"Frauen werden doch mitgedacht!" – An wen denken Menschen bei Formulierungen im generischen Maskulinum wirklich?
Denken Sie bitte an drei Politiker und notieren Sie deren Namen. An welche Personen haben Sie gedacht? Waren das ausschließlich männliche Politiker oder sind Ihnen auch weibliche Beispiele wie Angela Merkel oder Kamala Harris eingefallen (vielleicht auch wegen des Titels dieses Beitrags)? Wäre Ihre Antwort anders ausgefallen, wenn wir Sie nach drei PolitikerInnen oder Politiker*innen gefragt hätten? Eine aktuelle, großangelegte Studie zeigt erneut, dass solche geschlechterinklusiven Formulierungen tatsächlich zu einem höheren gedanklichen Einbezug von Frauen führen.
Im Deutschen ist es üblich, männliche Bezeichnungen wie „Doktoren“ oder „Politiker“ zu verwenden, um über Personen aller Geschlechter zu sprechen. Dieses sogenannte generische Maskulinum wird oft damit verteidigt, dass Frauen mitgemeint seien und mitgedacht würden. Es gibt jedoch geschlechterinklusivere Alternativen wie das Binnen-I (PolitikerInnen) oder neuere Formen wie den Gender-Stern (Politiker*innen), der gezielt auch non-binäre oder geschlechtsdiverse Personen einschließen soll. Befürworter:innen dieser Alternativen argumentieren, dass Sprache unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflusse. In diesem Kontext wird oft das Zitat „Sprache schafft Wirklichkeit“ erwähnt, das dem Philosophen Ludwig Wittgenstein zugeschrieben wird. In den letzten Jahren haben viele deutsche Medien zunehmend geschlechterinklusive Alternativen verwendet (Waldendorf, 2024). Gleichzeitig wird die Verwendungen einiger dieser Alternativen – vor allem die des Binnen-Is und Gender-Sterns – kritisiert. Einige Landesregierungen in Deutschland und Österreich *empfehlen beispielsweise stattdessen „Beidnennung“ (Studenten und Studentinnen) oder neutrale Formulierungen (Studierende). Aber beeinflusst das sprachliche Geschlecht wirklich, an wen wir denken?
Bereits vor mehr als 20 Jahren zeigten psychologische Experimente, dass Frauen in den Gedanken der Menschen unterrepräsentiert sind, wenn über Personengruppen im generischen Maskulinum gesprochen wird. Eine bedeutende Studie dieser Zeit (Stahlberg et al., 2001, Studie 2) war getarnt als Umfrage zum Medienkonsum und gab 90 Untersuchungsteilnehmer:innen die Aufgabe, prominente Persönlichkeiten aufzuzählen („Nennen Sie drei Politiker“ oder „Sänger“, „TV-Moderatoren“, oder „Sportler“). Dabei wurde die genaue Formulierung variiert („Politiker“, „PolitikerInnen“ und „Politikerinnen und Politiker“). Die Ergebnisse zeigten, dass die beiden geschlechterinklusiven Formulierungen zu mehr weiblichen Nennungen führten als Formulierungen im generischen Maskulinum. Dies deutet darauf hin, dass das generische Maskulinum vor allem männliche Assoziationen hervorruft, auch wenn es geschlechtsneutral gemeint ist. Aber lassen sich diese Ergebnisse auch auf die heutige Zeit übertragen, in der das Thema „Gendern“ allgegenwärtig scheint?
Zur Beantwortung dieser Frage haben die Psycholog:innen Hilmar Brohmer und Gabriela Hofer und ihr 19-köpfiges Team eine aktuelle „Umfrage zum Medienkonsum“ (Brohmer et al., 2024) an über 2500 Personen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz durchgeführt. Zusätzlich zu den Kategorien aus der Ursprungsstudie (Stahlberg et al., 2001) wurden zwei weitere Gruppen berühmter Persönlichkeiten abgefragt („Schriftsteller“ und „Schauspieler“), damit es wenig stärker ins Gewicht fällt, wenn jemand beispielsweise keine Sportlerinnen kennt. Außerdem gab es zwei weitere Arten geschlechterbezogener Formulierungen, die in den aktuellen Debatten oft diskutiert werden: eine neutrale Formulierung („Personen aus dem Bereich Politik“) und den Gender-Stern („Politiker*innen“). Die Ergebnisse bestätigten jene von vor über 20 Jahren: Geschlechterinklusive Formulierungen führten zu mehr weiblichen Nennungen als das generische Maskulinum. Dies galt auch für neutrale Formulierungen und den Gender-Stern. Kurz gesagt, jede alternative Formulierung führte zu mehr Nennungen weiblicher Personen als das generische Maskulinum. Die Daten widerlegen auch die Befürchtung einiger, dass Personen, wenn sie geschlechterinklusive Formulierungen lesen, primär an Frauen denken könnten: Selbst beim Binnen-I, das mit Abstand zu den meisten genannten Frauen führte, wurden in etwa gleich viele Männer wie Frauen genannt. Bei der neutralen Formulierung fielen den Studienteilnehmer:innen hingegen im Mittel deutlich weniger Frauen als bei den anderen Alternativen ein. Damit Frauen also annähernd ähnlich präsent in den Köpfen der Menschen sind wie Männer, müssen sie anscheinend aktiv sprachlich sichtbar gemacht werden. Der positive Effekt geschlechterinklusiver Sprache war außerdem unabhängig von der politischen Einstellung und davon, ob man geschlechterinklusive Sprache befürwortet oder nicht.
Insgesamt zeigt sich also, dass Frauen beim generischen Maskulinum kaum mitgedacht werden, jedenfalls wenn es um Prominente geht. Auch bei neutralen Formulierungen wird kaum an Frauen gedacht. Demgegenüber scheinen geschlechterinklusive Alternativen dazu zu führen, dass Frauen präsenter in den Köpfen der Menschen sind. Unklar bleibt jedoch, ob moderne Alternativen wie der Gender-Stern auch non-binäre und geschlechtsdiverse Personen präsenter machen. In diesem Bereich ist noch mehr Forschung nötig.
Nichtsdestotrotz: Wenn Sie das nächste Mal in einer Diskussion hören, dass man Frauen beim generischen Maskulinum ohnehin mitdenken würde, dann wissen Sie, dass die wissenschaftliche Beweislage dagegenspricht.
Literaturverzeichnis
Brohmer, H., Hofer, G., Bauch, S. A., Beitner, J., Berkessel, J. B., Corcoran, K., Garcia, D., Gruber, F. M., Giuliani, F., Jauk, E., Krammer, G., Malkoc, S., Metzler, H., Mües, H. M., Otto, K., Rahal, R.-M., Salwender, M., Sczesny, S., Stahlberg, D., Wehrt, W. & Athenstaedt, U. (2024). Effects of the generic masculine and its alternatives in Germanophone countries: Multi-lab replication and extension of Stahlberg, Sczesny, and Braun (2001). International Review of Social Psychology, 37(1). https://doi.org/10.5334/irsp.522
Stahlberg, D., Sczesny, S., & Braun, F. (2001). Name your favorite musician: Effects of masculine generics and of their alternatives in German. Journal of Language and Social Psychology, 20(4), 464–469. https://doi.org/10.1177/0261927X01020004004
Waldendorf, A. (2024). Words of change: The increase of gender-inclusive language in German media. European Sociological Review, 40(2), 357–374. https://doi.org/10.1093/esr/jcad044
Bildquelle
Coyote III, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
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