Die Media Equation – oder Wieso wir den Ticketautomaten anfluchen und unser Auto verhätscheln
Das Auto bekommt Liebkosungen und vielleicht sogar einen Namen, der Ticketautomat wird bedroht, das Handy wird freundlich – oder auch weniger freundlich – gebeten, sich doch bitte Mal schneller mit dem Internet zu verbinden. Und wer hat nicht schon einmal seinen Computer angeflucht, weil er ausgerechnet dann lange zum Laden braucht, wenn man dieses eine wichtige Dokument unbedingt jetzt braucht? Dies, obwohl man sich natürlich bewusst ist, dass hier alles Fluchen und Betteln dem Computer so lang wie breit ist – er hat ja keine Gefühle. Und trotzdem fluchen wir den Computer an, als sei er ein Mensch, der sich absichtlich Zeit nimmt, um uns ins Schwitzen zu bringen. Wieso?
Wir können gar nicht anders, meinten die Stanford Professoren Byron Reeves und Clifford Nass (1996) und nannten dies die „Media Equation“. Der Computer, der Ticketautomat oder das Auto sind zwar leblose Gegenstände, aber ganz ohne soziale Handlungen – oder was wir als soziale Handlungen wahrnehmen – sind sie nicht. Diesen Gegenständen ist nämlich gemeinsam, dass sie mit der/m Benutzer/in interagieren und – nicht unähnlich einem Menschen – auf einige unserer Handlungen reagieren können. Eine solche Reaktion von einem Gegenstand sind wir aus einer evolutionären Perspektive schlicht nicht gewöhnt – bis heute gab es entweder Lebewesen, die auf unsere Handlungen reagierten, oder Gegenstände, die dies nicht getan haben. Unser altes Gehirn ist nun im modernen Zeitalter mit diesem technischen Gegenstand konfrontiert, welcher sich auf gewisse Weise wie ein Lebewesen verhält. Und somit tun wir, was wir uns gewöhnt sind zu tun, wenn wir mit einer Handlung eines Gegenübers konfrontiert werden: Wir behandeln ihn eben als einen Gegenüber. Oder in den Worten von Reeves und Nass: Wir setzen diese Medien echtem Leben gleich, media equal life – die Media Equation.
Dies kann faszinierende Ausmaße annehmen. So ließen Nass, Steuer und Tauber in einer Studie Personen einige Aufgaben an einem Computer lösen. Danach mussten die Personen eine Bewertung dazu abgeben, wie gut der Computer erlaubte, die Aufgaben zu lösen. Dies taten sie entweder an dem Computer, den sie vorher verwendet hatten, oder an einem anderen, zuvor nicht benutzten Computer. Personen, die die Bewertung am zuvor benutzten Computer abgeben mussten, gaben dem Computer konsistent bessere Bewertungen, als wenn sie ihn an einem anderen Computer beurteilen mussten. Dies erklärten sich Nass und sein Team damit, dass die Personen die Gefühle des Computers, den sie benutzt hatten, nicht verletzen wollten.
Ist es beunruhigend, dass wir einen Computer teilweise wie einen Mitmenschen behandeln? Vielleicht. Aber was es dabei über uns als Menschen aussagt, ist doch schlussendlich eher positiv: Wir sind primär soziale Wesen und können oft nicht anders, als unseren Gegenüber auch wie ein soziales Wesen zu behandeln. Manchmal ist der Gegenüber dann eben ein Computer.
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