Der Ikea-Effekt
Selbstgemacht ist besser als Selbstgekauft. Die Forschung zeigt, dass wir dazu tendieren, für selbst hergestellte Produkte mehr zu bezahlen als für Produkte, die von anderen hergestellt wurden.
Am Sonntagabend habe ich Lust auf Kekse. Die Packung ist leer, die richtigen Zutaten habe ich nicht mehr zu Hause, aber im Vorratsschrank findet sich noch eine Backmischung im Glas. Also schlage ich Eier auf, gebe Butter und die schön geschichtete Mischung dazu, forme kleine Teigkugeln und schiebe sie in den Ofen. Keine fünfzehn Minuten später duftet es in der Wohnung nach frischen Keksen. Das Ergebnis knuspert sich gar nicht schlecht – trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass ich zufriedener mit den Keksen wäre, wenn ich sie wirklich selbst gebacken hätte.
Tatsächlich hat mein Gefühl sogar einen Namen: Ikea-Effekt. Dieser beschreibt das Phänomen, dass wir Dinge mehr wertschätzen, wenn wir sie selbst gemacht haben. Der Name des Effekts, eine kleine Hommage an den schwedischen Einrichtungskonzern, stammt aus der Feder des amerikanischen Forschers Michael Norton. In vier verschiedenen Experimenten baten Norton und seine Kollegen Menschen darum, Kisten zusammenzubauen, Origami zu falten und Figuren aus Legosteinen zu kreieren, und ermittelten anschließend unter anderem deren Bereitschaft, für die selbst hergestellten Dinge zu bezahlen (Norton, Mochon & Ariely, 2012).
In einem dieser Experimente durften die Teilnehmenden tatsächlich mit Ikea-Kisten hantieren. Dabei teilten die Forschenden ihre Versuchspersonen zufällig in zwei Gruppen ein: Die Teilnehmenden der ersten Gruppe baten sie darum, eine einfache schwarze Ikea-Kiste zusammen zu bauen. Den Teilnehmenden der zweiten Gruppe gaben sie lediglich die Möglichkeit, eine schon fertig zusammengebaute Kiste zu begutachten. Anschließend sollten alle Teilnehmenden einen Preis nennen, den sie für die jeweilige Kiste zahlen würden – unter der Voraussetzung, dass sie die Kiste tatsächlich zu diesem Preis kaufen müssten, wenn ihr Gebot gleich oder über einem zufälligen Preis läge, den die Forscher am Ende des Experiments zufällig ermittelten. Darüber hinaus fragten sie die Teilnehmenden, wie gut ihnen die Kiste gefalle. Das Ergebnis: Die Teilnehmenden, die die Kiste selbst zusammengebaut hatten, boten einen höheren Preis (etwa 78 Cent) im Vergleich zu den Teilnehmenden, die eine schon fertig zusammengebaute Kiste in den Händen hielten (etwa 48 Cent). Außerdem gaben sie an, die Kiste mehr zu mögen. Der Effekt verschwand allerdings, wenn die Teilnehmenden die Kiste nicht komplett zusammenbauen konnten, sondern vor den letzten beiden Schritten in der Anleitung aufhören sollten.
Auch mit ihren übrigen Experimenten konnten die Forscher zeigen: Menschen empfinden Produkte als wertvoller, die sie selbst gefertigt oder zusammengebaut haben, im Vergleich zu ähnlichen oder identischen Produkten, die von anderen hergestellt wurden. Sie sind sogar bereit, mehr für diese selbst hergestellten Produkte zu bezahlen. Zum gleichen Schluss kamen auch Forschende der Universität Magdeburg, die den Ikea-Effekt replizieren und die Ergebnisse von Norton und Kollegen bestätigen konnten (Sarstedt, Neubert & Barth, 2016).
Woher aber kommen die Vorliebe und die erhöhte Zahlungsbereitschaft für Selbstgemachtes? Eine mögliche Erklärung der Wissenschaftler ist, dass der Zusammenbau von Produkten ein zentrales psychologisches Bedürfnis erfüllt: das Bedürfnis nach Kompetenz. Etwas selbst zu bauen, erlaubt uns, uns kompetent zu fühlen. Dieses Gefühl der Kompetenz, das mit selbst hergestellten Produkten verbunden ist, führt – so Mochon, Norton und Ariely (2012) – zu einer höheren Wertschätzung dieser Produkte.
Zurück in die Küche. Denn auch hier gibt es Studien, die den Ikea-Effekt untersuchen. Theda Radtke, Professorin für Gesundheitspsychologie in Wuppertal, hat zusammen mit KollegInnen den Gemüseverzehr von über 900 Eltern-Kind-Paaren unter die Lupe genommen. Sie fand heraus: Die Beteiligung der Kinder beim Planen und Zubereiten von gesunden Mahlzeiten ist positiv mit dem Verzehr von Gemüse verbunden. Dürfen Kinder beim Gemüse-Kochen mitwirken, scheint das ihre Vorliebe für Gemüse und damit ihren Gemüsekonsum zu erhöhen (Radtke et al., 2019).
Selbst (mit) anzupacken, scheint also in vielen Bereichen einen positiven Effekt zu haben. Immerhin, denke ich mir, habe ich ein kleines bisschen Mühe beim Kekse-Backen investiert - und ein bisschen Selbstgemacht schmeckt immer noch besser als Selbstgekauft.
Quellen:
Mochon, D., Norton, M. I. & Ariely, D. (2012). Bolstering and restoring feelings of competence via the IKEA effect. International Journal of Research in Marketing, 29(4), 363-369.
Norton, M. I., Mochon, D. & Ariely, D. (2012). The IKEA effect: When labor leads to love. Journal of Consumer Psychology, 22(3), 453-460. https://doi.org/10.1016/j.jcps.2011.08.002
Radtke, T., Liszewska, N., Horodyska, K., Boberska, M., Schenkel, K. & Luszczynska, A. (2019). Cooking together: The IKEA effect on family vegetable intake. British Journal of Health Psychology, 24(4), 896-912.
Sarstedt, M., Neubert,D. & Barth, K. (2016). The IKEA Effect. A conceptual replication. Journal of Marketing Behavior, 2(4), 307-312.
Bildquelle:
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (218)
- Sportpsychologie (38)
- Umweltpsychologie (22)