Mit Gedächtnistraining zum Schulerfolg? Wie Mathematik- und Leseleistung mit dem Arbeitsgedächtnis zusammenhängen und was ein kognitives Training bewirken kann

„Kognitives Training“ und „Gehirntraining“ – unter diesem Label verbergen sich Trainingsprogramme, die zum Beispiel die Denkfähigkeit und den Schulerfolg von Kindern und Jugendlichen unterstützen sollen. Viele dieser Programme sind computerbasiert und werden kommerziell vertrieben. Allerdings kommt man nicht umhin, sich zu fragen: Wie effektiv sind solche kognitiven Trainings? Und was genau macht eine bestimmte Art von Training wirkungsvoll? Kann man durch kognitives Training wirklich den Schulerfolg verbessern?

Gute Noten in der Schule machen sich nicht nur gut auf dem Zeugnis, sondern sind auch eine wichtige Voraussetzung für Erfolg in vielen Lebensbereichen, zum Beispiel Ausbildungs- und Berufserfolg, Einkommen und sozioökonomischer Status. Da ein schlechtes Bildungsniveau häufig auch mit sozialen Nachteilen einhergeht, sind Maßnahmen, die Schul- und Ausbildungserfolg unterstützen können, von besonderer Bedeutung. Eine Art von Intervention, die möglicherweise grundlegende schulische Fähigkeiten wie Lesen und Rechnen unterstützen kann, sind sogenannte kognitive Trainings, das heißt die gezielte Förderung von Wahrnehmungs-, Denk- oder Gedächtnisprozessen, die diesen schulischen Leistungen zugrunde liegen (Titz & Karbach, 2014). Doch wie funktioniert ein solches Training? Und kann es tatsächlich den Schulerfolg verbessern? Diese Fragen werden am Beispiel eines spezifischen kognitiven Trainings, dem Training der Arbeitsgedächtnisfunktion bei Grundschulkindern, erläutert. Dazu werden zunächst das Konzept und die Entwicklung des Arbeitsgedächtnisses sowie seine Bedeutung für den Schulerfolg skizziert.

Was ist das Arbeitsgedächtnis?

Wenn wir beim Einkaufen fortlaufend die Summe der bereits im Einkaufskorb liegenden Waren im Kopf neu berechnen, Produkte gegen andere austauschen, neue dazu fügen und uns dabei auch noch zwischenzeitlich unterhalten, dann benutzen wir unser Arbeitsgedächtnis. Dabei handelt es sich um den Teil des Gedächtnisses, den wir benötigen, um Informationen für kurze Zeit zu speichern und zu manipulieren. Es wird zum Beispiel immer dann gebraucht, wenn man vergangene und aktuelle Situationen und Informationen miteinander verknüpfen muss, um den zeitlichen Verlauf von Ereignissen zu verstehen. Darüber hinaus ist das Arbeitsgedächtnis erforderlich, um gehörte und gelesene sprachliche Informationen zu verstehen und zu verarbeiten. Im Alltag setzen wir es auch immer dann ein, wenn wir Dinge im Kopf ordnen müssen (z. B. eine To-do-Liste neu organisieren), Ursache und Wirkung verstehen oder übergeordnete Prinzipen und Regeln ableiten wollen (Diamond, 2012). Dabei können verschiedene Arten von Informationen gespeichert werden, zum Beispiel Namen und Zahlen (verbales Arbeitsgedächtnis) oder Positionen und Orte (räumlich-visuelles Arbeitsgedächtnis). Die Menge an Informationen, die gleichzeitig gespeichert und verarbeitet werden kann, ist von Person zu Person und von Kind zu Kind unterschiedlich, das heißt Menschen unterscheiden sich hinsichtlich der Leistungsfähigkeit oder auch Kapazität ihres Arbeitsgedächtnisses. Diese Kapazität kann man zum Beispiel mithilfe von Spannenaufgaben messen. Dabei wird die maximale Anzahl von Elementen ermittelt, die man im Arbeitsgedächtnis aufrechterhalten kann, indem man Personen bittet, Sequenzen von Elementen (z. B. Zahlen oder Orte) zu erinnern. Ein anderer häufig gebrauchter Test ist die „n-zurück“ Aufgabe. Dabei werden den TeilnehmerInnen Sequenzen von Reizen (z. B. Zahlen oder Bilder) gezeigt. Ihre Aufgabe ist es zu reagieren, wenn der aktuelle Reiz dem Reiz aus dem n-ten Durchgang zuvor entspricht (z. B. bei einer 2-zurück Aufgabe dem vorletzten Reiz). Je weiter zurückliegend das n, also je weiter zurückliegend der Vergleichsreiz, desto schwieriger ist die Aufgabe und desto höher die notwendige Arbeitsgedächtnisleistung.

Das Arbeitsgedächtnis entwickelt sich über die gesamte Kindheit hinweg und noch bis ins junge Erwachsenenalter stetig weiter, weil die frontalen und parietalen Teile des Gehirns, in denen Arbeitsgedächtnisprozesse lokalisiert sind, erst relativ spät ausgereift sind (Casey, Tottenham, Liston & Durston, 2005). Es gehört damit zu den kognitiven Prozessen, die am längsten brauchen, bis sie voll entwickelt sind, und die auch im Alter zuerst von Abbauprozessen betroffen sind.

Warum das Arbeitsgedächtnis für das Lernen und den Schulerfolg wichtig ist

Forschung zum schulischen Lernen hat gezeigt, dass das Arbeitsgedächtnis eine wichtige Voraussetzung für den Erwerb neuen Wissens und neuer Fähigkeiten ist (vgl. z. B. Titz & Karbach, 2014) und sogar mit dem Schulerfolg zusammenhängt. Aktuelle Studien zeigen, dass das Arbeitsgedächtnis mindestens genauso wichtig für schulische Leistung ist wie die Intelligenz, die allgemein als stärkster kognitiver Vorhersagefaktor (Prädiktor) für akademischen Erfolg gilt.

Foto von DLeonis via iStock (http://www.istockphoto.com/de/foto/grundschule-gm116499921-5484161?st=_p_educational%20tools%20set%20for%20primary%20school%20%20%20), bereitgestellt von Julia Karbach, Lizenz: http://www.istockphoto.com/de/legal/license-agreement Viele Studien, die sich mit dem Zusammenhang von Arbeitsgedächtnis und Schulerfolg beschäftigen, haben die sprachliche und die mathematische Leistung untersucht. Sie zeigen, dass eine gute Arbeitsgedächtniskapazität mit besseren mathematischen Fähigkeiten, besseren Lese- und Schreibleistungen und einem besseren Sprachverständnis einhergeht (Titz & Karbach, 2014). Allerdings ist dieser Zusammenhang nicht immer gleich stark, sondern verändert sich in Abhängigkeit vom Alter der Schülerinnen und Schüler und der Art der Aufgaben, wie das folgende Beispiel aus dem Mathematikunterricht zeigt: Als Sabine in die Schule kam und Rechnen lernte, hat sie zum Lösen von einfachen Additions- und Subtraktionsaufgaben andere Strategien benutzt als später in der dritten Klasse. Diese unterschiedlichen Strategien belasten unterschiedliche Bereiche des Arbeitsgedächtnisses. Während sie in der ersten Klasse vor allem ihr räumlich-visuelles Arbeitsgedächtnis benutzte, weil sie die Aufgaben zum Beispiel durch einfaches Abzählen gelöst hat (prozedurale Strategien), griff sie in der dritten Klasse auf ihr verbales Arbeitsgedächtnis zurück, weil sie nun zum Beispiel das gelernte Einmaleins abrufen konnte (Faktenwissen).

Die Bedeutung des Arbeitsgedächtnisses für Lernprozesse wird aber nicht nur durch einen hohen Zusammenhang zwischen Arbeitsgedächtnisleistung und Schulerfolg belegt: Viele Lern- und Entwicklungsstörungen wie Lese- und Rechtschreibstörung, Rechenstörung und das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom ( ADHS) gehen darüber hinaus mit Defiziten im Arbeitsgedächtnis einher (Barkley, 1997; Schuchardt, Mähler & Hasselhorn, 2008). Diese Defizite stellen einen Risikofaktor für eine ungünstige schulische Leistung und Entwicklung dar.

Weil ein gut funktionierendes Arbeitsgedächtnis offenbar eine große Rolle für die Bewältigung schulischer Anforderungen stellt, liegt die Frage nahe, ob sich ein Training des Arbeitsgedächtnisses positiv auf die Leistung in mathematischen und sprachlichen Aufgaben auswirken kann.

Kann Arbeitsgedächtnistraining Lese- und Rechenfähigkeiten unterstützen?

Unter dem Label „Kognitives Training“, „Gehirntraining“ oder „Denktraining“ verbirgt sich meist das gezielte Trainieren bestimmter geistiger Prozesse oder Strategien. In den letzten Jahren gab es viele wissenschaftliche Studien, die die Effektivität solcher Trainings untersucht haben. Ihre Ergebnisse zeigen übereinstimmend, dass zum Beispiel das Ausführen von Arbeitsgedächtnisaufgaben die Leistung in diesen Aufgaben häufig recht schnell und stark verbessert. Interessanterweise gibt es aber ebenfalls Hinweise darauf, dass computerbasiertes Arbeitsgedächtnistraining auch darüber hinaus positive Effekte haben kann: Trainiert man die Fähigkeit, für kurze Zeit Informationen im Gedächtnis zu behalten und zu manipulieren, kann sich auch die Leistung in anderen, untrainierten Aufgaben verbessern ( Transfer), zum Beispiel hinsichtlich des logischen Schlussfolgerns, der Aufmerksamkeit oder der Fähigkeit, unangemessene Handlungen zu unterdrücken (Karbach & Schubert, 2013; Titz & Karbach, 2014). Transfereffekte dieser Art haben sich unter anderem auch bei Kindern mit ADHS gezeigt (Klingberg et al., 2005). Allerdings scheint der Transfer stark von der Art und Intensität des Trainings, von der Ausgangsleistung und Motivation der Trainierenden sowie der wissenschaftlichen Untersuchungsmethode abzuhängen. Unter ExpertInnen wird deshalb zur Zeit die Existenz oder zumindest das Ausmaß eines solchen Transfers kritisch gesehen (z. B. Shipstead, Redick & Engle, 2012). Aktuelle Studien zeigen aber, dass sich die Leistung in untrainierten Aufgaben nach dem Training eher dann verbessert, wenn das Training übergeordnete kognitive Prozesse (z. B. die Handlungssteuerung oder Arbeitsgedächtnisprozesse) einbezieht und nicht nur eine für eine bestimmte Aufgabe günstige Lösungsstrategie vermittelt (s. Titz & Karbach, 2014).

Eine große Einschränkung, die die meisten kognitiven Trainingsstudien gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass die Untersuchung von Transfereffekten auf die Leistung in experimentellen kognitiven Aufgaben beschränkt ist. Obwohl das Ziel vieler Interventionen letztendlich eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit im Alltag ist, gibt es kaum Studien, die entsprechende Maße untersucht haben. Eine Ausnahme bildet der Bereich schulischen Lernens in der Kindheit, dem in den letzten Jahren einige Trainingsstudien ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben (Titz & Karbach, 2014). Der enge Zusammenhang zwischen Arbeitsgedächtnis und schulischen Fähigkeiten legt nahe, dass möglicherweise bereits kleine Verbesserungen der Arbeitsgedächtniskapazität zu signifikanten Verbesserungen der Lese- und Mathematikleistung führen könnten.

Die Mehrheit der existierenden Studien hat Kinder mit kognitiven Defiziten und Lernstörungen untersucht, da diese Schülerinnen und Schüler besonderen Unterstützungsbedarf in ihrer kognitiven und schulischen Entwicklung haben. Gerade bei diesen Kindern wurde häufig die computerbasierte Trainingsbatterie CogMed eingesetzt, die verschiedene kindgerechte verbale und räumlich-visuelle Gedächtnisaufgaben enthält, in denen die TeilnehmerInnen zum Beispiel die Position von Asteroiden im Weltraum oder bunten Lämpchen an einem Roboter erinnern sollen. Ein wichtiges Merkmal der Trainingsaufgaben ist deren Adaptivität, das heißt die Tatsache, dass die Aufgabenschwierigkeit an die Leistung der Trainierenden angepasst wird: Je besser die Leistung, desto schwieriger wird die Aufgabe. Können Aufgaben nicht mehr gelöst werden, wird die Schwierigkeit abgesenkt. So wird sichergestellt, dass die Kinder durch das Training immer herausgefordert, aber nie überfordert werden. Die Aufgaben werden über 25 Sitzungen hinweg trainiert (je 30-45 Minuten) und sowohl vor als auch nach dem Training absolvieren die TeilnehmerInnen kognitive Testaufgaben und Schulleistungstests. Die Leistung der Trainingsgruppe wird mit mindestens einer Kontrollgruppe verglichen, die entweder kein Training erhalten oder Aufgaben ausgeführt hat, die nicht das Arbeitsgedächtnis beanspruchen. Englische Grundschulkinder (8-11 Jahre) mit Arbeitsgedächtnisdefiziten, die über 20 Sitzungen CogMed Training absolvierten, profitierten zwar hinsichtlich ihrer Arbeitsgedächtnisfähigkeiten, zeigten aber keine Verbesserung in mathematischen und sprachlichen Aufgaben (z. B. Holmes et al., 2009). Im Gegensatz dazu führte das gleiche Training bei 9- bis 12-jährigen schwedischen Kindern mit Aufmerksamkeitsproblemen sowohl zu Verbesserungen beim Lesen als auch beim Rechnen, die auch noch nach sechs Monaten nachweisbar waren (Dahlin, 2011, 2013). Ähnliche Befunde zeigten sich in einer Feldstudie an englischen Kindern mit insgesamt schwacher Schulleistung: Ein von den Lehrpersonen angeleitetes CogMed Training verbesserte die Leistung von SechstklässlerInnen in standardisierten Englisch- und Mathematiktests (Holmes & Gathercole, 2013).

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Nachdem die Befundlage bei Kindern mit kognitiven Defiziten und Lernstörungen also bislang recht uneinheitlich ist, bleibt die Frage, ob positive Effekte von Arbeitsgedächtnistraining auf Schulerfolg bei Kindern ohne kognitive Defizite und Lernstörungen im deutschsprachigen Raum nachgewiesen werden können oder konnten. Zwei aktuelle Studien an Schülerinnen und Schülern aus der Schweiz und aus Deutschland haben Trainingsaufgaben aus der Aufgabenbatterie Braintwister verwendet, die verschiedene Arbeitsgedächtnisaufgaben für Erwachsene und Kinder enthält. In den adaptiven Trainingsaufgaben, die vor allem das verbale Arbeitsgedächtnis beanspruchten, sollten die Kinder unter anderem die Reihenfolge von Tierbildern erinnern. Nach 10 bzw. 14 Trainingssitzungen zeigen beide Studien übereinstimmend, dass sich die Leistung der Kinder (7-11 Jahre) in standardisierten Lesetests signifikant verbessert hatte (Karbach, Strobach & Schubert, 2014; Lossli, Buschkuehl, Perrig & Jaeggi, 2012). Interessanterweise war dieser Effekt zwar nach adaptivem Training nachzuweisen, nicht aber nach einem Training, dessen Schwierigkeit nicht an die Leistung der ProbandInnen angepasst worden war (Karbach et al., 2014). Dieser Befund unterstreicht noch einmal, wie wichtig es ist, dass ein Training die Trainierenden an die Grenze ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit bringt. Das ständige Wiederholen einer Aufgabe der gleichen Schwierigkeit scheint also nur wenig positive Effekte zu haben.

Fazit

Insgesamt hat die kognitive Trainingsforschung in den letzten Jahren gezeigt, dass kognitives Training, zum Beispiel im Bereich des Arbeitsgedächtnisses, ein adäquates Mittel sein kann, um die kognitive Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Hinsichtlich der positiven Effekte auf Schulerfolg ist die Befundlage bisher sehr uneinheitlich. Dies ist vermutlich vor allem der Tatsache zuzuschreiben, dass die wenigen existierenden Studien sehr schwer miteinander zu vergleichen sind, weil sich die Trainings in Art und Dauer unterscheiden, aber auch die Zielgruppen bezüglich ihres Alters und ihrer kognitiven Ausgangsleistung kaum zu vergleichen sind.

Derzeit kann man festhalten, dass sowohl für Kinder mit kognitiven Einschränkungen als auch für Kinder ohne kognitive Defizite und Lernstörungen positive Effekte von Arbeitsgedächtnistraining auf Lese- und Rechenfähigkeiten durchaus nachweisbar sind. Der aktuelle Forschungsstand zeigt aber auch deutlich, dass weitere Studien notwendig sind, um zu klären, welche Arten von Training für welche Gruppen von Kindern besonders geeignet sind, um deren schulische Entwicklung zu unterstützen und wie die Trainingsaufgaben an Bedürfnisse bestimmter Gruppen angepasst werden können, um etwaige Trainingserfolge zu maximieren.

Referenzen

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