Immer unterwegs: wie sich Wohnmobilität auf unser Wohlbefinden auswirkt
Dieser Beitrag wurde zunächst in englischer Sprache in der englischsprachigen Ausgabe (6/2015, Ausgabe 26) des In-Mind Magazins veröffentlicht. Link zum Originalartikel:
http://www.in-mind.org/article/always-on-the-move-how-residential-mobility-impacts-our-well-being
John hat ein Jobangebot von einem großstädtischen Unternehmen bekommen. Er hat sich darüber sehr gefreut und konnte den Umzug dorthin kaum abwarten. Von seinen zukünftigen KollegInnen, die schon mehrere Jahre dort wohnten, hatte er immer wieder lebhafte Berichte darüber gehört, welche interessanten neuen Erfahrungen er in der neuen Stadt sammeln würde. Sie schilderten, dass die Leute in der Stadt besonders gegenüber Neunankömmlingen sehr freundlich sind. Und was sogar noch aufregender ist: der Bekanntenkreis seiner KollegInnen sind so breit, dass er wahrscheinlich allerlei unterschiedliche Leute kennenlernen wird, von UnternehmerInnen über PilotInnen und Sommeliers bis hin zu KünstlerInnen, um nur ein paar zu nennen. Zudem muss John sich keine Gedanken darüber machen, ob er sich an die neue Umgebung gewöhnt, da Großstädte eine riesige Auswahl an Geschäften bieten, in denen man nahezu alles, was man benötigt, finden kann. Sally, Johns Frau, war jedoch weniger begeistert von der Idee, in eine Großstadt zu ziehen. Ihr gefiel ihre kleine Stadt, in der die BewohnerInnen sich stark in der Gemeinde engagierten. Sie hatte gehört, dass Großstadtmenschen heuchlerisch sind und einander nicht unterstützen. Sie hat Bedenken, ob sie dort wirklich hineinpassen und Freunde finden können. Aus den Nachrichten hat sie außerdem erfahren, dass Menschen in Großstädten anfälliger für chronischen Stress und psychische Krankheiten sind.
Kommt Ihnen das beschriebene Szenario bekannt vor? Vielleicht sind Ihnen schon einmal ähnliche Geschichten zu Ohren gekommen. Oder vielleicht waren Sie selbst schon einmal in einer ähnlichen Situation, in der Sie die Chancen und Risiken eines möglichen Umzugs gegeneinander abwägen mussten. Die USA sind eine sehr mobile Gesellschaft. Zwischen 2005 und 2010 sind etwa 35,4 % der AmerikanerInnen zur Verbesserung ihrer Wohnbedingungen, ihrer Arbeit oder der wirtschaftlichen Bedingungen umgezogen (Ihrke & Faber, 2012). Sind häufige Umzüge eigentlich gut oder schlecht für unser Wohlbefinden?
Das Thema Wohnmobilität wird seit Jahrzehnten von SoziologInnen und anderen SozialwissenschaftlerInnen untersucht. So wurde Wohnmobilität beispielsweise mit einer erhöhten Kriminalitätsrate in Wohngegenden in Verbindung gebracht (für eine Übersicht siehe Sampson, 2012). In jüngster Zeit untersuchen PsychologInnen die psychologischen Auswirkungen des Umziehens und inwiefern Wohnmobilität das Wohlbefinden beeinflussen kann. Sie widmen sich beispielsweise folgenden Fragen: Wie fühlen sich Personen direkt nach dem Umzug an einen neuen Ort? Führen häufige Umzüge dazu, dass das Leben interessanter oder stressiger wird? Welche langfristigen Folgen gehen mit wiederholtem Umziehen einher? Antworten auf diese Fragen können uns helfen, die Effekte von Umzügen zu verstehen und Möglichkeiten aufzeigen, wie man die damit einhergehenden Herausforderungen bewältigen kann.
Was sind typische Gefühle und Reaktionen nach einem Umzug?
Sind Sie vor kurzem umgezogen oder planen sie, in der nahen Zukunft an einem anderen Ort zu leben? Für viele Leute bietet ein Umzug in eine neue Umgebung die Möglichkeit, dem Leben neuen Schwung zu verleihen. Es ist ganz natürlich, sich auf einen Umzug zu freuen (Oishi, Miao, Koo, Kisling & Ratliff, 2012). Jedoch kann der Umzug an einen neuen Ort auch sehr aufreibend sein. Zu den logistischen Herausforderungen können Gefühle von Einsamkeit und Ängstlichkeit kommen. Genau das konnten Shigehiro Oishi und sein Forschungsteam beobachten. UntersuchungsteilnehmerInnen wurde gebeten, sich ein Leben vorzustellen, in dem sie regelmäßig umziehen; dabei nannten die Personen mehr Wörter, die mit den Themen Angst und Einsamkeit verbunden waren, als TeilnehmerInnen, die sich keine regelmäßigen Umzüge vorgestellt hatten (Oishi et al., 2012, 2013).
Noch interessanter ist jedoch, wie weitgreifend die Auswirkungen dieser erlebten Ängstlichkeit und Einsamkeit sind. So zeigen Personen, die häufig umziehen, beispielsweise einen Bekanntheitseffekt. Dieser Effekt beschreibt die Bevorzugung von Dingen, die einem vertraut sind im Vergleich zu neuen, unbekannten Dingen. Erklärt werden kann dieser Effekt durch die Ängstlichkeit, die mit einem Umzug einhergeht (Oishi et al., 2012). Diese übliche psychologische Reaktion könnte auch den Erfolg von Einkaufszentren und Ladenketten an Orten mit hoher Wohnmobilität erklären (Oishi et al., 2012). Discounter wie Target und Home Depot verkaufen zwar Haushaltswaren, welche Neuankömmlinge benötigen um sich einzurichten, sind aber nicht speziell auf diese Kundengruppe ausgerichtet. ForscherInnen gehen davon aus, dass der Erfolg dieser Discounterketten in Städten, die durch viele Um- und Zuzüge geprägt sind, in den psychologischen Auswirkungen des Umziehens begründet ist: Es kann beängstigend sein, ein neues Leben an einem anderen Ort zu beginnen, wodurch man sich eher Altbekanntem zuwendet. Den meisten AmerikanerInnen, die umziehen, sind diese landestypischen Ladenketten sicherlich vertrauter als der Tante-Emma-Laden in ihrer neuen Nachbarschaft. Denken Sie also bei ihrem nächsten Umzug daran, dass es vollkommen normal ist, ein wenig ängstlich zu sein und seien Sie nicht überrascht, wenn Sie sich dabei ertappen, große Ladenketten häufiger aufsuchen als vor ihrem Umzug.
Leute, die darüber nachdenken umzuziehen, beschäftigen sich auch mit möglicher Einsamkeit in der neuen Umgebung. Schließlich kann sich ein Umzug in vielerlei Hinsicht auf unsere Beziehungen zu Familie und FreundInnen auswirken, und kann sogar dazu führen, dass sich vormals enge Beziehungen verlieren. In Laboruntersuchungen sorgten sich Personen, die sich ein Leben mit vielen Umzügen vorstellten, mehr darüber, zukünftig weniger FreundInnen zu haben als solche, die keine Umzüge planten. Zudem waren sie motivierter, ihren Bekanntenkreis zu erweitern (Oishi et al., 2013). Obwohl Personen, die häufig umziehen, letztendlich auch viele FreundInnen haben, sind deren Beziehungen vielfach weniger tiefgründig. Tatsächlich berichten AmerikanerInnen, die häufig umziehen, dass sie weniger wirklich bedeutungsvolle soziale Kontakte haben als Personen, die seltener umziehen (Oishi & Schimmack, 2010).
Immer auf Achse oder sesshaft sein: Was macht uns glücklicher?
Gefühle von Ängstlichkeit und Einsamkeit sind nach einem Umzug vollkommen normal. Aber wie wirkt sich wiederholtes Umziehen langfristig auf unser Wohlbefinden aus? Ist es eher gut oder schlecht für uns? Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Wie gut sich Personen an das Umziehen anpassen, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Hier sind einige Dinge, über die Sie sich vor der Wahl eines neuen Ortes, den sie „zu Hause“ nennen möchten, Gedanken machen sollten, falls ein Umzug für Sie aufgrund ihrer Arbeit oder aus anderen Gründen unausweichlich ist.
Eigenschaften der Person
Die Auswirkungen von Umzügen auf das Wohlbefinden sind teilweise von individuellen Faktoren abhängig (Oishi, 2010). So nehmen beispielsweise Stokols, Shumaker und Martinez (1983) an, dass der Grund für den Umzug, persönliche Lebensumstände und andere individuelle Unterschiede beachtet werden müssen, wenn man Vorhersagen über die psychologischen Konsequenzen eines Umzugs treffen möchte. Stellen Sie sich beispielsweise vor, wie unterschiedlich ein Umzug wahrgenommen werden kann, wenn man diesen aufgrund eines Traumjobs oder einer Scheidung auf sich nimmt. Wie fühlt es sich an, wenn Sie alleine umziehen und Sie Ihre Familie und Freundeskreis in Ihrer Heimat zurücklassen? Und welchen Unterschied im Erleben würde es machen, wenn Ihre Familie mit Ihnen umzieht?
Einige wenige Studien weisen auch auf einen möglichen Geschlechtseffekt hinsichtlich der negativen psychologischen Effekte von Umzügen hin. Eine landesweite Längsschnittuntersuchung zeigte, dass ein Umzug sich stärker auf die psychische Gesundheit von Frauen als von Männern auswirkt (Butler, McAllister & Kaiser, 1973). So berichten Frauen im Zusammenhang mit Umzügen häufiger psychische Symptome als Männer. Dieses Muster blieb stabil, unabhängig davon, ob der Umzug gewollt oder ungewollt war. Aktuellere landesweite Umfragen von Magdol (2002) zeigten, dass Umzüge bei Frauen einen Prädiktor für Depressionen darstellen, was bei Männern nicht der Fall ist. Weitere Forschung muss klären, wann, warum und wie Frauen und Männer unterschiedlich von Umzügen betroffen sind.
Auch Persönlichkeitseigenschaften scheinen sich auf den Einfluss von Umzügen auf das Wohlbefinden auszuwirken. So zeigte sich beispielsweise, dass introvertierte Personen – verglichen mit extrovertierten Personen – die als Kinder häufig umgezogen sind, unglücklichere Erwachsene werden (Oishi & Schimmack, 2010). Dieser Unterschied könnte mit einer Herausforderung zusammenhängen, die ein Umzug mit sich bringt: der Fähigkeit, neue Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Im Vergleich zu extrovertierten Personen fällt es introvertierten Personen schwerer, neue Freunde zu finden. Daher ist auch die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie gute soziale Beziehungen aufbauen. Zudem ergeht es neurotischen Personen – also Personen, die negativer auf stressige Lebenssituationen reagieren – im Vergleich zu weniger neurotischen Personen auf lange Sicht mit Umzügen schlechter. Oishi und Schimmack (2010) berichten, dass neurotischere Personen durch häufige Umzüge insgesamt betrachtet unglücklicher werden als weniger neurotische Personen. Aufbauend auf diesen Befunden sollten Eltern, deren Kinder schüchtern und/ oder neurotisch sind, sich also zweimal überlegen, ob häufige Umzüge wirklich unvermeidbar sind. Sind Umzüge unumgänglich, so ist darauf zu achten, wie sich die Kinder an ihre neue Umgebung anpassen und ihnen, wenn nötig, proaktiv bei der sozialen Integration zu helfen.
Eigenschaften der Gemeinde
Auch die Gemeinde, in die man zieht, spielt eine wichtige Rolle dabei, wie sich ein Umzug auf uns auswirkt. Einige Gemeinden haben niedrige Kriminalitätsraten, andere hingegen hohe. Selbst in ein und derselben Stadt schwimmen manche Stadtteile im Überfluss, während in anderen Armut herrscht. Unter der Annahme, dass sich Gemeinden in vielerlei Hinsicht unterscheiden können, kann man sich leicht vorstellen, dass auch das Wohlbefinden je nach Gemeinde, in der man lebt, variiert.
Besteht die Gemeinde aus Personen, die häufig umziehen? In einer Wohngegend zu leben, in der Leute eher fest ansässig sind, scheint sich aus mehreren Gründen günstig auszuwirken. Solche Wohngegenden haben nämlich niedrigere Kriminalitätsraten, und ihre BewohnerInnen engagieren sich tendenziell stärker in der Gemeinde (Kang & Kwak, 2003). Zudem zeigen sie ein stärkeres Engagement und Commitment in der Gemeinde, beispielsweise der Art, dass sie eher dazu bereit sind, spezielle Autokennzeichnen zu kaufen, um dadurch natürliche Lebensräume zu schützen (Oishi, Rothman et al., 2007). Da Personen aus eher sesshaften Gemeinden hilfsbereiter sind als Personen aus Gebieten, in denen oft umgezogen wird, ist der Zuzug in ein eher sesshaftes Gebiet besonders lohnenswert, wenn man auf Hilfe angewiesen ist. Auch sollte man diese Wohngebiete vorziehen, wenn man selbst fürsorglich ist und sich um Andere kümmern möchte. Dies lässt sich dadurch erklären, dass man in diesen Gegenden eher von Menschen umgeben ist, die prosozial eingestellt und es gewöhnt sind, anderen zu helfen.
Warum zeigen BewohnerInnen dieser eher sesshaften Gemeinden ein höheres Engagement und weniger schädigendes Verhalten gegenüber der Gemeinschaft? Ein potenzieller Grund könnte darin liegen, dass Menschen, die längere Zeit zusammen in einer Gemeinschaft leben, eine psychologische Bindung zu dieser aufbauen (Kasarda & Janowitz, 1974). Solch eine Bindung wirkt sich positiv auf das Engagement in der Gemeinschaft und die Wiederbelebung der Gemeinde aus (Brown, Perkins & Brown, 2003). Zudem können häufige Interaktionen und gemeinsame Anstrengungen zur Lösung von Problemen dazu führen, dass sich eine kollektive Wirksamkeit entwickelt, welche mit einer niedrigeren Kriminalitätsrate (Sampson, Raudenbusch & Earls, 1997) und weniger unsozialem Verhalten (Odgers et al., 2009) in Zusammenhang steht. Zudem helfen stabile, sesshafte Gemeinden auch dabei, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen (Oishi, Rothman et al., 2007). Je mehr man sich mit der eigenen Gemeinde identifiziert, desto mehr gemeindedienliches Verhalten legt man an den Tag.
Trotz der vielen Vorteile, die mit dem Leben in einer sesshaften Gemeinde einhergehen, ist diese Lebensart nicht für jedermann geeignet. So fanden Lun und KollegInnen (2012) heraus, dass Wohnmobilität Einfluss auf unsere Freundschafts-Präferenzen hat. Leute, die häufig umziehen, bevorzugen als FreundInnen Personen, die egalitäre HelferInnen sind. Solche Personen sind bereit, Hilfeverhalten zu zeigen, unabhängig davon, ob eine Person zum eigenen Freundeskreis gehört oder nicht. Personen, die eher sesshaft sind bevorzugen hingegen Freundschaften mit loyalen HelferInnen, also solchen Personen, die eher FreundInnen als Fremden helfen. Falls Sie also in eine Stadt ziehen, die durch viele Um- und Zuzüge geprägt ist, könnten Sie sich durch offenes und egalitäres Verhalten an Ihre neue Umgebung anpassen. Helfen Sie sowohl FreundInnen als auch Fremden, die Ihre Hilfe benötigen. Ziehen Sie dagegen in eine eher sesshafte Gemeinde, könnte es von Vorteil sein, vor allem FreundInnen gegenüber loyal zu sein und diese zu unterstützen, wenn sie Hilfe brauchen.
Ist die Gemeinde durch eine hohe Beziehungsmobilität geprägt? Gemeinden unterscheiden sich nicht nur darin, wie häufig ihre BewohnerInnen umziehen, sondern folgen auch bestimmten sozialen Regeln, nach denen die BewohnerInnen Beziehungen aufbauen und aufrechterhalten. In manchen Gemeinden sind die Beziehungen der BewohnerInnen stark in wenig flexiblen sozialen Kreisen verwurzelt. PsychologInnen bezeichnen diese als Gemeinden mit geringer Beziehungsmobilität. In anderen Gemeinden hingegen werden Beziehungen zwischen BewohnerInnen relativ einfach aufgebaut und auch wieder beendet; das sind Gemeinden mit hoher Beziehungsmobilität. Forschungsergebnisse eines Teams um Johanna Schug konnten aufzeigen, dass Beziehungsmobilität die Art und Weise beeinflusst, wie Personen Beziehungen stärken (Schug, Yuki & Maddux, 2010). Werden Beziehungen als stabil und schwierig zu beenden wahrgenommen, so investieren Personen wenig Aufwand in die Aufrechterhaltung dieser Beziehungen. Werden Beziehungen hingegen als fragil und wechselhaft wahrgenommen, so investieren Personen mehr in diese Beziehungen, indem sie ihre persönlichen Gedanken und Gefühle teilen.
Das soll jedoch nicht bedeuten, dass Personen, die in eine Gemeinde mit niedriger Beziehungsmobilität ziehen, sich keine Gedanken über die Aufrechterhaltung von Beziehungen machen müssen – das müssen sie sehr wohl, nur eben auf eine andere Art. Da alte Beziehungen in Gemeinden mit einer niedrigen Beziehungsmobilität schwierig zu ersetzen sind, müssen Personen dort ihre vorhandenen Beziehungen harmonisch aufrechterhalten. Deswegen sind Personen in Gemeinden mit einer geringen Beziehungsmobilität, verglichen mit jenen aus Gemeinden mit einer hohen Beziehungsmobilität, auch eher zurückhaltend mit dem Teilen persönlicher Informationen mit anderen, auch mit engen Freunden (Schug et al., 2010). Wohnen Sie also in einer Gegend mit geringer Beziehungsmobilität oder planen dies, sollten sie sich die Offenbarung ihrer tiefsten Geheimnisse besser noch einmal überlegen. Es könnte in Ihrem Interesse sein, genau abzuwägen, welche Informationen Sie anderen, auch Ihren engsten Vertrauten, offenbaren.
Eigenschaften des eigenen sozialen Netzwerks
Bevorzugen Sie einige wenige, enge Freundschaften oder einen großen Bekanntenkreis mit weniger tiefgründigen Beziehungen? Menschen, die wenige, enge Freundschaften bevorzugen, bauen eher enge, tiefgründige Freundeskreise auf. Im Gegensatz dazu bilden Personen, die einen größeren Bekanntenkreis bevorzugen, eher breite, oberflächliche soziale Netzwerke. Laut Oishi und Kesebir (2012) kann einem die Art des sozialen Netzwerks einen psychologischen Vor- oder Nachteil verschaffen. Das hängt von der Wohnmobilität der Gemeinde und den vorherrschen sozioökonomischen Bedingungen ab. So berichten AmerikanerInnen mit eher eng umgrenzten und tiefgründigen sozialen Netzwerken in eher sesshaften und ökonomisch benachteiligten Wohngegenden ein höheres subjektives Wohlbefinden als AmerikanerInnen mit einem eher breitem, weniger tiefgründigen sozialen Netzwerk. In eher sesshaften und wohlhabenderen Gemeinden und in Gebieten mit hoher Wohnmobilität im Allgemeinen, zeigten hingegen Personen mit einem breiten, weniger tiefengründigen soziale Netzwerk ein gesteigertes subjektives Wohlbefinden.
Doch was bedeuten diese Befunde nun genau? Zunächst lässt sich sagen, dass Leute, die häufig umziehen oder in Nachbarschaften leben, in denen eine hohe Wohnmobilität herrscht, psychologische Vorteile daraus ziehen können, einen eher breiten Bekanntenkreise aufzubauen, an Stelle eines engen Freundeskreisen. Da der Verlust von engen Freundschaften sich stark auf unser emotionales Wohlbefinden auswirken kann, ist es sinnvoll, seine Zeit und seine Ressourcen auf mehrere FreundInnen zu verteilen anstatt alles auf eine Karte zu setzen (Oishi & Kesebir, 2012). Lebt man jedoch in stabilen, sesshaften Gemeinden, in denen die meisten FreundInnen wahrscheinlich auch zukünftig bleiben werden, so hängt der psychologische Vorteil von breiten, oberflächlicheren Bekanntenkreisen im Vergleich zu engeren Freundeskreisen von den sozioökonomischen Rahmenbedingungen ab. Unter wirtschaftlich schlechten Bedingungen in sesshaften Gemeinden, ist es psychologisch von Vorteil, einige wenige, enge Freunde zu haben (Oishi & Kesebir, 2012). Schließlich können Hilfsmaßnahmen in wirtschaftlich schwierigen Situationen als Belastung wahrgenommen werden, weswegen es wahrscheinlicher ist, nur von engen Freunden Hilfe zu erfahren. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass es in Zeiten wirtschaftlicher Krisen in Gemeinden mit geringer Wohnmobilität von Vorteil ist, in einige wenige, enge Freundschaften und nicht in einen breiten Bekanntenkreis zu investieren.
Von diesen Befunden lässt sich ableiten, dass es bei einem Umzug in eine Stadt mit hoher Wohnmobilität ratsam ist, sich aktiv an sozialen Veranstaltungen zu beteiligen und so viele Freunde wie möglich zu finden. Beim Umzug in eine eher sesshafte Stadt sollte man hingegen eher selektiv in der Freundeswahl sein und in diese wenigen, tiefgründigen Beziehungen investieren. Verbringen Sie viel Zeit mit einer kleinen Gruppe enger FreundInnen und bieten Sie Hilfe an, wo diese benötigt wird.
Sozio-ökologische Psychologie
Gemeinden und deren BewohnerInnen stehen in einer Wechselwirkung miteinander (für eine Übersicht siehe Oishi, 2014). Die sozio-ökologische Psychologie ist ein Ansatz, der untersucht, wie natürliche und soziale Umgebungen menschliches Denken und Verhalten beeinflussen, und wie diese Effekte auf der Ebene des Individuums wiederum die natürliche und soziale Umgebung verändern (Oishi & Graham, 2010). So wurde beispielsweise festgestellt, dass ökologisch anspruchsvolle Umgebungen (z. B. dünn besiedelte Gebiete) eine unabhängige moralische Grundhaltung fördern (Kitayama, Conway, Pietromonaco, Park & Plaut, 2010). Da das Streben nach Unabhängigkeit für das Überleben in solchen Umgebungen adaptiv – also dem Überleben zuträglich – ist, wird diese Überzeugung über Generationen weitervermittelt. Sie prägt mit der Zeit die lokale Kultur und formt sie um, sodass diese einen neuen Individualismus zum Ausdruck bringt (Kitayama et al., 2010; Oishi et al., 2012).
Fazit
Noch nie zuvor war es für Menschen einfacher, die Welt zu bereisen. Angesichts der Fortschritte in der modernen Technologie und Kommunikation kann man davon ausgehen, dass unsere globale Mobilität noch weiter zunimmt. Daher ist es von Bedeutung für uns zu verstehen, wie Wohnmobilität sich auf Menschen auswirkt. Mit diesem Wissen ausgerüstet, werden Forschende hoffentlich Wege entdecken, die uns allen dabei helfen, in dieser zunehmend mobilen Welt glücklich und gesund zu bleiben.
Literaturverzeichnis
Brown, B. B., Perkins, D., & Brown, G. (2003). Place attachment in a revitalizing neighborhood: Individual and block levels of analysis. Journal of Environmental Psychology, 23, 259–71. doi: 10.1016/S0272-4944(02)00117-2
Butler, E. W., McAllister, R. J., & Kaiser, E. J. (1973). The effects of voluntary and involuntary residential mobility on females and males. Journal of Marriage and the Family, 35, 219-227.
Ihrke, D. K., & Faber, C. S. (2012, December). Geographical mobility: 2005-2010. Retrieved December 19, 2014, from the US Census Bureau Web site: http://www.census.gov/library/publications/2012/demo/p20-567.html
Kang, N., & Kwak, N. (2003). A multilevel approach to civic participation: Individual length of residence, neighborhood residential stability, and their interactive effects with media use. Communication Research, 30, 80–106. doi: 10.1177/0093650202239028
Kasarda, J. D. & Janowitz, M. (1974). Community attachment in mass society. American Sociological Review, 39, 328–39. doi:10.2307/2094293
Kitayama, S., Conway, L. G., III, Pietromonaco, P. R., Park, H., & Plaut, V. C. (2010). Ethos of independence across regions in the United States: The production-adoption model of cultural change. American Psychologist, 65, 559-574. doi: 10.1037/a0020277
Lun, J., Oishi, S., & Tenney, E. R. (2012). Residential mobility moderates preference for egalitarian versus loyal helpers. Journal of Experimental Social Psychology, 48, 291–297. doi: 10.1016/j.jesp.2011.09.002
Magdol, L. (2002). Is moving gendered? The effects of residential mobility on the psychological well-being of men and women. Sex Roles, 47, 553-560. doi: 10.1023/A:1022025905755
Odgers, C. L., Moffitt, T. E., Tach, L. M., Sampson, R. J., Taylor, A., Matthews, C. L., & Caspi, A. (2009). The protective effects of neighborhood collective efficacy on British children growing up in deprivation: A developmental analysis. Developmental Psychology, 45, 942–957. doi: 10.1037/a0016162
Oishi, S. (2010). The psychology of residential mobility: Implications for the self, social relationships, and well-being. Perspectives on Psychological Science, 5, 5-21. doi: 10.1177/1745691609356781
Oishi, S. (2014). Socioecological psychology. Annual Review of Psychology, 65, 581-609. doi: 10.1146/annurev-psych-030413-152156
Oishi, S., & Kesebir, S. (2012). Optimal social-networking strategy is a function of socioeconomic conditions. Psychological Science, 23, 1542-1548. doi: 10.1177/0956797612446708
Oishi, S., Kesebir, S., Miao, F. F., Talhelm, T., Endo, Y., Uchida, Y., . . . Norasakkunkit, V. (2013). Residential mobility increases motivation to expand social network: But why? Journal of Experimental Social Psychology, 49, 217-223. doi: 10.1016/j.jesp.2012.10.008
Oishi, S., Miao, F. F., Koo, M., Kisling, J., & Ratliff, K. A. (2012). Residential mobility breeds familiarity-seeking. Journal of Personality and Social Psychology, 102, 149-162. doi: 10.1037/a0024949
Oishi, S., Rothman, A. J., Snyder, M., Su, J., Zehm, K., Hertel, A. W., . . . Sherman, G. D. (2007). The socioecological model of procommunity action: the benefits of residential stability. Journal of Personality and Social Psychology, 93, 831-844. doi: http://dx.doi.org/10.1037/0022-3514.93.5.831
Oishi, S., & Schimmack, U. (2010). Residential mobility, well-being, and mortality. Journal of Personality and Social Psychology, 98, 980-994. doi: 10.1037/a0019389
Sampson, R. J. (2012). Great American city: Chicago and the enduring neighborhood effect. Chicago, IL: University of Chicago Press.
Sampson, R. J., Raudenbush, S. W., & Earls, F. (1997). Neighborhoods and violent crime: A multilevel study of collective efficacy. Science, 277, 918–924. doi: 10.1126/science.277.5328.918
Schug, J., Yuki, M., & Maddux, W. (2010). Relational mobility explains between- and within-culture differences in self-disclosure to close friends. Psychological Science, 21, 1471-1478. doi: 10.1177/0956797610382786
Stokols, D., Shumaker, S. A., & Martinez, J. (1983). Residential mobility and personal well-being. Journal of Environmental Psychology, 3, 5-19. doi: http://dx.doi.org/10.1016/S0272-4944(83)80018-8