene Arbeit der Autorin (Mira Fauth-Bühler)

 

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