Multiple Choice? Trauen Sie ihrem Instinkt!
Sie haben den Multiple-Choice-Test bearbeitet und haben ein schlechtes Gefühl. Keine Sorge - noch sitzen Sie nicht in der Tinte. Sie haben noch ein bisschen Zeit und können Ihre Antworten noch einmal revidieren. Wenn Sie jetzt eisern bleiben, auf Ihren Instinkt vertrauen, Ihre ersten Antworten beibehalten und den Test so abgeben, dann erst sitzen Sie in der Tinte.
Tatsächlich glauben die meisten Menschen, es sei besser, die ersten Antworten beizubehalten, als sie noch einmal zu ändern. Die Wahrheit ist aber genau umgekehrt: Über verschiedene Leistungsbereiche und Testformen hinweg zeigt sich durchgängig, dass Testergebnisse im Durchschnitt besser werden, wenn die Geprüften die Antworten ändern, bei denen sie sich unsicher sind (z.B. Kruger et al., 2005).
Wieso hält sich dann trotz überwältigender Evidenz für das Gegenteil der Glaube, es sei besser, dem ersten Instinkt zu folgen, die sogenannte „First Instinct Fallacy“? Einer der Gründe hierfür liegt in der menschlichen Neigung zum kontrafaktischen Denken begründet, also zur grüblerischen Auseinandersetzung mit besseren Versionen der Realität (z.B. Roese, 1997). Dieses Denken setzt typischerweise eher dann ein, wenn Menschen gehandelt haben, weniger bei Unterlassungen. Wenn wir eine falsche Antwort durch eine Handlung geben, also dadurch, dass wir von Richtig zu Falsch gewechselt sind, bereuen wir das erheblich stärker, als wenn die falsche Antwort dadurch zustande gekommen ist, dass wir einfach nichts gemacht haben (Kruger et al., 2005). Allein schon die Vorstellung, die eigene Antwort durch einen Wechsel zu verschlechtern, ist deutlich aversiver als die Vorstellung, von Anfang an falsch gelegen zu haben – nicht eben eine Ermutigung zur kritischen Durchsicht und Korrektur.
Zudem erinnern sich Menschen stärker an Situationen, in denen sie von Richtig zu Falsch gewechselt sind – obwohl ein Wechsel von Falsch zu Richtig statistisch doppelt so häufig vorkommt. Außerdem überschätzen Menschen im Rückblick die Häufigkeit, mit der sich ihr erster Eindruck als korrekt erwiesen hat (Kruger et al., 2005). Die “First Instinct Fallacy” beruht also auf tatsächlicher und vorweggenommener Reue und den sich daraus ergebenden Erinnerungsfehlern.
Nun könnte man sich natürlich fragen, unter welchen Bedingungen es vielleicht doch einmal besser ist, bei der ersten Intuition zu bleiben. Eine Bedingung ist Erfahrung mit dem Gegenstand. Zum Beispiel bringt es für routinierte Golfer mehr, wenn sie ohne viel Nachdenken beim Schlagen ihrer ersten Intuition folgen (Beilock et al., 2002). Bei AnfängerInnen wäre längeres Nachdenken und mehr Vorbereitung sinnvoller.
Eine andere Bedingung sind Metakognitionen: Couchman et al. (2016) erhoben bei Prüflingen die subjektive Gewissheit beim Beantworten. Wenn die Antworten mit dem Gefühl „Das habe ich jetzt gewusst“ einhergingen, war es auch bei späterer Unsicherheit weniger ratsam, die Antwort zu ändern, als wenn das Gefühl „Das habe ich jetzt geraten“ gelautet hat. Hilfreich war aber nur das unmittelbare Gefühl beim Antworten. Im späteren Rückblick war die Unterscheidung von Wissen und Raten nicht mehr zuverlässig. So gesehen hilft die Intuition eben doch bei Multiple Choice, wenn auch nicht in Form eines geheimnisvollen Instinkts, dank dem man mit seiner ersten Antwort immer richtig liegt.
Quellen:
Beilock, S. L., Carr, T. H., MacMahon, C., & Starkes, J. L. (2002). When paying attention becomes counterproductive: Impact of divided versus skill-focused attention on novice and experienced performance of sensorimotor skills. Journal of Experimental Psychology: Applied, 8(1), 6-16. doi: 10.1037/1076-898X.8.1.6
Couchman, J., Miller, N., Zmuda, S., Feather, K., & Schwartzmeyer, T. (2016). The instinct fallacy: the metacognition of answering and revising during college exams. Metacognition and Learning, 11, 171-185. doi: 10.1007/s11409-015-9140-8
Kruger, J., Wirtz, D., & Miller, D. T. (2005). Counterfactual thinking and the First Instinct Fallacy. Journal of Personality and Social Psychology, 88(5), 725-735. doi: 10.1037/0022-3514.88.5.725
Roese, N. J. (1997). Counterfactual thinking. Psychological Bulletin, 121(1), 133-148. doi: 10.1037/0033-2909.121.1.133
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