2021 – ein historisches Jahr für die deutsche Forschung
Weibliche Forschung, also Forschung, die von Frauen durchgeführt wird, ist als Massenphänomen in Deutschland immer noch recht jung. Erst um 1900 wurden erstmals Frauen zum Studium zugelassen, und es dauerte weitere 68 Jahre, bis etwa ein Drittel aller deutschen Studierenden weiblich waren. Das Jahr 2021 könnte das erste Jahr werden, in dem der Frauenanteil an deutschen Universitäten 50% oder mehr beträgt - ein historisches Ereignis. Aber wo stehen wir eigentlich hinsichtlich weiblicher Forschung in Deutschland?
Vorreiter war das Großherzogtum Baden, wo die Universitäten Freiburg und Heidelberg um 1900 erstmals Frauen zum Studium zuließen. Langsam und schleppend ging es voran: Um 1911 waren etwa 5% der aktuell Studierenden im damaligen Deutschen Reich Frauen, 1968 waren etwa ein Drittel aller Studierenden der Bundesrepublik weiblich, und um das Jahr 2000 betrug der Anteil etwa 45%. Die 50%-Marke wurde trotz steigender Zahlen bis heute nicht erreicht: Im Wintersemester 2020 betrug der Frauenanteil deutscher Studierender 49,9% (Rudnicka, 2020; Statista Research Department, 2015). Folgt man dem Trend der vergangenen Jahre, kann für das Wintersemester 2021 allerdings davon ausgegangen werden, dass erstmals mindestens die Hälfte der deutschen Studierenden weiblich sein werden – eine Entwicklung von historischer Bedeutung, die mehr als 120 Jahre gedauert hat. Aber was bedeutet das eigentlich?
Forschung endet bekanntermaßen nicht mit dem Studium, sondern sie beginnt während der Promotion und entfaltet sich oftmals in der Berufsausübung der Professur. Schauen wir uns die Promovierendenzahlen in Deutschland an, spiegeln diese im Jahr 2019 in etwa die weiblichen Studierendenzahlen wider (ca. 46%, Statistisches Bundesamt, 2019). In der sogenannten Qualifikationsphase scheinen Frauen daher aufgeholt zu haben, sowohl in der Phase des Studiums als auch in der wichtigen Phase der Promotion, in der Studierende sich ein eigenständiges Forschungsprofil erarbeiten. Die weiteren Zahlen allerdings machen nachdenklich: In den im Studium traditionell eher weiblich besetzten Geistes- und Sozialwissenschaften sind laut Katja Becker, Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), nur 32% der deutschen Professurenstellen weiblich besetzt, in den Lebenswissenschaften sind es 25% und in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sind es gar nur 17% (Zahlen 2018/2019, Forschung & Lehre, 2021, S.182). Neue Veröffentlichungen eröffnen zudem, dass es dramatische Gehaltsunterschiede gibt: W3-Professorinnen in NRW zum Beispiel verdienen durchschnittlich 601 Euro pro Monat weniger als ihre männlichen Kollegen (Kortendiek et al., 2019). Vergleichen wir diese Zahlen mit den Studierendenzahlen, befinden wir uns hinsichtlich der Berufsausübung weiblicher Forschung also noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Wie schaffen wir es also in das 21. Jahrhundert?
Das Wissenschaftsmagazin “Forschung und Lehre”, herausgegeben vom Deutschen Hochschulverband (DHV), hat im März 2021 dem Thema “Frauenförderung” eine Ausgabe gewidmet, in der neben sozialpolitischen Aspekten auch strukturelle Maßnahmen und Ursachen diskutiert werden (Forschung & Lehre, 2021). Die Einführung der W-Besoldung, nach der sich Professuren in W1-, W2- und W3-Professuren aufteilen lassen, wird als ursächlich für die unterschiedlichen Gehälter von männlichen und weiblichen Titelführenden in Deutschland angesehen (Forschung & Lehre, 2021, S.186-187). Denn seit der Einführung der W-Besoldung ist das Gehalt von Personen, die eine Professur innehaben, in Deutschland Verhandlungssache geworden, während es in der vorigen C-Besoldung fixiert war. Hier kann Transparenz Abhilfe schaffen: Für das Magazin wurden Studien gesammelt, welche die Gehälter von ProfessorInnen in Deutschland offenlegen (Burkhard et al., 2019; Detmer, 2021; Kortendiek et al., 2019). Zudem werden Möglichkeiten für die zukünftige Bestenauslese genannt, die sicherstellen sollen, dass das vorhandene Forschungspotential in Deutschland voll genutzt wird. Frau Becker betont, dass es nur durch die Beseitigung struktureller Nachteile für weibliche Forschende möglich sei, „das vorhandene Potential an Talenten und Innovationen voll auszuschöpfen” (Forschung & Lehre, 2021, S.181). Zudem werden strukturelle Maßnahmen wie Mentoringprogramme oder Coachings genannt, die bei der Vernetzung und Optimierung der Forschungsbedingungen unterstützen sollen.
Diese und andere Maßnahmen könnten sich langfristig nicht nur positiv auf die Beteiligung von Frauen in der professionellen Forschung auswirken, sondern auch das Forschungsklima in Deutschland insgesamt verbessern. Um es mit den Worten des DHV-Präsidenten Bernhard Kempen zu sagen: “In jeder Krise steckt auch eine Chance” (Forschung & Lehre, 2021, S. 169) - wir sollten sie nutzen.
Quellen:
Rudnicka, J. (2020). Frauenanteil unter den Studierenden an Hochschulen in Deutschland bis 2020/2021. Zitiert nach de.statista.com. Abgerufen am 10.04.2021, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1083401/umfrage/frauenanteil-unter-den-studierenden-an-hochschulen-in-deutschland/
Statista Research Department (2015). Weibliche Studierende in Deutschland von 1911 bis 2000. Zitiert nach de.statista.com. Abgerufen am 10.04.2021, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1148156/umfrage/weibliche-studierende-in-deutschland/
Statistisches Bundesamt (2019). Bildung und Kultur: Statistik der Promovierenden. Zitiert nach de.destatis.com. Abgerufen am 10.04.2021, von https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Publikationen/Downloads-Hochschulen/promovierendenstatistik-5213501197004.pdf?__blob=publicationFile
Forschung & Lehre (2021). Frauenförderung, Deutscher Hochschulverband (DHV), Ausgabe 3
Burkhard, A., Harrlandt, F., & Schäfer, J. H. (2019). Wie auf einem Basar. Berufungsverhandlungen und Gender-Pay-Gap bei den Leistungsbezügen an Hochschulen in Niedersachsen. HoF Arbeitsbericht 110, Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin Luther Universität Halle Wittenberg (https://t1p.de/e6uz)
Kortendiek, B., Mense, L., Beaufays, S., Bünnig, J., Hendrix, U., Herrmann, J., Mauer, H., & Niegel, J. (2019). Gender-Report 2019. Geschlechter(un)gerechtigkeit an nordrhein-westfälischen Hochschulen. Hochschulentiklungen, Gleichstellungspraktiken, Gender-Pay-Gap. Studien Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, Nr. 31. Essen (https://t1p.de/u05o)
Detmer, H. (2021). Eine Analyse der realen Besoldung nach Besoldungsstufe, Bundesland und Geschlecht, Forschung & Lehre, Groß und Klein, Deutscher Hochschulverband (DHV), Ausgabe 1
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