Rechts oder links? Wie Gene unsere politische Orientierung beeinflussen
Konservativ oder progressiv? Hierarchie oder Gleichheit? In unserem politischen Denken und Handeln werden wir durch Medien, Bildung und vor allem durch wichtige Bezugspersonen wie Familie und Freunde beeinflusst. Doch kann es sein, dass es schon genetisch zu einem gewissen Grad angelegt ist, welche politischen Ansichten wir vertreten und für welche Partei mit welcher Ideologie und mit welchem Wahlprogramm wir uns entscheiden?
Soziale Ungleichheit und Konservatismus sind gesellschaftliche Phänomene, die in ihrem Grad zwischen Kulturen variieren. Jedoch sind Ungleichheit und Konservatismus nicht nur von sozialen und kulturellen Einflüssen (z.B. der allgemeinen ideologischen Meinung) geprägt, sondern auch von individuellen [Einstellungen] und [Werten]. Einstellungen wiederum werden beeinflusst von Medien, Schulen, Gemeinden, sozialen Netzwerken und wichtigen Bezugspersonen, die bestimmte Meinungen zu spezifischen Sachverhalten vertreten. Doch scheinen unsere Gene ebenfalls einen nicht zu vernachlässigbaren Beitrag zu leisten (Eaves & Eysenck, 1974).
Es liegt auf der Hand, dass Gene politische Einstellungen und Verhalten nicht direkt beeinflussen. Etwa zwei Drittel unsere Gene entfalten ihre Wirkung im Gehirn und Nervensystem, das die biologische Basis unserer Psyche ist. Das Nervensystem kann wiederum durch Umwelteinflüsse geformt und verändert werden. Insofern entwickeln sich politische Einstellungen aus einem komplexen Wechselspiel zwischen genetischen Faktoren und Erfahrungen, welche wir in Auseinandersetzung mit unserer sozialen und kulturellen Umwelt im Laufe unseres Lebens machen. In diesem Artikel möchten wir einen kleinen Überblick über die biologischen und psychologischen Bindeglieder zwischen genetischen Faktoren und politischen Orientierungen geben.
Politische Orientierung
Es sind mindestens zwei Kernorientierungen erforderlich, um verschiedene politische Ansichten zumindest grob zu charakterisieren. Bild: geralt via pixabay (https://pixabay.com/de/illustrations/wegweiser-holz-schild-wegzeiger-973993/, CC: https://pixabay.com/de/service/license/)
Seit der französischen Revolution 1789 wird die politische Landschaft häufig als ein einzelnes Kontinuum zwischen links und rechts beschrieben. Doch eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass mindestens zwei Kernorientierungen erforderlich sind, um verschiedene politische Ansichten zumindest grob zu charakterisieren (Jost, Federico, & Napier, 2009). Diese beiden politischen Orientierungen können als (1) Veränderungsresistenz oder Autoritärer Konservatismus und als (2) Ungleichheitsakzeptanz oder Soziale Dominanzorientierung beschrieben werden. Die erste Orientierung vereint Einstellungen für oder gegen soziale und kulturelle Veränderungen und strengere Handhabe zum Schutze der Gesellschaft und allgemeiner Wertvorstellungen (z.B. die Befürwortung strengerer Strafen). Die zweite Orientierung umspannt Einstellungen für oder gegen soziale und ökonomische Gleichheit (z.B. Ansichten gegenüber Minderheiten) sowie die Bevorzugung der eigenen Gruppe oder Nation. Die beiden Kernorientierungen können spezifischere Einstellungen (z.B. gegenüber Homosexualität, Ausländern, Todesstrafe oder Umweltschutz) mehr oder weniger stark leiten.
Autoritärer Konservatismus und Soziale Dominanzorientierung als politische Kernorientierungen erlauben wiederum eine Einordnung in das klassische Links-Rechts-Spektrum. In den meisten sogenannten westlichen oder [individualistischen] Ländern befürworten konservative Personen eher soziale Hierarchien, was im klassischen Sinne als „rechts orientiert“ bezeichnet wird. Linksorientierte Personen präferieren hingegen gesellschaftliche Veränderungen und sozio-ökonomische Gleichheit. In östlichen oder eher [kollektivistischen] Ländern hängen Konservatismus und Ungleichheitsakzeptanz weniger stark oder eher in gegensätzlicher Weise miteinander zusammen. Verschiedene Studien haben darauf verwiesen, dass die Beziehung zwischen den politischen Kerndimensionen über verschiedene Kulturen als eine Funktion der historisch vorherrschenden Gesellschaftsordnung variiert (Aspelund, Lindeman, & Verkasalo, 2013). Konservative aus früheren kommunistischen oder sozialistischen Ländern bevorzugen egalitäre Ideen, während Konservative in Staaten mit einer eher kapitalistischen Geschichte ökonomischen Wettkampf und somit Ungleichheit befürworten.
Diese Variation bezüglich des Zusammenhangs zwischen Veränderungsresistenz und Ungleichheitsakzeptanz liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie Kultur und die öffentliche Meinung politische Orientierungen beeinflussen. Wenngleich diese kulturellen Unterschiede bestehen, finden sich Befürworter und Gegner des Status Quo, sowie Verfechter von Gleichheit oder sozialer Hierarchie in nahezu jeder Gesellschaft und in jedem Kulturkreis. Letzteres hebt die politischen Kernorientierungen als grundlegende menschliche Merkmale hervor und Die politischen Kernorientierungen finden sich in nahezu jeder Gesellschaft und in jedem Kulturkreis was eine biologische Verankerung wahrscheinlich macht. Bild: qimono via pixabay (https://pixabay.com/de/illustrations/dna-string-biologie-3d-1811955/, CC: https://pixabay.com/de/service/license/)macht eine biologische Verankerung wahrscheinlich.
Die biologische Basis politischer Orientierung
Verschiedene [ verhaltensgenetische Studien] haben konsistent gezeigt, dass Unterschiede zwischen Personen in spezifischen politischen Meinungen (z.B. Einstellung gegenüber Atomenergie) und sogar im Verhalten (z.B. Wählen zu gehen oder nicht) genetisch beeinflusst sind. Genetische Faktoren erklären etwa 20% bis 70% solcher zwischenmenschlicher Unterschiede (Alford, Funk, & Hibbing, 2005; Fowler & Schreiber, 2008). Inzwischen haben verschiedene [ molekulargenetische Studien] Zusammenhänge zwischen chromosomalen Regionen und politischen Orientierungen aufgedeckt (Hatemi et al., 2011). Solche Studien lassen vermuten, dass eine große Zahl verschiedener Gene politische Orientierungen beeinflussen und dass die bei der Meinungsbildung beteiligten genetischen Prozesse hoch komplex sind.
Da Gene unsere Meinungsbildung natürlich nicht direkt beeinflussen, richten Studien nunmehr ihre Bemühungen auf die Entschlüsselung der Einflusspfade zwischen genetischen Faktoren und Einstellungen. Wenngleich die Forschung in diesem Bereich noch in den Kinderschuhen steckt, konnten erste biologische und psychologische Pfade aufgedeckt werden. Im Folgenden werden vier mögliche Bindeglieder diskutiert: (1) die Größe und (2) die Aktivität bestimmter Hirnareale (d.h. Teile des Gehirns), (3) Persönlichkeitseigenschaften und (4) Intelligenz.
Konservative Einstellungen variieren mit der Größe und Aktivität bestimmter Hirnareale (siehe Jost & Amodio, 2012, für einen Überblick). Konservative Personen haben einen kleineren Anterioren Cingulären Cortex (ACC) und rechtsseitig ein größeres Amygdala-Volumen. Im Einklang mit diesen Größenunterschieden in bestimmten Hirnarealen stehen die Befunde zur Aktivität der Hirnzellen und Nervenbahnen in den jeweiligen Arealen. Rechtsorientierte Personen zeigen eine schnellere Reaktion (gemessen mit dem Augenzwinker-Reflex) in Folge von Bedrohungen. Bedrohungssensitivität geht wiederum mit einer stärkeren Aktivität in der Amygdala einher. Darüber hinaus weisen linksorientierte Personen mehr Aktivität im ACC auf, was mit einer größeren Aufgeschlossenheit gegenüber neuen und unerwarteten Erfahrungen einhergeht. Eine größere Befürwortung egalitärer Werte und weniger autoritär konservatives Verhalten scheinen also mit weniger Bedrohungssensitivität und mehr Flexibilität im Denken und Handeln einherzugehen.
Die Tendenz neuen Erfahrungen gegenüber offen zu sein (d.h. geringere Bedrohungssensitivität) und die gewonnenen Informationen akkurat zu integrieren und gegebenenfalls vorherrschende Überzeugungen anzupassen oder zu verändern (d.h. kognitive Flexibilität) ist auch bekannt als [ Offenheit für Erfahrungen], eine Persönlichkeitseigenschaft, welche das Bedürfnis nach Vielfalt, Neuartigkeit, Veränderungen und Kultiviertheit reflektiert. Die Vermutung liegt daher nahe, dass Basiseigenschaften der eigenen [ Persönlichkeit] unsere Einstellungen beeinflussen und als weiteres Bindeglied zwischen Genen und politischen Einstellungen vermitteln.