Irrational, aber verständlich – Warum es sich riskant anfühlt, das Schicksal herauszufordern, auch wenn man gar nicht daran glaubt

Kennen Sie dieses Bauchgefühl, dass es sich rächen könnte, an der Supermarktkasse zu einer offensichtlich schnelleren Schlange zu wechseln, weil wahrscheinlich gerade dann an dieser Kasse ein Problem auftritt, das den gesamten Betrieb aufhält? Oder kennen Sie die Befürchtung, eine Glückssträhne zum Erliegen zu bringen, indem man sie kommentiert? Wie kommt es zu derartigen Vorahnungen bei Menschen, denen eigentlich klar ist, dass ihr Verhalten wohl kaum die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen beeinflussen kann, zu denen es in keinem kausalen Zusammenhang steht?

Jane Risen und Thomas Gilovich haben diese Frage in einer Reihe von Studien untersucht. Sie erklären das Entstehen derartiger Vorahnungen durch das Zusammenwirken von zwei kognitiven Mechanismen: Erstens bekommen negative Ereignisse in der Regel mehr Aufmerksamkeit als positive oder neutrale Ereignisse. Dies ist ein automatischer, aus evolutionärer Sicht sinnvoller Mechanismus. Zweitens erscheinen uns Ereignisse, die wir uns ohne Mühe lebhaft vorstellen können, wahrscheinlicher als Ereignisse, die wir uns weniger leicht und weniger genau vorstellen können.

Inwiefern können diese Mechanismen das Entstehen der negativen Vorahnungen erklären? Zunächst einmal müssen wir uns klar machen, dass negative Ereignisse, die eintreten, nachdem wir beschlossen haben, unser Glück auf die Probe zu stellen, intensivere Reaktionen auslösen als negative Ereignisse, die einfach so eintreten: An einer langsamen Supermarktkasse zu stehen, ist natürlich ärgerlich, aber es ist nochmal deutlich ärgerlicher, wenn wir zuvor an einer anderen Kasse standen, die sich nun doch als die schnellere entpuppt. Diese Tatsache berücksichtigen wir, wenn wir über zukünftige Handlungen nachdenken. Dadurch kann es dann so wirken, als könnten wir durch Handlungen, die das Schicksal herausfordern, negative Ereignisse heraufbeschwören: Ein negatives Ereignis, das uns in der Zukunft erwarten könnte, wirkt noch unangenehmer, als es ohnehin schon wäre, wenn wir uns ausmalen, zuvor das Schicksal herausgefordert zu haben. Weil es besonders negativ wäre, stellen wir uns das Ereignis besonders lebhaft vor, was wiederum dazu führt, dass sein Eintreten wahrscheinlicher erscheint, als wenn wir es unterlassen hätten, das Schicksal herauszufordern.

Um ihr Erklärungsmodell zu testen, betrachteten Risen und Gilovich  folgendes Phänomen: Die meisten Menschen lehnen es ab, ein Lotterielos, das sie bereits besitzen, gegen ein anderes Los derselben Lotterie einzutauschen, selbst wenn man ihnen für diesen Tausch eine Belohnung anbietet. Interessanterweise ist dabei den meisten Menschen klar, dass jedes Los eigentlich dieselbe Gewinnchance hat. Warum sind sie dann aber nicht bereit, das Los einzutauschen und sich so die Belohnung zu sichern? Nach dem Modell von Risen und Gilovich müsste es daran liegen, dass die Menschen intuitiv befürchten, dass das Aufgeben ihres ursprünglichen Loses dessen Gewinnchance erhöhen könnte, obwohl sie gleichzeitig eigentlich wissen, dass das Unsinn ist. Bauchgefühl und Verstand sind sich uneins. In ihren Studien variierten sie nun das Ausmaß, in dem es schmerzen würde, das aufgegebene Los gewinnen zu sehen. Konkret baten Risen und Gilovich ihre ProbandInnen, sich vorzustellen, sie würden ihr Los entweder an eine gute Freundin abgeben oder an eine Person, die sie nicht ausstehen können. Durch diese Variation der Situation konnten sie zeigen, dass die Gewinnwahrscheinlichkeit für das aufgegebene Los umso höher eingeschätzt wurde, je unangenehmer dieses Ereignis in der Vorstellung war. Dies konnte wiederum darauf zurückgeführt werden, dass die ProbandInnen sich einen negativen Ausgang der Situation umso intensiver vorgestellt hatten, je unangenehmer das Ereignis war.

Man muss also nicht an Schicksal oder das Wirken übersinnlicher Kräfte glauben, um das Gefühl zu haben, dass es riskant ist, das Schicksal herauszufordern. Oft liegen ganz profane psychische Mechanismen solchen negativen Vorahnungen zugrunde.

Literatur

Risen, J. L. & Gilovich, T. (2007). Another look at why people are reluctant to exchange lottery tickets. Journal of Personality and Social Psychology, 93, 12-22.

Risen, J. L. & Gilovich, T. (2008). Why people are reluctant to tempt fate. Journal of Personality and Social Psychology, 95, 293-307.

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