Mensch, Kind, erzähl‘ doch keine Lügenmärchen!
Ein wenig Flunkern hier, eine kleine Lüge da – es ist wohl noch kein Kind groß geworden, ohne zumindest einmal ein wenig an der Wahrheit gerüttelt zu haben. Und das ist auch ganz normal, denn das Erzählen von Unwahrheiten ist ein natürlicher Teil des Entwicklungsprozesses – doch wem gegenüber flunkern Kinder eher: ihren Eltern oder doch eher Fremden?
Lisa geht nach der Schule ans Telefon. Der Versicherungsvertreter ist dran und fragt nach Mama. Lisa dreht sich zu Mama um, die plötzlich wild herumfuchtelt und flüstert, sie sei nicht zu Hause. Wie, Mama ist nicht zu Hause? Sie steht doch gerade vor mir im Wohnzimmer!
Wenn Kinder groß werden, erleben sie einen widersprüchlichen Umgang mit dem Erzählen von Unwahrheiten. Während sie ständig den Appell „Lügen darf man nicht“ zu hören bekommen, können sie im Alltag etliche Situationen beobachten, in denen nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene Lügen erzählen. Beim Lügen lassen sich jedoch zwei Arten unterscheiden: Während antisoziale Lügen erzählt werden, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen (z.B. um einer Strafe zu entgehen), dienen prosoziale Lügen dem Wohl des Gegenübers (z.B. um dessen Gefühle nicht zu verletzen).
In zwei Studien haben sich Forscherin Shanna Williams und ihr Team (Williams, Kirmayer, Simon, & Talwar, 2013) damit beschäftigt, ob Kinder im Grundschulalter eher ihren eigenen Eltern oder Fremden eine prosoziale bzw. antisoziale Lüge auftischen. Im einen Versuch spielt ein Kind ein Ratespiel mit einem Elternteil oder einer fremden Person, bei dem es jedoch sehr leicht schummeln kann. Nach dem Spiel wird es gefragt, ob es die Regeln eingehalten hat. Wem gegenüber flunkern regelbrechende Kinder wohl eher – ihren Eltern oder einem/-r Fremden (antisoziales Szenario)? Im zweiten Versuch erhalten die Kinder eine Geschenkbox von ihren Eltern oder einer fremden Person, deren Inhalt jedoch eine Enttäuschung ist. Anschließend wird das Kind vom Erwachsenen danach gefragt, ob es das Geschenk mag. Wem tischen Kinder in diesem Fall wohl eher eine Lüge auf (prosoziales Szenario)?
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Kinder sowohl die antisoziale Lüge, die ihre eigene Situation begünstigt, als auch die prosoziale Lüge, die dem Schutz der Gefühle des Gegenübers dient, eher einer fremden Person erzählen als den eigenen Eltern. Wenn ihr Kind also das nächste Mal ein wenig flunkert, machen Sie sich keine Sorgen – beim Versicherungsvertreter klappt’s dafür dann umso besser!
Quelle:
Williams, S. M., Kirmayer, M., Simon, T., & Talwar, V. (2013). Children's antisocial and prosocial lies to familiar and unfamiliar adults. Infant and Child Development, 22(4), 430-438.
Bildquelle:
Jelleke Vanooteghem via Unsplash
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