Kein Stein fällt, weil er fallen möchte

Warum wir bei der Suche nach Ursachen Personenmerkmale finden und situative Einflüsse übersehen.

Stones von Last Hero via flickr (https://www.flickr.com/photos/uwe_schubert/4165488199), cc (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)Es ist die Eigenart überraschender und negativer Ereignisse—und daher besonders von Katastrophen—bei den Betroffenen und der sonst eher lethargischen Öffentlichkeit eine scheinbar simple Frage hervorzurufen: Warum? Dieser Tage erscheint es mir daher besonders relevant, sich der typischen Verzerrungen im Prozess der Ursachenzuschreibung gewahr zu werden. Denn typischerweise werden als Erklärung Merkmale von Personen und nicht situative Einflüsse herangezogen.

Was bedeutet es, zu personalen anstelle situativer Erklärungen zu tendieren? Versetzen Sie sich deshalb einmal in die Rolle eines Quizmasters, welche einer Kandidatin oder einem Kandidaten eine Reihe von Fragen stellt. Allerdings haben Sie als Quizmaster sich die Fragen selber ausgedacht. Zum Beispielsind Sie Expertin für aristotelische Physik und stellen eine spezifische Frage zu diesem Kausalverständnis. Würde es Sie in dieser Situation überraschen, wenn die Kandidatin oder der Kandidat die Frage nicht beantworten kann? Wahrscheinlich nicht. Und würden Sie ebenso davon ausgehen, dass diese Nichtbeantwortung etwas über den allgemeinen Wissensstand der Kandidatin oder des Kandidaten aussagt? Wenn Sie auch hier denken: wahrscheinlich nicht, dann ist es löblich. Es deckt sich allerdings nicht mit den Einschätzungen der Personen, die sich tatsächlich in dieser Situation befanden. So konnten Ross, Amabile und Steinmetz (1977) zeigen, dass nicht nur Beobachterinnen und Beobachter des Quiz, sondern auch die Quizmaster sowie die Kandidatinnen und Kandidaten selber den allgemeinen Wissensstand der Kandidatinnen und Kandidaten als deutlich geringer einschätzen als den der Quizmaster. Bei dieser Einschätzung wurde der Umstand, dass sich die Quizmaster die Fragen selber ausdenken konnten, anscheinend nicht berücksichtigt und stattdessen Personenmerkmale zur Erklärung des Antwortverhaltens herangezogen.

In der Tat ist die Tendenz, Ursachen bevorzugt innerhalb von Personen zu identifizieren, derart verbreitet, dass sie auch als fundamentaler Fehler bei der Ursachenzuschreibung bezeichnet wird. Warum aber ist das so? Personale Erklärungen lassen einerseits die Welt als besonders kontrollierbar erscheinen und tragen daher dem Grundverständnis einer gerechten Welt Rechnung (s. Susanne Beiers Blog-Beitrag zu Vergewaltigungsmythen). Andererseits sind situative Einflüsse auch meistens weniger auffällig als das Ereignis oder das von einer Person gezeigte Verhalten, sodass situative Erklärungen schlicht übersehen werden (Trope & Gaunt, 2000). Möchte man daher der Tendenz zur personalen Erklärungen entgegenwirken, so empfiehlt es sich, gezielt nach situativen Erklärungen zu suchen oder auch sich in die Perspektive der beteiligten Personen hineinzuversetzen. Denn eins habe ich bisher verschwiegen: Obwohl Ross und Kolleginnen generell die Tendenz zur personalen Erklärung beobachten konnten, so fiel diese für die Betroffenen, also Quizmaster und Kandidatinnen und Kandidaten, weniger stark aus als für die unbeteiligten Beobachterinnen und Beobachter.

Quellen:

Ross, L. D., Amabile, T. M., & Steinmetz, J. L. (1977). Social roles, social control, and biases in social-perception processes. Journal of Personality and Social Psychology, 33, 485-494.

Trope, Y., & Gaunt, R. (2000). Processing alternative explanations of behavior: correction or integration? Journal of Personality and Social Psychology, 79, 344-354.