Eine Wahl ohne Eigennutz!

Bürgerinnen und Bürger wählen nur den eigenen Vorteil? Nein, sie schauen auch auf den Vorteil der anderen. Und wenn Parteiprogramme dies berücksichtigen, kann das Wählerstimmen bringen…

vogel_blog3_by_jclk8888_viamorguefileBild von jclk8888 via pixabay (https://pixabay.com/de/kreuz-kruzifix-kelch-wein-wasser-699617/) cc (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)Der Mensch ist sich bekanntlich selbst am nächsten. Nicht verwunderlich also, dass Mensch bei der Wahl berücksichtigt, welche Partei den Nutzen der Seinesgleichen maximiert. So gibt es eine Partei für diejenigen, die wenig haben, aber mehr wollen. Und es gibt eine andere Partei für diejenigen, die viel haben, aber trotzdem mehr wollen. Klar, Mensch will mehr Geld. 2000 Euro sind besser als 1000! Aber es geht nicht nur um den schnöden Mammon. Mensch will maximale Rechte, maximale Freiheit, maximale Sicherheit – und das vor allem für die seinen! 

Aber stimmt denn das? Untersuchungen zu Gehaltsverhandlungen zeichnen ein anderes Bild (Brown, 1978). So wären Angestellte einer britischen Firma bereit, einen Pfund ihres Stundenlohns zu opfern, solange der Arbeitslohn einer anderen Arbeitsgruppe um zwei Pfund gekürzt würde. Ein ähnlicher Befund zeigte sich mit Schulkindern, die willkürlich einer von zwei Gruppen zugeteilt wurden (Tajfel, Billig, Bundy & Flament, 1971). Die Schüler wurden gebeten, Geld auf Mitglieder beider Gruppen zu verteilen, wobei sie aus verschiedenen Verteilungsoptionen wählen konnten. Der Großteil der Schüler wählte nicht die Option, die den größten Gewinn für die Mitglieder der eigenen Gruppe bedeutet hätte. Stattdessen wurde eine Option gewählt, die gewährleistet, dass die andere Gruppe weniger bekommt als die eigene. Für eine derartige Verteilung, waren die ProbandInnen bereit, auf mehr Geld für die eigene Gruppe zu verzichten. 1000 Euro sind also manchmal besser als 2000 Euro. So lange die anderen dann nur noch 500 bekommen. Wenn es um Umverteilung von Gütern und Rechten geht, denken wir also nicht nur an uns. Sondern wir passen auf, dass es den anderen nicht zu gut geht.

Für die Parteien stellt sich also die Frage, ob man im Wahlkampf wirklich den Nutzen in Aussicht stellen sollte. Stattdessen könnten Parteien doch mal anders werben: „Wir sorgen dafür, dass die anderen nicht zu viel bekommen!“. Zum Beispiel könnte eine Partei dafür eintreten, dass einer bestimmten Minorität kein Adoptionsrecht gewährt wird. Sicherlich würden sich Wählerinnen und Wähler finden, die niemandem eine zweite Staatsbürgerschaft gönnen, wenn sie doch selbst nur eine haben.

Moment – das hatten wir doch schon. Die „Doppelpass-Kampagne“ wurde bereits 1999 bei der hessischen Landtagswahl eingesetzt, und laut Medien hatte sie dem späteren Ministerpräsidenten Koch damals zur Macht verholfen. Das Spiel mit der Missgunst scheint also zu wirken. Nun, Neid und Missgunst gelten im Christentum zwar als Sünde. Aber im Wahlkampf heiligt der Zweck wohl die Mittel.

Quellen:

http://www.focus.de/politik/deutschland/unterschriftenaktion_aid_87398.html

Tajfel, H., Billig, M. G., Bundy, R. P. & Flament, C. (1971) Social categorization and intergroup behaviour. European Journal of Social Psychology (1), 149-177.

Brown, R.J. (1978). Divided we fall: An analysis of relations between sections of a factory workforce. In H. Tajfel (ed)., Differentiation between social groups: Studies in the social psychology of relations (395-29), London: Academic Pres.