„Mein Gott, wie peinlich, das hat jetzt jeder mitbekommen!“ – Falsch! Wir überschätzen häufig, wie viele Personen aufmerksam etwas an uns wahrnehmen

Folgendes Ereignis habe ich vor wenigen Jahren erlebt: Eine Gruppe junger Mädchen fuhr in Bielefeld am Jahnplatz mit der Rolltreppe von der U-Bahn nach oben. Beim letzten Schritt nach oben stolperte eines der Mädchen offenbar, konnte einen Sturz aber noch so gerade abwenden. Obwohl ich in die Richtung dieser jungen Damen blickte, stellte ich nichts Außergewöhnliches fest, bis diese Mädchen laut zu kichern begannen, wobei sie verschämt ihre Hände vor ihre Münder hielten und zwischen ihren Lachern Phrasen ausstießen wie „Alle haben das gesehen!“ oder auch „Voll peinlich, Alter!“ Als ich mich umblickte, konnte ich in den Gesichtern der anderen Passantinnen und Passanten hingegen maximale Teilnahmslosigkeit erkennen.

Tatsächlich haben die ForscherInnen Gilovich, Medvec und Savitsky in einem im Jahr 2000 veröffentlichten Artikel das Phänomen des sogenannten Spotlight Effektes beschrieben: Wir wähnen uns im Lichtkegel. In diesen Studien wurden studentische Versuchspersonen gebeten, ein T-Shirt mit dem Konterfei einer berühmten Person zu tragen. In manchen der Experimente handelte es sich um einen Sänger, der nicht sonderlich beliebt war, Barry Manilow. Das Tragen eines solchen T-Shirts wurde als sehr peinlich erlebt. Im Anschluss daran sollten die Teilnehmenden, die das T-Shirt trugen, in einen Raum mit anderen Studierenden gehen und es folgte eine kurze Interaktion. Danach wurden die Teilnehmenden und die BeobachterInnen wieder voneinander getrennt. Die Teilnehmenden sollten nun angeben, wie viele der BeobachterInnen wohl die Person auf dem Shirt bemerkt hatten und identifizieren konnten, während die BeobachterInnen gebeten wurden, den Namen der Person auf dem T-Shirt zu nennen. Die Teilnehmenden, die das Shirt trugen, überschätzten sehr stark, wie viele BeobachterInnen Barry Manilow hatten benennen können. Die mögliche Schlussfolgerung, dass wir ausschließlich überschätzen, wie sehr andere etwas Negatives an uns wahrnehmen, trifft nicht zu. In einer weiteren Untersuchung derselben Versuchsreihe überschätzten andere Studierende, wie viele BeobachterInnen eine Person auf ihrem T-Shirt hatten identifizieren können, auch wenn diese Person mit positiven Merkmalen konnotiert war (Bob Marley, Martin Luther King Jr. oder Jerry Seinfeld). Wenn man ein Fazit aus diesen Studien ziehen möchte, ließe sich zu mehr Gelassenheit aufrufen: Einerseits in Fällen, in denen einem ein Missgeschick unterläuft, zum anderen aber auch für Situationen, in denen die Partnerin oder der Partner nicht direkt die neue, bestimmt schöne Veränderung an der Frisur entdeckt.

 Quelle:

Gilovich, T., Medvec, V. H., & Savitsky, K. (2000). The spotlight effect in social judgment: An egocentric bias in estimates of the salience of one’s own actions and appearance. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 211–222.