Nachahmen macht Freu(n)de
Wir Menschen ahmen uns gegenseitig ständig nach. Sie haben das sicherlich schon an Ihrem eigenen Leib erfahren. Jemand verschränkt bei einem Gespräch mit Ihnen die Arme und plötzlich ertappen Sie sich dabei, wie Sie selber die Arme verschränken. Warum verhalten wir Menschen uns in manchen Situationen auf so merkwürdige Art und Weise? Und welche Konsequenzen hat es, wenn man nachahmt oder gar nachgeahmt wird? Bisherige Forschung legt nahe, dass sich Menschen dadurch sympathischer und freundlicher gesinnt sind. Aber Achtung, nicht in allen Situationen ist das förderlich...
Wir befinden uns in einem schlecht belüfteten und ausgeleuchteten Raum. Die Situation ist angespannt. Ein Polizist verhört eine verdächtige Person. Nachdem der Polizist bereits mehrere Stadien der Befragung durchlaufen, die verdächtige Person mit den Vorwürfen konfrontiert, ihn mal leise und mal verärgert verhört hat, versucht er nun das finale Geständnis des Verdächtigen zu erlangen. Sobald die verdächtige Person den Anschein macht, ein Geständnis ablegen zu wollen, greift der Polizist zu seiner letzten Waffe: Er ahmt sein Gegenüber konsequent, aber subtil nach. Was darauf folgt, ist erstaunlich. Der Gefangene gibt Widerstände auf, fühlt sich wohl und legt ein komplettes und detailliertes Geständnis ab. Die hier beschriebene fiktive Verhörsituation ist nicht so absurd, wie sie auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag. Denn das Nachahmen wird insbesondere in den USA als Verhörtechnik gelehrt und regelmäßig angewendet. Dabei wird angenommen, dass Befragte die Nachahmung in der finalen Phase eines Verhörs als angenehm und wohlwollend wahrnehmen. Idealerweise soll dadurch das bereits begonnene Geständnis als etwas Positives empfunden werden und ein umfassendes Geständnis die Folge sein. Was lässt sich aus psychologischer Sicht zu dieser Technik sagen? Ist es tatsächlich möglich, dass sich Menschen durch bloße Nachahmung wohler fühlen und dies der Polizei helfen kann Geständnisse von verdächtigen Personen zu erlangen? Und falls dies wirklich der Fall sein sollte, warum und wie funktioniert dieser Mechanismus überhaupt?
Der Prozess der Mimikry
Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es eines Blickes in die sozialpsychologische Literatur der letzten paar Jahrzehnte. Was gemeinhin als Nachahmen oder Imitieren bezeichnet wird, wird in der Sozialpsychologie unter dem Begriff Mimikry zusammengefasst. Der Begriff Mimikry stammt aus der Biologie und beschreibt das Anpassen diverser Tierarten an ihre Umwelt. Beispielsweise passen Chamäleons die Farbe ihrer Haut an ihre Umgebung an, um sich zu tarnen und nicht von Jägern aufgespürt zu werden. Andere Tiere wiederum ahmen gewisse Tierarten nach, um sich während des Balzens einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen oder um gefährlicher zu wirken, als sie tatsächlich sind. Auch wir Menschen passen uns sehr stark unserer Umwelt an und ahmen unsere Mitmenschen nach. Vielleicht kennen Sie das bereits aus eigener Erfahrung. Wenn jemand im Raum gähnt, dann verspüren wir Menschen häufig das Gefühl, selber gähnen zu müssen, oder wenn sich jemand an der Nase juckt, dann juckt die eigene Nase gleich umso stärker, sodass man das Bedürfnis empfindet, sich selbst an der Nase zu kratzen. Sozialpsychologische Forschung fand heraus, dass diese Nachahmungseffekte auch auf noch viel subtilerer Ebene zu finden sind. Zum Beispiel ahmen Menschen Gesten, Körperhaltungen, einfache Körperbewegungen, die Mimik, aber auch die Sprachmuster unserer Interaktionspartner nach (für eine Übersicht, siehe Chartrand & Dalton, 2009). Manchmal werden sogar unbedeutende Bewegungen anderer Menschen nachgeahmt (vgl. Genschow et al., 2013, 2014, 2016).
Interessanterweise ist das Nachahmen eines Interaktionspartners meist keine bewusste Entscheidung, sondern läuft vielmehr automatisch und unbewusst ab. Studien deuten darauf hin, dass dieses automatische Nachahmen bereits von Geburt an gegeben ist. Beispielsweise ahmen Babys im Alter von 1-2 Wochen einfache Grimassen (z. B. das Öffnen des Mundes oder das Herausstrecken der Zunge) und im Alter von wenigen Monaten Emotionen nach (Meltzoff & Moore, 1983). Heutige Forschung geht dabei davon aus, dass Mimikry aufgrund eines sogenannten Perception-Behavior-Links funktioniert (Chartrand & Bargh, 1999). Gemäß diesem Link führt die bloße Beobachtung eines Verhaltens zu ähnlichen Aktivierungen von Motorprogrammen in unserem Gehirn und ähnlichen Muskelaktivitäten in unserem Körper, wie wenn man das Verhalten selbst ausgeführt hätte. Diese Aktivierungen erhöhen dann die Wahrscheinlichkeit, das gleiche Verhalten selbst auszuführen. Unterstützende Ergebnisse hierzu fanden bereits Mitte der 70er Jahre Berger und Hadley (1975). Die beiden Forscher befestigten verschiedene Elektroden an den Armen ihrer Versuchspersonen, und ließen sie dann zwei andere Personen beim Armdrücken beobachteten. Vergleicht man nun die Aktivität in den Muskeln der Personen, die tatsächlich Arm drückten mit jenen, die dieses Verhalten nur beobachten, so lässt sich eine erstaunlich hohe Übereinstimmung in den beiden Aktivitätsmustern feststellen. Neuere Studien im Bereich der Neuropsychologie liefern weitere Belege für die Annahmen des Perception-Behavior-Links. Mit bildgebenden Verfahren wie der funktionalen Magnetresonanztomographie (fMRI) konnte mittlerweile nachgewiesen werden, dass beim Beobachten und beim Ausführen diverser Aktivitäten die gleichen Hirnareale, wie beispielsweise der posteriore parietale Kortex (Ruby & Decety, 2001) oder das Cerebellum (Grossman et al., 2000), aktiv sind.
Obwohl Mimikry aufgrund eines Perception-Behavior-Links automatisch und unbewusst abläuft, spielt Mimikry eine entscheidende Rolle beim Erreichen wichtiger Ziele. Im Unterschied zu den Tieren dient Mimikry bei uns Menschen allerdings nicht vordergründig der Tarnung vor anderen Artgenossen. Vielmehr ist Mimikry sozial motiviert und bringt dadurch einen entscheidenden Vorteil mit sich.
Der Nutzen von Mimikry
Des heutigen Nutzens von Mimikry wird man sich insbesondere dann bewusst, wenn man sich die Konsequenzen von Mimikry vor Augen führt. Vergangene Forschung hat gezeigt, dass Mimikry mit positiven sozialen Folgen einhergeht. In einem Experiment, das dies illustriert, haben Chartrand und Bargh (1999) Versuchspersonen in ein Labor eingeladen, um eine intellektuelle Aufgabe mit einer anderen Person zu bearbeiten. Was die Versuchspersonen nicht wussten, war, dass die andere Person eine Eingeweihte des Versuchsleiters war und instruiert war, die Versuchsperson entweder nachzuahmen oder nicht nachzuahmen. Im Anschluss an die Aufgabe sollten die Versuchspersonen angeben, wie sie die Kommunikation und die andere Person empfunden haben. Die Resultate zeigen Erstaunliches: Nachgeahmte Versuchspersonen empfanden ihre Interaktionspartner als sympathischer und die Kommunikation mit ihnen als geschmeidiger.
Diese Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass Mimikry als eine Art Leim zwischen Menschen verstanden werden kann, der dazu dient, sich einander anzunähern, um sich dadurch besser zu verstehen. Könnte es demzufolge sein, dass Menschen, die auf der Suche nach neuen Kontakten sind, andere potentielle Kontaktpartner stärker nachahmen? Neueste Forschung würde sagen: Ja, es kann. Lakin, Chartrand und Arkin (2008) ließen in diesem Zusammenhang Versuchspersonen das Spiel Cyberball spielen.
In diesem Spiel verkörpern die Versuchspersonen eine Person in einem virtuellen Kreis von anderen Versuchspersonen. Die Aufgabe ist es nun, einen Ball, der im Spiel ist, zu fangen und ihn dann an eine andere Person weiter zu werfen. Was die Versuchspersonen nicht wissen, ist, dass sie nicht mit echten Versuchspersonen spielen und dass das Spiel vorher so programmiert wurde, dass sie entweder sehr häufig oder fast nie einen Ball zugespielt bekommen. Jene Personen, die kaum Bälle erhalten, erleben soziale Ausgrenzung, da sie aus der Gruppe ausgeschlossen werden. In der Regel streben Menschen nach einem solchen Erlebnis dazu, möglichst schnell wieder Anschluss an eine Gruppe zu finden. Demzufolge erstaunt es nicht, dass jene Probanden, die aus der Gruppe ausgeschlossen wurden, danach stärkere Mimikry betrieben als jene Probanden, die nicht ausgeschlossen wurden.
Ein weiteres Indiz, das für Mimikry als Harmonieförderer spricht sind Beobachtungen, die Zajonc, Adelmann, Murphy und Niedenthal (1987) machten. Sie fanden heraus, dass sich Paare immer stärker gleichen und immer ähnlicher aussehen, je länger sie zusammen sind. Die Autoren gehen davon aus, dass dieser Effekt insbesondere durch wiederholte Mimikry zu erklären ist. In der Tat kann davon ausgegangen werden, dass in gut funktionierenden Partnerschaften eine hoch adaptive Form von Mimikry besteht. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es nicht förderlich ist, jegliche Verhaltensweise seines Ehepartners nachzuahmen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie haben Häfner und Ijzerman (2011) getestet, inwiefern sich gut und schlecht funktionierende Partnerschaften in ihrem Nachahmungsverhalten unterscheiden. Auffallend dabei ist, dass Paare in gut funktionierenden Beziehungen traurige Gesichtsausdrücke stärker nachahmen als Paare in weniger gut funktionierenden Beziehungen. Das Nachahmen von Trauer dient hier als Zeichen von Empathie und Mitgefühl und kann so die Beziehung stärken. Interessanterweise finden die Autoren genau das Umgekehrte für Emotionen, die mit Ärger einhergehen. Hier tendieren Paare in gut funktionierenden Beziehungen eher dazu, gegenteilige Gesichtszüge (z.B. ein leichtes Lächeln) zu erwidern. Die Autoren interpretieren diesen Befund dahingehend, dass in solchen Situationen ein Partner adaptiv auf die andere Person eingeht und durch das Lächeln den Ärger gar reduzieren kann.
Adaptiv eingesetzte Mimikry scheint also tatsächlich ein angenehmes Klima zu schaffen, das Personen einander näher kommen und dadurch eine möglichst lange Beziehung aufrechterhalten lässt. Dies deutet darauf hin, dass bewusst eingesetztes Mimikry unserem Polizisten im anfänglichen Beispiel tatsächlich helfen müsste, ein Geständnis von seiner verdächtigten Person zu erlangen.
Durch geschickt eingesetzte Nachahmung fühlt sich die verdächtige Person dem Polizisten zugehörig. Sie erlebt den Polizisten und die Kommunikation als angenehm. Dieses positive Klima kann nun zu einem vollumfänglichen Geständnis führen. Wenn Mimikry das Verständnis füreinander stärkt, wäre es zudem denkbar, dass es noch weitere positive Konsequenzen in der Verhörsituation mit sich bringen kann. Versucht ein Polizist beispielsweise die Emotionen einer verdächtigen Person nachzuahmen, dann sollte er sich viel besser in die Situation des Verdächtigen hineinversetzen können und so besser deuten können, was in der Person gerade vorgeht. Falls dies tatsächlich der Fall ist, dann sollten nachahmende Polizeikräfte auch besser darin sein, lügende Täter zu entlarven. Genau dieser Vermutung sind Stel, Dijk und Olivier (2009) nachgegangen. In ihrem Versuch wurden die Versuchspersonen mit verschiedenen Personen konfrontiert, die entweder die Wahrheit sagten oder eine Lüge auftischten. Während die eine Hälfte der Versuchspersonen den Personen ganz normal zuhörte, sollten die andere Hälfte der Versuchspersonen die anderen Personen nachahmen. Überraschenderweise fanden die Forscher genau das Gegenteil von dem, was zu erwarten war. Die nachahmenden Probanden konnten die lügenden Personen viel schlechter entlarven als die Probanden, die nur zuhörten. Wie kann das sein? Nun, die lügenden Personen haben versucht ihre Emotionen so gut wie möglich zu verstellen, damit niemand ihre Lüge bemerkt. Auf diese gefälschten Emotionen fielen in der Folge insbesondere jene Probanden hinein, die Mimikry betrieben. Da Mimikry zu mehr Sympathie führt und das Verständnis füreinander erhöht, war es für die nachahmenden Versuchspersonen viel zu schwierig, die Lügner zu identifizieren.
Obwohl Mimikry ein automatisch und unbewusst ablaufender Prozess ist, hat sie also sehr viele positive soziale Konsequenzen. Für Polizisten kann das bewusste Einsetzen der Mimikry dadurch die Erlangung eines Geständnisses unter Umständen sogar erleichtern. Wie wir aber gesehen haben, kann Mimikry in gewissen Situationen auch kontraproduktiv sein. Wollen wir zum Beispiel unseren verärgerten Partner aufbauen oder potentielle Lügner identifizieren, dann heißt es „Finger weg von Mimikry“!
Literaturverzeichnis
- Berger, S. M., & Hadley, S. W. (1975). Some effects of a model's performance on an observer's electromyographic activity. The American Journal of Psychology, 88, 263-276.
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- Chartrand, T. L., & Dalton, A. N. (2009). Mimicry: Its ubiquity, importance, and functionality. In E. Morales, P. M. Gollwitzer & J. A. Bargh (Eds.), The psychology of action: Vol. 2. Mechanisms of human action (pp. 893-910): Oxford University Press.
- Genschow, O., & Florack, A. (2014). Attention on the source of influence reverses the impact of cross-contextual imitation. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 40, 904.
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