Editorial zur Themenausgabe: "Flucht und Migration"

Im Jahr 2015 erreichten geschätzt etwa 800 000 Geflüchtete Deutschland (Pro Asyl, 2016). Vierhunderttausend von ihnen haben in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt, der Rest ist in andere EU-Länder, oft zu FreundInnen und Familienmitgliedern, weitergereist. Unter den Personen, die einen Erstantrag stellten, waren ca. 159 000 Menschen aus Syrien, die sich vor dem syrischen Bürgerkrieg und verschiedenen Terrorvereinigungen in Sicherheit bringen mussten (Pro Asyl, 2016). Vor zwei Jahren reagierten viele Deutsche mit einer beeindruckenden Welle der Hilfsbereitschaft, die international viel Aufmerksamkeit erregte (z.B. Lichfield, 2015; Montague, 2015; Shubert, 2015).

Bild von Netavisen_Sameksistens_dk via pixabay (/sites/default/files/refugees-welcome-2337656_960_720_small.jpg)Bild von Netavisen_Sameksistens_dk via pixabay (/sites/default/files/refugees-welcome-2337656_960_720_small.jpg)Seitdem ist vieles passiert: Schon Ende 2015 begann die Willkommenskultur langsam abzuebben, aber besonders die sexuellen Übergriffe der Silvesternacht 2015/2016 erzeugten ein Klima des Misstrauens. Verstärkt wurde dieses Klima durch mehrere Terroranschläge, die im darauffolgenden Jahr von Männern aus der islamistischen Szene verübt wurden.

In Teilen der Bevölkerung ist die Sorge gewachsen, das Land könnte mit der großen Zahl der Neuankömmlinge überfordert sein. Eine aktuelle Emnid-Umfrage für die Bertelsmann Stiftung unter 2014 TeilnehmerInnen zeigte, dass die Skepsis gegenüber Zuwanderung insgesamt deutlich gestiegen ist (Achenbach, 2017): Nur noch 37 Prozent der Befragten sagten, Deutschland könne und sollte mehr Flüchtlinge aufnehmen, weil dies humanitär geboten sei. 2015, also bevor die Zahl der MigrantInnen angestiegen war, hatte hier noch jedeR Zweite zugestimmt. Dennoch kommt die Bertelsmann Stiftung zu dem Schluss, dass die Willkommenskultur insgesamt stabil geblieben sei.

Die Herausforderungen, die durch die große Zahl an Geflüchteten entstanden sind, sind heute aktueller denn je: Landesweit arbeiten immer noch viele Menschen aktiv und aufopferungsvoll an der Unterstützung von Geflüchteten (Braun, 27. Juni 2017). Wie zentral das Thema ist, zeigte bereits 2016 die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten, der gebetsmühlenartig versprach, mexikanische MigrantInnen und MuslimInnen aus den USA abzuschieben oder fernzuhalten. In diesem Jahr wird sich nach Frankreich auch Deutschland positionieren müssen und Migration wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Die erste Ausgabe zu diesem Thema beleuchtet die Reaktionen auf Geflüchtete aus psychologischer Perspektive. Die Beiträge erklären, was HelferInnen antreibt (Pfundmair, Lermer, & Frey, 2017) und welche Rolle Medien in der aktuellen Situation spielen können, wie sie die Debatte steuern und beeinflussen (Frischlich & Rieger, 2017; Siem, Mazziotta, Barbarino, & Rohmann, 2017; Stürmer & Rohmann, 2017). Dabei weisen die Artikel auf die Wirkung hin, die es hat, Geflüchtete wie Tiere (Siem et al., 2017) oder wie eine Bedrohung (Stürmer & Rohmann, 2017) zu beschreiben. Die Artikel machen aufmerksam auf Nuancen der Kommunikation und wie sie unsere Wahrnehmung bestimmen und verändern können. Außerdem bieten sie Einblicke, wie Mediengebrauch Radikalisierung fördern und verhindern kann (Frischlich & Rieger, 2017).

Die zweite Ausgabe beschäftigt sich mit Interventionen zur Verbesserung der Beziehung von Geflüchteten und Einheimischen. Die ersten zwei Beiträge beleuchten konkrete Maßnahmen, welche die Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern können (Aydin, Landmann, Klocke, & Dick, 2017; Landmann, Aydin, Dick, & Klocke, 2017). Der Artikel von Aydin und KollegInnen (2017) erklärt außerdem die oft überraschende Situation, dass Menschen in Ostdeutschland heftig auf Geflüchtete und MigrantInnen reagieren, obwohl es in diesen Regionen kaum Angehörige dieser Gruppen gibt. Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt (Gericke, Pundt, & Deller, 2017): Er erklärt, wie die Integration gefördert werden kann, wenn man kulturelle Unterschiede kennt und beachtet. Die Erklärungen aus diesem Artikel können auch sehr gut auf andere ausländische MitarbeiterInnen übertragen werden, die aus Kulturen aus aller Welt stammen. Ähnlich universell ist der Beitrag von Renger and Eschert (2017). Er zeigt wie zentral gegenseitiger Respekt für eine erfolgreiche Integration und ein harmonisches Miteinander ist. Wir hoffen, dass die vorliegenden Arbeiten dabei helfen, die besonderen Herausforderungen der aktuellen Situation besser zu verstehen und dass die erläuterten Maßnahmen das gegenseitige Verständnis fördern und das Zusammenleben erleichtern werden.

Literaturverzeichnis

Achenbach, V. (2017). Willkommenskultur besteht "Stresstest", aber Skepsis gegenüber Migration wächst. Zugriff am 27.06.2017 unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/ap...

Aydin, A. L., Landmann, H., Klocke, U., & Dick, R. v. (2017). Fremder oder Freund? Unter welchen Umständen sich der Kontakt zwischen Deutschen und Geflüchteten positiv auf das Zusammenleben auswirken kann. Das In-Mind Magazin, 3. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/article/fremder-oder-freund-unter-welchen-umstaend...

Braun, S. (2017.). Und sie helfen immer noch. Zugriff am 27.06.2017 unter http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlingsbetreuer-die-leisen-helfe...

Frischlich, L., & Rieger, D. (2017). Hass im Netz-Hass im Herzen? Die Wirkung rechtsextremistischer und islamistisch-extremistischer online Propagandavideos und mögliche Gegenangebote im Netz. Das In-Mind Magazin, 2. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/article/hass-im-netz-hass-im-herzen-die-wirkung-re...

Gericke, D., Pundt, L., & Deller, J. (2017). Wie aus Geflüchteten Kolleg/innen werden! Das In-Mind Magazin, 3. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/article/wie-aus-gefluechteten-kolleg-innen-werden

Landmann, H., Aydin, A. L., Dick, R. v., & Klocke, U. (2017). Die Kontakthypothese: Wie Kontakt Vorurteile reduzieren und die Integration Geflüchteter fördern kann. Das In-Mind Magazin, 3. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/article/die-kontakthypothese-wie-kontakt-vorurteil...

Lichfield, J. (2015). Germany opens its gates: Berlin says all Syrian asylum-seekers are welcome to remain, as Britain is urged to make a 'similar statement'. Zugriff am 27.06.2017 unter http://www.independent.co.uk/news/world/europe/germany-opens-its-gates-b...

Montague, J. (2015). In Germany, Migrant Aid Is a Team Effort. Zugriff am 27.06.2017 unter https://www.nytimes.com/2015/09/10/sports/soccer/german-soccer-clubs-ope...

Pfundmair, M., Lermer, E., & Frey, D. (2017). „Willkommen in Deutschland“ – Motivationen der Flüchtlingshilfe und deren Folgen. Das In-Mind Magazin, 2. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/article/willkommen-in-deutschland-motivationen-der...

Pro Asyl. (2016). Hintergrund Asyl in Zahlen 2015. Zugriff am 27.06.2017 unter https://www.proasyl.de/hintergrund/zahlen-und-fakten-2015/

Renger, D., & Eschert, S. (2017). Respekt für Geflüchtete und von Geflüchteten: Herausforderungen eines gleichberechtigten Miteinanders. Das In-Mind Magazin, 2. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/article/respekt-fuer-gefluechtete-und-von-gefluech...

Shubert, A. (2015). Refugee crisis: How Germany rose to the occasion. Zugriff am 27.06.2017 unter http://edition.cnn.com/2015/09/13/europe/germany-refugees-shubert/index....

Siem, B., Mazziotta, A., Barbarino, M.-L., & Rohmann, A. (2017). „Zusammengepfercht wie die Tiere“ – Der Einfluss medialer Berichterstattung auf die Entmenschlichung von Geflüchteten. Das In-Mind Magazin, 2. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/article/zusammengepfercht-wie-die-tiere-der-einflu...

Stürmer, S., & Rohmann, A. (2017). Radikalisierung der Aufnahmegesellschaft: Die Rolle von Medienberichten. Das In-Mind Magazin, 2. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/article/radikalisierung-der-aufnahmegesellschaft-d...

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