Bug or Feature? Langeweile ist unangenehm und gerade deswegen wichtig

In der Schule, beim Sport, im Lockdown: Langeweile ist ein alltäglicher Zustand, der einem lästig aber meist belanglos scheint. Auch die Wissenschaft widmet sich erst seit wenigen Jahren verstärkt der Frage, was Langeweile eigentlich ist und warum man sich langweilt. Dabei entsteht das Bild von Langeweile als einem Katalysator für Veränderung. In diesem Artikel geben wir einen Überblick über die Forschung zur Langeweile und zeigen, warum sie eine mächtige Triebfeder des menschlichen Verhaltens ist.

Als im Frühjahr 2020 in Deutschland erstmals ein umfassender Lockdown zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie in Kraft trat, hatte das einschneidende Konsequenzen für den Alltag von Millionen Menschen. Soziale Kontakte mussten eingeschränkt werden, das Leben spielte sich überwiegend in den eigenen vier Wänden ab und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung waren rar. Diese Umstände bereiteten den idealen Nährboden für Langeweile, die so ihren Weg in den gesellschaftlichen Diskurs fand. Dieser Diskurs spiegelte sich unter anderem in einer Bild 1: Der Boom in der Langeweileforschung: Im Frühjahr 2021 wurde die “International Society of Boredom Studies” ins Leben gerufen, die sich der Förderung und Verbreitung von Forschung zum Thema Langeweile widmetBild 1: Der Boom in der Langeweileforschung: Im Frühjahr 2021 wurde die “International Society of Boredom Studies” ins Leben gerufen, die sich der Förderung und Verbreitung von Forschung zum Thema Langeweile widmetumfangreichen Berichterstattung in den (sozialen) Medien zu Langeweile und dem Umgang mit Langeweile wider. Aber auch WissenschaftlerInnen nahmen die COVID-19 Pandemie zum Anlass, sich verstärkt mit dem Thema Langeweile auseinanderzusetzen.

Denn obwohl Langeweile in Literatur, Philosophie und Kunst schon lange thematisiert wird, hat sie in den empirischen Wissenschaften bis vor wenigen Jahren nur eine untergeordnete Rolle gespielt. So wurde erst im Jahr 2012 der Versuch einer universellen Definition von Langeweile unternommen. Danach bezeichnet Langeweile einen aversiven Zustand, der dann entsteht, wenn die aktuelle Situation unbefriedigend ist und man lohnenderen Alternativen nachgehen möchte aber nicht nachgehen kann (Eastwood et al., 2012). Das beschreibt die Lage vieler Menschen während der COVID-19 Pandemie sehr treffend, denen daheim die Decke auf den Kopf gefallen ist und die sich zum Beispiel gern wieder mit ihren Familien und Freunden getroffen hätten. Aufgrund der Beschränkungen war das aber nicht möglich. Einen solchen aversiven Zustand über eine längere Zeit auszuhalten ist anstrengend, wodurch Langeweile in der Pandemie nicht nur zu einer individuellen sondern auch zu einer gesellschaftlichen Herausforderung wurde. So zeigten Studien bereits kurze Zeit nach Beginn des Lockdowns, dass sich Menschen mit einer größeren Anfälligkeit für Langeweile weniger an die Regeln zur Eindämmung der Pandemie hielten (z. B. körperlichen Abstand zu wahren), weil sie das aufgrund der Langeweile als besonders schwierig und herausfordernd empfanden (Wolff et al., 2020). Bild 2: Langeweile war während der COVID-19 Pandemie allgegenwärtig und wurde in den (sozialen) Medien vielfach diskutiert.Langeweile war während der COVID-19 Pandemie allgegenwärtig und wurde in den (sozialen) Medien vielfach diskutiert.

Beispiele wie dieses nähren den ohnehin schlechten Ruf der Langeweile, die vielen als eine lästige und unvermeidliche Plage gilt. Tatsächlich hat die Forschung bereits zahlreiche negative Konsequenzen von Langeweile aufgezeigt, mit denen wir uns in diesem Artikel beschäftigen werden. Allerdings ist Langeweile etwas so Alltägliches, dass sich die Frage nach ihren Ursachen und ihrer Funktion stellt. Dieser Frage werden wir nachgehen und dabei aufzeigen, warum es gerade ihre unangenehme und quälende Natur ist, die Langeweile zu einer mächtigen Triebfeder menschlichen Verhaltens macht. Doch zunächst widmen wir uns einer grundlegenderen Frage: Wie entsteht Langeweile eigentlich?

Langeweile ist subjektiv: Die Rolle von Kontroll- und Wertbeurteilungen

Auch wenn die Forschung zu Langeweile generell noch in den Kinderschuhen steckt, in der Bildungspsychologie beschäftigt man sich schon länger damit. Das wird die wenigsten überraschen, denn Langeweile gilt an Schulen und Universitäten als so prototypisch wie in kaum einem anderen Bereich des Lebens. Folglich untersuchen BildungspsychologInnen schon seit längerer Zeit die Entstehungsbedingungen von Langeweile. Grundlage dafür ist zumeist die Kontroll-Wert-Theorie von Reinhard Pekrun, die ganz allgemein das Entstehen von Emotionen in Lern- und Leistungskontexten beschreibt und auch auf Langeweile übertragen werden kann (Pekrun et al., 2010). Wie der Name der Theorie nahelegt, werden zwei subjektive Situationsbeurteilungen hinter dem Erleben von Langeweile vermutet: die wahrgenommene Kontrolle über die Situation und der wahrgenommene Wert der Situation.

Erstens langweilt man sich der Theorie zufolge in Situationen, in denen man nicht optimal beansprucht wird. So können leistungsstarke SchülerInnen bei der Wiederholung eines Themas unterfordert sein; sie erleben dann zu viel Kontrolle über die Situation. Weniger leistungsstarke SchülerInnen hingegen können vom Stoff überfordert sein und haben dann ein zu niedriges Kontrollerleben. Es braucht also genau das richtige Maß an nicht zu hoher und nicht zu niedriger Anforderung um Langeweile zu vermeiden. Zweitens langweilt man sich gemäß der Theorie in Situationen, die einem bedeutungslos und unwichtig erscheinen. So gibt es in der Schule immer wieder einzelne Themen oder Fächer, die manche SchülerInnen uninteressant finden. Kommt nun beides zusammen – sind SchülerInnen also in einer Situation von geringem Wert nicht optimal beansprucht – dann entsteht der Theorie zufolge Langeweile. Mit ihrem Auftreten in Situationen von geringem Wert nimmt Langeweile eine interessante Sonderstellung unter den Emotionen im Lern- und Leistungskontext ein: Andere Emotionen sind charakteristisch für Situationen mit entweder hohem negativem (z. B. Angst vor einer wichtigen Klausur) oder positivem Wert (z. B. Freude über das Behandeln eines interessanten Themas).

Auch wenn die Kontroll-Wert-Theorie für Emotionen im akademischen Kontext entwickelt wurde, so formulieren neuere Modelle zur Entstehung von Langeweile mittlerweile ganz ähnliche Annahmen (z. B. Westgate & Wilson, 2018). Das legt nahe, dass Langeweile auch außerhalb von Schule und Universität durch ein Zusammenspiel aus Kontroll- und Wertbeurteilungen entsteht. Das gilt insbesondere auch für andere Lern- und Leistungskontexte wie den Sport: Auch dort können Situationen auftreten, in denen man überfordert (z. B. durch ein zu hoch gestecktes Trainingsziel) oder unterfordert ist (z. B. durch ein Training bei geringer Belastung). Und gerade im Breitensport kann es sein, dass dem Sport an sich ein geringer Wert zugeschrieben wird und er nur widerwillig ausgeübt wird (z. B. als Mittel um das Gewicht zu regulieren). So können zu hoch gesteckte Trainingsziele in Verbindung mit einem geringen Wert des Sports das Entstehen von Langeweile begünstigen und dazu führen, dass man erst gar keinen Sport macht oder schnell wieder damit aufhört. Interessanterweise finden sich in den Medien zahlreiche Tipps gegen Langeweile im Sport, die auf deren weite Verbreitung im Sportkontext hinweisen. In der sportpsychologischen Forschung allerdings wurde das Thema Langeweile bis vor Kurzem weitgehend vernachlässigt (Wolff, Bieleke, Martarelli & Danckert, 2021).Bild 3: Die wohl prototypischste Situation für das Empfinden von Langeweile ist die Schule. SchülerInnen wird langweilig, wenn sie nicht optimal beansprucht sind (z. B. Überforderung in Mathe) und dem Unterricht einen geringen Wert beimessen (z. B. kein Interesse an Mathe).Bild 3: Die wohl prototypischste Situation für das Empfinden von Langeweile ist die Schule. SchülerInnen wird langweilig, wenn sie nicht optimal beansprucht sind (z. B. Überforderung in Mathe) und dem Unterricht einen geringen Wert beimessen (z. B. kein Interesse an Mathe).

Zu Tode gelangweilt? Die weitreichenden Konsequenzen der Langeweile

Dem Volksmund nach haben so manche sich schon “zu Tode gelangweilt”. Hinter dieser Redensart steckt ein Körnchen Wahrheit, wie eine epidemiologische Studie nahelegt (Britton & Shipley, 2010). Darin zeigten die AutorInnen, dass das Risiko an einer Herz-Kreislauferkrankung zu sterben bei Menschen mit starkem Langeweileerleben etwa 2,5 mal größer ist als bei Menschen mit geringem Langeweileerleben. Dieser Effekt hatte allerdings nur solange bestand, bis die AutorInnen für andere Faktoren wie das Ausmaß an körperlicher Aktivität kontrollierten. Das legt nahe, dass Langeweile nicht per se krank macht, sondern vielmehr mit negativen Verhaltensweisen einhergeht, die das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen maßgeblich bestimmen. Und tatsächlich konnte gezeigt werden, dass Menschen mit stark ausgeprägtem Langeweileerleben körperlich weniger aktiv sind und sich in ihrem Alltag seltener bewegen als Menschen mit einem schwach ausgeprägten Langeweileerleben (Wolff, Bieleke, Stähler & Schüler, 2021).

Wichtig hierbei ist, dass Langeweile gleich auf mehrere Arten mit einer gesunden Lebensführung in Konflikt geraten kann. So kann sie einerseits dazu führen, dass langweilige aber gesundheitsförderliche Verhaltensweisen gemieden werden. Ein Beispiel für diese Langeweilevermeidung ist es, dass man Sport langweilig findet und daher erst gar keinen Sport macht. Andererseits kann Langeweile auch dazu führen, dass ungesunde Verhaltensweisen gezielt aufgesucht werden um Langeweile zu reduzieren. Diese Langeweileflucht kann sich zum Beispiel dadurch ausdrücken, dass aus Langeweile Drogen wie Alkohol oder Zigaretten konsumiert werden. Eine noch drastischere Illustration der Wirkmächtigkeit von Langeweile lieferte eine Studie, die im Jahr 2014 in der Fachzeitschrift Science erschienen ist: Um der Langeweile zu entkommen gaben sich (manche) Menschen freiwillig selbst Stromstöße, die sie vorab als äußerst unangenehm bewertet hatten (Wilson et al., 2014). Aktuelle Arbeiten betonen eine weitere beunruhigende Folge von Langeweileflucht: In einer Serie von neun Studien zeigte sich, dass Langeweile sadistisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Menschen befördern kann (Pfattheicher et al., 2020). Darüber hinaus können Langeweilevermeidung und Langeweileflucht auch gemeinsam auftreten. So kann es sein, dass man lieber abends auf dem Sofa Serien anschaut als Sport zu machen, weil man Sporttreiben langweilig findet, und dann beim Anschauen der Serien aus Langeweile zu ungesunden Snacks und Getränken greift.

Allerdings spielt Langeweile nicht nur für das Gesundheitsverhalten eine Rolle. Studien zur Prävalenz von Langeweile zeigen, dass sie an Schulen und Universitäten besonders häufig auftritt (Chin et al., 2017). Und genau dort hat Langeweile auch zahlreiche unerwünschte Konsequenzen. So konnte eine Meta-Analyse beispielsweise einen negativen Zusammenhang zwischen Langeweile und Leistung im akademischen Kontext zeigen (r = −.24; Tze et al., 2016). Eine Ursache dafür ist, dass Langeweile es erschwert, aufmerksam bei der Sache zu bleiben und dem Unterricht zu folgen. Stattdessen sind die SchülerInnen mit den Gedanken woanders, bekommen die Inhalte nicht richtig mit und erhalten langfristig schlechtere Noten. In akademischen Kontexten scheint es also angeraten, Langeweile zum Beispiel in Veranstaltungsevaluationen zu erfassen und wirksame Strategien zum Umgang damit zu entwickeln. Das kann beispielsweise durch die Gestaltung ansprechender und aktivierender Unterrichtsformate geschehen.

Langeweile hat eine wichtige Funktion: Sie signalisiert die Notwendigkeit einer Veränderung

Schaut man auf all die negativen Konsequenzen von Langeweile, dann stellt sich die Frage nach ihrer Funktion. Die Wissenschaftler James Danckert und John Eastwood illustrieren die Funktion von Langeweile anhand einer Parallele zum Schmerz (Danckert & Eastwood, 2020). Die Funktion von Schmerz besteht danach nicht darin Menschen zu verletzen, sondern die potenzielle Gefährlichkeit einer Situation zu signalisieren. So kann Schmerz deutlich machen, dass man die Hand besser von einer heißen Herdplatte wegziehen sollte. Analog besteht die Funktion von Langeweile nicht darin zu quälen, sondern die Notwendigkeit der Veränderung einer Situation zu signalisieren. Langeweile ist also ein Signal, dass man das aktuelle Handeln überdenken und Alternativen in Erwägung ziehen sollte. Bild 4: Schmerz ist unangenehm und signalisiert, das körperlicher Schaden droht – wenn man beispielsweise brennende Streichhölzer zu lange festhält. Analog ist auch Langeweile eine unangenehme Empfindung, die signalisiert, dass man etwas an der aktuellen Situation ändern sollte.Bild 4: Schmerz ist unangenehm und signalisiert, das körperlicher Schaden droht – wenn man beispielsweise brennende Streichhölzer zu lange festhält. Analog ist auch Langeweile eine unangenehme Empfindung, die signalisiert, dass man etwas an der aktuellen Situation ändern sollte.

Allerdings gibt Langeweile nicht vor, in welche Richtung die Situation geändert werden sollte. Besonders eindrucksvoll wird dieser Umstand in einer Reihe von Experimenten illustriert, in denen ProbandInnen zunächst eine Serie von entweder angenehmen, unangenehmen oder neutralen Bildern gezeigt wurde (Bench & Lench, 2019). Egal um welche Bilder es sich dabei handelte, die ProbandInnen empfanden diese Aufgabe nach einiger Zeit als langweilig. Im Anschluss daran sollten sie sich eine weitere Serie von Bildern ansehen und durften wählen, ob es sich dabei um ähnliche oder aber um neue Bilder handeln sollte. In Übereinstimmung mit der Hypothese, dass Langeweile die Notwendigkeit einer Änderung der Situation signalisiert, entschieden sich viele ProbandInnen für die neuen Bilder. Interessanterweise wurde hierbei oft das hedonisch gegenläufige Bilder gewählt: ProbandInnen, die vorher angenehme Bilder gesehen hatten, wählten im Anschluss eher unangenehme Bilder und umgekehrt. Langeweile scheint also einen neutralen Impuls zu geben, die Situation dahingehend zu ändern, dass möglichst etwas Neues erlebt werden kann (Bieleke & Wolff, 2021).

Eine Schlussfolgerung daraus lautet, dass Langeweile neben negativen auch positive Folgen haben sollte. Solche positiven Folgen wurden selten untersucht, da der Fokus bislang einseitig auf den negativen Folgen von Langeweile lag. Eine interessante Ausnahme stellt eine Studie zur Bedeutung von Langeweile für prosoziales Verhalten dar (van Tilburg & Igou, 2017). Langeweile entsteht in Situationen, die als bedeutungslos wahrgenommen werden und die einen niedrigen Wert besitzen. Prosoziales Verhalten sollte also einen Weg aus der Langeweile bieten, weil es durch seinen gesellschaftlichen Wert sinnstiftend ist. In Übereinstimmung mit dieser Annahme zeigte sich, dass gelangweilte Menschen eher bereit waren, Geld für wohltätige Zwecke zu spenden. Dieses Ergebnis steht in einem interessanten Kontrast zum oben geschilderten Befund, dass Langeweile zu sadistisch-aggressivem Verhalten führen kann. Eine mögliche Erklärung sind individuelle Unterschiede in der Art des Umgangs mit Langeweile, die bislang allerdings nicht erforscht worden sind.

Langeweile stiftet zum Explorieren an und komplementiert so die Funktion von Selbstkontrolle

Ihre Signalwirkung macht Langeweile zu einer wesentlichen Triebfeder menschlichen Verhaltens. Durch das Hervorheben der Bedeutung von Veränderung treibt das Erleben von Langeweile dazu an, im Positiven wie im Negativen neue und bislang unbekannte Wege zu gehen. Man bezeichnet ein solches Verhalten auch als Exploration. Würde man diesem Anstoß zur Exploration allerdings immerfort nachgehen, könnte man nie dauerhaft an einem Ziel festhalten. Das wäre langfristig nicht optimal, da sich natürlich auch ein Festhalten an bereits bekannten Wegen lohnen kann. Das wird als Exploitation bezeichnet. Eine zentrale Rolle bei der Exploitation spielt die Selbstkontrolle, die für das langfristige Verfolgen von Zielen benötigt wird. Daher wird mittlerweile angenommen, dass Langeweile und Selbstkontrolle komplementäre Rollen bei der Abwägung zwischen Exploration und Exploitation spielen (Bieleke & Wolff, 2021). Das erklärt auch den Umstand, dass so unterschiedliche Konstrukte wie Langeweile und Selbstkontrolle in empirischen Studien hoch und negativ korreliert sind: Menschen mit niedriger Selbstkontrolle fällt es oft schwer, ihre Langeweile zu regulieren und an langfristigen Zielen festzuhalten.Bild 5: In einer Studie zur Langeweile während der COVID-19 Pandemie zeigte sich ein starker negativer Zusammenhang zwischen der Neigung zur Langeweile („Trait Boredom“) und der Selbstkontrolle („Trait Self-Control“). Menschen mit hoher Langeweile hatten auch eine niedrige Selbstkontrolle und hielten sich weniger an die Regeln zur Eindämmung der Pandemie.Bild 5: In einer Studie zur Langeweile während der COVID-19 Pandemie zeigte sich ein starker negativer Zusammenhang zwischen der Neigung zur Langeweile („Trait Boredom“) und der Selbstkontrolle („Trait Self-Control“). Menschen mit hoher Langeweile hatten auch eine niedrige Selbstkontrolle und hielten sich weniger an die Regeln zur Eindämmung der Pandemie.

Doch auch während einer konkreten Tätigkeit spielen Langeweile und Selbstkontrolle komplementäre Rollen. Sehr schön zeigen lässt sich das an der Forschung zum viel diskutierten Ego Depletion Phänomen (Wolff & Martarelli, 2020), das auch in verschiedenen Artikeln in In-Mind thematisiert worden ist. Darin bearbeiten die ProbandInnen entweder eine Aufgabe mit geringen Anforderungen an die Selbstkontrolle (z. B. einen Text einfach abtippen) oder aber eine Aufgabe mit hohen Anforderungen an die Selbstkontrolle (z. B. beim Abtippen bestimmte Buchstaben auslassen). Die Annahme ist, dass das Bearbeiten der Aufgabe mit den höheren Anforderungen die Kapazität für weitere Selbstkontrollhandlungen reduziert. Das wiederum sollte zu schlechterer Leistung in nachfolgenden Aufgaben führen. Aus Sicht der Forschung zur Langeweile gibt es hier aber ein wichtiges Problem: Die Aufgabe mit den vermeintlich niedrigen Anforderungen an die Selbstkontrolle ist in der Regel sehr einfach und monoton, was sie potenziell langweilig macht. Und tatsächlich werden ganz ähnliche Aufgaben auch zur Induktion von Langeweile eingesetzt. Solche Aufgaben trotz der Langeweile weiter zu bearbeiten stellt wiederum Anforderungen an die Selbstkontrolle. Es ist daher überhaupt nicht mehr klar, inwieweit die Aufgaben sich tatsächlich in ihren Selbstkontrollanforderungen unterscheiden. Das könnte die unklare Befundlage zur Existenz des Ego Depletion Phänomens erklären (Milyavskaya et al., 2019). Tatsächlich konnte bereits gezeigt werden, dass Langeweile in typischen Experimenten zum Ego Depletion Phänomen eine Rolle spielt und Einfluss auf die Leistung hat (Bieleke et al., 2021). Es ist daher anzunehmen, dass die Effekte von Langeweile auch in anderen Bereichen der psychologischen Forschung eine wichtige Rolle spielen könnte. Das gilt insbesondere dort, wo mit monotonen und potenziell langweiligen Aufgaben gearbeitet wird.

Fazit

Langeweile ist eine alltägliche und unangenehme Empfindung, mit der sich die Forschung erst seit wenigen Jahren intensiv beschäftigt. Obwohl Langeweile mit vielen unerwünschten Konsequenzen in Verbindung gebracht wurde, erfüllt sie eine zentrale Funktion für zielgerichtetes Verhalten: Sie signalisiert, dass man etwas an der aktuellen Situation ändern sollte. Damit ist sie ein Katalysator für Veränderung und stiftet zu explorativem Verhalten an, wodurch sie die Funktion von Selbstkontrolle für die Exploitation komplementiert. Das legt nahe, dass Langeweile in vielen Forschungsbereichen der Psychologie eine bedeutende Rolle spielt. Die zunehmende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Langeweile ist dementsprechend erfreulich und gewinnbringend für die psychologische Forschung.

Bildquellen

Bild 1: https://www.boredomsociety.com/

Bild 2: Engin_Akyurt via Pixabay (https://pixabay.com/photos/sleep-will-be-bored-coronavirus-4994034/. Lizenz:https://pixabay.com/service/license/.)

Bild 3: Saydung89 via Pixabay (https://pixabay.com/illustrations/girl-bored-sleepy-boredom-couch-5835891/, Lizenz:https://pixabay.com/service/license/).

Bild 4:  Myriams-Fotos via Pixabay (https://pixabay.com/photos/matches-burnout-disease-mental-pain-2109344/. Lizenz:https://pixabay.com/service/license/).

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