Männer können nicht zuhören, Frauen können nicht einparken? Psychologische Forschung zu Geschlechterunterschieden und -stereotypen
Geschlechterfragen werden oft kontrovers diskutiert. Aber welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zu diesem Thema? Unterscheiden sich Frauen und Männer? Werden sie aufgrund ihres Geschlechtes unterschiedlich behandelt? Welche Einflüsse gibt es darüber hinaus? Psychologische Forschung bietet in dieser Hinsicht reichlich Antworten, insbesondere da die Psychologie das Thema Geschlecht aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus untersucht (Eagly & Wood, 2013).
Die Bedeutung des Themas ist jedenfalls ungebrochen. Auf der einen Seite gibt es viele Bemühungen, die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zu verbessern. Börsennotierten Firmen müssen ihre Aufsichtsräte seit 2016 mit mindestens 30 % Frauen besetzen (Bundesregierung, 2017). Seit der Einführung des neuen Elternzeitgesetzes 2007 steigt die Zahl von Männern, die Elternzeit nehmen, kontinuierlich an (Statistisches Bundesamt, 2017). Und vor kurzem debattierte der Rat für deutsche Rechtschreibung darüber, ob geschlechtergerechte Sprache in den Duden aufgenommen werden sollte, kam allerdings zu keinem Ergebnis (Heine, 2018). Auf der anderen Seite gibt es weiterhin viele problematische Bereiche. 2017 eroberte das Hashtag #metoo, das auf sexuelle Belästigung hinweist, die sozialen Netzwerke. 2018 kamen Vorstände börsennotierter Unternehmen in die Schlagzeilen. Knapp die Hälfte der Unternehmen strebte nicht an, ihren Frauenanteil von 0 % in den Vorständen erhöhen zu wollen (AllBright Stiftung, 2018). Die beiden Ausgaben des Themenheftes sollen dazu beitragen, wissenschaftliche Antworten auf Fragen zum Thema Geschlecht zu geben.
Ausgabe 1 des Themenheftes beginnt mit zwei heiß diskutierten Themen: Darf man keine Komplimente mehr machen? Und sind Männer vom Mars und Frauen von der Venus – zumindest was Sex betrifft? Lea Hartwich und Julia Becker beschäftigen sich mit dem oft genannten Argument, sexistische Bemerkungen seien doch als Kompliment gemeint. Sie legen dar, warum auch subtile und positiv erscheinende Vorurteile dazu beitragen können, Statusunterschiede zwischen Männern und Frauen zu verfestigen und traditionelle Rollenverteilungen zu erhalten. Andreas Baranowski und Rudolf Stark diskutieren das ebenfalls häufig genannte Argument, Männer und Frauen seien insbesondere in ihrer Sexualität stark unterschiedlich. Sie erläutern, warum dies in mancher Hinsicht zutrifft – aber in vieler Hinsicht nicht.
Außerdem beschäftigt sich Ausgabe 1 ausführlich mit Diskriminierung, zum Beispiel in der Schule, am Arbeitsplatz, und in Führungspositionen. Wie kann Diskriminierung abgebaut werden? Carolin Schuster geht der Frage nach, ob eher Mädchen oder eher Jungen in der Schule benachteiligt werden. Sie stellt zudem dar, wieso Geschlechterstereotype für alle Geschlechter nachteilig sind und wie LehrerInnen den Einfluss von Stereotypen verringern können. Claudia Niedlich und Melanie Steffens erläutern, wie Menschen aufgrund ihres Geschlechtes und ihrer sexuellen Orientierung bei Jobinterviews und Einstellungsentscheidungen unterschiedlich behandelt werden. Sie nennen Lösungsstrategien zur Vermeidung dieses Einflusses. Mona Salwender und Christiane Schöl beschreiben das Dilemma, in dem Frauen in Führungspositionen stecken: Als Führungskraft wird von ihnen Kompetenz und Durchsetzungskraft erwartet. Gleichzeitig sollen sie als Frau vor allem nett und hilfsbereit sein. Sie geben außerdem Hilfestellungen für Firmen und Führungskräfte, diese Probleme zu vermindern. Schließlich diskutieren Angela Dorrough, Christa Nater und Monika Leszczyńska, ob Quoten eine Lösung für die Benachteiligung von Frauen in Unternehmen sein können. Dabei stellen sie positive und negative Auswirkungen von Quoten gegenüber.
In Ausgabe 2 stellt zunächst Hanns Martin Trautner verschiedene Ansätze vor, mit denen die Psychologie das Thema Gender erforscht. Wie er erläutert, zeigt sich in wissenschaftlichen Untersuchungen häufig, dass Geschlechtsunterschiede entweder sehr klein sind oder gar nicht existieren. Gleichzeitig werden Menschen häufig nach ihrem Geschlecht kategorisiert; diese Geschlechterkategorien sind oft mit spezifischen Rollenerwartungen und Verhaltensweisen verknüpft. In den folgenden Artikeln geht es in ganz unterschiedlichen Bereichen darum, wie sich Geschlechterkategorisierungen und Geschlechterstereotypen verfestigen. Dabei geht es zum einen darum, wie das unsere Wahrnehmung von anderen Menschen beeinflusst, zum anderen aber auch das eigene Verhalten. Silvana Weber und Julia Winkler erklären, wie unterschiedlich Männer und Frauen auch heute noch in Medien dargestellt werden. Das wirkt sich zum Beispiel auf Leistung und Zufriedenheit aus. Jan Ehlers, Elisabeth Oberzaucher und Anke Huckauf widmen sich dem Thema geschlechtergerechte Sprache. Geschlechtergerechte Sprache ist häufig ein heiß diskutiertes Thema. Welche Auswirkungen hat sie eigentlich darauf, ob weibliche Personen mitgemeint werden und wie wirkt sie sich auf Lesegeschwindigkeit und Textverständnis aus? Hanna Beißert und Eveline Gutzwiller-Helfenfinger beleuchten Mobbing bei Kindern und Jugendlichen. Mobben Mädchen und Jungen anders? Und reagieren sie anders, wenn sie zum Opfer von Mobbing werden? Jens Mazei, Julia Reif, Katharina Kugler und Joachim Hüffmeier stellen dar, wieso Frauen seltener verhandeln als Männer, und wieso Frauen in Verhandlungen geringere Forderungen stellen. Gleichzeitig werden diese Unterschiede von anderen Menschen erwartet: Frauen, die nicht zurückhaltend verhandeln, werden daher negativ bewertet. Im letzten Artikel dieser Sonderausgabe erläutern Tanja Hentschel und Lisa Horvath, wie die Selbstwahrnehmung als Frau oder Mann Karriereentscheidungen beeinflusst. Bei der Berufswahl vergleichen Menschen häufig ihre eigenen Eigenschaften mit den Eigenschaften, die sie in verschiedenen Berufen zu brauchen glauben. Dabei berücksichtigen sie aber nicht nur ihre individuellen Eigenschaften, sondern auch stereotypische Eigenschaften ihres Geschlechtes und des Berufes.
Die Artikel der Themenausgabe zeigen, dass in der Psychologie viele Themen erforscht werden, die für aktuelle Debatten zum Thema Geschlecht relevant sind. Zwei Erkenntnisse ziehen sich dabei durch verschiedene Forschungsfelder: Geschlechterunterschiede sind oft gar nicht so groß, wie man denkt; und dort wo sie auftreten, lassen sie sich häufig dadurch erklären, dass man sich selbst oder andere durch eine geschlechterstereotype Brille sieht.
Literaturverzeichnis
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