Respekt für Geflüchtete und von Geflüchteten: Herausforderungen eines gleichberechtigten Miteinanders

Etwa eine Million Geflüchtete kamen im Jahr 2015 nach Deutschland. Vielen soll eine langfristige Bleibeperspektive ermöglicht werden. In unserem Beitrag möchten wir herausstellen, wie wichtig dabei die Entwicklung einer gemeinsamen Identität von Geflüchteten und Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft ist. Zudem geben wir ein mögliches Werkzeug an die Hand, das eine solche Identität fördern kann: gegenseitiger Respekt als gleichberechtigte Interaktionspartner/innen. Dies mag einfach klingen, stellt beide Seiten aber vor enorme Herausforderungen.

Im Jahr 2015 sind etwa eine Million Geflüchtete in Deutschland angekommen. Ein Großteil der Menschen kam aus Syrien, wo ein Bürgerkrieg das Leben für viele unmöglich macht. Viele der Geflüchteten werden wohl langfristig in Deutschland bleiben. Daher sollte sichergestellt werden, dass dieses Mal eine andere Strategie verfolgt wird als beispielsweise bei den Gastarbeiter/innen, die in den 1950er Jahren von der BRD ins Land geholt wurden. Diese sollten das Land eigentlich wieder verlassen und es wurde deshalb versäumt, geeignete Integrationsmaßnahmen zu ergreifen. Viele dieser Personen und der nachfolgenden Generationen hatten und haben daher Probleme, ihr Potenzial am Arbeitsmarkt zu entfalten und in der Gesellschaft zu partizipieren. Wenn, wie im aktuellen Fall, politisch angestrebt wird, Menschen anderer Kulturen, Ethnien und Religionen auf Dauer eine Heimat zu bieten, sollten aus psychologischer Sicht Prozesse der Identitätsbildung und die dafür förderlichen Voraussetzungen beachtet werden. Im vorliegenden Artikel möchten wir diese näher beleuchten. Insbesondere sollen die Vorteile einer gemeinsamen sozialen Identität herausgestellt und gleichzeitig aufgezeigt werden, dass eine solche gemeinsame Identität über respektvolles Verhalten gefördert werden kann.

Integrationsstrategien und Identität

Der Kanadier John Berry hat sich in seiner Forschung damit beschäftigt, welche Integrationsstrategien Migrant/innen und Geflüchtete verwenden (Berry, 2005). Kanada gehört seit mehreren Jahrzehnten zu den einwanderungsstärksten Ländern der Welt und eignet sich daher sehr gut für die Erforschung solcher Strategien. Berry fand heraus, dass die Strategie, bei der Menschen ihre ursprüngliche Kultur und ihre Identität beibehalten und sich gleichzeitig auch mit der aufnehmenden Gesellschaft identifizieren, am wenigsten mit Stress, Ängsten und Unsicherheit beim Einzelnen verbunden ist und gesellschaftliche Partizipation begünstigt. Diese Strategie nennt Berry Integration (der Begriff Integration wird im Alltagsgebrauch häufig mit abweichender Bedeutung verwendet). Weniger effektiv hinsichtlich Gesundheit und Partizipation scheint es hingegen zu sein, wenn Migrant/innen versuchen, ihre Kultur und Identität aufzugeben, um sich der Mehrheitsgesellschaft anzupassen ( Assimilation). Auch die Strategie, ausschließlich die eigene Kultur und Identität beizubehalten, ohne eine Bindung an die Mehrheitsgesellschaft herzustellen (Separation), wird als problematisch beschrieben. Neben Risiken für die (psychische) Gesundheit können sich dadurch Parallelgesellschaften entwickeln, die zur Entstehung von sozialen Konflikten beitragen können.Es erscheint daher erstrebenswert, Zugewanderte dazu zu ermutigen, sich mit der deutschen Gesamtgesellschaft zu identifizieren, ohne dabei die eigene kulturelle Identität aufgeben zu müssen. Dies könnte gelingen, wenn sich Migrant/innen und Geflüchtete innerhalb der aufnehmenden Gesellschaft respektiert fühlen. So konnten Studien von Renger und Simon (2011) sowie von Simon und Stürmer (2003) zeigen, dass sich die Erfahrung, von anderen Gruppenmitgliedern respektiert zu werden, förderlich auf die Identifikation mit der Gruppe auswirkt und dies dann auch die Leistungsbereitschaft für die Gruppe steigert. Doch was bedeutet es eigentlich, sich respektiert zu fühlen?

Respekt als Gleichheitsanerkennung

Abbildung 1: rrafson (https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Respect#/media/File:Respect_rd.jpg), “Sign” (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)Abbildung 1: rrafson (https://commons.wikimedia.org/wiki/Category: Respect#/media/File:Respect_rd.jpg), “Sign” (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Der Sozialphilosoph Axel Honneth hat sich intensiv mit dem Thema der sozialen Anerkennung als Basis einer gerechten Gesellschaft beschäftigt. In seiner Anerkennungstheorie postuliert er, dass eine Gesellschaft nur dann gerecht sein kann, wenn sie den Menschen Anerkennungserfahrungen auf drei Ebenen ermöglicht (Honneth, 1994). Erstens müssen Menschen die Erfahrung machen, dass ihre emotionalen Bedürfnisse anerkannt und befriedigt werden. Diese Form der Anerkennung spielt vor allem in familiären und persönlichen Beziehungen eine Rolle. Als zweite Form der sozialen Anerkennung nennt Honneth die soziale Wertschätzung. Damit sind sowohl positive Rückmeldungen gemeint, die Menschen im Laufe ihrer (schulischen) Ausbildung erhalten, als auch Lob und Wertschätzung für das, was Menschen in ihrer beruflichen Tätigkeit oder anderen Beiträgen zum Gemeinwohl leisten. Eine dritte Form der sozialen Anerkennung ist laut Honneth in den letzten Jahrhunderten – angestoßen durch die Epoche der Aufklärung – entstanden. Seitdem ist es für Menschen auch von zentraler Bedeutung, dass sie sich als gleichwertige, gleichwürdige Interaktionspartner/innen behandelt fühlen, die die gleichen grundlegenden Rechte besitzen. In der westlichen Welt sind diese grundlegenden Rechte spätestens im 20. Jahrhundert in Verfassungen und Menschenrechtserklärungen niedergeschrieben worden Abbildung 2: Haeferl (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wien_-_Demo_Fl%C3%BCchtlinge_willkommen_-_Ein_Mensch_ist_ein_Mensch.jpg), „Wien - Demo Flüchtlinge willkommen - Ein Mensch ist ein Mensch“ (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)Abbildung 2: Haeferl (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wien_-_Demo_Fl%C3%BCchtlinge_willkommen_-_Ein_Mensch_ist_ein_Mensch.jpg), „Wien - Demo Flüchtlinge willkommen - Ein Mensch ist ein Mensch“ (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en). Somit kann sich jedes Gesellschaftsmitglied jeweils auf die gleichen Rechte berufen. Insbesondere durch die Grundrechte (z. B. Recht auf Gleichbehandlung) ist somit eine Basis entstanden, selbstbestimmt und autonom handeln und in einer Gesellschaft partizipieren zu können (der Zusammenhang zwischen erfahrener Gleichheitsanerkennung und persönlicher Autonomie wurde auch kürzlich empirisch in Befragungen bestätigt; z. B. Renger, Renger, Miché, & Simon, 2017). Diese Anerkennung als Gleiche/r wird von Honneth als „Respekt“ bezeichnet.
Die philosophische Verknüpfung von Gleichheitsanerkennung und Respekt konnte auch psychologisch bestätigt werden. In einer Studie von Simon und Grabow (2014) wurden Schwule und Lesben in Deutschland gefragt, inwiefern sie den Eindruck hätten, dass die Gesamtgesellschaft die Bedürfnisse und Leistungen von Homosexuellen anerkennen würde und inwiefern sie in der deutschen Gesellschaft als Gleiche anerkannt würden. Außerdem wurden sie gefragt, welcher Prozentsatz der deutschen Gesellschaft ihrer Meinung nach Homosexualität respektiere. Es zeigte sich, dass die Erfahrung, sich respektiert zu fühlen, stärker mit der Wahrnehmung, als gleichberechtigtes Gesellschaftsmitglied anerkannt zu werden, zusammenhing als mit der Wahrnehmung der anderen beiden Anerkennungsformen (Anerkennung von Bedürfnissen oder Leistung).

Respekt als Wegbereiter einer gemeinsamen, übergeordneten Identität

Wie bereits ausgeführt ist es für die Integration von Vorteil, wenn alle Beteiligten eine gemeinsame, soziale Identität entwickeln. Die psychologische Forschung konnte zeigen, dass gleichheitsbasierter Respekt in der Lage ist, eine solche gemeinsame Identität auch über vormals trennende Gruppengrenzen hinweg anzustoßen. In einer Studie von Simon, Mommert und Renger (2015) wurden Versuchsteilnehmer/innen in ein Computerlabor eingeladen und in zwei Arbeitsgruppen eingeteilt. Im Verlauf der Studie erhielten sie dann per Computer eine Rückmeldung (scheinbar aus der jeweils anderen Gruppe), in der ihnen mitgeteilt wurde, wie sie in einer anschließenden Gruppendiskussion behandelt werden sollten. Einem Teil der Versuchsteilnehmenden wurde dabei mitgeteilt, ihre Meinung sollte gleichberechtigt diskutiert werden (respektvolle Behandlung), während andere die Rückmeldung erhielten, ihre Meinung sollte nicht gleichberechtigt diskutiert werden (respektlose Behandlung). Anschließend wurden alle Versuchspersonen gefragt, ob sie die beiden Arbeitsgruppen eher als eine gemeinsame oder als zwei getrennte Gruppen sähen. Es zeigte sich, dass in der Bedingung mit respektloser Behandlung nur 16 % der Teilnehmenden angaben, es handle sich um eine gemeinsame Gruppe, während in der Bedingung mit respektvoller Behandlung knapp 48 % angaben, es handle sich um eine gemeinsame Gruppe (Simon et al., 2015, Experiment 1). Insgesamt erleichtert eine gemeinsame Identität, induziert durch Respekt als Gleiche/r, gemeinsames Handeln und das Verfolgen gemeinsamer Ziele.
Nun stellt sich die Frage, wie eine gemeinsame Identität inhaltlich aussehen müsste. Aufbauend auf den Forschungsergebnissen von Berry (2005) sollte eine solche Identität sowohl auf der ursprünglichen Identität der aufnehmenden Gesellschaft basieren als auch Identitätsaspekte der neu hinzukommenden Menschen aufnehmen. Dass gerade gegenseitiger gleichheitsbasierter Respekt hierfür förderlich ist, soll im nächsten Abschnitt beleuchtet werden.

Ein Gegenseitigkeitsmodell des Respekts

Wie bereits erwähnt haben verschiedene Wissenschaftsdisziplinen übereinstimmend herausgearbeitet, dass die Respekterfahrung aus der Behandlung als gleichberechtigte Person resultiert. Bei Respekt ist es von enormer Wichtigkeit, dass dieser auf Gegenseitigkeit beruht. Wer sich von einer anderen Gruppe respektiert fühlt, hegt weniger Vorurteile gegenüber dieser Gruppe und ist eher bereit, Respekt zu erwidern. In der bereits erwähnten Studie von Simon und Grabow (2014) wurden Schwule und Lesben auch nach ihrer Einstellung gegenüber Muslim/innen in Deutschland gefragt. Sie sollten angeben, welcher Prozentsatz der hier lebenden Muslim/innen ihrer Meinung nach bereit sei, Homosexualität und andere sexuelle Orientierungen zu respektieren. Da Homosexualität gerade von streng religiösen Muslim/innen häufig als etwas Negatives betrachtet wird, handelt es sich hier um gesellschaftliche Gruppen, zwischen denen es zu Konflikten kommen kann. Es zeigte sich, dass die Befragten weniger negative Einstellungen gegenüber Muslim/innen berichteten, wenn sie sich von der muslimischen Community respektiert fühlten.
Angewandt auf die derzeitige Situation bedeutet ein Gegenseitigkeitsmodell des Respekts auf der einen Seite, dass die aufnehmende Gesellschaft den Geflüchteten, die langfristig bleiben werden, Gehör schenken und ihre Meinungen ernst nehmen sollte Abbildung 3: Raimond Spekking (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Drehscheibe_K%C3%B6ln-Bonn_Airport_-_Ankunft_Fl%C3%BCchtlinge_27._September_2015-0075.jpg?uselang=de), „Drehscheibe Köln-Bonn Airport - Ankunft Flüchtlinge 27. September 2015-0075“, (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de)Abbildung 3: Raimond Spekking (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Drehscheibe_K%C3%B6ln-Bonn_Airport_-_Ankunft_Fl%C3%BCchtlinge_27._September_2015-0075.jpg?uselang=de), „Drehscheibe Köln-Bonn Airport - Ankunft Flüchtlinge 27. September 2015-0075“, (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de). Geflüchtete sollten aktiv einbezogen werden, wenn darüber gesprochen wird, wie die Integration in Deutschland funktionieren soll, wie Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden können, welche Probleme es bei der Integration gibt etc. Langfristig sollten denjenigen, die dauerhaft bleiben, gleiche Mitspracherechte bei der Gestaltung und Weiterentwicklung der Gesellschaft gewährt werden. Andere als gleichberechtigte Interaktionspartner/innen anzuerkennen, bedeutet demnach auch, dass sich langfristig gesellschaftliche Veränderungen einstellen werden, wenn die neuen Gesellschaftsmitglieder ihre ursprüngliche Identität beibehalten sollen und sie somit in die Gesellschaftsentwicklung einfließen lassen. Auf der anderen Seite müssen neu hinzukommende Personen den anderen Gesellschaftsmitgliedern gegenüber Respekt zeigen – zum Beispiel, indem sie die im Grundgesetz festgeschriebenen Rechte anderer wahren, aber auch, indem sie sich aufgeschlossen gegenüber deutschen Werten und der deutschen Kultur zeigen. Dies bezieht sich beispielsweise auf eine angemessene (gleiche) Behandlung der Geschlechter und von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung, Religion etc.
Wenn ein respektvolles Miteinander im Sinne einer gegenseitigen Betrachtung als gleichwertige Interaktionspartner/innen gelingt, dann fördert dies, dass Menschen auf einer höheren, übergeordneten Ebene als gleich und gleichberechtigt gesehen werden können („Wir alle als Bürger/innen eines multiethnischen Deutschlands“), während auf der unteren Ebene (kulturelle) Unterschiede bestehen bleiben können („Wir als Bürger/innen syrischer Herkunft“).

Was kann passieren, wenn Respekt vorenthalten wird?

Wenn Geflüchteten Respekt und Gleichbehandlung vorenthalten werden, kann dies ernste negative Konsequenzen nach sich ziehen. Das Vorenthalten von Mitbestimmung und Mitsprache kann zu sozialem Ausschluss führen und es wurde empirisch gezeigt, dass dies die Auftretenswahrscheinlichkeit von unethischem Verhalten erhöht. In einer Studie von Renger, Mommert, Renger und Simon (2016) erhielten Versuchsteilnehmer/innen in einem ersten Schritt entweder eine respektvolle oder eine respektlose Behandlung durch andere Gruppenmitglieder, das heißt sie erhielten die gleiche Möglichkeit, ihre Meinung kundzutun und ihre Stimme wurde gezählt, oder aber ihre Meinung und Stimme wurden nicht berücksichtigt. In einem zweiten Schritt wurden die Versuchsteilnehmer/innen dann gebeten, sich in eine Situation hineinzuversetzen, in der sie in einem Geschäft einkaufen und dann beim Verlassen feststellen, dass sie an der Kasse zwei Euro zu viel Wechselgeld erhalten haben. Die Teilnehmer/innen wurden anschließend gefragt, wie richtig bzw. falsch sie es finden, das Geld zu behalten. Es zeigte sich, dass Personen, die im Vorfeld respektlos behandelt wurden, es eher als richtig ansahen, das Geld zu behalten, als jene, die respektvoll behandelt wurden.
Dass solche experimentell gewonnenen Befunde zum Zusammenhang zwischen Respekt und (un)ethischem Verhalten auch auf reale Prozesse generalisiert werden können, legt eine Analyse von Moghaddam (2005) nahe. Der Autor zeigt auf, dass das Vorenthalten von vollen und gleichen Mitsprachemöglichkeiten auch Radikalisierungstendenzen begünstigen kann. Laut Moghaddam (2005) erhöhen ein Mangel an Möglichkeiten, seine Meinung zu äußern, sowie eingeschränkte Aufstiegsmöglichkeiten in einer Gesellschaft die Bereitschaft, sich an terroristischen Aktivitäten zu beteiligen.

Herausforderungen eines respektvollen, gleichberechtigten Miteinanders

Vor dem Hintergrund dieser Forschungsergebnisse scheint es angemessen, die Gegenseitigkeit von gleichheitsbasiertem Respekt als wichtige Voraussetzung für Integration zu betonen. Dies kann für beide Seiten eine enorme Herausforderung darstellen. Wie schwer Gegenseitigkeit von Respekt sein kann und wie schnell die Stimmung kippen kann, zeigte sich eindrücklich nach den Geschehnissen in der Silvesternacht 2015 in Köln. Nach dem mutmaßlichen respektlosen Verhalten einiger Geflüchteter wurde in den Medien oftmals das Bild vermittelt, Geflüchtete hätten generell keine Achtung vor den Werten oder den Institutionen der deutschen Gesellschaft. Auch wenn sich solche Berichte auf Einzelfälle beziehen, so kann es schnell passieren, dass sie generalisiert werden und somit als Rechtfertigung für Vorurteile und für das Vorenthalten von Respekt gegenüber allen Geflüchteten dienen. In Deutschland gibt es zahlreiche Gruppierungen (wie z. B. PEGIDA), die gezielt solche Generalisierungen aufgreifen und damit Angst in der Bevölkerung schüren, um zu erreichen, dass Geflüchteten Respekt vorenthalten wird. Wie bereits ausgeführt kann ein Vorenthalten von Respekt allerdings zu weitreichenden negativen Konsequenzen für die/den einzelne/n Geflüchtete/n und die Gesellschaft führen.

Ist eine Integrationspflicht respektvoll?

Wie ist die von der Bundesregierung 2016 beschlossene Integrationspflicht vor dem Hintergrund des Gegenseitigkeitsmodells des Respekts zu bewerten? Maßnahmen, die dazu beitragen, Geflüchtete mit grundlegenden Fähigkeiten zur Partizipation auszustatten, können als positiv bewertet werden. Hierzu zählt beispielsweise die Verpflichtung zur Teilnahme an Sprachkursen. Sprachkenntnisse stellen eine wichtige Voraussetzung dafür dar, die eigene Meinung ausdrücken und somit gesellschaftlich einbringen zu können, und sind darüber hinaus für die Beteiligung am Arbeitsmarkt unumgänglich. Andere Maßnahmen des Integrationsgesetzes, wie zum Beispiel Geflüchteten einen Wohnort zuzuweisen, können hingegen die Entscheidungsfreiheit, Selbstbestimmung und Autonomie der betroffenen Personen einschränken und als Ausdruck von mangelnder Gleichberechtigung aufgenommen werden (Jakob, 2015, TAZ-Online). Hier muss der Staat großes Fingerspitzengefühl beweisen, wenn er demonstrieren möchte, dass auch solche Maßnahmen einem höheren längerfristigen Ziel dienen, beispielsweise die Selbstabschottung von Geflüchteten und somit die Bildung von Parallelgesellschaften zu verhindern. Aus sozialpsychologischer Sicht können diese Maßnahmen nur dann erfolgreich sein, wenn sie dazu beitragen, die Geflüchteten in Wohnsituationen und Kontexte zu bringen, in denen sie gesamtgesellschaftliche Anerkennungserfahrungen machen können. Diese Anerkennungserfahrungen, die sie in einer Parallelgesellschaft nur sehr eingeschränkt machen könnten, ermöglichen dann langfristig die Partizipation als vollwertiges Gesellschaftsmitglied.

Alle staatlichen Maßnahmen können und sollten daraufhin geprüft werden, inwieweit sie dazu beitragen, eine gemeinsame Identität zu schaffen. In diesem Beitrag haben wir gleichheitsbasierten Respekt als eine vielversprechende Voraussetzung einer solchen Identität vorgestellt. Sie kann die Basis schaffen, eine leistungsfähige Gesellschaft und die Gesundheit der/des Einzelnen auch in Zukunft sicherzustellen, wenn der demografische Wandel die Renten und den Wohlstand in Deutschland gefährden würde.

Literaturverzeichnis

Berry, J. W. (2005). Acculturation: Living successfully in two cultures. International Journal of Intercultural Relations, 29(6), 697-712. doi:10.1016/j.ijintrel.2005.07.013

Honneth, A. (1994). Kampf um Anerkennung: Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Jakob, C. (2015, 14. August). Ein Sofa ist gut, Respekt ist besser. Taz.de. Retrieved from http://www.taz.de/!5220027/

Moghaddam, F. M. (2005). The staircase to terrorism: A psychological exploration. American Psychologist, 60(2), 161-169. doi:10.1037/0003-066X.60.2.161

Renger, D., Mommert, A., Renger, S., & Simon, B. (2016). When less equal is less human: Intragroup (dis)respect and the experience of being human. The Journal of Social Psychology. 156, 553-563. doi:10.1080/00224545.2015.1135865

Renger, D., Renger, S., Miché, M., & Simon, B (2017). A social recognition approach to autonomy: The role of equality-based respect. Personality and Social Psychology Bulletin, 43(4), 479-492. doi: 10.1177/0146167216688212

Renger, D., & Simon, B. (2011). Social recognition as an equal: The role of equality-based respect in group life. European Journal of Social Psychology, 41(4), 501-507. doi:10.1002/ejsp.814

Simon, B., & Grabow, H. (2014). To be respected and to respect: The challenge of mutual respect in intergroup relations. British Journal of Social Psychology, 53(1), 39-53. doi:10.1111/bjso.12019

Simon, B., Mommert, A., & Renger, D. (2015). Reaching across group boundaries: Respect from outgroup members facilitates re-categorization as a common group. British Journal of Social Psychology, 54, 616-628. doi:10.1111/bjso.12112

Simon, B., & Stürmer, S. (2003). Respect for group members: Intragroup determinants of collective identification and group-serving behavior. Personality and Social Psychology Bulletin, 29(2), 183-193. doi:10.1177/0146167202239043

 

 

 

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