"Ihr macht mir Angst, ich mag Euch nicht!" - Wenn Gefühle der Bedrohung und Angst zu Vorurteilen führen
Am 11. September 2001 ereigneten sich die bis dahin schwersten Terroranschläge auf dem Boden der Vereinigten Staaten mit fast 3000 Toten. Die Auswirkungen von 9/11 waren tiefgreifend und weltweit unter anderem in einem angespannten politischen Klima sowie in Veränderungen der Einstellungen und des Verhaltens gegenüber Muslimen spürbar. Dieser Beitrag beschäftigt sich damit, wie Gefühle der Bedrohung zu Angst gegenüber Fremden sowie Vorurteilen führen können.
Der 11. September 2001: Ursache für die Abwertung von Muslimen in Deutschland?
Das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia berichtete 2002 von einem deutlichen Anstieg der feindlichen Angriffe gegen Muslime in 15 europäischen Ländern nach dem 11. September 2001 (Allen & Nielsen, 2002, in: Sheridan, 2006). Eine in Großbritannien durchgeführte Untersuchung kurz nach den Ereignissen unterstützt diese Befunde: Der Autor zeigt für 82.6% der befragten muslimischen Briten eine Zunahme von impliziten rassistischen und religiös diskriminierenden Erfahrungen (Sheridan, 2006). Die Menschenrechtsorganisation International Helsinki Federation For Human Rights (IHF) (2005) stellte in ihrem Bericht zur Diskriminierung von Muslimen nach dem 11. September in 11 EU Mitgliedsstaaten fest, dass die häufigste Form der Diskriminierung abfällige verbale Äußerungen sind und der Zugang zum Arbeitsmarkt für Muslime nach dem 11. September deutlich eingeschränkt ist. Medien berichten außerdem zunehmend negativ und stereotyp über Muslime und stellen wiederholt einen Zusammenhang zwischen Islam und Terrorismus her (IHF, 2005).
Diese mediale Aufbereitung der Ereignisse erklärt möglicherweise, warum die Verantwortung für die Anschläge nicht nur Al-Qaida, sondern Muslimen weltweit zugeschrieben wird. Die Ergebnisse der Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa (Focus Online, 2007) aus dem Jahr 2007 erscheinen dann auch nicht überraschend: 79% der Deutschen geben hier an, sich durch Terroranschläge bedroht zu fühlen. Andere Untersuchungen im gleichen Jahr zeigen, dass Muslime aggressiver als Christen eingeschätzt werden und angenommen wird, dass sie deshalb den Terrorismus stärker unterstützen als Christen (Fischer, Greitmeyer, & Kastenmüller, 2007). Schumann (2008) untersuchte den Zusammenhang zwischen erlebter Bedrohung durch Terrorismus und Einstellungen gegenüber Fremdgruppen. Sie zeigt, dass eine stärkere erlebte Bedrohung durch Terrorismus bei Deutschen im Zusammenhang mit einer stärkeren Abwertung von Fremdgruppen - hier explizit Muslime und Juden - steht. Dieser Zusammenhang ist umso stärker, je weiter rechts sich die Teilnehmer im politischen Spektrum einordnen, je stärker sie Tradition, Konformität und Sicherheit als Werte positiv beurteilen und je stärker ihre eigenen religiösen Einstellungen sind.
Kann man sagen, dass muslimische MitbürgerInnen in Europa und den USA mehr abwertende Haltungen erfahren, weil Menschen durch sie mehr Bedrohung erleben und vielleicht denken, dass auch sie Opfer eines Anschlags werden könnten? Die Untersuchung von Schumann (2008) kann darauf keine genauen Antworten geben. Sie beschreibt lediglich einen Zusammenhang, aber keine Kausalität in der Beziehung. Es bleibt also unklar, ob sich nicht vielleicht Personen, die Muslime stärker abwerten, stärker von ihnen bedroht fühlen.
Die Integrated Threat Theory als Erklärungsansatz: Eine Einführung
Der integrative Ansatz von Stephan, Diaz-Loving und Duran (2000) verspricht in Bezug auf diese Fragen Licht ins Dunkel zu bringen. Die Integrated Threat Theory geht davon aus, dass Menschen, die unterschiedlichen Gruppen angehören, in Interaktionssituationen oft Gefühle der Bedrohung oder Beunruhigung erleben. Diese Bedrohung wird in vier Facetten differenziert und deren Voraussetzungen benannt. Kernstück der Theorie von Stephan und KollegInnen (2000) ist der Zusammenhang zwischen der erlebten Bedrohung und negativen Einstellungen sowie entsprechenden Verhaltenstendenzen wie Diskriminierungen gegenüber Mitgliedern von Fremdgruppen.
Eine wichtige Grundlage der Intergated Threat Theory stellt die Annahme dar, dass Personen in der betrachteten Situation als Mitglieder einer Gruppe und nicht als einzelne Individuen handeln und denken. In unserem Fall könnte das Max sein, der seinem Nachbarn Ali nicht als individuelle Person mit all seinen persönlichen Eigenheiten gegenüber tritt, sondern als Christ (bzw. Mitglied eben dieser Gruppen, der Eigengruppe) seinem Nachbarn als Muslim (Mitglied der anderen, der Fremdgruppen) begegnet.
Die Integrated Threat Theory wird durch zahlreiche empirische Arbeiten unterstützt und kann negative Einstellungen gegenüber nationalen und ethnischen Gruppen, zwischen Geschlechtern und gegenüber Krebs- und Aidspatienten in Ländern wie Mexiko, den USA, Spanien und Israel vorhersagen (Curseu, Stoop, & Schalk, 2007; Riek, Mania, & Gaertner, 2006; Stephan und KollegInnen, 2000; Stephan & Renfro, 2002; Stephan, Yberra, Martinez Martinez, Schwarzwald, & Tur-Kaspa, 1998). Außerdem können Einstellungen von Minderheiten und Mehrheiten vorhergesagt werden (Stephan & Renfro, 2002).
Die Integrated Threat Theory als Erklärungsansatz: Eine Anwendung auf die beobachtete Abwertung muslimischer Mitbürger in Deutschland
Im Folgenden soll das Modell von Stephan und KollegInnen (2000) vorgestellt und auf den Fall der zunehmenden Diskriminierung muslimischer MitbürgerInnen nach dem 11. September angewandt werden. Damit können die Ergebnisse der vorgestellten empirischen Arbeiten besser eingeordnet werden und der mögliche Zusammenhang zwischen erlebter Bedrohung durch Terrorismus und der Abwertung von Muslime differenziert betrachtet werden. Die Integrated Threat Theory ermöglicht durch den dreigeteilten Aufbau in Vorbedingungen, erlebte Bedrohung und Konsequenzen eine komplexe Betrachtung der Situation und nicht nur einfache „wenn-dann“ Zusammenhänge, die bisher in den Medien zu diesem Thema propagiert wurden.
Vier Facetten der Bedrohung bedingen negative Einstellungen gegenüber muslimischen Mitbürgern
Stephan und KollegInnen (2000) unterscheiden vier Facetten von Bedrohung, die Menschen wahrnehmen können, die aber nicht unbedingt objektiv vorhanden sein müssen: Zum einen ist dies die realistische Bedrohung. Diese Facette beinhaltet jegliche wahrgenommene Existenzbedrohung der Eigengruppe im Bezug auf das physische, materielle und ökonomische Wohlbefinden. Die realistische Bedrohung entwickelt sich häufig, aber nicht ausschließlich, aus einem wahrgenommenen Wettbewerb um knappe Güter wie Arbeitsplätze und Macht oder durch unterschiedliche Zielvorstellungen (Stephan und KollegInnen, 1998). Im Bezug auf in Deutschland lebende Muslime könnte die realistische Bedrohung durch die Möglichkeit zukünftiger Anschläge - also bezüglich des physischen Wohlbefindens - oder wegen eines erlebten Wettbewerbes um Arbeitsplätze - bezüglich des ökonomischen Wohlbefindens - wahrgenommen werden.
Symbolische Bedrohung ist die zweite Facette, die die Autoren definieren. Sie entsteht durch wahrgenommene Konflikte zwischen den Werten, Normen, Überzeugungen und Weltbildern unterschiedlicher Gruppen. Hier deuten Debatten über einen „Kampf der Kulturen“ zwischen der islamischen und westlichen bzw. christlichen Welt auf ein durchaus auch gegenseitiges Bedrohungserleben hin. In Europa wird über den Bau von Moscheen und Kopftücher von Lehrerinnen bzw. die wahrgenommenen Bevormundung der Frau diskutiert; in muslimischen Ländern befürchtet man eine „Verwestlichung“ der Gesellschaft, was fast schon mit einem Verfall der Werte gleichgesetzt wird. In beiden Fällen wird kritisiert, was die jeweils andere Gruppe von den eigenen Normen und Werten unterscheidet. Vielleicht eben auch, weil man befürchtet, dass diese Grundlagen des Miteinanders einer Gemeinschaft durch die Präsenz oder Einflüsse der anderen bedroht sind. Religiöser Fundamentalismus wird in dieser Beziehung mit Eroberung und dem Hass von allem was „westlich“ ist in Beziehung gebracht (Hippler & Lueg, 1995).
Stephan und KollegInnen (2000) postulieren Intergruppenängstlichkeit als dritte Facette der wahrgenommenen Bedrohung. Intergruppenängstlichkeit entspricht einem Gefühl des Unbehagens und fehlender Leichtigkeit, wenn Mitglieder der Fremdgruppen anwesend sind. Hierbei handelt es sich um ein Bedrohungsgefühl in Interaktionssituationen zwischen Gruppen, bei denen vier verschiedene Konsequenzen erwartet werden: a) negative Konsequenzen für das Selbstkonzept, wie Zurückweisung oder Verlegenheitsgefühle (Stephan und KollegInnen, 2002), b) negative Verhaltenskonsequenzen (ausgenutzt zu werden oder physisch verletzt zu werden) und c) negative Bewertungen durch Mitglieder der anderen oder d) der eigenen Gruppe (Stephan & Renfro, 2002). Deutsche könnten sich unsicher oder Unbehagen fühlen, wenn sie mit Muslimen interagieren und befürchten, dass sie gewisse religiöse Regeln beispielsweise im Umgang mit Frauen verletzen könnten und daraufhin von Muslimen negativ bewertet werden.
Negative Stereotype als vierte Facette erlebter Bedrohung entsprechen negativen, konfliktbehafteten und unangenehmen Erwartungen, die der Fremdgruppen und besonders dem Umgang mit ihr gegenüber bestehen. Diese Erwartungen gehen mit negativen Emotionen, wie Wut und Ärger, einher, welche die negativen Einstellungen gegenüber der Fremdgruppen noch verstärken (Riek und KollegInnen, 2006). Die negativen Stereotype von Westeuropäern gegenüber Muslimen fasst Tophoven (1991, in: Hippler & Lueg, 1995) wie folgt zusammen: „Terror und Moschee sind eng miteinander verbunden.“ (S. 132). Johnsons (1992) Untersuchungen bestätigten, dass Muslime als nicht vertrauenswürdig, unzivilisiert und als Terroristen oder Unterstützer des Terrorismus betrachtet wurden. Sie werden weiterhin als intolerant und gewalttätig eingeschätzt (Brettfeld & Wetzels, 2007). Das Bild des Islam ist nach Hippler und Lueg (1995) häufig von Aggression, Fanatismus, Irrationalität, mittelalterlicher Rückschrittlichkeit und Antipathie gegenüber Frauen gekennzeichnet. Demokratische Attribute werden islamischen Ländern und seinen Einwohnern nur selten zugeschrieben, dagegen gelten sie als „Ort der Instabilität“ (Kliche, Adam, & Jennik, 1997, S. 12) und Zuhause einer „chaotischen Einheit“ (Adam, & Jennik, 1997, S. 12). Diese negativen Stereotype prägen die Erwartungen von Deutschen gegenüber Muslimen und bezüglich eines Zusammentreffens mit Muslimen.
Fünf Faktoren beeinflussen die Ausprägung der vier Facetten erlebter Bedrohung
Die vier Typen wahrgenommener Bedrohung können für jede Person in unterschiedlichem Maße stark ausgeprägt sein. Der Grad der Ausprägung wird von fünf Faktoren bestimmt, die Aussagen über die Beziehung zweier Gruppen machen (Stephan und KollegInnen, 2000). Sie beeinflussen die wahrgenommene Bedrohung als Vorbedingungen. Dabei handelt es sich um das Ausmaß des Konfliktes zwischen den Gruppen, Statusunterschiede, die Ausprägung der Identifikation mit der Eigengruppe, das Wissen über die Fremdgruppen und die Quantität und Qualität des Kontaktes zur Fremdgruppen.
Bei verstärkten Konflikten zwischen zwei Gruppen wird eine erhöhte Wahrnehmung aller vier Bedrohungstypen erwartet (Stephan, Stephan, & Gudykunst, 1999). Die Anschläge 2001 oder die folgenden Geschehnisse rund um den Erdball, bei denen Vertreter von Al-Qaida sich für Angriffe auf westliche Länder oder Touristen verantwortlich zeigten, könnten so eine stärkere wahrgenommene Bedrohung auf allen vier Ebenen erwirken.
Der relative Status einer Gruppe gegenüber einer anderen ist ebenfalls bedeutsam für die Wahrnehmung der Bedrohung. Bei einem Statusungleichgewicht zwischen den Gruppen ist die Bedrohungswahrnehmung sowohl für die statushöhere als auch für die statusniedrigere Gruppe deutlicher (Stephan und KollegInnen, 1999). Auch dies trifft auf die Beziehung zwischen Deutschen und Muslime in Deutschland zu. Muslime bilden in Deutschland, beispielsweise bezüglich des Bildungslevels, eine statusniedrigere Gruppe. Kinder und Jugendliche aus muslimischen Zuwandererfamilien haben in Deutschland immer noch deutlich geringere Bildungschancen. Der nationale Bildungsbericht 2006 hat dazu gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mit muslimischem Migrationshintergrund an Haupt- und Sonderschulen überrepräsentiert sind und seltener Schulen besuchen, die einen weiterführenden Abschluss ermöglichen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2006).
Je stärker die Identifikation mit der Eigengruppe - hier den Deutschen - ist, umso stärker wird Bedrohung auf allen vier Facetten wahrgenommen. Dies haben auch die Ergebnisse von Schumann (2008) gezeigt. Politisch eher rechts einzuordnende Personen sind politischen Einflüssen ausgesetzt, die eine starke Identifikation mit Deutschland propagieren. Diese Teilnehmer nahmen auch Bedrohung durch Terrorismus sehr viel stärker war.
Wer wenig über die andere Gruppe und ihre Gewohnheiten und Werte weiß, fühlt sich ebenfalls stärker bedroht. Das Unbekannte erscheint gefährlich und es wird erwartet, von den anderen nicht gemocht zu werden. Shadid und van Koningsveld (2002) postulieren, dass Personen, die mehr Wissen über Muslime, den Islam und islamische Länder haben, über weniger negative Einstellungen verfügen werden. Dieses Wissen kann in der Schule erworben oder durch Medien und natürlich Muslime selbst vermittelt werden. Damit wird eine weitere Vorbedingung der erlebten Bedrohung angesprochen: der Kontakt mit Vertretern der Fremdgruppen.
Der Kontakt zur Fremdgruppen kann positiver oder negativer Natur sein. Je mehr positiven im Vergleich zu negativem Kontakt man im Vorfeld mit der entsprechenden Fremdgruppen hat, desto geringer ist die erlebte Bedrohung auf allen vier Ebenen (Vgl. Stephan und KollegInnen, 1999). Aktuell überwiegen mit Diskussionen über Atomprogramme, Selbstmordanschläge auf deutsche Soldaten und Kofferbomben auf deutschen Bahnhöfen im Kontakt zwischen Deutschen und Muslimen die Anzahl negativer „Kontakte“ und können so zu einer stärker erlebten Bedrohung führen.
Die Integrated Threat Theory als Erklärungsansatz: Eine Zusammenfassung
Der entscheidende Teil der Integrated Threat Theory, der hilft, die Zusammenhänge zwischen den Terroranschlägen in den vergangenen Jahren und dem Anstieg der Abwertung und Diskriminierung muslimischer Mitbürger zu verstehen, blieb bisher noch unerwähnt: als Konsequenz der wahrgenommenen Bedrohung entstehen negative Einstellungen gegenüber der Fremdgruppen und Verhaltenskonsequenzen, wie Diskriminierung.
Das Modell von Stephan und KollegInnen (2000) zeigt, dass die Beziehungen zwischen einzelnen weltpolitischen Ereignissen und den Einstellungen bzw. eventuellen Verhaltenskonsequenzen einzelner Personen gegenüber anderen komplex und vielschichtig sind. Auf den konkreten Fall der zunehmenden Diskriminierung von Muslime nach dem 11. September angewandt, stellt die Integrated Threat Theory einen Ansatz dar, um Ursachen und Hintergründe dieser deskriptiven Befunde besser zu verstehen. Es ist eben nicht nur eine wahrgenommene physische Bedrohung, die durch muslimische MitbürgerInnen im Umfeld erlebt werden kann und die dazu führen kann, dass diese Abwertung, negativen Einstellungen und Diskriminierung erleben. Auch eine wahrgenommene Bedrohung der eigenen kulturellen Werte und damit einer Grundlage des Miteinanders wirkt sich in diesem Zusammenhang kritisch aus. Nicht zuletzt tragen tradierte Stereotype dazu bei, dass bereits im Vorfeld von Interaktionen mit Muslimen eine negative Erwartung aufgebaut wird. Folgende Erfahrungen werden durch eine Art Filter erlebt. Der Erfolg von Interaktionen im Sinne eines offenen Aufeinanderzugehens ist dann fraglich.
Nahezu zehn Jahre sind seit dem 11. September vergangen. Die Folgen dieser Ereignisse sind fern ab der Bühne der Politik und Medien auch im alltäglichen Umgang der Menschen zu spüren. Das dargestellte Beispiel zeigt, wie Modelle der Sozialpsychologie - und hier ganz explizit die Integrated Threat Theory - dazu beitragen können, die grundlegenden Mechanismen dieser komplexen sozialen Phänomene tiefgründiger zu verstehen.
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